Markttreiben

Leif reichte ihr eine Hand, damit sie besser aussteigen konnte.

Die Stadt schlängelte sich mit ihren engen Gassen die felsige Küste hinunter. Einige Häuser waren direkt in den Berg gehauen und in ihnen herrschte ein angenehmes Klima.

Lanessa wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Die Farbenpracht, der würzige Duft von Gewürzen und Süßspeisen, die Rufe und Gesänge in fremden Sprachen rieselten unablässig auf sie ein, wie dicke Schneeflocken.

Verunsichert klammerte sie sich an den Arm ihres Bruders, während sie sich durch die schmalen Gassen drängten. Immerzu hatte Leif seine Umgebung und die Leute darin im Auge. Der Schweiß rann ihm bereits die Stirn herab und Lanessa war sich sicher, dass dies nicht nur von der Hitze kam, sondern auch von der Anspannung herrührte.

Um sie herum vermischten sich Nordmenschen mit Südländern, ferne Kaufleute und exotische Sklaven. Die Hitze staute sich zwischen den Menschenmassen und Lanessa war augenblicklich froh, dass sie sich für eines der Gewänder entschieden hatte, dass man ihr auf Drachenstein gereicht hatte. Es war leicht und angenehm kühl auf ihrer Haut. Trotzdem wurde ihr schon bald schwindelig.

„Dort hinten ist etwas mehr Platz", sprach Leif und dirigierte seine Schwester auf einen runden Marktplatz, auf dem eine Bühne stand.

Ein Feuerspucker führte hier gerade seine Künste vor und sie nahmen auf einer niedrigen Holzbank platz, um zuzusehen. Entsetzt schlug Lanessa die Hände vors Gesicht, als der junge Akteur eine brennende Fackel im Mund erstickte.

„Geht es dir gut?", fragte Leif besorgt.

Lanessa nickte eifrig und wedelte sich etwas Luft zu.

Die Sonne senkte sich dem Horizont entgegen und die Schatten der Häuser wurden dunkler. Überall um sie herum wurden allmählich Fackeln, Feuerschalen und Laternen entzündet. Ihrem Bruder behagte die aufkeimende Dunkelheit nicht. Doch das Leben der Stadt schien nun erst richtig in Schwung zu kommen.

„Hast du genug gesehen?", fragte Leif nach einer Weile.

Seine Schwester bedachte ihn mit einem empörten Blick.

„Wir sind gerade erst richtig angekommen", sagte sie und deutete auf ein Schild über eine Gasse.
Die fremden Schriftzeichen konnten beide nicht lesen, doch die Schnitzereien der Fabelwesen im Holz machten Lanessa neugierig.

„Scheint eine Art Menagerie zu sein", meinte Leif nachdenklich.

„Dann lass uns nachsehen", forderte seien Schwester.

Leif atmete schwer. Sein Hemd war bereits schweißdurchtränkt.

„Und danach gehen wir allmählich zurück!"

Lanessa antwortete nicht. Sie hatten erst einen Bruchteil des Marktes besucht und sie wollte noch nicht daran denken, ihn zu verlassen. Sie bezahlten mit ein paar Silbermünzen und wurden anschließend von einem buntgekleideten Narren hineingelassen. Während sie die dunkle Gasse entlangschlenderten, passierten sie zahlreiche Käfige mit exotischen Tieren. Lanessa sah eine Schlange, die so dick wie ihr Oberschenkel war. Eine Vielzahl von katzenartigen Wesen mit menschlichen Händen und langen geringelten Schwänzen. Bunte Frösche in Glasflaschen und etwas, das aussah wie ein Reh mit gedrehten Hörnern. Mit Bedauern stellte sie fest, dass die Menschen hier nicht die allgemeine Sprache beherrschte und so konnte sie sich nur vage Vorstellungen davon machen, woher all diese seltsamen Wesen stammten.

„Ist das ein Drache?", fragte sie ihren Bruder und deutete auf eine zwei Meter lange Echse.
Das Maul hatte man ihr mit Lederriemen zugebunden, doch sie streckte trotzdem immer wieder ihre gespaltene Zunge daraus hervor.

„Zu klein", sagte Leif desinteressiert. Dann deutete er auf eine Seitengasse. „Da ist ein Ausgang. Ich denke, es ist genug für heute."

„Lass uns noch ein bisschen bleiben", flehte Lanessa. „Ich habe gar keine Kleider gesehen."

„Du kannst in den nächsten Tagen wieder hierherkommen", sprach ihr Bruder eisern. „Ich möchte mich gerne umziehen."

Widerwillig trottete Lanessa Leif hinterher, blieb jedoch vor einem Stand mit Trockenobst kurz stehen. Ihr Bruder wandte sich entnervt um.

„Jetzt komm schon!" Er zog sie ein Stück mit sich mit, bis die Masse an Leuten so dicht wurde, dass er sie loslassen musste.

Immer wieder warf er jedoch prüfende Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Lanessa hinter ihm war. Diese schmollte derweil. Ihre Augen hüpften von einem aufregenden Stand zum nächsten und schließlich fasste sie den Entschluss, noch zu bleiben. Sie folgte ihrem Bruder jedoch weiterhin, um ihn in Sicherheit zu wägen, und ging plötzlich hinter einem Stand mit Seidenschals in Deckung. Zufrieden sah sie dabei zu, wie Leif sich immer weiter entfernte und irgendwann zwischen all den Menschen nicht mehr auszumachen war. Lanessa nutzte sie die Gelegenheit, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen.

Sie teilte die flatternden Schals mit den Händen, huschte hastig hindurch und stieß unmittelbar mit jemanden zusammen. Sie geriet ins Stolpern und stürzte zwischen zwei Schalen mit Tonperlen zu Boden.

Erschrocken sog sie die Luft ein und sprach: „V-v-verzeihung!"

„Seid Ihr verletzt?" Ein Mann half ihr wieder auf die Beine.

Er war hochgewachsen, dunkelhaarig und der Statur nach zu schließen ein Krieger, aber er beherrschte in die gemeine Sprache. Auch schien er einige Jahre älter als sie selbst zu sein.
„Nein ... nichts dergleichen, danke." Sie klopfte sich den Staub von dem Leinengewand und als sie den Kopf hob, sah sie Leifs Gesicht in der Menge.

Gerade, als sich der Mann von ihr abwandte, machte sie einen Satz zur Seite.

„Haltet ein!" Flehte sie und ging hinter ihm in Deckung, was bei seiner stattlichen Statur keinerlei Problem darstellte.

Rücken an Rücken standen sie einige Atemzüge da, bevor sich Lanessa an dem Fremden vorbeugte und erkannte, dass Leif weiterging und aus ihrer Sicht entschwand.

„Vor wen haltet Ihr Euch versteckt?", fragte der Fremde, als sie hinter ihm hervorkam.
Lanessa lächelte peinlich berührt, als sie zu ihm aufsah.

Die dunklen Augen in seinem kantigen Gesicht funkelten amüsiert. Er trug das schulterlange schwarze Haar zusammengebunden und der Henriquatre wirkte gepflegt. Seine gebräunte Haut verriet ihr sofort, dass er kein Mann aus dem Gefolge ihres Vaters war. Vielleicht ein Söldner, der die Annehmlichkeiten des Festes genießen wollte.

„Vor meinem Bruder", gab sie schließlich zu und sah noch einmal kurz an ihm vorbei. „Er ist der Ansicht, dass er auf mich aufpassen muss."

„Ein ehrenwerter Ansatz."

„Ein furchtbar nerviger Ansatz", hielt sie entgegen.

„Er hat vermutlich aber nicht ganz Unrecht. Eine so hübsche junge Frau kann alleine schnell in Schwierigkeiten geraten."

Lanessa wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Hielt er sie für hilflos, oder wollte er ihr einfach ein Kompliment machen? Als sie nicht reagierte, bot er ihr den Arm an und sagte ernst: „Vielleicht kann ich an seiner Stelle auf Euch Acht geben."

Er grinste verwegen und es stand ihm unheimlich gut. Lanessa richtete sich ein wenig auf und antwortete direkt: „Mit einem Fremden mitgehen? Wo ich doch so schnell in Schwierigkeiten geraten könnte?"

Das schiefe Grinsen wurde zu einem Lächeln, das eine Reihe weißer Zähne zeigte.

„Dann will ich mich vorstellen, Mylady." Er verneigte sich förmlich. „Mein Name ist Grischa, und der Eure?"

Grischa klang südländisch. Misstrauisch zog sie die Brauen zusammen. Der Kleidung nach zu urteilen, war er ein Edelmann, doch er trug kein Wappen und keine Brosche anhand der, sie seine Zugehörigkeit hätte erkennen können.

„Ylvie, Sir." Es war der erste Name, der ihr eingefallen war. Der Name ihrer Zofe. „Gut, wir sind also bekannt miteinander. Darf ich der Lady nun den Markt zeigen?"

Lanessa zögerte einen Moment lang. Die Sonne war fast untergegangen und die letzten Strahlen versiegten allmählich. Im Norden, musste sie zu dieser Zeit immer zurück in der Burg sein, wo sie sicher war vor Wölfen, Bären und Vagabunden. Doch hier im Süden schien das Leben erst mit Einbruch der Dunkelheit richtig aufzuleben und immerhin befand sie sich auf einem belebten Markt. Was konnte schon passieren?

Abenteuerlustig ergriff sie den muskulösen Arm und sprach aufgeregt: „Warum nicht, zeigt ihn mir!"

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