Kapitel 67

Live flog ihm beinahe schluchzend in die Arme, sobald sie Kader entdeckt hatte. Ihren Kopf an seine Brust gedrängt, sog sie seinen Duft ein und schmiegte sich zitternd vor Schluchzen an ihn. ,,Was wollte er hier? Ich dachte euer Termin ist erst morgen?" Kader brauchte den Namen nicht zu sagen, damit Live wusste, wen Kader meinte. ,,Keiner Ahnung! Er tauchte einfach hier auf und wollte mit mir reden. Ich hab ihm gesagt, dass sie nicht da waren. Ich hab ihn angelogen, um nicht noch einmal eingewiesen zu werden. Kader, ich ertrage das nicht mehr! Dieser Mann macht mich fertig! Er will, dass ich über meine Ängste rede, doch sobald ich auch nur den Mund öffne meint er, es wäre alles nur der Schock! Wieso glaubt er mir denn nicht? Sie waren da! Ich bin nicht verrückt oder wahnsinnig! Wieso zwingt er mich jedes Mal aufs Neue diese Hölle zu durchleben, wohl wissend, dass ich nicht lüge! Denn ich glaube, er weiß es sehr wohl, will es nur einfach nicht zugeben! Welcher Mensch macht denn sowas?" Kader strich ihr beruhigend über den Kopf, hörte schweigend zu und hob dann sanft mit seinen Fingern ihr Gesicht. ,,Live, es wird alles gut. Wir stehen das gemeinsam durch! Nichts und Niemand wird uns mehr trennen. Du und ich, wir gehören zusammen. O.k.? Und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, dich vor jeder Bedrohung zu schützen. Ich liebe dich!" Kurz sah Kader die Angst welche in ihren Augen aufblitzte. Kader konnte sie nicht vor allem beschützen. Nicht vor den Dämonen in ihrem Inneren und auch nicht vor den Träumen, welche sie noch immer heimsuchten. Er konnte es ihr nur leichter machen. Sie im Arm halten und für Live da sein, wenn sie schreiend aufwachte. Live drückte sich eng an ihn und schlang ihre Arme fest um Kader. ,,Danke. Ich liebe dich." Sie würden später über die Sache mit Holly reden, im Moment war es nur wichtig, dass die beiden beieinander waren.

Live machte an diesem Tag eher Schluss und fuhr mit Kader zu ihm nachhause. Dort wurde sie erneut Liebevoll empfangen. Als wäre Live schon immer ein Teil dieser Familie und das freute Kader, denn sein kleiner Bruder schien Live geradezu zu vergöttern, natürlich hatte Live auch an seine versprochenen Süßigkeiten gedacht, welche der kleine nun ausgiebig futterte. Live unterhielt sich angeregt mit Inka über irgendwelche Rezepte, lachte herzlich mit der Russin und schien sich einfach wohl und geborgen zu fühlen. Dennoch sah Kader diese Angst in ihrem Blick, denn Live ging es nicht komplett gut. Sie hatte noch immer vor etwas Angst und Kader würde alles dafür tun ihr diese zu nehmen. Nur musste Live vorher mit ihm darüber reden. Also saß er nur daneben. Beobachtete und lauschte. Kader liebte es sein Mädchen so zu sehen, auch trotz der Angst erfüllte es ihn mit so viel Wärme, dass Live ihn und seine Familie akzeptierte. Live stellte keine Fragen, die Kader ihr nicht beantworten wollen würden. Sie war einfach da, an seiner Seite und akzeptierte wie es war. Als wäre, als hätten die beiden schweigend ein Abkommen getroffen. Keiner stellte Fragen, jeder würde seine Geschichte erzählen, wenn es soweit war. ,,Was ist denn hier los?" plötzlich stand Ina White im Esszimmer und musterte die gelöste Stimmung aufmerksam. ,,Moooom!" kreischend sprang Jon auf und sprang seiner Mutter in die Arme. Kader versteifte sich automatisch und blickte aufgeregt zu seiner Mutter. Plötzlich spürte er eine Berührung an seiner Hand. Live umfasste seine und drückte einmal sanft zu. Signalisierte Kader somit, dass sie da war, falls etwas war. Kader erwiderte ihre Geste kurz. Durch Lives Nähe wurde er augenblicklich wieder ruhig. Alles war gut, es gab nichts, weswegen man sich aufregen müsste. ,,Ma'am! Wollen Sie etwas essen? Wir haben noch ein paar Reste?" Abrupt richtete sich Inas Aufmerksamkeit auf Inka, wobei sie gleichzeitig Live fixierte. ,,Ein Mädchen?" Überrascht blickte sie Live mir leicht geöffnetem Mund an. ,,Guten Tag, Frau White. Ich bin Kaders Freundin. Live, Live Kamson." Während Kader noch immer völlig paralysiert war, stand Live lächelnd auf und reichte dessen Mom ihre Hand. ,,Kader hat nie erwähnt, dass er eine Freundin hat." ,,Du warst ja auch nie da, um es dir sagen zu können!" Entgegnete er sofort, bevor auch nur ein anderer das Wort hätte ergreifen können. ,,Kader!" Live wirbelte zu ihm herum und starrte ihn mit strengem Blick an. Kader jedoch erwiderte ihren Blick furchtlos und war nicht bereit seine Augen von Live zu nehmen. ,,Nun, ich denke das habe ich verdient. Aber ihr werdet mich bald wieder öfter sehen, denn meine Firma wird hierher kommen. Zumindest mein Stützpunkt. Für wie lange kann ich leider noch nicht sagen, aber deshalb bin ich hier. ,,Wow, im Endeffekt sehen wir dich, wenn überhaupt eh nur abends zum Essen, weil Früh wirst du schon weg sein und an den Wochenenden arbeitest du auch. Wirklich toll Mom. Da hättest du auch gleich am Arsch der Welt bleiben können und dich im Jahr nur eins-zweimal blicken lassen können!" Wütend stürmte Kader aus dem Zimmer und verschwand lauthals im Flur.

,,Entschuldigung." Live rannte ihm nach. Dennoch entging ihr nicht dieser traurige Blick seiner Mom. Ina White war etwas Schlimmes zugestoßen und diese Vergangenheit setzte ihr nun noch immer zu. Vielleicht war es genau der Grund, warum sie Kader mied. Aber Live sollte sich besser nicht in diese Beziehung einmischen. Es ging sie schlicht weg nichts an und wenn Kader ihren Rat in dieser Sache wollen würde, dann hätte es gesagt. Seufzend betrat Live Kaders Zimmer und sah, wie er soeben begann auf sein Bett ein zu boxen. ,,Hey, hey Kader! Hör auf." Sacht umfing Live seine Fäuste, führte sie an ihre Lippen und drückte Sacht, auf jeden Handrücken einen flüchtigen Kuss. ,,Red mit mir. Was geht in die vor? Was beschäftigt dich?" Erneut fielen Live die Bandagen an seinen Fingern auf. Doch sie fragte nicht nach. Es stand ihr nicht zu zu urteilen oder Dinge wissen zu wollen, die sie selbst Kader nie anvertraut hätte. ,,Sie macht mich einfach so rasend! Taucht hier auf, spielt sich auf, als wäre sie die beste Mutter der Welt und im Endeffekt schadet sie uns nur mehr damit. Was erwartet sie? Dass ich ihr in die Arme falle und mich freue? Dass ich ... ach keine Ahnung! Ich hasse sie! Diese Frau da ist nicht meine Mutter! Sie ist mir so völlig fremd und dennoch will ich nur ein einziges Mal ihre Liebe spüren!" Kaders Atem ging schnell. Sofort schlang Live ihre Arme um ihn und zog ihn sanft an sich heran. ,,Hey. Sag nicht, dass du sie hasst Kader. Sie ist deine Mom und ... ich glaube, dass sie verletzt wurde. Vielleicht solltest du einfach versuchen mit ihr zu reden, denn oft sind die Menschen, welche uns am nahsten stehen die, welche uns am stärksten verletzten. Vielleicht sagst du heute du hasst sie. Aber willst du das dein ganzes Leben lang weiter so führen? Was wirst du unseren Kindern sagen, wenn sie nach ihrer Oma fragen? Sagst du dann, dass sie nicht existiert, weil du dich nie mit ihr versöhnt hast?" ,,Hast du gerade gesagt unsere Kinder?" Live wollte ihm sagen, dass er nicht vom Thema ablenken sollten, doch als er plötzlich begann sie leidenschaftlich zu küssen und sie noch näher an sich zog, waren alle möglichen Gedanken wie weggeblasen. Ohne es bewusst getan oder gemerkt zu haben, hatte Live ihre gemeinsame Zukunft schon geplant. Und das erste Mal seit Jahren hatte Live keiner Angst vor der Zukunft. Solange Kader an ihrer Seite war, würde alles gut werden.

An diesem Tag sprangen beide über ihren Schatten und kamen sich so nah, wie nur möglich. Live konnte nicht glauben, dass sie jemals wieder ein Gefühl der Liebe zuließ und Kader wollte Live nie wieder loslassen. Sie war nun ein Teil von ihm und ginge es nach Kader, würde er dieses Mädchen hier und jetzt zu seinem eigenen machen. Doch Live brauchte Zeit, genauso wie er sie brauchte seine eigenen Narben zu versorgen. Was er damals zu ihr im Krankenhaus gesagt hatte schwebte noch immer wie in Watte gepackt zwischen ihnen. Doch noch hatte keiner den Schritt in diese Richtung gewagt. Irgendwann war Kader eingeschlafen. Live betrachtete ihn lächelnd. Es wirkte so, als seien all seine Sorgen wie weggeblasen. Kader sah einfach nur friedlich und glücklich aus. Live zog sich an und schlich leise aus dem Zimmer. Im Haus war es ruhig, also waren die anderen drei auch schon ins Bett gegangen, doch als Live in die Küche kam und sich was zu trinken holen wollte, erschrak sie, als sie Miss White entdeckte. ,,Oh, Verzeihung! Ich wollt ... also, ich ... ich wollt nur was zu trinken holen!" Eilig holte Live eine gekühlte Flasche aus dem Kühlschrank und wollt schon aus der Tür raus, als die Stimme von Kaders Mutter erklang: ,,Wie geht es meinem Jungen?"

Live erstarrte in der Bewegung, wand sich zu ihr und musterte die Frau, welche selbst abends, in ihren eigenen vier Wänden noch immer top gestylte und bereit für die Arbeit aussah. Sie war wunderschön und sofort suchte Live nach äußerlichen Merkmalen zu Kader. Er hatte eindeutig ihre Augen und auch den Gesichtsausdruck, doch sonst konnten diese beiden Menschen sich kaum unterschiedlicher sein. ,,Es geht ihm gut. Er vermisst Sie, ich denke Kader wird es guttun, wenn Sie wieder mehr hier sind." ,,Ina. Nenn mich Ina Liebes." Seufzend drehte Ina das Weinglas in ihrer Hand. ,,Weißt du, Kader war nicht immer so. Er war einmal ein sehr glücklicher und strahlender Junge, aber irgendwann ging alles den Berg ab. Und ich hab den Zugang zu ihm verloren. Ich hatte die Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren besser werden würde, doch das Gegenteil war der Fall. Zumindest bin ich froh, dass er nun eine Freundin hat. Er wirkt ... anders, glücklicher." Ina schaute nicht auf als sie sprach, registrierte nur, dass Live sich ihr gegenüber setzte. ,,Er ist glücklich, jetzt schon. Kader und ich hatten es am Anfang nicht leicht." Aus irgendeinem Grund hatte Live das Bedürfnis dieser Frau zu erzählen was vorgefallen war. Live wollte Ina White, der Mutter ihres Freundes ein offenes Ohr leihen, weil nur ein anderer, der einst verletzt wurde den Schmerz des anderen leidtragenden verstehen würde. ,,Wie meinst du das? Was hat Kader getan?" Live lachte auf.

,,Kader hat nichts getan. Oder vielmehr hat er sich um mich bemüht. Ich war diejenige, welche nicht bereit war für diese Verbindung. Ich wollte Kader nicht. Weil ich Angst hatte oder besser gesagt, weil ich zu oberflächig war, um zu sehen, wie er eigentlich wirklich ist. Den Worten anderer schenkte ich mehr vertrauen, als denen von Kader und als ich dann erfuhr, dass er mich nur verarscht hat und gar keine Nachhilfe brauchte, sondern einfach nur in meiner Nähe sein wollte, da bin ich ausgerastet." Live lächelte bei der Erinnerung, weil all dies plötzlich so weit entfernt schien. ,,Ich habe Kader so oft gesagt er soll mich in Ruhe lassen. Mich in den tiefen meiner Dunkelheit lassen, doch dieser Junge, den alle haben wollten, mit dem jeder befreundet sein will, hat sich mich ausgesucht und bisher habe ich es noch immer nicht verstanden. Aber Kader war das Licht, welches ich in dieser Dunkelheit, in welcher ich gelebt habe am dringendsten brauchte und er war da, immer. Egal wie sehr und wie oft ich ihn von mir gestoßen habe, Kader White hat mich nie aufgegeben. " Ina hörte zu und wischte sich schniefend eine Träne weg. ,,Danke Live. Ich weiß nur einfach nicht was ich noch tun soll. Mit jedem Tag der vergeht verliere ich Kader immer mehr." Ina stützte das Gesicht in ihre Hände und schien, als würde die Last auf ihren Schultern sie erdrücken.

,,Sei für ihn da. Kader liebt dich Ina. Bei jedem Gespräch geht es um dich. Er hat all dies nur getan um deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich sage nicht, dass es schlau war, wie oder was er getan hat, doch manchmal sind Kinder zu Dummheiten geneigt, wenn es um die Liebe ihrer Eltern geht. Kader hat seinen Vater verloren und obwohl du noch immer da warst, hatte er das Gefühl auch dich verloren zu haben. Dieser Junge liebt zu intensiv, wird viel zu schnell rasend, doch er hat all das Glück dieser Welt verdient Ina, denn Kader wird auch dich niemals aufgeben. Vielleicht wird er manchmal Dinge sagen die verletzen, aber Kader gibt niemanden auf, der es wert ist gerettet zu werden und du bist seine Mom. Wenn nicht du, wer dann?" Sanft drückte Live ihre Hand und schaute die Frau vor sich ermutigend an. Langsam hob auch Ina den Kopf und begegnete Lives durchdringenden Blick. Ihre Augen waren wässrig und Live konnte den Film der Vergangenheit welchen Ina eindeutig durchlebte schon beinahe in ihren Augen erkennen. ,,Hört es jemals auf, weh zu tun?" ,,Das kann keiner sagen. Ich hab angefangen mit diesen Dämonen zu leben. Irgendwann ... irgendwann wird es vielleicht leichter. Vielleicht mit Kader, aber der eigentliche Antrieb es zu verarbeiten kommt von uns." Live nickte der Frau zu und erhob sich dann. ,,Gib Kader nicht auf. Schenk ihm deine Liebe und auch wenn es nur einmal ist, er braucht dich Ina. Vielleicht wird Kader es nie zugeben, aber er braucht seine Mutter." Damit wollte Live den Raum verlassen, doch Ina hielt sie erneut zurück.

,,Liebst du meinen Jungen?" ,,Ja, ich könnte mir ein Leben ohne Kader nicht mehr vorstellen und ich werde für meine Familie kämpfen. Noch einmal werde ich mir all das nicht wegnehmen lassen. Kader ist einzigartig und hat mir gezeigt was es heißt wieder zu leben." Mit diesen Worten schlich Live im Flur zurück zu Kaders Zimmer. Dort lag er noch immer im Bett, musterte sie aber ausgiebig. ,,Wo warst du?" seine Stimme war rau und klang verschlafen. ,,Trinken. Ich war nur was trinken." Somit kuschelte Live sich wieder an Kaders nackte Brust und schlief mit einem Lächeln ein. Sie war endlich zuhause. Vollkommen und alles würde nun gut werden. 

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