Kapitel 6

Zuerst fuhr Kader nur ein bisschen durch die Stadt, als würde er nicht wissen, was er eigentlich wirklich hier machen wollte. Arbeiten, sich sein Geld selbst verdienen und nicht auf seine Muter angewiesen sein! Denn das war er schon lange nicht mehr. Die Zeit, der Hoffnung war zwar noch lange nicht gestorben, doch er wusste, sobald er genug Geld hätte, würde er endlich alle Verbindungen zu ihr kappen können und dann, dann wäre er endlich frei. Wirklich frei. Befreit von der Schuld, die sie ihm insgeheim immer zuschob. Dabei war es nicht Kader gewesen, der seinen Vater in die Flucht getrieben hatte, sondern eigentlich Jon, ihr zweiter Sohn. Den sie ihm aber dennoch vorzog. Genug! –Er konnte dem kleinen Wicht einfach keine Schuld dafür geben, immerhin war er nicht schuld daran, dass seine Mutter ihn seit jeher nicht mehr beachtete oder auch nur Notiz von ihm zu nehmen schien.

Endlich parkte er das Auto und stieg aus. Noch einmal holte er tief Luft und dann betrat er das Waisenhaus. Kinder lachten, manche schrien und mehrere Erwachsene rannten hin und her. Es schien so, als wären die meisten mit den paar Kindern, die Kader zählen konnte völlig überfordert und so beachteten sie Kader nicht. Oder ignorierten ihn auch geflissentlich. Bis Plötzlich ...

,,Was machst du hier Junge? Du weißt doch, ihr Jugendlichen habt hier trüben in der Kinderabteilung nichts zu suchen!" herrschte ihn eine alte Frau an.

Kurz schaute Kader die kleine, runzlige Frau mit dem bisschen strähnigen weißen Haar das ihr in ihrem ansehenden hohen Alter noch geblieben war und dem durchdringenden Blick, an. War er hier im Altersheim gelandet? Denn diese Frau sah ehr nicht so aus, als wäre sie noch arbeitstüchtig. Ihre raue Stimme und der rasselnde Atem ließen erkennen, dass sie viel rauchte oder es zumindest einst getan hatte. Und diese Frau machte ihm definitiv Angst.

,,Entschuldigung, aber ich bin hier doch im Waisenhaus oder?" Kaders Stimme verriet eindeutig seine Verwirrung.

,,Natürlich wo denn sonst? Vielleicht in der Schule oder sieht dir das hier eher nach ner Schwimmhalle aus?" blaffte ihn die Frau an und musterte ihn noch stärker.

Wow, also mit der will ich mich lieber nicht anlegen. Hingegen allem was andere über ihn dachten, respektierte Kader die Menschen. Vielleicht gab er sich oft herrisch, schnippisch und behandelte manchmal den ein oder anderen auch schlecht, doch er war nicht der ,,Bad Boy" zu den ihn so viele machen wollten.

,,Verzeihung, ich bin hier weil ich eine Arbeitsstelle suche." vorsichtig schaute er der alten Frau in die Augen, die daraufhin anfing wie ein Huhn zu gackern.

,,Arbeit! Hör sich das einer an! Und ich bin die Queen!" ihre Miene wurde sofort wieder ernst und kalt funkelte sie ihn an. ,,Wir brauchen hier niemanden, der uns im Weg rum steht! Du bist bestimmt nur einer der Ärger macht!" damit wand sie sich mit einem abwertenden Hände fuchteln ab und verschwand in einem der Räume. Kader ließ laut Luft aus seinem Mund, er hatte gar nicht bemerkt, dass er den Atem angehalten hatte, doch nun, wo die Alte weg war schien er sogar erleichtert zu sein. Aber er wollte auch nicht gehen, er wusste, er musste hier sein, seine Taten wieder gut machen. Kader war zwar nicht gläubig, doch er glaubte daran, dass er bestraft werden würde, wegen den vergangenen Jahren, wenn er nicht etwas Gutes tat. Nicht versuchte Buße zu tun und zumindest Etwas anderen zurück zu geben.
Also blieb er und folgte der Frau.

,,Was machst du denn noch hier?" kreischte sie und starrte ihn wütend an.

,,Ich suche Arbeit, ich werde Ihnen nicht im Weg stehen und werde alles tun, was Sie von mir verlangen!", beinahe flehentlich schaute Kader sie an.

Genervt starrte die Frau zurück und schaute sich um. ,,Ich sagte bereits NEIN und jetzt RAUS hier!" ihr Brüllen erschreckte ein kleines Mädchen, dass sich ängstlich unter einem Schreibtisch versteckte.
Sofort fing das kleine blonde Mädchen an zu schreien und sich wie in Trance vor und zurück zu wiegen.

,,Toll, jetzt schreit sie wieder!" stöhnend wand sich die Frau von Kader ab und ging auf das Mädchen zu.

Sie haben doch geschrien und sie zum Schreien gebracht! Doch das würde Kader nicht laut aussprechen, immerhin wollte er ja hier arbeiten. Stattdessen huschte er an der Frau vorbei, welche viel mehr schlurfte, als dass sie wirklich lief und hockte sich vor das Mädchen.

Dieses musterte ihn ausgiebig, während sie ihr hohes, schrille Gekreische beibehielt.

,,Hey, na du? Ich bin Kader und verrätst du mir auch deinen Namen?" sanft lächelte er das vier Jährige Mädchen an und hielt ihr die Hand hin, weshalb die Alte wieder begann zu lachen.

,,Na so hört die bestimmt nicht auf, da brau..."

Plötzlich verstummte das Gekreische und zaghaft streckte das Mädchen ihre weißen zarten Finger aus um sie in Kaders Hand zu legen, welche er ihr noch immer entgegen hielt. ,,Ich bin Lina" flüsterte sie und schaute Kader fasziniert in die Augen.

Auch er war völlig gefangen in ihrem Blick, sodass er nicht mitbekam, wie überrascht die Alte ihn anschaute und dann das kleine Mädchen musterte. Wie hat er das nur hinbekommen?

,,Du hast die Stelle!" damit war der Bann gebrochen und Kader fuhr zu der Frau herum. ,,Was?"

,,Wie bitte! Und du hast die Stelle. Du kannst morgen anfangen und jetzt raus hier!" damit verschwand sie erneut in einem der anderen Räume und murrte nur leise vor sich hin.

Kaders überraschter Blick wich einem Lächeln und dann wand er sich erneut Lina zu. ,,Dann sehen wir uns wohl nun öfter, Lina." ihr Haar zerwuschelnd erhob er sich und durchquerte pfeifend den Flur, um zum Ausgang zu gelangen, als er an einer Wand voller Bilder hängen blieb.

Er hätte nicht erwartet, dass diese alte Schachtel überhaupt sowas wie eine Kamera hier zulassen würde, doch die Fotos zeigten eindeutig Kinder von hier, denn auf einem konnte er deutlich die kleine Lina erkennen ... und dann stockte er plötzlich. Diese Augen, diesen Blick den kante er doch. Nein, niemals, dass Mädchen dort ist doch viel zu klein. Aber ... was wenn doch? Und tatsächlich unter dem Bild stand eindeutig ihr Name. Live Kamson.

Wieso hat sie ihren alten Namen behalten? Oder lebt sie noch immer hier? Irgendwie scheinst du mir nicht mehr aus dem Kopf gehen zu wollen. Sacht und bedächtig strich er einmal über das Bild und zog dann schnell seine Hand zurück, als er sich dabei erwischte wie er fühlte.

Live hatte es ihm angetan, doch er würde sie zerstören. Er würde sie verletzen und kaputt machen. So wie er es immer tat. Er wäre nicht fähig dazu, sie so zu lieben, wie Live es verdient hätte, wie sie es nötig hätte. Mit einem letzten Blick auf das Foto verließ er das Waisenhaus. Das war seine neue Chance, seine letzte und er würde sie nutzen. Würde Ihr beweisen, was er konnte und vielleicht war sie es ja, die ihn retten könnte. Vielleicht war Live die einzige, die je verstehen könnte was er durchlitt.

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