Kapitel 59

Schweigend starrte Kader aus dem Fenster. Es war inzwischen Dunkel und Kaders Augen brannten noch immer. Er wusste nicht wie lange er dort auf dem Boden gehockt hatte und weinte. Aber irgendwann war Alfred bei ihm gewesen, hatte ihn auf die Beine gezogen und in ein Zimmer gebracht. Kaders Glieder waren steif vor Kälte, doch er hatte nichts zu dem alten Mann gesagt, ihn einfach nur angestarrt. Hatte er Alfred nicht vorhin noch einen Vortrag gehalten, wie er sich Live gegenüber verhalten sollte? Und nun war er es, welcher das Mädchen erneut in den Abgrund riss. Alfred hatte geschwiegen und ihn nur stumm angeschaut. ,,Weißt du, ich will mich nicht in eure Beziehung einmischen oder dem was noch davon übrig geblieben ist. Aber ich will, dass du weißt, dass ich Live noch nie so glücklich erlebt habe. Sie hat es verdient aus vollem Herzen geliebt zu werden, also kämpf um sie. Kämpf um das Mädchen, welches uns alle hier so sehr berührt hat und halt sie fest. Live ist dickköpfig und stur, aber was sie wirklich will ist einfach nur geliebt zu werden. Ich hab damals versagt, als sie mich am meisten brauchte und seit dem vergeht kein Tag, an dem ich es nicht bereue nicht um sie gekämpft zu haben." Danach war Alfred aufgestanden und hatte Kader allein gelassen. Allein mit seinen rasenden und durcheinander wirbelnden Gedanken.

Nun saß er hier und ertrug das Schweigen, welches von Seitens seines Hausmädchens ausging nicht mehr. ,,Es tut mir leid." Kaders Stimme war rau und kratzig, seine Zunge schien wie belegt und er räusperte sich ein paar mal. Inka schaute kurz zu ihm und schüttelte dann seufzend den Kopf. ,,Kader du bist erwachsen, du kannst tun und lassen was du willst, ich ... hatte nur die Hoffnung, dass Live und du euch gegenseitig heilen könnt." Erneut kam schweigen auf. ,,Ich glaube das war genau der Grund, warum es nicht funktioniert hat. Wir sind beide einfach zu kaputt." ,,Kader, man ist nie zu kaputt um dafür zu kämpfen was man liebt." Ihr Blick ging ihn durch Mark und Bein. ,,Ich habe dich noch nie so glücklich gesehen Kader, aber du bist zu stur um dafür zu kämpfen. Warum hast du dich zu Live hingezogen gefühlt? Es war nicht, weil ihr beide kaputt seid, sondern weil ihr euch gegenseitig ergänzt. Live hat dir die Wut leichter gemacht und gezeigt wie du mit ihr umgehen kannst und du hast Live das Leben gezeigt. Ihr seid euch ähnlicher als ihr glaubt und eure Beziehung ist bestimmt nicht an eurem Privatleben gescheitert. Ihr seid gescheitert, weil ihr beide sofort eure Mauern hochfahrt sobald ihr euch bedroht fühlt. Aber Kader, wenn du jetzt nicht um sie kämpfst, dann wirst du Live eines Tages gänzlich verlieren." Die restliche Zeit bis zu ihrem Haus im Wald schwiegen sie und Kader grübelte über die Worte von Inka nach. Auf einer Seite hatte sie recht, doch was sollte er nun machen? Live hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte. ,,Verdammt, ich hab echt Scheiße gebaut!" leise fluchte Kader vor sich hin und bemerkte dabei nicht den traurigen Blick, welchen Inka ihm zuwarf. Natürlich machte sich die Frau Sorgen um Live, doch gleichzeitig hatte sie auch Angst, was aus Kader wieder werden würde, wenn er Live verlieren sollte. Noch einmal würde sie es nicht ertragen zu sehen, wie Kader sich Tag für Tag immer mehr selbst kaputt macht.

Live blockte die Versuche von Sonja und Frank gänzlich ab, sobald das Thema auch nur auf Kader zu sprechen kam. Sie rührte ihr Essen kaum an und starrte wie ein Zombie in der Gegend rum. Ihren Eltern war klar, dass gestern etwas zwischen den beiden vorgefallen sein muss, doch wagten sie es nach den Abblockungen ihrer Tochter nicht weiter zu bohren. Man hatte ihnen gesagt, dass Live noch für ein paar Tage im Krankenhaus bleiben sollte, da die Ärzte sichergehen mussten, dass durch besagten Schock durch den Unfall und das eventuelle auftauchen ihrer Eltern nicht noch mehr in Live vorging. Seufzend hatte Sonja sich an ihren Mann gelehnt und gehofft, dass all das hier bald ein Ende haben würde, doch dann hatte sie Lives leeren Blick gesehen und sofort wieder Angst empfunden. Sonja wusste nicht, was sie von den Worten dieses anderen Mädchens halten sollte. Es war deutlich zu sehen gewesen, dass Live diese Holly anscheinend nicht leiden konnte, doch hieß das auch, dass man ihr das was sie gesagt hatte nicht glauben konnte? Steckte sie vielleicht doch noch immer unter einer Decke mit ihren Eltern? Sonjas Gedanken wirbelten nur so umher, sie wollten einfach nicht zu Ruhe kommen. Vielleicht sollte sie sich mehr um Live kümmern, nur wie weit konnte Sonja gehen, bis sie ihr Mädchen wieder erdrückte? Bis es Live zu viel wurde und sie sich wieder in ihre eigene Welt, in der kein Platz für Gefühle waren zurückzog? Es war ein nicht enden wollender Kreislauf und am Ende waren sie alle die Leidtragenden, weil Lives Eltern ihre Tochter scheinbar einfach nicht in Ruhe lassen konnten. Also versuchten sie das Thema Kader zu lassen, versuchten für Live da zu sein, die nach dem erneuten Gespräch mit Dr. Tors nicht begeistert wirkte.

,,Mr. Und Mrs. Morgan, ich würde bitte kurz mit Ihnen reden!" Die drei waren gerade wieder zurück in Lives Zimmer gegangen nach einem kleinen Spaziergang und blickten nun verwundert auf. ,,Aber natürlich!" Stirnrunzelnd folgten sie dem Mann, welchen Live ihnen als Alfred vorgestellt hatte. Vor der Tür fragte Sonja sofort, was ihr am meisten auf der Seele brannte: ,,Ist etwas mit Live? Hat der Unfall doch mehr angerichtet?" Besorgt Griff die Frau nach der Hand ihres Mannes und starrte den Pfleger vor sich sorgevoll an. ,,Nein, es geht nicht um den Unfall, sondern viel mehr einfach nur um Live. Hören Sie, ich habe mit Live nun schon einige Jahre zusammengearbeitet. Ich wusste, dass sie ... Probleme hat. Doch ich glaube, dass sie gerade einen großen Fehler macht. Ich habe Kader gestern gesehen und nun sitzt Live einfach nur stumm da. Uns allen auf der Station bedeutet Live sehr viel, die Kinder lieben sie und Live wäre eine wunderbare Krankenschwester, aber ich glaube, dass sie im Begriff ist wieder alles aufzugeben. Ich weiß nicht wo sie diese Angst auf einmal wieder hernimmt oder warum sie plötzlich nicht mehr gewillt ist zu kämpfen, aber klar ist, dass es so nicht weitergehen kann. Deshalb wollte ich Sie bitten, dass sie Live überzeugen zurück zu kommen. Es hat sich nichts verändert an der Station, alles ist gleichgeblieben und sie hätte keine Probleme sich hier erneut einzugewöhnen." Überraschung flackerte in den Augen von Frank auf. ,,Also was wollen sie nun von uns? Dass wir mit Live reden, um sie dazu zu bewegen wieder hier zu arbeiten?" ,,Live halten viele Dinge davon ab wieder her zu kommen, allen voran vermutlich ich. Ich habe Dinge zu ihr gesagt, die unverzeihlich sind. Als sie mich brauchte, da habe ich sie von mir gestoßen. Aber ich glaube, dass diese Arbeit ihr hier guttut. Sie kann anderen Menschen helfen und sobald ihre Schulprüfung bestanden ist könnte sie hier bei uns eine Ausbildung machen." Kurz seufzte Alfred und fuhr sich durch die Haare. ,,Ich möchte nicht, dass Sie Live dazu drängen hier zurück zu kommen. Aber vielleicht versuchen Sie Live die Arbeit hier wieder schmackhaft zu machen. Hier hatte sie Verantwortung und wurde von jedem als ein vollwertiges Mitglied geschätzt. Unsere letzte Eingestellte konnte weder mit Kindern, noch wusste sie nicht was sie überhaupt hier zu tun hatte. Sie hat gekündigt, aber viel länger hätten wir sie auch nicht mehr bei uns behalten, denn niemand könnte Live hier ersetzen. Sie hat ein großes Herz, aber wie bei jedem mit solch einem Herzen liebt sie zu intensiv. Wenn sie etwas verletzt zieht sie sich zurück und versucht die Welt von sich zu stoßen. Aber ich denke alles was sie braucht sind die schützenden Hände ihrer Eltern. Dieses Mädchen hat so viel Schreckliches durchgemacht, dass ich mich frage wie lange sie noch so weitermachen kann. Aber hier war sie echt, hier hat Live lachen können und musste nicht die Maske der Gleichgültigkeit tragen." Perplex schauten sich Sonja und Frank an. ,,Wir wären sehr froh, wenn Live wieder hier arbeiten würde, aber die Entscheidung liegt ganz allein bei unserem Mädchen."

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