Kapitel 62
Live konnte noch immer nicht glauben, dass sie einfach wieder hier hatte anfangen können. Die Kinder liebten sie noch genauso wie zuvor und auch Lives Herz schlug höher, wenn sie an die gemeinsame Zeit zurückdachte. Live hatte immer gedacht, dass sie sich nur an einem Ort zuhause fühlen konnte, doch hier im Herzen von so vielen Menschen, dort war ihr zweites Zuhause. Hier wo sie lachen und frei sein konnte, da war ihr Lieblingsort auf der ganzen Welt. In keinem Traum war es so schön gewesen wieder hier zu sein. Nicht einmal in ihren schönsten Gedanken hatte sie sich solch eine Willkommensfeier vorstellen können. Die Kinder hatten sie nicht vergessen und Live hatte im Gegenzug dasselbe getan. Es war beinahe so, als würden Live und die Kinder wie eine Einheit zusammengehören. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre Live nie weg gewesen, nur dass sie es eben doch gewesen ist. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie daran dachte was geschehen war und ab und zu merkte sie, wie das Lachen verrutschte und sie nun auch bei ihren so geliebten Kindern eine Miene aufsetzte, die bisher nie jemand durchschaut hatte. Keiner außer Kader. Seufzend versuchte Live sich auf das zu konzentrieren, was ein kleines Mädchen ihr freudestrahlend erzählte und alle Gedanken an Kader aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber wie konnte man jemanden vergessen, der einen mit Leib und Seele gefangen hielt? Kader hatte etwas in Live berührt, er war ihr so nah gewesen wie sonst keiner.
Die Stunden vergingen und zogen nur so an ihr vorbei. Als es dunkel war, brachte Live die Kinder alle in ihre Zimmer und verabschiedete sich. Sie wollte gerade zum Schwesternzimmer gehen, um ihre Sachen zu holen, als eine blonde Schönheit an ihr vorbeirauschte. Kurz stand Live völlig perplex da, doch dann rannte sie dem Mädchen hinterher. ,,Holly?" Als Live um den Empfangstresen herum war und in den Fahrstuhlbereich kam, was aber keine Menschenseele mehr zu sehen. Verwundert lief Live zurück und holte ihre Sachen. Hatte sie sich das Mädchen nur eingebildet oder war Holly wirklich hier gewesen? Nur warum war sie dann nicht stehen geblieben? Seufzend zog Live sich um und fuhr schnell nach Hause. Heute würde sie endlich wieder Lea besuchen gehen und dann würde sie Sonja und Frank von dem kleinen Kätzchen erzählen. Sie wollte Lea bei sich aufnehmen und wenn ihre Eltern etwas dagegen hatten, dann würde sie einen Weg finden, vorausgesetzt die Katze war noch immer dort, wo Live sie zuletzt gesehen hatte. Zuhause angekommen schüttelte sie die merkwürdigen Gefühle, die sie seit der Schule verfolgten ab und betrat das kleine Haus. Live wollte niemanden beunruhigen und so setzte sie ein freundliches Lächeln auf, sagte ihren Eltern, dass an ihrem ersten Tag in der Klinik alles gut gelaufen war und vermied es das Thema auf Schule oder einen gewissen Jungen zu lenken, der nun obwohl es vorbei war unaufhörlich durch Lives Gedanken geisterte. Erneut fragte sie sich, warum er heute nicht da gewesen war und überlegte sich bei Kader zu melden, doch am Ende siegten ihre verletzten Gefühle. Und ließ alles bleiben wie es war.
Kader fühlte sich unwohl. Er fragte sich die ganze Zeit ob es richtig gewesen war heute einfach nicht zur Schule zu gehen. Er war noch nicht bereit gewesen Live zu sehen und doch verzehrte sich sein ganzer Körper nach ihr. Es war nicht nur das körperliche, was ihn zu dem Mädchen trieb, es war einfach ihre ganze Art und Weise. Er vermisste ihr Lachen, das Leuchten in ihrem Blick, wenn sie ihn wieder einmal neckte. Genervt hatte Kader sich in den Sportbereich der Villa verzogen, denn auf Steve hatte er genauso wenig Lust gehabt. Inka war er so gut wie möglich aus dem Weg gegangen, denn er hatte nun wirklich keine Lust mit ihr über das Thema Live und ihre gescheiterte Beziehung zu reden. Auch einen Vortrag übers Schwänzen wollte sie nicht erneut von ihr hören, die gab es von Inka schließlich schon zur Genüge. Als Kader endlich völlig Schweißüberströmt aufhörte sich aus zu pauern , war es schon später Abend. Sein Handy hatte vor ein paar Minuten vibriert und das Eintreffen einer Nachricht verkündet, doch Kader hatte es ignoriert, vermutlich nur eines der Mädchen aus der Schule, welches wissen wollte wo er heute gewesen war. Kader wusste nicht, wie sie alle an seine Handynummer gekommen waren und vermutlich wollte er es auch gar nicht wissen. Doch nun siegte allmählich die Neugier und er schaltete sein Handy wieder ein. ,,Live!" Erschrocken stieß er seinen Atem aus und fingerte schnell an seinem Handy rum. Er wollte wissen, was sie geschrieben hatte, doch am Ende wünschte er sich, dass er die Nachricht nie geöffnet hätte. Ja, dass er Live am besten nie seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
,,Es war ein netter Test mit die Kader. Aber du siehst selbst, dass wir nicht zu einem Paar taugen und nie wirklich zusammengepasst haben. Du denkst ich sei verletzt, wegen dem was du gesagt hast? Die Wahrheit ist, dass ich froh bin endlich all das Abscheuliche über dich losgeworden zu sein. Du hast ein Mami-Syndrom, aber weder werde ich diese Lücke in deinem Herzen je füllen, noch will ich an deiner Seite stehen, wenn du dich mit jedem Tag immer mehr selbst in deiner Wut verlierst. Ich hatte meinen Grund, warum ich dich schon vom ersten Moment nicht leiden konnte. Aber du hast nicht lockergelassen, also dachte ich mir, ich wage einen Test mit dir. Und du bist genau reingelaufen. Vielleicht ist Kader White gar nicht so schlau wie er selbst denkt. Sprich mich in der Schule nie wieder an!"
Mit schnell hebender Brust las er die Nachricht immer und immer wieder. Konnte nicht glauben, dass diese Worte wirklich von seiner Live stammen wollten, doch es war ihr Chat, ihre Nummer, ihr verdammtes Profilbild, welches er heimlich von ihr Aufgenommen hatte und ihr dann geschickt hatte, weil es so wunderschön war, dass ihm nun entgegenblickte. Es zeigte Live in der Bibliothek, wie sie lächelnd über einem Buch hing und plötzlich aufblickte, als sie bemerkte, dass Kader Bilder von ihr schoss. Er hatte noch gar nicht mitbekommen, dass sie dieses Bild als ihr Profilbild nutzte. Wütend schmiss er das Handy von sich und schrie es an. Wieso hatte er nicht vorhergesehen, dass nicht Alexa die falsche Schlange war, sondern Live? Vielleicht hatten die anderen immer recht gehabt und hatten Kader wirklich nur warnen wollen. Doch nun war alles zu spät, denn er hatte sein Herz schon längst an dieses Mädchen verloren. Sein Herz gehörte ihr und Live hatte die Macht über ihn. Kader hatte ihr vertraut, aber letzten Endes war das genau sein Fehler gewesen. Live war genauso verlogen wie seine Mutter, aber sobald man ihnen die Spiegel vor's Gesicht hielt wurden sie grantig. ,,Genug mit Trübsal blasen! Live wollte es nicht anders, ich werde mir von ihr ganz bestimmt nicht sagen lassen was ich zu tun und zu lassen habe. Wenn sie keinen Kontakt mehr will, dann bitte!" Vor sich hin grummelnd verließ Kader das Fitnesszimmer und zog sich nach einer kalten Dusche schnell um. ,,Kader!" Inka rief nun schon das dritte man nach dem Jungen, doch Kader war noch immer so geladen, dass er die Hausfrau anfangs einfach ignoriert hatte. ,,Komme!" Genervt verließ er mit noch immer nassen Haaren das Bad und beeilte sich schnell in's Esszimmer zu kommen, bevor Inka noch einen Herzanfall erlitt, weil Kader ihr wieder einmal ganz bestimmt Kummer bereitete. ,,Also mein Junge, ich hoffe doch du wirst morgen wieder in die Schule gehen!" Obwohl Inkas Stimme keinen Widerspruch duldete wusste Kader, dass seine Gnadenfrist bei ihr verwirkt war. ,,Natürlich, ich will ja auch irgendwann nicht mehr unter deinem Radar sein." Grinsend zwinkerte er ihr zu, doch Inka blieb ernst. So ernst wie sie schon lange nicht mehr gewesen war. ,,Was ist mit Live?" Unmerklich verspannte Kader sich.
,,Was ist mit ihr? Ich werde ihr vermutlich in der Schule begegnen. Doch dann werde ich sie nicht anschauen, nicht mit ihr sprechen, am besten sie komplett mit Schweigen strafen, den nichts anderes scheint sie von mir zu erwarten." Verwundert starte Inka ihren Jungen an. ,,Kader, was sagst du denn da? Wir reden schon noch von derselben Person oder?" Kader schnaubte und wand sich leicht von Inka ab. ,,Ich will nicht darüber reden, Live will keinen Kontakt mehr, das kann sie haben! Ich habe es satt, dass die Frauen in meinem Leben denken sie könnten mir vorschreiben was ich tun soll." Die kleine Frau konnte ihren Ohren kaum trauen. Was war mit Kader in den letzten Stunden geschehen? Hatte er seiner Liebe doch vor ein paar Stunden noch hinterher geweint, so versprühte er nun einen regelrechten Hass gegen Live. ,,Nun, ich hoffe du weißt, was du da tust Kader. Ich fand es nur schön zu sehen, wie glücklich du mit Live an deiner Seite warst. Deine Wut war nicht mehr ganz so präsent und endlich hast du jemand anderen Teil deines Lebens werden lassen. Ich will nur, dass du glücklich bist Kader." ,,Glücklich war ich vor Live und bevor all das den Bach runtergelaufen ist. Glücklich war ich, als mein Vater noch bei mir war und meine Mom mir noch hatte in die Augen schauen können!" Wütend knallte Kader sein Besteck auf den Tisch, versuchte den verletzten Blick von Inka nicht allzu nah an sich heran zu lassen und stürmte aus dem Zimmer. Für heute hatte er eindeutig genug geredet. Bevor Kader die Tür seins Schlafzimmers hinter sich zu knallte, hörte er noch wie Jon zu Inka sagte: ,,Er beruhigt sich schon wieder." Und nach einem kurzen Seufzen erwiderte Inka so träge und müde, wie Kader sie noch nie gehört hatte: ,,Nein, das glaube ich dieses Mal nicht." Er spürte erst, wie wütend er wirklich war, als der nächst mögliche Gegenstand gegen die Wand knallte und dann der nächste, doch die Gegenstände reichten nicht aus. Und bevor Kader wirklich realisierte, was er da tat krachte seine Faust auch schon auf die Betonwand, wieder und wieder immer wieder im Gleichklang seines rasenden Herzens. Kader wimmerte nicht, gab keinen Laut von sich, nicht als er das Gefühl hatte seine Knochen würden brechen und auch nicht, als er spürte wie langsam die Haut von den Fingern gezogen wurde und nur noch blutige Fetzen übrigblieben. Er rief nicht nach Inka oder tat irgendwas um die Wunden zu versorgen. In ihm tobte eine Sturm und ließ Kader nicht mehr richtig denken. Alles was er spürte war diese unbändige Wut und der Hass auf sich, dass er Live vertraut und auf sie reingefallen war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top