Die letzte Schlacht

Die herunterbrennende Sonne war beinahe unerträglich.

Tigran hörte die letzten Befehle seiner Hauptleute. Die Formation hatte Stellung bezogen. Königlich saß er bereits auf dem Rücken seines Drachens und wartete auf das Kommando. Dann erklangen die Trommeln. Der Scheinangriff hatte begonnen.

Es kostete ihn einiges an Beherrschung abzuwarten und diese Anspannung übertrug sich auch auf Lanessa.

„Wir warten auf die Hörner", sagte er leise.

Zum wiederholten Male prüfte er den Sitz seiner Waffen und der Sicherung, weil es das Einzige war, was er tun konnte. In dem Moment fragte er sich, ob Lanessa seine Angst spüren konnte. Aeris hatte immer ein Gespür für ihn gehabt, sie hatte gewusst was er wollte, noch bevor er es selbst wahrgenommen hatte. Doch wie würde es mit Lanessa sein? Es war ihr erster Kampf und auch, wenn sie vorab einige Formationsflüge trainiert hatten, wusste er nicht, ob er sich darauf verlassen konnte.

Die Hörner erklangen und jedwede Grübelei hatte ein Ende. Lanessa schwang sich in die Lüfte, noch bevor er es von ihr Verlangen konnte. Der Wind peitschte an ihm vorbei und gönnte ihm die notwendige Abkühlung. Ihre Bewegungen waren kraftvoll und energisch und er spürte auch ihren Ehrgeiz.

Als sie den Hügel vor sich überwunden hatten und in die Sichtweite der Nordmannen kamen, erklangen die Warnrufe ihrer Hörner. Lanessa flog einen Bogen um das Kampfgebiet herum. Von hier oben konnte er die nordischen Fallen auf der Fläche deutlich sehen. Von hier oben, hatte er auch zum ersten Mal eine realistische Vorstellung von der Streitmacht. Er schätzte sie auf ungefähr dreißigtausend Mann. Sie hatten also eine Chance.

„In Ordnung, los!", rief Tigran seinem Drachen zu.

Lanessa legte sich in Schräglage und tauchte ab. Kurz bevor sie die Truppen erreichten, senkte sie den Kopf und speite Feuer. Das trockene Steppengras knisterte laut, als sich die Feuerwand hinter der Truppe schloss. Sie würden die Nordmänner in ihre eigenen Fallen drängen.

Lanessa gewann wieder an Höhe und tat ein paar kräftige Flügelschläge, um zu wenden und erneut einen Angriff zu starten. Die Flammen drängten ihre Gegner immer weiter auf das Schlachtfeld hinaus. Ihr Plan schien aufzugehen. Nach der zweiten Wendung jedoch, sah Tigran die schwarze Apparatur inmitten der Feinde – zu spät. Die Spitze des Geschosses war nun genau auf sie gerichtet. Tigran warf sich in die Kurve, doch Lanessa reagierte zu langsam.

Der Drachentöter schoss einen Pfeil ab und er streifte Lanessas Vorderbein und der linke Riemen des Brustgeschirrs riss ab. Der plötzliche Ruck stieß Tigran vom Rücken.

Von den gegnerischen Truppen ertönte Jubel, als sie sahen, wie der Drachenreiter kopfüber unter seinem Drachen baumelte.

Lanessa drehte ab und wendete sich dem Schlachtfeld zu, währenddessen sah Tigran die Welt rasant an sich vorüberziehen. Der Erdboden war noch einige Meter von ihm entfernt. Der Drache war zur Landung übergegangen, doch dann riss auch der zweite Riemen. Tigran stürzte zu Boden, rollte sich mehrmals über die eigene Achse und blieb gekrümmt vor Schmerzen einige Atemzüge liegen.

Der Norden jubelte.

Allmählich kam Tigran zu sich. Gepeinigt rang er nach Luft, stellte jedoch fest, dass er sich scheinbar keinen Bruch zugezogen hatte. Anmutig landete Lanessa neben ihm und plötzlich war die Angst größer als sein Schmerz.

„FLIEG!", schrie er und zwang sich auf die Beine. „WEG! DU MUSST IN BEWEGUNG BLEIBEN!"

Mit geblähten Nüstern sah sie ihn an. Dann schlug er nach ihr.

„LANESSA! FLIEG!"

Ein weiteres eisernes Geschoss landete direkt zwischen ihnen auf dem Boden. Es war ein zwei Meter langer Pfeil mit einer zwei Fuß großen Spitze.

„FLIEG!"

Nun schien der Drache zu begreifen. Widerwillig erhob er sich in die Lüfte und kreiste über Tigran.

Das Horn der Normannen erklang und er sah, dass die Bogenschützen vortraten. Ein Blick zurück verriet ihm, dass seine Männer noch immer, wie abgesprochen, an der Grenze verharrten. Doch das würde nicht so bleiben, wenn er nun unmittelbar vorm Feind stand.

Die Bogenschützen spannten.

Die einzige Möglichkeit war ein Vorstoß.

Zielstrebig zog er die Krummsäbel von seinem Rücken. Adrenalin füllte seine Adern und der Überlebensinstinkt in ihm erwachte. Er würde nicht sterben! Nicht heute!

Die Pfeile surrten los und er blieb noch einen Atemzug lang stehen, entschlossen ihnen entgegenzulaufen.

Dann sah er Lanessa von links kommen. Wütend brüllend und mit eingezogenem Kopf flog sie durch den Schwall Pfeile hindurch. Die meisten prallten an dem harten Schuppenpanzer ab. Unschlüssig blieb Tigran stehen.

Der Drache gewann wieder an Höhe und kreiste in unberechenbaren Schleifen über ihm. Dann ertönte abermals das Horn und die Kavallerie rückte vor. Nur einen kleinen Moment später folgte der Angriff.

Aus dieser Situation würde Lanessa ihn nicht retten können. Beherzt suchte er nach einem sicheren Stand, seine Waffen hielt er bereit. Er fixierte sein Ziel. Die Reiter kamen, immer näher. Das Trommeln der Hufe ließ die Erde beben, wirbelte den trockenen Staub der Ebene auf und hüllte die Angreifer in einen Schleier ein. Immer näher kamen sie.

Tigran machte sich bereit, doch in dem Moment, da er fast das Weiße in den Augen ihrer trägen Reittiere erkennen konnte, preschten die Pferde seiner eigenen Kavallerie an ihm vorbei. Nur ein paar Atemzüge später rannten sie krachend einige Meter vor ihm ineinander.

„TIGRAN!" Er sah sich in dem Chaos nach dem Rufenden um.

Xander war nur wenige Meter von ihm entfernt und er hatte sein Pferd dabei. Er verstaute einen seiner Säbel auf den Rücken und schlüpfte durch das Durcheinander von Pferden und Männern hindurch und hob sich auf den Rücken seines Hengstes. Die Freunde tauschten nur einen kurzen Blick, dann hatte die Schlacht wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Tigran trieb sein Pferd unbarmherzig voran, bis er die nordischen Truppen erreicht hatte. Immer Ausschau haltend nach ihrem Anführer.

Lanessa flog speiend und brüllend über sie hinweg. Das Klirren von Stahl mischte sich unter die Schreie der Männer und Reittiere. Staub und Hitze erschwerten das Atmen. Das Trampeln der Rüsseltiere, ließ den Boden erbeben. Bald war die Luft um sie herum so getrübt, dass er nur noch wenige Meter weit sehen konnte.

Tigran spürte nicht, wie viel Zeit verging.

Er zählte auch nicht, wie viele Menschenleben er nahm.

Hieb um Hieb kämpfte er sich voran, bis sein Hengst plötzlich unter ihm wegknickte und ihm zum Abspringen zwang. Triumphierend stand ein Nordmann mit Streitaxt ihm entgegen. Tigran zog den zweiten Säbel und besiegte seinen Gegner nach einem kurzen Gefecht. Dann hielt er inne, um sich zu orientieren. Von seinen Hauptleuten war nichts zu sehen. Die Wand aus Staub hatte sie vollkommen eingehüllt nur in den Momenten, da Lanessa über sie hinwegfegte, wurde die Sicht für eine kurze Zeit klar.

Blut und Fleisch bedeckte den Boden der Steppe. Er stieg über die Leichen hinweg und suchte nach weiteren Gegnern. Die Masse lichtete sich. Die Angreifer, die ihm entgegenkamen, wehrte er ab. Einer von ihnen schaffte es, mit seinem Schwert seinen Oberschenkel aufzuschlitzen, doch es war nur eine verkraftbare Fleischwunde.

Konzentriert suchte sich Tigran den Weg durch das Schlachtfeld. Die Flügelschläge des Drachens vertrieben den Staub mit jeder Schleife, der er flog. In der Ferne sah er Ilias Seite an Seite mit Grigori kämpfen. Die Nordmänner fielen ihrer Agilität zum Opfer.

Und dann sah Tigran ihn: Ruppert Hohenstein.

Sein Schwert trennte gerade den Kopf eines Südländers vom Rumpf. Der Körper sackte zu Boden und einen Moment lang, sahen sie sich über die Distanz hinweg nur an.

Lodernder Zorn erfüllte Tigranvon innen heraus. Er konnte es beenden, wenn Ruppert fiel. Der Norden würde dann ihnen gehören. Tigran wich einem Angreifer aus, der ihn von der Seite attackiere, parierte dessen Hieb und zertrümmerte ihm das Schienbein. Danach fuhr Tigrans Klinge durch seinen Hals.

Ruppert war in der Zeit näher gekommen. Langsam und Träge, weil es seine Rüstung nicht anders zuließ, doch mit der gleichen Inbrunst erfüllt, wie er selbst. Nur wenige Schritte trennten sie noch voneinander und plötzlich wusste Tigran, dass er ihn besiegen würde. Er hatte Ruppert schon einmal geschlagen.

Wie Raubtiere näherten sie sich einander und wie Raubtiere taktierten sich die Gegner. Ruppert machte den ersten Angriff. Sein Schwert sauste gewaltvoll herab. Es verlangte Tigran einiges an Kraft ab, dem Schlag zu parieren. Voller Eifer holte er zum Gegenschlag aus, die Hiebe der beiden Klingen ging rasch aufeinander folgend nieder. Der Nordmann konnte nur zurückweichen. Die nächsten Hiebe wehrte er mit seinem Schild ab. Im Kampfgetümmel war es schwer, einen festen Stand zu finden. Tigran trat zwischen den toten Körpern hindurch und versuchte zu verhindern, dass Ruppert die Distanz wieder aufbaute. Der Nordmann warf sich mit seinem Schild gegen den Südländer und Tigran geriet ins Stolpern. Sein Gegenschlag mit der Klinge riss Ruppert den Helm vom Kopf. Einen Moment sahen sie einander abschätzen an und Tigran fragte sich, ob der Nordmann ebenfalls an den Tag zurückdachte, an dem er ihn besiegt hatte.

Lanessa brüllte und Ruppert duckte sich weg. Tigran nutzte die Unaufmerksamkeit für einen erneuten Angriff. Stahl traf auf Stahl. Die Instinkte nahmen überhand, das Jahrzehnte lange Training zahlte sich aus. Entschied schon bald über Leben und Tod.

Für eine kleine Ewigkeit verlangten die Gegner sich erbarmungslos all ihr Können ab und keiner von ihnen wollte nachgeben. Klirrend prallten die Klingen aufeinander. Stumpf trafen Tigrans Säbel auf das eisenbewehrte Schild des Nordmanns.

Dann stolperte er über einen toten Körper, balancierte sich rechtzeitig aus doch nur einen Herzschlag später erfüllte ein stechender Schmerz ihn aus. Ruppert, hatte sein Schwert in seinen Leib gestoßen.

Geschockt hielt Tigran für einen Moment inne. Rang nach Atem. Versuchte etwas anderes zu spüren außer den Schmerz in seinem Bauch. Dann zog der Nordmann die Klinge aus ihm hervor. Er lachte triumphierend.

Heißes Blut rann Tigrans Körper herab und für Sekunden wurde ihm schwarz vor Augen. Lange genug, um seinen Gegner für einen zweiten Hieb einzuladen. Ruppert hob sein Schwert mit dem Ziel, dem König des Südens den letzten Schlag zu versetzen, als ein ohrenbetäubendes Gebrüll die Luft erfüllte.

Der Drache landete mit voller Wucht mitten in der Schlacht und die Männer um ihn herum fielen um, wie Zinnsoldaten. Mit einem gezielten blitzschnellen Schnappen zermalmte Lanessa Ruppert zwischen den kräftigen Kiefern. Seine Rüstung verbog sich unter der Kraft wie weiches Leder. Ein grauenerregendes Knirschen übertönte jeden Laut.

Tigran sah zu Lanessa auf. Schwach schüttelte er den Kopf.

‚Bleib in Bewegung', wollte er sagen, doch es kamen keine Worte mehr über seine Lippen.

Kraftlos ließ er seine Säbel fallen und presste die Hände auf die Wunde. Dann sank er auf die Knie. Er fühlte sich so müde.

Als der Drache den leblosen Körper ausspuckte, wandte sie sich ihm leise wimmernd zu. Tigran kannte diesen Laut.

Er wollte sie trösten, doch er war zu sehr damit beschäftig die Dunkelheit fernzuhalten. Dann ließ er sich auf den Boden gleiten.

Lanessa brüllte herzzerreißend. Der Laut brachte die Luft um sie herum zum Zittern und für einen Moment schien das Kampfgeschehen innezuhalten. Für einen kurzen Augenblick lauschten alle dem Klagen des Drachens.

So wurde auch der Schütze des Drachentöters auf sie aufmerksam. Es war ein Leichtes die Maschinerie auf das ruhig verweilende Ziel auszurichten, um das eiserne Geschoss abzufeuern. Es traf den Drachen mitten in der Brust.

Die Nordmänner grölten.

Der Drache schrie auf, dann kippte er zur Seite und verstummte.

Tigranwar zu kraftlos zum Schreien. Er spürte bereits keinen Schmerz mehr. Mit den letzten verbleibenden Reserven zwang er sich jedoch auf die Füße. Überwand die Distanz zwischen ihnen und kam stolpernd an ihrem Kopf an. Dann brach er zusammen.

Schwach öffnete Lanessa ihr Auge. Der Drachenatem war kaum mehr hörbar.

Tigran streckte die Hand nach dem kupferfarbenen Schuppenpanzer aus. Sein Blick wurde unscharf und doch konnte er das Blau ihrer Augen noch sehen. Es erfüllte seinen Geist. Es erfüllte seine Seele.

Es heißt die Frauen im Norden, seien schön wie Engel.

Er konnte das Rasseln ihres Atems nicht hören, doch er sah ihr Gesicht in der Spiegelung ihres Auges. Er sah nur noch Lanessa. Das feurige rote Haar leuchtete in der Sonne. Ihre Augen glitzerten wie Saphire und er konnte ihre Stimme flüstern hören. Eine nie gekannte Dankbarkeit ergriff ihn.

Wie hatte dieser Engel nur einen Dämon wie ihn lieben können?

Er hatte sie ihrer Familie geraubt, ihrer Heimat.

Er wollte ihre Tochter dem Feuer opfern und doch war sie jetzt hier.

Während seiner letzten Atemzüge war Lanessa bei ihm.

Sie würde immer bei ihm sein.

Langsam schloss der Drache die Augen und der Körper sank schlaff zusammen. Tränen vernebelten Tigran die Sicht. Ließen ihn noch ein letztes Mal den Schmerz des Verlustes spüren. Dann entschied er, dass es genug war und so schloss auch er die Augen für immer.

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