Prolog: Von Süden ...

Eine Liebe, so verboten. Wer hätte je gedacht, dass ein Engel einen Dämon lieben könnte? Dabei sollte diese Verbindung endlich Frieden zwischen den Reichen bringen.
Doch alte Wunden heilen schlecht.
Und Liebende gehen oftmals ihren eigenen Weg.


❖ ❖ ❖


Es war der erste Tag, des ersten Sommermonats und die Hauptstadt leuchtete zum Anlass des Festes. Die Straßen waren mit Laternen geschmückt, die Luft vom musikalischen Klang der Fideln und Lauten erfüllt. Der süßliche Duft von gerösteten Nüssen in Honig verbreitete sich allmählich. Das gemeine Volk tanzte durch die Straßen und Lachen erfüllte die steinernen Gassen.

Tigran aus dem Hause Tejudis stand am Fenster des Gemachs und starrte hinunter auf die Stadt, während er über die Worte seines Vaters nachdachte.

Nicht dass er eine Wahl gehabt hätte.

Die vergangenen Kriege hatten das Reich viele Ressourcen gekostet. Mehr, als ihnen zur Verfügung gestanden hatte. Während er selbst die südliche Küste vor der Invasion der Akoren bewahrt hatte, wurde der Osten von Piraten zerstört und geplündert und musste beinahe nahtlos verteidigt werden. Obwohl dieser Krieg nun bereits einige Jahre zurücklag erholte sich das Land nur träge davon.

Die andauernde Dürre trug ihren Rest dazu bei.

Die Südlande waren ein vereinigtes Reich aus siebzehn Ländern. Mit Olivenhainen, die sich bis zur Küste erstreckten, mit den kargen Landschaften der Hochgebirge und Palmenoasen in der Wüste. Das Land war längere Trockenperioden gewöhnt. Die Menschen kannten sie und lebten mit der Hitze. Doch in den vergangenen Monaten war zu wenig Regen gefallen. Es war viel zu warm und viel zu trocken gewesen. Die ersten Bauern sorgten sich bereits um die Ernte und der Rat am Hof hatte sie schon vor Wochen vor der kommenden Hungersnot gewarnt. Doch das Vermögen war in die Ernährung und Aufstellung ihrer Truppen geflossen und die Ostschlacht hatte die meisten ihrer Handelsschiffe zerstört. Es fehlte an Geld, um die Flotte zu erneuern und gleichzeitig die Schulden für den Stahl, der für Waffen und Rüstungen benötigt wurde, zurückzuzahlen.

Und neben all diesen weltlichen Problemen hatte das Haus Tejudis ein weiteres: Die Unterhaltung des Drachens verschlang ein Vermögen. Aeris fraß allein das Gewicht eines Rüsseltiers an Fleisch pro Monat und das Vieh war durch mangelndes Futter ebenfalls dürr geworden.

Tigran konnte die Beweggründe seines Vaters verstehen,

doch es war ihm zuwider. Er lebte für seine Männer. Seine Leidenschaft war das Heer und die Schlacht und das war es schließlich auch, wofür ihn das Volk bewunderte. Durch Tigran und seine Kriegsführung war wieder Frieden in die Südlande eingekehrt. Er hatte es geschafft, die Lehnsherren im Westen unter seinem Banner zu vereinen. Hatte geschafft, wofür sein Vater und seines Vaters Vater ein Leben lang gekämpft hatten. Doch sie konnten damals nicht mehr, als den Groll zu ersticken, und dieser schwelte weiter vor sich hin, wie die Glut eines erloschenen Feuers das beim nächsten Windstoß erneut auflohte.

Tigran hatte dem ein Ende bereitet. Als Thronerbe war er der Erste seit fünf Generationen, der als Drachenreiter geboren war und wo er hinkam mit Schwert und mit Feuer, da legten sie die Waffen nieder, denn alle anderen wurden verbrannt.

Doch die Jahre der Kriegsführung forderten allmählich ihren Tribut und der König verlangte nun, dass er sesshaft wurde.

Sesshaft.

Tigran sollte Ruhm und Ehre gegen ein Weib und ein Balg – Schwert und Helm gegen Zepter und Krone eintauschen. Dem Kronprinzen hatte noch nie viel an der Regentschaft und an der Politik gelegen. Doch sein Vater wurde allmählich ungeduldig.

Es klopfte an der Tür und er wandte nur den Kopf zu ihm um.

„Man erwartet Euch beim Bankett, Sire", sprach Ramón feierlich.

Zwar war Tigran jeglicher Appetit vergangen, doch er wusste auch, dass er sich den Pflichten seines Erbes zu stellen hatte.

Er wandte sich um. Die Prunkrüstung klimperte leise bei jedem Schritt, den er tat. Ramón trat zur Seite und schloss die Tür hinter dem Kronprinzen, dann holte er ihn ein.

„Man sagt, die Nordmänner verstärken ihre Mauern", begann er ein lockeres Gespräch. „Mit bangem Blick würden sie gen Süden schauen."

Das entlockte Tigran tatsächlich ein Lächeln. Ein Lächeln deswegen, weil es so absurd war.
„Wenn sie die Kunde von Vaters Plänen erhalten, werden die Tore offen stehen und ein Fest wird sich an das nächste Reihen." Seine tiefe Stimme klang kratzig und ihm wurde bewusst, dass dies das erste Gespräch an dem heutigen Tag war.

„Das wäre doch ein würdiges Ende für Euren Siegeszug", meinte Ramón, „den Norden einnehmen-"

„Der Norden ist uneinnehmbar", unterbrach ihn Tigran nun ungeduldig und beinahe verärgert. „Seit jeher schon. Wir sind nicht gerüstet, in dieser lebensfeindlichen Umgebung zu überdauern und Drachenfeuer nützt uns dort nichts." Sein Freund war verstummt und Tigran war sich nicht sicher, ob es sich bei dessen Bemerkung um einen Scherz, oder um wahnsinnige Hoffnung handelte.

Ramón war seit Kindesbeinen an, an seiner Seite gewesen. Sie hatten dieselben Schlachten geschlagen und die gleichen Tränen vergossen. Sie waren vielmehr Brüder als Kameraden und Tigran wusste auch, dass es Ramón nach Taten dürstete. Wachdienste und Stadtpatroullien waren keine Herausforderung für ihn. Doch scheinbar waren die letzten Schlachten geschlagen.

Während sie die Korridore hinabgingen, gestattete sich Tigran für einen Moment, einen Gedanken an diese Utopie zu verschwenden.

Die Menschen im Norden waren klein, stämmig und stumpfsinnig. Sie lebten in Höhlen unter den Bergen, wo sie ihrem grobschlächtigen Handwerk nachgingen.

Nicht nur deshalb, war der Norden uneinnehmbar. Drachen vertrugen die Kälte nicht. Ihr Blut wurde dick und ihre Bewegungen langsam und Tigran schüttelte sich beim bloßen Gedanken an Eis und Schnee. Tigran hasste die Dunkelheit und den Frost. Er war im Feuer geboren und im Feuer würde er leben.

Doch das Haus Freveyier hatten sich seit Jahrtausenden in dieser überlebensfeindlichen Landschaft angesiedelt und herrschte seitdem über die zwölf Nordländer. Und diese Länder waren reich an verborgenen Schätzen der Erde. Sie schürzten die Erze und bauten Edelsteine und Gold in ihren Mienen ab. Ihr Reichtum wuchs mit jedem Tag, so wie die Sorgen des Hauses Tejudis.

Trotzdem mussten sie den Norden nicht fürchten. Denn so wie es für sie unmöglich war, in dem endlos andauernden Winter zu überleben, so war den Nordländern der Süden fremd und was fremd war, mochten sie nicht.

Die Wachen öffneten die Türen zum Saal und die Fanfaren kündigten den Kronprinzen an. Die höfischen Höflichkeiten erwiderte Tigran routiniert, während er durch die Menge schritt, um zu dem König zu gelangen. Der Thronsaal war festlich geschmückt worden und die Banner hingen von den Wänden aus Grauwacken. Er verschwendete keinen Blick auf das Familienwappen: Der brennende Säugling auf schwarzem Grund.

Als er seinen Vater erreichte, kniete er nieder und zollte ihm den Respekt, der ihm gebührte. Tilon der dritte seines Namens, war bereits in die Jahre gekommen. Sein Haar war schlohweiß und seine Gestalt hager geworden. Doch hinter den wachsamen hellen Augen saß noch immer ein berechnender und aufmerksamer Geist. Tigran wusste das und er schätzte es auch.

Der Kronprinz besetzte seinen Platz an der Tafel und das Fest nahm seinen Lauf. Es wurde getanzt, gesungen und getrunken. Zu seiner Rechten saß Ramón und es gesellten sich weitere angesehene Kameraden zu ihnen. Für eine Weile vergaß Tigran den Anlass der Feier, scherzte, trank und schwelgte in Erinnerung. Wann immer es notwendig war, dass ihm ein Gast vorgestellt wurde, zückte er aus dem Repertoire seiner adligen Erziehung die rechte Umgangsform hervor, doch nachdem sie seinen Blicken entschwunden waren, hatte Tigran sie auch bereits wieder vergessen.

Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass unter diesen vornehmen Damen vermutlich jene sein würde, die sein Vater für ihn auserwählt hatte. Er würde sie schon noch früh genug zu Gesicht bekommen. Ramón lachte schallend über Ilias' allseits bekannte Erzählung, wie er sein rechtes Ohr im Kampf verlor, die er bei jeder Neuerzählung zusätzlich ausschmückte. Doch bevor er zum Ende gekommen war, verklang die Musik und die Fanfaren ertönten abermals und Tigran wusste, dass es nun so weit war.

Als sich der König erhob und eine Ansprache hielt, hörte der Kronprinz gar nicht richtig hin. Stattdessen ließ er den Blick durch die Menge schweifen. Begutachtete die adeligen Vasallen, deren Lehnsherren, ihre Ehefrauen und Nachkommen und fragte sich gleichermaßen, wen von den siebzehn Ländern sein Vater auserwählt hatte, um das Bündnis einzugehen. Wessen Tochter würde er ehelichen müssen?

Der König machte einen Scherz und die Menge lachte. Tigran konnte sich nur zu einem abwesenden Schmunzeln hinreißen lassen, doch dann spürte er die Hand seines Vaters auf seiner Schulter und wurde wieder aufmerksam.

„... ein Bündnis, das in die Geschichtsbücher eingehen wird, unseren Fortbestand und auch den Wohlstand unseres Reiches sichern wird. Hiermit möchte ich die Verlobung bekannt geben. Die Verlobung meines Sohnes Tigran, der erste seines Namens, mit der Prinzessin Lanessa aus dem Hause Freveyier."

Die ohrenbetäubende Stille drückte auf Tigrans Trommelfelle. Sekundenlang war es ruhig in der Halle, in den Sekunden da die Anwesenden sich fragten, ob der König sich erneut einen Scherz erlaubt hatte. Doch Tilon hob die Hand in Richtung der Empore und die Fanfaren dröhnten unterstützend und zögerlich setzte auch mäßig Applaus ein.

Ungläubig starrte Tigran einfach nur vor sich, nahm weder Notiz von den verhaltenen Glückwünschen, die man ihm zukommen ließ, noch von der Musik, die allmählich wieder anlief. Er nickte, wie in Trance, erwiderte aber keines der falschen Lächeln der Vorbeigehenden. Erst als an ihrer Tafel erneut Ruhe eingekehrt war und das Gesagte an seinen Geist sickerte, wandte er sich seinem Vater zu und sprach leise: „Du hast mich an den Norden verkauft?"

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