Kapitel 41

In Live brodelte es, doch sie tat so als würde sie schlafen um nichts auf Kaders letzten Worte entgegnen zu müssen. ,,Weil ich denke, dass du es wert bist!" Trotzdem vertrieben Kaders Worte nicht die Gedanken in ihrem Kopf oder den Schmerz, welcher sich in ihr Herz genistet hatte. Und sie bewirkten auch nicht, dass Live keine Albträume mehr hatte. Zwar musste sie nicht mehr schreien, schreckte aber doch immer wieder in der Nacht auf. Immer waren nur wenige Minuten vergangen, bis sie es irgendwann gänzlich aufgab schlafen zu wollen und lieber Kader beobachtete. Der Storm hatte sich ein wenig gelegt, sodass das Mondlicht sanft in Lives Zimmer drang und sowohl sie selbst, als auch Kader in ein weißes Licht tauchte. Seine Gesichtszüge waren sanft und entspannt. Live wusste nicht, wann sie Kader jemals so gesehen hatte. So friedlich, als würde er nicht jeden Moment wieder um sich schlagen müssen um die Menschen genauso von sich fern zu halten wie Live es immer tat. Die beiden waren sich so ähnlich und doch völlig unterschiedlich. Einmal mehr spürte Live diesen Sog zu ihm hin. Sie müsste nur aufstehen, zu ihm gehen und sich an ihn schmiegen. Was war schon dabei? Taten das nicht alle Teenager? Aber sie war eben nicht alle. Seufzend wand sie sich dem Fenster neben dem Bett zu und stieg vorsichtig aus diesem, um hinaus zu blicken. Die Straße war in völlige Dunkelheit getaucht. Doch dann erblickte sie einen schwarzen BMW, der ihr seltsam bekannt vorkam. Und im Inneren brannte Licht. Nicht das Autolicht, sondern eher eine Taschenlampe, denn das Licht war kegelförmig und breitete sich nicht vollkommen aus. Live schluckte und musste an die Worte von Frank und Sonja denken. ,,Ich wusste gar nicht, dass Alexa und du euch vertragen habt ..."

Aber das konnte nicht sein oder? Es war kurz vor fünf Uhr in der Früh. Es war noch nicht einmal hell! Warum sollte sie also da draußen hocken und Live beobachten? Das war totaler Schwachsinn. Sie machte sich völlig lächerlich mit diesen Gedanken. Kopfschüttelnd entfernte Live sich wieder und hörte im nächsten Moment das Starten eines Wagens. Als sie erneut hinausblickte war das schwarze Auto verschwunden. Hatte der oder diejenige Live gesehen? Sie spürte wie sich Schweiß auf ihrer Stirn bildete. Einbildung. Das war alles was es sein konnte. Ihre Gedanken spielten ihr nur wieder einen Streich. Trotzdem war nicht mehr an Schlaf zu denken. Es war schon ein Wunder, dass sie überhaupt mit der Anwesenheit von Kader noch einmal hatte schlafen können ohne zu schreien, trotz Albträume. Kader veränderte etwas, aber ob das gut oder schlecht war wusste sie nicht.

Als Kader aufwachte war das Erste was er mitbekam, dass er nicht in seinem Bett zuhause lag. Er war in einem spärlich eingerichteten Zimmer, was nur die nötigsten Möbel besaß und sonst keinerlei Andeutungen machte wer hier lebte. Alles war ordentlich und es lagen keine Shirts auf dem Boden verteilt, wie in seinem eigenen Raum. Außerdem lag er auf dem Boden. Stöhnend rappelte Kader sich auf. Er muss von der Matratze gerollt sein, was sein Körper ihn sofort spüren ließ. ,,Toll!" murrend ließ er seine Gelenke knacken und schaute sich um. Live! Doch das Mädchen war nicht mehr da und die Badtür stand ebenfalls offen, also war sie nicht dort. Wie als wolle sein Magen ihm sagen, wo er Live finden würde, knurrte dieser und Kader merkte, dass er Hunger hatte. Schnell machte er sich auf den Weg nach unten zur Küche. Noch immer in den zu großen Sachen von Frank. Kader wusste nicht wie spät es war, aber zumindest stand die Sonne schon einiges höher am Himmel, als dass es noch sehr früh sein konnte. Aus Richtung Küche hörte man schon von der Treppe aus Klappergeräusche und dann entdeckte er Live, welche angestrengt in die Pfanne starrte, als könne sie das Essen in dieser nur mit ihren Blicken dazu bringen gut zu werden.

,,Machst du Frühstück oder experimentierst du hier mit gefährlichen Chemikalien?" Erschrocken zuckte Live zusammen und starrte den in der Tür lehnenden, grinsenden Kader an. ,,Ach auch schon wach Prinzeschen?" zwinkernd wand sie sich wieder der Pfanne zu, um ihm nicht zu zeigen, wie sie rot wurde. Erst da bemerkte Kader, dass Live eine Hotpants und ein knappes Tank Top trug. Sie sollte öfter sowas ausgelassenes Tragen. Schluckend riss er den Blick von ihr ab und schaute sich in der Küche um. ,,Ich kann den Tisch schon mal denken, Prinzchen." Plötzlich prustete Live los. ,,Ernsthaft? Fällt dir nichts Besseres ein oder bist du gar nicht so cool wie alle behaupten?" sie blickte noch nicht einmal zu ihm auf, doch Kader konnte die Herausforderung nur so in ihrer Stimme triefen hören. Doch ehe Kader was erwidern konnte, erklang plötzlich Sonjas Stimme: ,,Was ist denn hier los?" lächelnd betrat sie mit Frank die Küche und musterte die beiden Jugendlichen.

,,Ich hab Frühstück gemacht, Mom." Eben grinste Live noch frech, ehe ihr Gesicht in sich zusammenfiel. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören und Kader fühlte sich, als würde er gerade in irgendetwas hineinplatzen, dass nicht für ihn bestimmt war. Sonja schlug sich eine Hand vor den Mund und Tränen liefen ihr aus den Augen, während sie begann zu zitternd. Überrascht schaute Kader zwischen der Frau und dem Mädchen hin und her. Irgendwas musste er verpasst haben, doch er wusste nicht was es war. Keiner sagte etwas und selbst in Franks Augen sah er plötzlich ein verräterisches glitzern. Dieser sah nun wie Kader überfordert zwischen den Anwesenden hin und her stierte und gesellte sich zu ihm. ,,Live hat ... noch nie Mom oder Dad gesagt." flüsterte Frank dem überforderten Jungen zu und musterte die Szene, welche sich vor ihnen ausbreite lächelnd. Seine Frau hatte inzwischen dem Mädchen die Arme um den Körper geschlungen und drückte Live ganz fest an sich.

,,Mom." Es war ihr so einfach über die Lippen gekommen. Live hatte nicht einmal nachdenken brauchen, es war einfach so hervor gekommen, als hätte dieses eine Wort schon so lange in ihrem Hals gesteckt und hatte nun endlich genug Kraft gehabt um seinem Gefängnis zu entkommen. Ihr Gefängnis, den Ort, welchen sie so sehr versuchte verschlossen zu halten. ,,Oh mein Kind." Noch immer schluchzte Sonja dicht an ihrem Ohr. Doch Live stand nur steif da. Sie hatte dieses Wort ausgesprochen, ohne es bewusst gewählt zu haben. Erneut war etwas einfach so aus ihr gesprudelt, dabei achtete Live doch sonst immer so sehr darauf was sie zu wem sagte. Nachdem der Schock überwunden war, schlang auch Live vorsichtig ihre Arme um Sonja. Sie hatte es nicht unbedacht gesagt. Nein. Es war nur die Wahrheit, denn Sonja war ihre Mutter. Diese Frau, welche Live so viel Liebe und Zuneigung gab. Die sie haben wollte, um ihr ein Lächeln zu schenken und Live vom ersten Moment an hatte aufgehen sehen wollen. ,,Du bist meine Mom, Sonja und Nichts kann das ändern." Leise flüsterte sie der Frau die Worte ins Ohr und drückte sie noch fester an sich. Nun schluchzte auch Live und drückte sich an Sonja. ,,Ich liebe dich, mein Kind." Sanft hauchte diese, Live einen Kuss auf die Wange und löste sich dann langsam von ihr. Lachend wischte sie sich die Tränen weg und blickte zu ihrem Mann und Kader. Live schaute auf den Boden, sodass ein paar vereinzelte Strähnen ihr Gesicht verhangen, um ihre Augen zu verdecken. Sie wollte Kader nicht schon wieder völlig verheult anblicken.

,,Also, es gibt Frühstück, ja? Ich bin am verhungern!" Nun musste auch Live lachen und die Spannung von eben war verflogen. Über fünf Jahre hatte Live nicht gesagt was sie Sonja schon so lange hatte sagen wollen und für Kader war es etwas Besonderes, dass er dabei gewesen war. Als hätte er einen Teil dazu beigetragen, dass Live sich überhaupt traute diese Worte zu sprechen. Und vielleicht hatte er das auch. Denn Kader berührte Live. Irgendwo ganz tief in ihrem Inneren hatte er einen Schalter in ihr umgelegt, der ihr zeigte was wirklich zählte. Was sie wollte und wofür sie all die Jahre durchgehalten hatte. Wofür sie durch die Hölle gegangen war. Nur um hier zu sein. An diesem Tisch, mit ihren beiden Eltern und diesem Jungen, welcher sie mit seinen dunkelbraunen Augen anschaute, als wäre sie das Kostbarste auf dieser Welt. Und für diesen Moment war alles um sie herum wie verschwunden. Live verschwendete keinen Gedanken mehr an das schwarze Auto, welches sie in der Nacht gesehen hatte. Sie dachte nicht an ihre Eltern, welche im Gefängnis waren. Das erste Mal konnte sie sagen, dass sie wirklich hier war, in der Realität. In ihrem Haus. 

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