Kapitel 9
Live war gerade dabei mit den Kindern in den Aufenthaltsraum zu gehen, als plötzlich mehrere Schwestern Befehle durcheinander riefen und einige Ärzte angelaufen kamen. Muss wohl was Schlimmes passiert sein, wenn alle so hin und her rennen. Sie wollte sich gerade von dem Geeile hinter sich abwenden, doch da wurde neben ihr eine Trage entlang gerollt. Kader! Überrascht blieb sie im Gang stehen und wurde von einigen Kindern angerempelt, welche nicht auf sie geachtet hatten und nun ebenfalls stehen blieben.
,,Los sofort untersuchen, sein Puls ist sehr schwach!" brüllte neben ihrem Ohr eine Schwester und schubste Live unbeabsichtigt aus dem Weg. Danach verschwanden alle in einem Raum und schlagartig war es still im Flur. In Lives Ohren rauschte es und ihre Gedanken kreisten um den Jungen, der ihr doch eigentlich so völlig fremd war. Was war ihm passiert? Fast machten sie ihre ganzen Fragen wahnsinnig, doch dann spürte sie ein beständiges ziehen an ihrer Hand und tauchte zurück in die Realität. Sofort versuchte Live sich wieder auf die Kinder zu konzentrieren, doch ihre Gedanken wollten nicht von dem Jungen ablassen und wanderten immer wieder zu seinem blutigen und geschundenen Gesicht zurück. Live wollte in das Zimmer, in welchem sie gerade verschwunden waren und sich davon überzeugen, dass er noch lebte, dass es ihm gut ging, doch war sollte sie tun wenn nicht? So sehr sie auch zu ihm wollte, so sehr hatte sie Angst davor, dass er wirklich etwas mit Ihnen zu tun hatte. Er würde ihr unweigerlich das Herz brechen und das ertrug sie nicht. Also blieb sie bei den Kinder und versuchte sich wieder auf ihre kleinen Lieblinge zu konzentrieren. Was ging dieser Kader White sie schon an? Vermutlich würde er innerhalb der nächsten Wochen sowieso wieder verschwinden.
Was ist nur passiert? Wurde er überfallen? Aber ... es ist Kader und ... nachdem was ich gehört habe ..., aber eigentlich wollte ich doch nie so sein. Darauf hören was andere sagen! Gefühlt verging der Nachmittag nur kriechend und langsam wurde Live immer nervöser. Sie wusste wo er war und auch, dass Kader noch immer nicht aufgewacht war. Zunehmend stieg die Panik und Sorge um ihn in ihrem Inneren. Vergessen war das vergangene Szenario aus der Schule und die Schuld, welche sie ihm zugeschoben hatte. Denn egal wie stark Live versuchte es zu unterdrücken, sich ihre Gefühle zu unterbinden versuchte, Kader wollte ihr nicht aus dem Kopf. Live versuchte sich immer wieder das Gespräch des Morgens ins Gedächtnis zu rufen, sauer auf ihn zu sein, doch sie musste sich selbst zugestehen, dass dieses schon längst in den Hintergrund ihrer Gedanken gerutscht war und es nichts brachte sich dazu zu zwingen es immer wieder hervor zu holen. Vielleicht hatte sie sich einfach zu schnell eine Meinung gebildet, so wie Live es immer tat, wenn ihr etwas nicht passte. Wenn sie wusste, sie habe keine Kontrolle über das, was geschehen würde. Und Vielleicht hatte er wirklich nichts mit Ihnen zu tun? Seine Reaktion auf ihren Ausraster hatte zumindest deutlich gemacht, dass er überrascht war. Jedoch konnte Kader auch einfach nur ein guter Schauspieler sein.
,,Live? Spielst du noch mit uns?", ,,Live?", ,,Hallo? Live!" immer wieder hörte sie diese kleinen piepsigen Stimmen, doch innerlich war sie nur am Schreien, sie brauchte Ruhe. Sie wollte, dass diese Worte aufhörten, konnte ihren Namen im Moment nicht ertragen. Und dann landete plötzlich etwas weiches in ihrem Gesicht. Nach Luft schnappend tauchte Live aus ihren Gedanken auf und schaute in 5 verdutzte kleine Kindergesichter.
,,Live, was war denn los? Du hast gar nicht reagiert!" verwundert und auch ein wenig vorwurfsvoll schaute Lili sie an.
,,Tut mir leid, ich war wohl in Gedanken. Aber ich kann auch leider nicht mehr bleiben, ich muss noch etwas Wichtiges erledigen und meine Schicht ist auch gleich vorbei. Ich darf eigentlich gar nicht so lange hier sein, wisst ihr." Live versuchte zumindest ein wenig bedauernd zu klingen, doch die Sorge um Kader ließ sie alles andere vergessen, sie musste zu ihm, sie musst ihn sehen!
Enttäuschend sahen die Kinder sie an, hatten sie doch gehofft Live würde noch länger bleiben und sich mit ihnen beschäftigen. Die Kleinen hatten es Live noch nie gesagt, doch der Grund warum einige im Krankenhaus nicht schon längst aufgegeben hatten war sie. Live war immer da, stand ihnen bei und begleitete den ein oder anderen auch zu wichtigen Terminen, wenn sie sie darum baten. Die Kinder sahen in ihr nicht nur eine weitere Pflegekraft sondern eine große Schwester, die sich Tag für Tag um sie kümmerte. Für sie da war, mit der sie über alles reden konnte und die ihnen, obwohl Live nie log die Wahrheit immer ein wenig verschönerte, denn die meisten Kinder hier auf der Station waren so krank, dass sie es wohl nicht mehr allzu lange schaffen würden. Live jedoch gab ihnen Hoffnung.
,,Ich bin morgen doch wieder da und dann gibt es eine große Überraschung o.k.?" sofort strahlten die Kinder um die Wette und rannten aus dem Zimmer, um es gleich den anderen zu erzählen. Somit schlich sich auch wieder ein kleines Lächeln auf Lives Lippen. Sie liebte diese kleinen wuseligen, als wäre sie mit ihnen aufgewachsen, als wären sie schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Doch auch die Kinder vermochten nicht all ihre Dämonen der Vergangenheit zu vertreiben. Und so saß sie noch einige Minuten und rang mit sich selbst. Wenn sie ihn jetzt besuchen würde, müsste sie sich etwas eingestehen, dass sie nicht möchte. Würde sie es jedoch nicht tun, wären ihre Gedanken noch quälender als sonst. Es war hoffnungslos, denn egal wie sie sich entschied, danach würden die Gedanken wieder qualvoll in ihrem Kopf rotieren. Letztendlich stand sie doch auf und lief viel mehr wie fern gesteuert als selbst zu Zimmer 3.74. Live merkte erst, was sie tat als sie vorsichtig an die Tür klopfte um zu sehen, ob nicht noch jemand bei ihm war oder ob der Junge endlich aufgewacht war, doch auch nach einigen Minuten kam keine Antwort. So drückte sie sacht die kalte Klinke hinab und huschte in das dunkle Zimmer, welches nur von vereinzelten Laternen außerhalb des Krankenhauses und den kleinen Lämpchen der Geräte um Kader herum beleuchtet wurde. Die Tür ließ Live einen Spalt offen, um hören zu können falls jemand käme.
Die Maschine, welche sein Herz bewachte gab ein stätiges und ruhiges piepen von sich, sonst war nichts weiter in dem sterilen Raum zu hören. Kaders Brust hob und senkte sich leicht, er schlief, genau wie Live es gehofft hatte. Mit langsamen und sanften Schritten näherte sie sich ihm und setzte sich vorsichtig an seine Seite. Die Dunkelheit und der sanfte Schein des Mondes, welchen Live nun ebenfalls wahrnahm verschafften ihm ein mystisches Aussehen, wie ein Fremder, aus einer anderen Welt. Und irgendwie war er das ja auch, denn er wusste nichts über sie, sowie sie nichts über ihn wusste. Es war auch völlig ausgeschlossen, dass Sie ihn geschickt hatten. So konnte es einfach nicht gewesen sein, schließlich hatten die Lehrer ja gesagt, dass Kader von drei Schulen geschmissen wurde, bis er zur Willow School kam. Erleichtert ließ Live ihre starre Haltung fallen, sie musste aufhören hinter allem und jedem das Böse zu sehen, selbst wenn das hieß Gefühle zu zulassen, die sie lieber zurückhalten würde.
,,Es tut mir leid, ... was ich vorhin gesagt habe. Es ist nur ... ich möchte dir nicht vertrauen, denn wenn ich das täte, dann wäre alles wofür ich gekämpft habe umsonst." Leise flüsternd strich sie ihm ein paar verirrte Haarsträhnen aus den Augen und musterte das langsame flattern seiner Lider. ,,Wenn du wieder aufwachst, dann wirst du dich nicht daran erinnern, doch ich werde nie vergessen, wie du vorhin ausgesehen hast, ich dachte beinahe ... nur für eine Sekunde, dass du ... dass du tot wärst!" nun liefen ihr doch die Tränen, sie versuchte gar nicht sie aufzuhalten, es würde nichts bringen. ,,Und deshalb, weil ich weiß was ich fühle, muss ich dich umso mehr los werden Kader, denn ich könnte dir nie geben, was du möchtest! Ich wäre dein untergang." sanft drückte sie ihm einen federleichten Kuss auf die Stirn, spürte seine Wärme, roch seinen Duft und entriss sich ihm im nächsten Augenblick. Live hatte sich schon zum Gehen umgewandt, als sie ein leises wispern hörte: ,,Live?" Fast glaube sie, er hätte sie ertappt, doch anscheinend schlief er noch immer oder befand sich zumindest in einem Dämmerzustand. ,,Schlaf weiter, ... ich bin niemand!" damit verschwand sie gänzlich, aus dem Zimmer, dem Krankenhaus, nicht ahnend, das Alfred alles mitbekommen hatte.
Ich werde nicht zulassen, dass du dich weiterhin so kaputt machst! Dennoch ließ der alte Mann sie ziehen.
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