Kapitel 63
Live wurde am nächsten Morgen von einem leisen Schnurren und einem unangenehmen, fremden Gewicht auf ihrer Brust geweckt. Blinzelnd versuchte Live nicht direkt ins Licht zu schauen, was schwierig war, da sie sich nicht wirklich rühren konnte aus Angst, dass sie das kleine Kätzchen auf ihr wecken könnte. Diese hatte sich wie ein kleiner dunkler Ball auf Live zusammengerollt und schnarchte leise vor sich hin. Live hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Ihr Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als sie daran dachte, dass Sonja und Frank auch hätten nein sagen können. Doch ganz im Gegenteil, die beiden hatten Live angestarrt, als wäre sie ein Alien, dann hatten sie begonnen zu strahlen und Live ermutigt, das kleine Wesen mit zu bringen und nun war Lea hier. Schlief bei Live, schmiegte ihren kleinen warmen Körper an Live. Ihre Tatzen hatte die kleine unter ihrem Kopf und beinahe sah es so aus, als würde sie ihren Kopf darauf abstützen. ,,Guten Morgen mein kleiner Engel." Sanft strich Live die Öhrchen des Kätzchens und richtete sich dann langsam auf. Mit einem leisen Mauzen rollte Lea von ihrer Brust runter und landete in Lives Schoß, von wo aus sie mit großen runden Augen hinauf in die Augen von Live schaute. ,,Na, genug geschlafen? Hier ist es doch so viel besser, als auf der Straße oder?" Lea blickte sie nur stumm an, sprang dann vom Bett und wuselte träge in Lives Zimmer herum. Sonja würde sich heute darum kümmern, für die Katze einige Spielsachen zu besorgen, vor allem aber ein Katzenklo, damit sie die kleine noch abrichten konnten. Live streckte sich gähnend und machte sich voller Elan fertig für die Schule. Sobald ihre Gedanken zu dem dunkelhaarigen wanderten schob sie diese sofort beiseite und fokussierte sich wieder auf das hier und jetzt. Sie hatte Kader nicht gebeten sie so anzuschreien und Live sah nicht ein, nun zu ihm zurück gekrochen zu kommen. Kader hatte genug Möglichkeiten gehabt sich bei ihr zu melden und sie deutete aus seinem Schweigen, dass er kein Interesse daran hatte ihre Beziehung zu retten. Sollte er doch, Live würde auf jeden Fall nichts zu ihm sagen.
Hier stand sie also, erneut in der Schule und betrat gerade ihren Raum, als Live wie angewurzelt in der Tür stehen blieb. Kader war da. Er saß hier, war schon längst vor ihr hier gewesen, weil Kader ganz genau wusste wann Live immer zur Schule kam. Doch er war nicht allein, ein blonder Teufel saß neben ihm. Alexa. Lives Atem stockte, aber sie konnte den Blick nicht von den beiden abwenden. Alexa strich mit ihrer Hand über seinen Arm und Kader flüsterte ihr Grinsend etwas zu, bevor Alexa anfing mit Kichern. Plötzlich lagen die Blicke der beiden auf Live. Hatte er sich über sie lustig gemacht? Gemeinsam mit diesem Monster? Kader wusste doch wie sie war, wer sie war und dass Live Alexa hasste. Er tat dies aus voller Berechnung, da war Live sich völlig sicher, denn Kader hatte einst zu ihr gesagt, dass er Alexa nie wollen würde. Aber vielleicht hatte er damals auch gelogen. Wahrscheinlich hatte er nie die Wahrheit gesagt. Live schüttelte diesen Gedanken ab. Nein, weder hatte Kader sie belogen, noch Live ihn. Was auch immer zwischen ihnen geschehen war, ist nun einmal passiert und wenn Kader nun der Meinung war er musste sie quälen, dann sollte er dies tun. Live würde einfach schweigen, wie sie es immer getan hatte. Würde zurück in ihre kalte Hülle schlüpfen und versuchen die Zeit bis zum Abschluss durchzustehen. Live war nicht mehr das kleine unschuldige Mädchen von früher, sie war auch nicht mehr diese gebrochene Person, aber manchmal wurde es einfach Zeit, dass man das losließ, was man am meisten liebte und das tat Live nun, wand Kader den Rücken zu und ließ sich in der hinteren Reihe auf ihren Platzt fallen. Allein, so wie es immer gewesen war, wie es schon immer hätte sein sollen. Es war beinahe so, als wäre Kader nie bei ihr gewesen, wäre da nur nicht sein Lachen gewesen, dass er nun nicht mehr ihr schenkte, sondern Alexa. Alexa, dem Mädchen, welches nun über ihre Schulter hinüber zu Live schaute und ihr einen triumphierenden Blick zuwarf. Live versuchte wirklich nicht zu den beiden rüber zu schauen, doch es war schier unmöglich. Das erste Mal, seit Live ganz hinten saß, verfluchte sie sich dafür. Früher hatte sie somit unsichtbar sein wollen, doch nun musste sie den Anblick der beiden ertragen.
Der Tag verging schleppend und langsam. Live aß nicht in der Cafeteria und versteckte sich sowohl vor Kader als auch Alexa. Was schwerer war als gedacht, denn egal wo Live war, entweder sah sie Alexa oder Kader, doch schien dieser sie einfach zu ignorieren. Live versuchte es. Sie wollte nichts lieber, als in Kader einfach nur einen anderen Schüler zu sehen, doch die Wahrheit war, dass die Abneigung, welche nun in Kaders Blick lag sie zutiefst verletzte und Live konnte es nicht verstehen. Was genau war zwischen ihnen vorgefallen, dass Kader sie nun schweigen strafte. Live hatte zumindest vor gehabt die Sache zu klären, darauf zu hoffen, dass aus den beiden wieder ein Paar wurde hatte sie sich nicht erlaubt, doch bei weitem hätte Live auch nie mit solch einer Reaktion von Kader gerechnet. Seufzend saß Live in ihrer letzten Stunde und kritzelte nur in ihrem Block herum. Sie bekam überhaupt nichts davon mit, was der Lehrer vorn versuchte ihnen zu erklären und irgendwann hatte sie einfach aufgegeben so zu tun, als würde sie zuhören. ,,Live!" Erschrocken schaute das Mädchen auf und blickte direkt in die Augen von Mr. Miller, welcher sie mit verwirrter Miene anblickte. ,,Kommen Sie bitte vor und lösen die Aufgabe!" Seine Stimme ließ keinen Wiederspruch zu und seufzend erhob Live sich, um die Aufgabe zu lösen. Noch drei Monate, drei Monate und all der Graus wäre vorbei. Sie könnte ihre Ausbildung als Krankenschwester beginnen und ab da an das tun, was sie schon immer geliebt hat. Leise erhob Live sich und lief träge nach vorn. Ihr Herz raste. Nach vorn, sie sollte nach vorn, obwohl Kader dasaß und sie ganz genau beobachtete, obwohl sie seinen Blick auf sich und in ihrem Rücken spürte, als wäre sie noch immer sein. Lives Hand zitterte, als sie die Kreide in die Hand nahm und sich die Matheaufgabe anschaute. Es war nicht so, als hätte Live diese nicht lösen können. Viel eher wirkte ihr Kopf auf einmal wie leergefegt. Sie schluckte, immer wieder und als sie das Kichern von Alexa hörte brach in ihr etwas zusammen. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass der Grund weshalb sie kicherte Kader war. Kader, der sie noch immer beobachtete, der noch immer so viel für dieses Mädchen empfand und sich doch hinter seiner Mauer aus Kälte und Hass versteckt hielt. Live fragte sich was all das sollte, wollte er sie wirklich dazu bringen auszurasten? Gerade Kader, wo er wusste wie nah Live schon wieder am Abgrund stand, dass sie erneut die Maske der Gleichgültigkeit aufgesetzt hatte, nur um Sonja und Frank nicht zu beunruhigen. ,,Mrs. Kamson, brauchen sie vielleicht Hilfe bei dieser Aufgabe?" Live zuckte erschrocken zusammen, als der Lehrer plötzlich neben ihr auftauchte und wich keuchend zurück. ,,Verzeihung." Sie spürte nur wie sie langsam rot anlief, konnte dem Lehrer aber nicht mehr in die Augen schauen. Schnell wand Live sich der Tafel zu, füllte die Lücken aus und verschwand dann so schnell wie möglich wieder auf ihren Platz.
Unbewusst strichen ihre Finger dabei über Kaders, mit welchen er sich an der Kante des Tisches festhielt. Erst da bemerkte sie, dass seine Hände bandagiert waren, doch bevor Live auch nur etwas hätte sagen können zog Kader seine Hand weg. Als würde die Berührung von Lives Haut ihn verbrennen und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Sein Blick sprühte nur so vor Hass. Doch nun war Live genau in seinem Blick gefangen, so wie sie es schon immer gewesen war. Die Trauer und Weichheit ihres Blickes verwirrte Kader. Wie konnte sie ihm am Abend zuvor eine solch grässliche Nachricht schicken und ihn nun anschauen, als wäre er das wichtigste auf der Welt für ihn. ,,Hör auf mit mir deine Psychospielchen zu spielen. Reicht es dir nicht, dass ich schon Monate lang hinter dir hergelaufen bin?" Die Worte waren raus bevor Kader realisiert hatte, was er da überhaupt sprach. Vielleicht hätte er sie gleich ohrfeigen sollen, denn die Worte taten mehr weh, als alles andere. Stumm wand Live sich ab und ließ sich auf ihren Platz fallen. Sie wollte nicht, dass er die Tränen sah, welche stumm über ihre Wangen liefen. Was hatte sie von Kader White auch erwartet? Er war im Endeffekt genau das, was alle andern von ihm gedacht haben.
Nicht wissend, dass beide in das falsche Spiel ihrer Eltern hinein gerutscht waren begannen Live und Kader sich gegenseitig immer mehr zu hassen. Obwohl sie sich noch immer nacheinander sehnten konnten oder besser gesagt wollte keiner der beiden das Schweigen zuerst brechen. Live hatte es versuchen wollen, doch Kader hatte ihr missverständlich klargemacht, dass er keinen Redebedarf habe.
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