Kapitel 64
In Kader brodelte es. Nicht nur, dass Live sich ernsthafter erdreistete, so zu tun als wüsste sie nicht was Kader da sprach, als hätte sie nie die Nachricht geschrieben! Und dann saß er auch noch neben diesem Miststück Alexa. Ihr schrilles Lachen ging ihm tierisch auf die Nerven, dabei pochte auch noch seine Haut unter den Verbänden und Kader versuchte mit all seiner Kraft nicht die gereizten Stellen zu kratzen. Letzten Abend war er mit noch blutenden Händen ins Bett gegangen und erst heute früh war ihm das gesamte Ausmaß dessen, was er getan hatte bewusstgeworden. Seine Hände waren leicht geschwollen und völlig verkrustet. Aber was interessierte ihn das jetzt noch? Nichts konnte den Schmerz, welchen er wegen Lives Worten erlebt hatte nehmen. Vielleicht hatte es immer so sein sollen, zwischen ihnen.
Nun war er auf dem Weg nach Hause und fragte sich erneut warum Live ihm so eine Nachricht schickte und dann so tat, als wüsste sie von nichts. Ständig grübelte er darüber nach was er gesagt oder getan haben könnte, um Live zu dieser Handlung zu treiben, doch ihm fiel dabei einfach nichts ein. Natürlich war der Streit im Krankenhaus krass gewesen und auch wenn Kader einen Fehler gemacht hatte verstand er einfach nicht wie er sich so in Live hatte täuschen können. Kader wollte die Zeit mit ihr nicht bereuen, doch ganz langsam begann er genau dies zu tun. Der Hass, welcher sich in sein Herz genistet hatte war so viel besser, als sich eingestehen zu müssen, dass Live ihn berührt und doch schrecklich verletzt hatte. Live, die nie jemandem etwas hatte zu leide tun können. Live, die solche Angst vor der Welt gehabt und sich immer in sich zurückgezogen hatte. ,,Verdammte Scheiße, das bringt doch alles nichts!" Aufgebracht trat er auf die Bremse, wendete den Wagen und rauschte zurück ins Herz von Willow, zum Krankenhaus. Er musste das klären und wenn Live nicht auf ihn zukam, dann musste er sich eben selbst darum kümmern und Live zur Rede stellen. Wenige Minuten später hielt er vor dem St. Paulus Krankenhaus und rannte die Stufen zur Kinder- und Jugendstation hinauf. Ihm war egal, dass er nun schwerer atmete oder erneut gegen eine Regel von Live verstieß. Sie hatte nie gewollt, dass er hierher kam, dass er diese Seite an ihr entdeckte. Die Seite welche immer unbeschwert war, sobald Live auch nur in die Nähe der Kinder kam. Die Seite an ihr, welche Kader doch so sehr an ihr fasziniert hatte. Live meinte jeder auf der Welt würde sie hassen, dabei war sie es selbst die sich solch einen Schmerz zufügte. Um Luft ringend lehnte Kader sich gegen den Empfangstresen und beobachtete Besucher, sowie Personal. Doch Live konnte er nirgends entdecken. Wütend wollte Kader sich gerade abwenden und gehen, als er Alfred entdeckte.
,,Alfred!" Kader lief auf den alten Mann zu, welcher sich sofort zu Kader umdrehte und ihn freundlich anlächelte. Doch bevor Alfred auch nur zu einer Begrüßung ansetzten konnte fiel Kader ihm schon ins Wort. ,,Wo ist sie? Ich dachte Live arbeitet wieder hier?" Alfred runzelte die Stirn blickte sich kurz um und zog Kader dann am Arm in einen extra Raum. Kader entdeckte verteilte Spielsachen, also musste es sich um eins der bewohnten Zimmer handeln, doch er kam gar nicht dazu sein Unwohlsein auszudrücken, denn nun war es Alfred, welcher Kader nicht zu Wort kommen ließ. ,,Sie ist nicht hier. ... Kader ich weiß, dass es mich nichts angeht aber ..." ,,Dann frag nicht! Du hast recht, es geht dich nichts an Alfred. Wo ist sie? Mehr will ich nicht wissen und dann bin ich weg!" Aufgebracht unterbrach Kader den Mann und ließ seine Wut nun erneut an ihm aus. Kader musste sich dringend wieder abreagieren, das sah auch der Pfleger, welcher sich nun zu seiner vollen Größe aufrichtete so. ,,Ich lasse nicht so mit mir reden! Falls du es vergessen haben solltest, bist du im Flur unter Tränen zusammengebrochen! Sie ist nicht hier und damit Punkt. Fordere dein Glück nicht so stark heraus Kader und bring das wieder in Ordnung. Vielleicht kannst du zuhause so reden aber wag es dir mich noch einmal so anzufahren! Haben wir uns verstanden?" Überraschen blitzte in Kaders Augen auf, hatte er den alten Mann doch völlig unterschätzt, doch das linderte seine Rage nicht weniger. ,,Wenn du mir nicht helfen willst, dann werde ich sie eben selbst suchen gehen!" Wütend drehte Kader sich um, riss die Tür auf und wollt gerade das Krankenhaus verlassen, als Alfreds Stimme erklang: ,,Sie hat heute eine Sitzung bei Dr. Tors. Ich mache mir Sorgen um das Mädchen. Was auch immer er mit ihr macht, es tut Live nicht gut." Das reichte Kader und er stürmte aus dem Krankenhaus, ließ einen völlig irritierten und sprachlosen Alfred zurück. Kader sprang in sein Auto und fuhr zu der einzigen Adresse, wo er sich sicher war Live anzutreffen. In der Hoffnung, dass ihre Eltern sie nicht abweisen würden, doch das hatten Sonja und Frank noch nie getan, also würden sie es auch dieses Mal nicht tun.
,,Also, du behauptest immer noch deine Eltern wären da gewesen. Live ich weiß langsam nicht mehr, was wir noch tun sollen. Wenn das weiter so geht, dann muss ich härtere Maßnahmen einleiten und da ist es auch egal was dein gesetzlicher Vormund sagt. Du bist noch keine 18 und momentan sehe ich dich in Lebensgefahr." Live zitterte so sehr, dass sie die Tränen, welche nasse Spuren auf ihrem Gesicht hinterließen erst bemerkte, als diese auf ihre Hände tropften. ,,Sie können mich nicht zurück an diesen Ort schicken!" Live versuchte nicht laut aufzuschluchzen, doch der eiserne Blick, welcher Dr. Tors ihr zuwarf ließ Live kaum noch Luft zum Atmen. ,,Dann gib mir keinen Grund dazu Live! Du hast einen Schock erlitten, doch es ist gar nicht möglich, dass sie da waren! Akzeptier das und ich werde dich nicht einweisen lassen!" Dieser Mann brauchte nicht einmal brüllen und doch klang seine Stimme so kalt, dass sie Live einen Schauer über den Körper trieb. Das Mädchen schluckte immer wieder ihre Angst hinunter und versuchte den Augen des Psychologen auszuweichen. Wie war sie nur in solch eine Situation gekommen? Was war schiefgelaufen, dass ausgerechnet jetzt alles so drastisch den Berg ablief. Heute wo sie unbedingt einen ihrer Adoptiveltern bei sich gebraucht hätte war sie direkt nach der Schule zu ihrem Termin gefahren und musste nun wieder allein zurück. Dabei konnte sie die Stille in ihrem Herzen momentan einfach nicht ertragen. Wieder schweiften Lives Gedanken zu Kader. Ob er mit Alexa unterwegs war, ob er ihr je nähergekommen war, ohne dass Live etwas gemerkt hatte oder spielte er nur mit ihr Katz und Maus und wollte sehen, wie lang er Live reizen konnte? ,,Ist sonst noch etwas Live? Überlege dir wo deine Prioritäten liegen und dann lass uns am Donnerstag darüber reden, ob du dir das wirklich noch einmal in der Psychiatrie antun willst oder nicht." Live war so sehr in Gedanken vertieft gewesen, dass sie einen erschrockenen Laut von sich gab. Dr. Tors kritzelte erneut in seinen Block, schaute Live aus kalten Augen durch die Brille an und schien auf eine Antwort zu warten oder irgendeine Reaktion ihrerseits. Live erhob sich schnell. ,,Bis Donnerstag." Danach wusste Live nicht mehr, wie sie aus dem Zimmer gekommen war, sie schien einfach nur glücklich über den frischen Sauerstoff welcher ihr in die Lungen strömte.
Live blickte nicht noch einmal zurück, als sie mit noch immer völlig verschleierten Augen nach Hause fuhr. Sie schaute auch nicht noch einmal zu dem alten Gebäude, welches die Praxis von Dr. Tors darstellte, als sie spürte wie sie beobachtet wurde. Live fuhr nur so schnell wie sie konnte, wollte nur nachhause in ihr Bett und sich mit Lea in diesem vor all dem Dunklen verstecken. Am liebsten wäre Live noch einmal ins Krankenhaus gefahren und hätte doch einfach eine Schicht übernommen, doch dafür war sie viel zu aufgekratzt und Live wollte den Kindern keine Angst machen. Ausgepowert, da Live schon lange nicht mehr mit dem Fahrrad gefahren war betrat sie das Haus und lauschte verwirrt als sie Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. Live wollte gerade verwirrt die Stirn kräuseln, als der Grund ihrer Verwirrung schon im Flur erschien und das Gespräch somit im Keim erstickte. Als hätte er sie schon Meilen weit wittern können, stand Kader plötzlich in seiner ganzen Pracht vor ihr im engen Hausflur und musterte Live. Plötzlich schien es als würden alle Dämme in Live brechen und sie stolperte einfach nur schluchzend auf Kader zu. Dieser spannte sich sichtlich an, als Live sich wie eine Ertrinkende an ihn klammerte und begann herzzerreißend zu schluchzen. ,,Live, was ... was willst du." Kaders Stimme klang brüchig, als würde er es nicht ertragen sie in seiner Nähe zu haben, dabei war er hier. Hier in ihrem Haus, bei ihrer Familie. ,,Halt mich einfach nur fest bitte! Danach können wir uns wieder aus dem Weg gehen oder was auch immer du willst, aber bitte, könnten wir einfach nur für diesen einen Moment so tun, als wäre nichts von alle dem passiert?" Kader sagte nichts, schlang lediglich seine Arme um Live. Mehr brauchte es nicht, damit Live sich endgültig fallen lassen konnte.
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