Kapitel 37

Live noch immer unfähig etwas zu sagen oder sich auch nur zu bewegen musterte ihn weiterhin. Er meinte das wirklich ernst. Kader wollte sie wirklich kennenlernen und Zeit mit ihr verbringen, doch Live wusste nicht wo das hinführen sollte. Sie hatten beide gesehen, dass sie wenn der andere einen Fehler beging an die Decke gingen. Aber Live wollte ihm vertrauen, nur konnte sie es nicht. Dafür war einfach schon viel passiert in ihrer Vergangenheit. Kader allerdings war nicht Teil dessen gewesen, was früher passiert ist. Das musste Live erst realisieren und als sie in seine Augen blickte, die Wahrheit in diesen fand, wurde sie erneut darin bestätigt, dass sie ihm sehr wohl vertrauen könnte, wenn sie es schaffen könnte das Geschehene hinter sich zu lassen. Sie musste es langsam angehen lassen. Musste lernen mit ihm zu leben. Trotzdem stand sie dort und musterte den Jungen vor sich, während Kader ihren Blick erwiderte. Forschend, kräftig, aushaltend. Egal was für Blicke sie ihm auch entgegenwarf. Er hielt ihnen stand und wendete sich nicht ein einziges Mal ab. Kader blinzelte noch nicht einmal. ,,Sag ja!" Sonja hatte sich zu Live hinübergebeugt und wisperte ihr leise ins Ohr. Völlig gebannt, von den Gefühlen ihrer Tochter hatten Sonja und Frank die beiden Jugendlichen beobachtete und Sonja wünschte sich, dass Live loslassen konnte. Sie müsste einfach nur zustimmen. Sich auf das Unbekannte, welches der Junge ihr versprach einlassen. Ein letzter Blick in seine Augen und Live wusste was sie wollte. Was sie schon immer gewollt hatte, seit dieser Junge in ihr Leben getreten war.

,,O.k.!" sie bewegte noch nicht einmal wirklich die Lippen, hauchte nur dieses eine Wort und Kaders Augen funkelten vor Erstaunen auf. ,,Eine Chance Kader, unter einer Bedingung." noch immer wich die Kälte nicht gänzlich aus ihrem Blick. ,,Alles!" freudige Erwartung spiegelte sich in seinem Blick wieder. Er würde alles tun um ihr Vertrauen zu gewinnen und wenn sie ihn zum Mond schicken würde. Kader würde einen Weg finden, nur damit Live wusste, dass er alles für sie tun würde. ,,Du kommst zum Unterricht, du verstellst dich nicht, du lernst und schreibst deine richtigen Noten! Kein Verstecken mehr." ,,Das ist mehr als nur eine Bedingung." Grinsend legte er den Kopf schief und musterte sie. Live unterdrückte noch immer mit aller Macht ihr eigenes aufkommendes Grinsen. ,,Ich hab nie gesagt, dass ich einfach bin." Ihre Stimme nahm beinahe eine rauchige Note an und Kaders Grinsen wurde noch breiter. Er spielte hier mit Feuer, das war ihm bewusst, dennoch genoss er es sie so zu sehen. ,,O.k., unter einer Bedingung." Brummend blickte er noch tiefer in ihre Augen, schien beinahe etwas in ihr zu suchen. Nein, Kader versuchte in ihr zu lesen. Aber Live hatte Jahre lang gelernt ihre Gefühle zu verbergen, also würde sie auch jetzt nicht klein beigeben. ,,Ich glaube nicht, dass du in der Position bist etwas zu wünschen, Kader." Sein Name klang noch immer etwas fremd für sie. Trotzdem sprach Live ihn aus, um sich und ihm das Versprechen zu geben sich fallen zu lassen. Sie würde dieses Mal nicht weglaufen. Sie würde bleiben und dieses Unbekannte mit ihm gemeinsam entdecken, wo auch immer ihr Weg sie hinführen würde. ,,Wir lernen wieder zusammen und du setzt dich beim Mittag zu mir. Von mir aus suchen wir uns auch einen eigenen Tisch." Kader ließ sich nicht beirren und sprach aus, was ihm seit Tagen auf der Zunge brannte. Vielleicht musste Live ihm keine Nachhilfe geben, aber sie konnten sich zusammentun und gemeinsam lernen oder Hausaufgaben machen. Und beim Mittag hätte er außerdem die Möglichkeit mehr über sie zu erfahren, außerhalb des Lernstoffs. ,,Das ist mehr als nur eine Bedingung." Mit hochgezogener Augenbraue stierte sie ihm entgegen, nicht gewillt ihn auch nur ein Fünkchen ihrer Gefühle zu zeigen. ,,Ich habe nie gesagt, dass ich einfach bin." Erwiderte Kader grinsend mit ihren eigenen Worten und nun konnte Live sich doch nicht mehr zurückhalten und ein Lächeln erschien auf ihren geschwungenen rosigen Lippen. Sanft. Aber es war da und ließ Kader sie wie gebannt mustern. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so etwas schönes gesehen hatte.

,,Abgemacht!" frech hielt sie ihm die Hand hin und Kader schlug noch immer mit seinem selbstsicheren Grinsen ein. ,,Abgemacht." Damit trafen seine warmen großen Hände auf ihre kleinen und schmalen Finger. Ein Stück zog Live ihn noch näher zu sich, in ihren Augen war jeder Erheiterung verschwunden. ,,Enttäusch mich nicht!" Diese drei Worte bewirkten, dass Kaders Herz sich noch enger zusammenzog. Er hatte Live verletzt und musste nun wieder bei null beginnen, aber sie hatte ihm noch eine Chance gegeben. Eine Chance um zu beweisen, dass er gar nicht so schlecht war und er würde diese Chance nutzten. ,,Nie wieder." Ein leises Versprechen, welches er genauso leise wisperte wie Live vorher ihre Bitte. Dann ließen die Teenager einander los und sofort vermisste Live die Wärme seiner Hände und seiner Nähe. Sie ignorierte das Kribbeln, welches er in ihr hinterlassen hatte und setzte sich zeitgleich mit ihm wieder hin. Kaders Augen ruhten auf ihr, aus Angst sie könne jeden Moment ihre Worte zurücknehmen und ihn hinaus in den noch immer wütenden Sturm schicken. Live jedoch musterte ihn nur seinerseits und wusste nicht was sie weiter sagen sollte.

Dann erst wurde den beiden bewusst, dass sie gar nicht alleine gewesen waren und während Live rot wurde, rutschte Kader nervös auf seinem Stuhl umher. Es war ihm nicht wirklich peinlich, immerhin mochte er Lives Adoptiveltern, aber dass sowas schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen geschah ließ ihn doch ein wenig glühen. Sonja räusperte sich grinsend und bot den beiden das Haus zum Lernen an. Doch Live verneinte sofort. Dass er heute hier war verdankte Kader nur Sonja, doch sie wollte ihn noch immer nicht hier. Also würden sie sich weiterhin in der Bibliothek treffen. Langsam, sie mussten es langsamer angehen, das war ihm bewusst und es machte ihm nichts aus. Nur weil Live ihn heute schon wieder neckte hieß es nicht, dass plötzlich alles wieder gut zwischen ihnen sein würde, doch er fasste es als ein gutes Zeichen auf. Sie lächelte, ja Live strahlte regelrecht. Und für nur ein weiteres Lächeln von ihr hätte er ganze Bäume ausgerissen. Es war das schönste, was er je an einem Menschen gesehen hatten und er freute sich darauf all ihre Fassetten zu entdecken. ,,Also Kader, warum genau bist du eigentlich hier?" Frank konnte seine Neugier nicht mehr verbergen und nicht einmal der Tritt, welchen Sonja ihn verpasste hielt ihn davon ab seine Frage zu stellen. Beinahe unmerklich versteifte Kader sich, aber Live, welche so lange damit verbracht hatte andere Menschen zu beobachten, sich um sie zu kümmern erkannte das Zucken seiner Muskeln. Sah wie seine Lippen sich verzogen und er die Zähne aufeinanderpresste. Seine Mutter! Sofort geisterten diese Worte in Lives Kopf umher und sie versuchte ihm mit den Augen zu signalisieren, dass er nichts sagen brauchte. Doch Kader blickte sie nicht an, sondern hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf Sonja und Frank gerichtet. Ihre Familie. Ein Schauer überkam sie und Live spürte tief in ihrem Herzen Freude. Sie war glücklich hier zu sein und sie dankte es Kaders Mutter, das was auch immer sie getan hatte, er am Ende hier gelandet war, bei ihr.

Was sollte er sagen? Kader wollte niemanden mehr belügen, aber er wollte auch nicht hinausposaunen wie überdeutlich er nicht mit seiner Mutter klarkam. Sofort strichen seine Hände über die beiden getrockneten Blutstriemen auf seiner Wange. Seine Mutter war das gewesen. Sie hatte ihn angeschrien, genauso wie Kader sie und dennoch bereute er es nicht. Ina White war nichts im Vergleich zu seiner geliebten Inka. Und wenn seine Mutter glaubte sie ihm weg nehmen zu können, dann würde Kader ihr folgen. Ohne Inka wusste er nicht, wozu es sich noch lohnte in diesem riesigen Haus zu wohnen. Trotzdem war da noch immer Jon. Wie wohl der kleine Wicht reagiert hatte? Kader hatte seinen kleinen Bruder nicht mehr beachtete, war viel zu blind von seiner rasenden Wut gewesen und den Worten, welche immer mehr aus ihm herauswollten. Live räusperte sich und zog damit die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. ,,Ich glaube wir sollten noch einen Film sehen oder?" Kader schaute zu ihr und erkannte in ihrem Blick, dass sie das für ihn tat, sie wollte ihm diese Wahrheit ersparen. Völlig perplex schüttelte Frank einmal seinen Kopf, als hätte er vergessen worum es gerade ging und nickte dann. ,,Natürlich! Komm Kader, jetzt sind wir zu zweit, da schaffen wir es bestimmt einen coolen Actionfilm auszuwählen, bevor ich mir hier noch eine Schnulze anschauen muss!" stöhnend erhob er sich und lief lachend in Richtung Wohnzimmer. Kader nickte Live einmal dankend zu und folgte dem Mann dann.

,,Er scheint nett zu sein." Lächelnd stupste Sonja Live an, welche noch immer völlig gebannt von seinem Blick war. Noch nie hatte jemand sie so angesehen und in ihrer Brust schien es als würde ein kleiner Vogel auf und ab hüpfen. ,,Ja, ... wahrscheinlich ist er das." Zuckte sie nur mit den Schultern, wollte Sonja nicht zeigen, wie sehr der Junge sie interessierte. ,,Versprichst du mir, dass du dich darauf einlässt, mein Mädchen?" sanft strich Sonja Live eine Strähne aus dem Gesicht und betrachtete ihre Tochter voller Stolz. Vielleicht hätten andere Eltern ihr Kind vor einem ihm völlig fremden Jungen gewarnt, doch Sonja wünschte sich nur, dass Kader derjenige war, welcher Live endlich aus ihren Tiefen ziehen konnte. Dass er derjenige war, der Live befreite und ihr zeigte was es bedeutete zu leben. Das Mädchen mit den noch immer vor Freude funkelnden Augen konnte nur nicken. Ihre Stimme schien nicht mehr gehorchen zu wollen, doch Sonja reichte diese Geste. Sie legte einen Arm um Live und betrat mit ihr gemeinsam das Wohnzimmer. Eine Familie, sie hatte eine Familie und vielleicht konnte sie Kader erlauben ein Teil dieser zu werden. Irgendwann, nicht so bald, aber vielleicht eines Tages. Also setzte sie sich neben ihn, als erstes Zeichen ihres Versprechens während sie alle stumm dem Film lauschten. Lives Aufmerksamkeit wurde aber von den braunen Augen, welche sich auf sie geheftet hatte in Besitz genommen und so starrten Live und Kader sich die ganze Zeit an anstatt dem Film zu folgen. Dieses Schweigen nicht unangenehm und doch drohend zwischen sich. Was sie verbannt war so schwach wie der gesponnene Faden einer Spinne und doch existierte dieser Faden. Kader war bereit es langsam anzugehen, er hätte alles getan, nur um diese eine Chance zu bekommen und noch immer konnte er das Funkeln ihrer Meerblauen Augen nicht vergessen. Er hatte es verbockt und doch hatte sie ihm die Hand gereicht um es wieder zu kitten. 

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