Kapitel 54

Als Live am nächsten Morgen aufwachte schien ihr die Sonne ins Gesicht und sie merkte, dass zwei Arme um sie geschlungen waren. Ihr erster Reflex war es zusammenzuzucken und zu schreien, doch dann erinnerte sie sich daran, was am Tag zuvor geschehen war und kuschelte sich noch mehr an die Person neben sich. Kader. ,,Guten Morgen." Hauchte er ihr leise ins Ohr und Live drehte sich in seinen Armen um. Sie musterte ihn, wobei ihr nicht die vielen Schürfwunden im Gesicht entgingen. ,,Es war kein Traum." Lächelnd strich Kader ihr einige Strähnen aus dem Gesicht. ,,Nein, das war es nicht." Dann lagen ihren Lippen wieder auf seinen und Kader musste ein ausgehungertes Seufzen unterdrücken. Er war schon seit einiger Zeit wach und hatte nur auf diesen Moment gewartet. Als gestern Abend alle weg gewesen waren, hatte er sich mit zu ihr aufs Bett gelegt und sie in seine Arme genommen. Zum Glück waren die Kabel lang genug gewesen. Er hätte Live nicht aus dem Schlaf reißen wollen mit dieser dummen Maschine. ,,Wie fühlst du dich?" sanft stubste er mit seiner Nase an ihre und schaute ihr in die blauen Augen. Live runzelte die Stirn, als müsse sie ernsthaft über ihr Befinden nachdenken und Kader hatte schon Angst, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagen würde. ,,Gedemütigt, denke ich. Ich weiß es nicht so genau. Es tut alles so weh." Die letzten Worte hauchte sie nur und blickte ihn direkt an. Kader nickte, so gut es ging und musterte sie aufmerksam. Live stierte ihn an und er musste ein Lachen unterdrücken. ,,Schon gut, schon gut! Die Frage kam bei mir an. Mir geht's ... bescheiden. Sagen wir, ich kann deinen Schmerz körperlich nachvollziehen. Und naja ... ich habe keinen Bock schon wieder hier zu sein." Grinsend erwiderte er ihren Blick. ,,Stimmt, du warst echt oft genug schon im Krankenhaus, aber diesmal sieht es wohl so aus, als müsstest du mich hier mit ertragen." ,,Ich könnte mir nichts schlimmeres vorstellen." Lachend beugte Kader sich leicht über Live und wollte sie gerade küssen, als seine Maschine einen ohrenbetäubenden Lärm von sich gab.

Live fing augenblicklich an mit lachen, während Kader nur laut fluchte, sich in sein Bett hinüber rollte und versuchte das Kabel wieder an seinem Körper zu befestigen, doch da hatte man ihn schon gehört, denn wenige Sekunden später kam Alfred ins Zimmer geplatzt und musterte die Situation überrascht, da Live noch immer lautstark lachte und sich den Bauch hielt. Der alte Mann blieb einige Schritte von ihnen entfernt stehen, ehe er Kader half die Kabel wieder zu befestigen. Sofort verstummte die Maschine und Kader entspannte sich sofort ein wenig. Doch nun war es plötzlich unglaublich still im Raum. Keiner wusste, was er noch sagen sollte und Live konnte Alfred einfach nicht anschauen, zu tief saß ihr Schmerz über das, was er ihr genommen hatte. Alfred räusperte sich. Er war nicht ohne Grund hier und wäre sowieso früher oder später hier her gekommen. ,,Also ... Live, es tut mir leid! Ich hätte dich nicht rauswerfen sollen. Ich wollte die Kinder schützen und hab dabei vergessen, dass ich dir versprochen habe nicht zu urteilen. Aber das habe ich getan." Seufzend blickte der alte Mann auf den Boden. Es war ihm unglaublich peinlich hier zu stehen. Nicht, zuzugeben einen Fehler gemacht zu haben, aber doch nun deutlich zu sagen, dass er sein Versprechen gebrochen hatte. ,,Wenn du noch möchtest ... dann würden wir uns freuen, wenn du zurück kommst. Hier her." Nun hob er doch den Blick und schaute Live direkt an, welche ihn nur mit offenem Mund ansah. Kader traute sich nicht etwas zu sagen, er war sie nicht einmal sicher ob er noch atmete. Es war so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

,,Die Stelle ist doch schon vergeben." Endlich brach Live die Stille und Alfred seufzte beinahe erleichtert, wieder ihre Stimme zu hören. ,,Nein, die ist gestern wieder frei geworden und wir hätten das Mädchen die Woche sowieso wieder rausgeworfen. Ganz ehrlich, sie hat hier nur Chaos veranstaltet, aber wir brauchten nun mal eine Hilfskraft, die sich um die Kinder kümmert. Also bitte Live, wir flehen dich an, ... komm zurück! Wir brauchen dich hier und die Kinder lieben dich, sie haben beinahe jeden Tag nach dir gefragt." Unsicher blickte das Mädchen neben sich zu Kader. Doch dieser nickte ihr nur aufmunternd zu. Er wusste, dass Live das hier brauchte. Sie musste wieder bei den Kindern sein. ,,Aber ich habe inzwischen schon eine Arbeit bei Sonja im Café. Ich kann sie einfach nicht im Stich lassen." Alfred sackte in sich zusammen und ließ den Kopf leicht hängen. ,,Klar sicher. Sag uns Bescheid, falls du es dir anders überlegst." Damit trottete der Mann aus dem Raum und Kader riss Live beinahe zu sich herum. ,,Live! Du musst das Angebot annehmen! Sonja wird es verstehen." Live schaute nachdenklich auf ihre Finger. Hatte Alfred damals nicht sogar irgendwie recht gehabt? Sie war eine Gefahr für die Kinder oder nicht? Seufzend hob Live den Blick und schaute Kader an. ,,Ich hab Angst." Gab sie leise zu und der Junge rückte wieder zu ihr rüber aufs Bett, um ihre Hände in seine zu nehmen. ,,Wovor?" ,,Davor ... dass sich einfach alles wiederholt!" sie merkte, wie sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel stahl, doch bevor Live auch nur reagieren konnte, hatte Kader sie auch schon weggewischt. ,,Ich ... ich hab die ganze Zeit gedacht, dass sie im Gefängnis sitzen, weit weg von mir, aber gestern ...? Sie waren mir so nah und ... was wenn sie es wieder tun? Wenn sie dir etwas antun?" Live hatte begonnen zu zittern und schaute Kader nun direkt in die Augen. ,,Ich tue dir nicht gut, Kader." Ihre Stimme brach und Kader wusste nicht was er tun sollte. In ihm kochte die Wut auf. Nicht auf Live, naja vielleicht ein kleiner Teil, weil sie nun wieder einen Rückzieher zu machen schien, aber hauptsächlich auf ihre Eltern. ,,Live. Bitte mach jetzt nicht kaputt was wir gerade aufbauen, wegen diesen ... Monstern. Ich liebe dich! Und ich werde alles tun, um dich zu beschützen." Kader hatte erst zu spät gemerkt, was er da gesagt hatte und merkte nun wie er rot anlief. Keinesfalls wollte er Live überfordern oder zu etwas drängen, dabei hatten diese simplen Worte für sie gerade alles verändert.

Ein strahlendes Lächeln trat auf ihre leicht rosigen Lippen und ihre Augen, welche eben noch so gebrochen und traurig geblickt hatten begannen zu glitzern. Dann beugte sie sich vor und legte ihre Lippen erneut auf seine. Erkundete ihn und strich dabei zärtlich über seinen Nacken. Es fühlte sich so anders an, als alles was sie beide jemals getan hatten und Kader könnte sich in Lives leichten, noch immer schüchternen Küssen verlieren. ,,Ich liebe dich auch." Hauchte sie leise an seine Lippen und verharrte nur Millimeter vor diesen. Live öffnete die Augen und blickte ihn von unten her an. Kader musste sein Seufzen bei diesem Anblick unterdrücken. Obwohl Lives Wangen noch leicht geschwollen waren, sowohl von dem Unfall, als auch auf Grund der Tränen, war sie im Moment einfach das Schönste für ihn, auf der Welt. Kader konnte gar nicht mehr aufhören mit Grinsen und ließ seine Hand nun auch in ihren Nacken wandern, ehe er sie schnell an sich zog. Live keuchte erschrocken auf und krallte sich in seinen Rücken. Sie wollte ihn, doch hatte Live auch gleichzeitig Angst davor. Kader würde sie nie zu etwas zwingen, nicht wie es ihr Vater getan hatte, doch ... was wenn es ihn abschreckte, wenn sie ihm alles erzählen würde? Live würde es nicht überstehen, diesen Jungen zu verlieren. ,,Jetzt küss mich endlich!" raunte Kader ihr plötzlich ins Ohr. Live hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass sie seinen Kuss nicht erwidert hatte. ,,Tut mir leid, es ist nur ..." seufzend brach sie ab. Wieso konnte sie, jetzt wo sie endlich in seinen Arm lag, sich ihre Gefühle nicht mehr verbat, nicht endlich einmal loslassen? ,,Live ... du musst es mir nicht sagen, o.k.?" Kader schaute ihr genau in die Augen. ,,Ich akzeptiere es. Nur bitte, schließ mich nicht wieder aus. Ich liebe dich, Live Kamson. Mit allen Ecken und Kanten, mit all deinen Macken und ..." ,,Hey, ich hab überhaupt keine Macken!" lachend schlug Live ihm auf die Schulter, was Kader vor Schmerz zusammenzucken ließ. ,,Oh tut mir leid, hab ich dir weh getan? Ich wollte das ...?" aufgeregt schlug sie sich eine Hand vor den Mund, doch Kader zog sie schon an sich, um Live erneut zu küssen. ,,Wir gehen es langsam an, O.k.?" murmelte er leise. ,,Das hier ist aber alles andere als langsam, Mister White." Raunte Live nah an seinen Lippen. ,,Dann gehen wir bei anderen Dingen, eben ein wenig schneller vor." Grinsend strich er sacht mit seinen Lippen über ihre und Live seufzte auf.

Was sie hier taten, war so völlig anders, als alles, was sie bisher kannte. Kader war anders. Hatte Live anfangs noch gedacht, er wäre eingebildet und selbstsüchtig, bewies er ihr immer mehr, dass er eindeutig nicht so war. ,,Ich liebe dich, Kader." Die Worte auszusprechen waren noch immer so schwierig für sie und doch konnte sie gar nicht genau sehen, was sie für Kader bedeuteten. Für ihn waren es nicht nur Worte, für ihn bedeuteten diese kleinen Silben, jede einzelne eine ganze Welt. Er wusste nicht mehr, wann er sich zuletzt so nach der Liebe, eines Mädchens gesehnt hatte. ,,Es wird alles gut. Das verspreche ich dir. Wir stehen das gemeinsam durch und am Ende, ... am Ende da werden wir die Gewinner sein. Ich werde alles tun, um dich zu beschützen. Noch einmal werde ich dich nicht gehen lassen." Sanft strich Kader Live einige verirrte Haarsträhnen zur Seite. Live wollte gerade noch etwas erwidern, als Sonja und Frank, ohne zu klopfen in das Zimmer geschneit kamen. Frank sah noch immer leicht angefressen aus und Live fragte sich sofort, ob die beiden gestern noch geredet hatten oder ob erneut etwas vorgefallen war, um ihn so aufzuregen. Sonja sah jedoch nicht besser aus. ,,Ein Psychologe will mit dir sprechen!" Ihrer Stimme war deutlich zu entnehmen, dass Sonja aufgewühlt und aufgebracht war und Live beschlich die leise Ahnung, dass Frank nicht mehr wegen dem verschwiegenen Leben von ihr wütend war, sondern wegen besagter Person. 

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