Kapitel 71
Die Woche verging und noch immer war Kader nicht wieder in der Schule aufgetaucht. Morgen würden die Prüfungen stattfinden und Live wurde von Tag zu Tag nervöser, am liebsten würde sie Sonja fragen, ob diese sie zu Kader fahren konnte, Der Junge schien nun der einzige zu sein, welcher ihr Gemüt zu beruhigen vermochte. ,,Live, ruf doch einfach einmal an. Mehr als dir den Kopf abzureißen können sie eh nicht!" Claudia strich Live über den Rücken. Bis vor ein paar Monaten hätte Live sich nie an die Pflegerin bei solchen Sachen gewandt. Und eigentlich hatte Live heute auch nicht arbeiten sollen, doch sie hatte einfach nicht lockergelassen und so saß sie nun hier, sprach mit der Rothaarigen und wusste nicht mehr was sie noch tun sollte. ,,Aber ... was wenn ich mir umsonst Sorgen mache, dann ist er bestimmt genervt!" ,,Live, ihr seid doch ein Paar oder nicht? Du brauchst keinen Grund um ihn anzurufen! Allein seine Stimme zu hören wäre ein guter Grund dafür, hörst du Kleines?" Live nickte, war sich aber noch immer unsicher. Was wenn es ihm so schlecht ging, dass Inka sich die ganze Zeit um ihn kümmern musste und dann würde Live sie mit ihrem Anruf stören, aber andererseits hatte Claudia recht, Live war seine Freundin. Hatte sie nicht auch ein Recht darauf Kader zu sehen? Seufzend griff sie nach ihrem Handy und entdeckte schon einen Anruf auf ihrem Handy. ,,Komisch, das war Inka." Vor sich hin murmelnd wählte sie die Nummer und hielt sich das Handy ans Ohr. ,,Live? Na endlich erreiche ich dich! Kader der Banause meldet sich ja nicht." Inka lachte über ihre eigenen Worte, doch Live war nicht zu schmunzeln zu mute. ,,Braucht er noch irgendwelche Klamotten, ich hab Kader ja gar nicht gesehen gehabt, bevor er die Nachricht geschrieben hat, dass er bei dir schlafen würde." Seufzend hörte Live, wie Inka vermutlich gerade Staub wischte. Das Mädchen wurde bleich und sofort war Claudia zur Stelle. Sie schaute Live fragend an, doch diese schüttelte nur den Kopf, schloss die Augen, um ihre Tränen, welche hervorquollen zurück zu halten. ,,Inka ... Kader war nie bei mir. Er hat geschrieben, dass es ihm nicht gut geht und er deshalb zuhause bleibt. Ich glaube ... ich glaube er wurde entführt." Lives Stimme versagte, in ihrem Kopf rauschte es. Hätte sie sich doch nur eher bei Inka gemeldet, hätte ... ja was sollte sie nun tun? Morgen waren die Prüfungen und Kader war weg. Man würde ihn nicht abfragen können. Der Traum ihres gemeinsamen Lebens war in jenem Moment zum scheitern verurteilt. Wütend ballte Live die Fäuste. Sie durfte daran nicht denken, es gab Möglichkeiten die Prüfungen nach zu holen. Kaders Leben war nun wichtiger. ,,Inka?" Live schluchzte auf. ,,Ich glaube meine Eltern haben ihn. Wie auch immer sie es machen, aber sie können raus! Es tut mir so leid." Schluchzend lehnte sich das Mädchen an Claudia und wartete, doch von Inka kam keine Antwort. ,,Inka? Hörst du? Kader wurde entführt!" Ihre Stimme war schrill, doch sie machte sich sorgen. Was geschah gerade auf der anderen Seite, wieso meldete Inka sich nicht mehr zu Wort. ,,O.k., ich schalte die Polizei ein." Dann legte die Frau auf und lies Live in der Stille allein.
,,Ich muss ihn finden!" Hysterisch sprang Live auf. Sie wollte aus dem Krankenhaus rennen, Kader retten und danach mit ihm gemeinsam verschwinden. Live brauchte diese Prüfung nicht, sie brauchte den Abschluss nicht. Mit Kader an ihrer Seite brauchte sie auch diese Stadt nicht. Willow hatte ihr mehr abverlangt, als alles andere sonst und nun nahm die Stadt ihr das, was Live am meisten liebte. Kader White, der erste Junge, welcher nicht lockerließ und hinter die Fassade schauen wollte. Die erste Person, welche hinter Live Kamson keinen Freak, sondern einen Menschen sah. Live war nicht kaputt, genauso wie es Kader nicht war. Die zwei hatten schlimmes erlebt, doch nun? Hier sollte es nicht enden, so durfte all das nicht vorbei sein. ,,Live, jetzt setz dich erst einmal! Ich weiß, du bist aufgelöst, aber sie werden Kader nichts tun. Überleg doch mal. Du bist ihnen damals entkommen und nun werden sie Kader nichts antun, weil sie wissen, dass du Macht über sie hast!" Beruhigend strich Claudia Live über den Kopf. ,,Mehr als die Polizei einschalten könnt ihr nicht, mein Schatz. Zudem ist Kader volljährig, ich weiß nicht ob da überhaupt etwas gemacht wird, schließlich hat er nichts hinterlassen, auf dem steht, dass er entführt wurde. Er könnte ja auch einfach vor der Prüfung geflüchtet sein, was er natürlich nicht gemacht hat! Wenn du sagst er wurde entführt, dann glaube ich dir, aber ich weiß nicht, ob die Polizei das genauso sehen wird, weißt du was ich meine?" Seufzend nickte Live. Sie machte sich solche Vorwürfe. Das war alles ihre Schuld. ,,Aber was wenn er im Keller ist, wenn sie ihn dorthin gebracht haben, wo sie auch mich hinbrachten?" Claudia schüttelte den Kopf. ,,Nein, ich denke nicht, dass er dort ist. Du kannst der Polizei ja sagen, wo sie suchen können, doch ich bezweifle, dass er dort ist. Wieso sollten sie ihn ausgerechnet dahin bringen, wo du ihn am schnellsten vermuten wirst? Live, lass die Polizei ihre Arbeit machen und du konzentrierst dich auf deine Prüfungen morgen. Ich weiß, das klingt hart, aber werfe dein Leben jetzt nicht einfach weg. Wir finden Kader, am Ende kann man immer noch selbst auf die Suche gehen und vielleicht melden sich die Entführer ja auch noch. Und bis es soweit ist, sollten wir dem normalen Alltag nachgehen." Live fragte sich, wie diese Frau so ruhig bleiben konnte. Hier ging es um ein Menschenleben, es ging um Kader, den einen Menschen, welchen Live so nah an sich herangelassen hatte, dass sie sich manchmal noch immer fragte, ob Kader Wirklichkeit war oder nur ein Phantom ihrer Fantasie. ,,Geh nachhause Live und schlaf dich aus. Du bist aufgewühlt, aber ... verpatz deswegen morgen nicht alles, ja? Wir sind stolz auf dich Live, egal wofür du dich entscheidet und wir werden auch ohne Prüfungen einen Weg für dich hierher finden. Alles wird gut!" aufmunternd lächelte Claudia das Mädchen an. Live nickte, schnappte ihre Sachen und fuhr erneut mit dem Bus nachhause. Die ganze Woche hatte sie auf Kader gewartet, nur um dann im letzten Moment wieder zu merken, dass Kader nicht krank zuhause lag. Wieso hatte sie nicht einfach angerufen, was hätte er schon tun sollen? Wütend auf sich selbst und die Welt kam Live zuhause an.
Sonja und Frank konnten die Nachricht von Live gar nicht glauben. Kader sollte entführt wurden sein, von ihren Eltern. Aber wozu? Wenn sie Live hätten haben wollen, hätten ihre Eltern genug Gelegenheiten gehabt sich ihr Kind wieder zu holen. ,,Live, es tut mir so leid, sollen wir irgendwas tun? Vielleicht können wir noch einmal mit der Polizei reden, wir wissen ja nun zu was diese Leute fähig sind." Seufzend schüttelte Live den Kopf. ,,Danke, aber Claudia hat vermutlich recht, ich sollte die Polizei ihre Arbeit machen lassen. Morgen ist auch noch ein Tag, sie werden ihn nicht töten, weil sie sonst kein Druckmittel mehr gegen mich haben. Sie wollen mich nur treffen, das ist alles. Ich hoffe nur ..., dass wir dann nicht zu spät kommen. Ich kann nicht glauben, dass sie mir das wirklich antun! Wieso sind sie nicht im Gefängnis, wie kommen sie da raus, verdammt, das ergibt alles keinen Sinn!" Sonja nahm Lives Hand und drückte sie. ,,Er kommt wieder zu dir zurück Live. Ich glaube, dass die beiden mächtige Verbündete haben. Aber jetzt schlaf erst einmal. Morgen sind die Prüfungen und in der Zeit überlegen wir uns etwas. Im Ernstfall müssen wir eben dafür sorgen, dass die zwei in ein anderes Gefängnis weit weg von hier kommen. Aber am Ende werden wir gewinnen. Lass dir jetzt nur nichts von ihnen kaputt machen. Du bist ihnen damals entkommen, bist bei uns gelandet und Frank und ich werden auf ewig deine Familie sein, wenn du dies so möchtest." ,,Ja, das will ich! Ihr seid meine Familie und das bleibt auch so, ich möchte gar keine anderen Eltern. Du und Frank, ihr gehört zu mir, so wie es Kader tut!" Sonja nahm ihr Mädchen in die Arme und dann ging Live in ihr Zimmer, legte sich hin und versuchte zu schlafen, doch der Schlaf kam nicht, auch nicht nach mehrfachen hin und her gewälze. Immerzu musste Live an ihre Vergangenheit denken, wenn Kader nicht im Keller war, wo hatten sie ihn dann hingebracht? Live war nie woanders gewesen. Zumindest konnte sich das Mädchen im Moment an nichts erinnern. Irgendwann schmiegte sich ihr Kätzchen, an sie und Live begann das seidige Fell zu streicheln. ,,Man hat ihn uns weg genommen, aber ich werde Kader wieder zurück holen. Nichts wird uns mehr auseinanderbringen." Vor sich hin redend überfiel Live bald doch die Müdigkeit und so schloss das Mädchen die Augen und tauchte ein in eine Welt voller Schmerz und Leid. Ob sie Kader dasselbe antaten? Musste er nun auch diese Gefühle durchleben, welche man ihr als Kind beigebracht hatte? Live wusste es nicht, doch ihre Gedanken strichen immer mehr um diese Gedanken herum. Es war ihre Schuld, die Gedanken konnte sie einfach nicht ablegen, egal wie sehr sie wollte. Doch morgen würde all dies endlich vorbei sein. Ihre Eltern kämen dieses Mal weg, für immer und auch ihre Verbündeten, würden ihnen nicht helfen können.
Live hatte kaum geschlafen. Schweißgebadet und schreiend wachte das Mädchen am nächsten Morgen auf und tastete nach Kader neben sich, doch er war nicht da und so hatten die Dämonen der Nacht sie wieder eingeholt. Ihr Atem ging noch immer schnell, als Live aus dem Haus hastete, um den Bus zu erwischen und nun saß sie hier in der Schule, rutschte die ganze Zeit auf dem Stuhl hin und her und fragte sich, wann sie endlich wieder zu Kader konnte. Jede freie Minute zählte und ginge es nach Live, dann würde sie gar nicht erst hier sitzen. Doch ihre Freunde und Familie hatte recht, es würde niemanden etwas bringen, nun alles stehen und liegen zu lassen, um nach Strohhalmen zu suchen, denn Fakt war, niemand wusste wo Kader sein könnte. Also wollte Live die Prüfungen einfach nur so schnell wie möglich hinter sich bringen und danach würde sie Inka und der Polizei helfen Kader zu suchen. Wieso hatte sie sich nicht einfach schon eher gemeldet? Die Vorwürfe wuchsen unaufhörlich. Was wenn ihm was zugestoßen ist, wenn sie zu spät kamen und Kader schon längst tot war? Gedanken über Gedanken rasten durch Lives Kopf, dass sie beinahe das leise Piepen ihres Handys überhört hätte. Schnell angelte sie es aus der Tasche und las die eingegangene Nachricht.
,,Wenn du ihn je wieder haben willst, dann solltest du jetzt gehen! Du weißt wo er ist. Grabe tiefer, genauer, gehe zurück wo du einst im Zoo warst. ~D"
Live sprang auf, sie musste Kader helfen. Er war nur in Gefahr, wegen ihr, hätte Live ihn nicht an sich herangelassen, dann wäre all das nie geschehen! Sie wollte schon aus dem Raum rennen, als Mr. Miller sie zurück hielt. ,,Live, wenn Sie jetzt gehen. Dann fallen sie durch! Ich habe Kader neben sie gesetzt, damit er von Ihnen profitiert und nicht, dass er Sie ruiniert! Sie waren meine beste Schülerin und jetzt rennen sie weg? Wegen diesem Jungen?" Lives Miene verdunkelte sich und mit einem kalten Lächeln schaute sie ihn an. ,,Genau das ist der Knackpunkt, er hat mich nicht ruiniert. Kader hat mir gezeigt was es heißt zu leben und wenn ich jetzt nicht gehe, dann war alles, was wir durchgemacht haben umsonst!" Damit wand sie sich ab und rannte durch die endlos scheinenden Flure. Alexa folgte ihr. Live stellte keine Fragen, dafür war auch später noch Zeit, doch nun mussten sie Kader aus den Fängen der Monster befreien, die sie erneut in ihren Albträumen verfolgten.
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