Kapitel 35
,,Sie haben meinen Jungen ruiniert! Wissen Sie, Kader war nie so ein Unruhestifter, aber seit ich sie eingestellt habe benimmt er sich wie einer dieser ... dieser Rowdys! Ich will gar nicht wissen mit wie vielen Mädchen er was hatte und seine Noten sind auch im Keller." aufgebracht wand sich die wütende und fassungslose Mutter der Hausangestellten zu. Diese stand noch immer völlig perplex da. Sie hatte Kader genau davor schützen wollen. Ina White hatte sie schon vor einer ganzen Weile darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie sie rausschmeißen wollte. Doch Inka hatte geglaubt, solange sie Kader dazu bringen könne mehr Respekt an den Tag zu legen würde alles gut werden und die Mutter, ihrer beiden Schützlinge würde sich wieder einkriegen. Sie glaubte keinesfalls, dass Ina White eine böse Frau war. Es hatte ihr einfach nur schlicht und ergreifend den Boden unter den Füßen weggezogen, als ihr Mann sie verlassen hatte. Dennoch reichte selbst Inka diese Begründung nicht aus, ihre Kinder so zu behandeln und vielleicht drei oder viermal im Jahr aufzukreuzen, wenn es ihr gerade passte. Allerdings war die Situation heute völlig eskaliert. Beide hatten gewusst, wie Kader auf die Kündigung reagieren würde und doch stand die Hausfrau nur überrumpelt, wegen seiner Worte da. Ihr war nie entgangen, dass Kader so völlig anders mit ihr umging als mit anderen Personen, vermutlich auch nicht zuletzt, da sie eine Angestellte war. Aber dass dieser sonst so wütende und aufbrausende Junge sie so sehr liebte, damit hatte sie nicht gerechnet und es erwärmte ihr das Herz. Gleichzeitig machte ihr diese Erkenntnis aber nur noch mehr zu schaffen. Wie sollte sie nun gehen? Sie war seit zehn Jahren angestellte der Whites und liebte die Kinder, als wären es ihre eigenen.
Für einen kurzen Moment musste sie daran denken, wie schockiert ihre Familie war, als sie diesen mitteilte, dass sie Russland verlassen würde um Hausfrau zu werden bei einer Familie in einem anderen Land, einer völlig fremden Stadt, auf einem anderen Kontinent. Zuerst reagierte diese völlig schockiert, doch sie ließen Inka ziehen, in dem Wissen, dass dieser Beruf genau das richtige für die kleine, fürsorgliche Frau sein würde. Und Inka hatte sich nicht getäuscht, egal wie aufregend die letzten Jahre auch waren, egal wie viel Mist Kader verzapft hatte oder wie nervig der kleine Lockenkopf Jon als Kleinkind auch sein konnte, Inka hatte die beiden geliebt und tat es noch immer mit solch einer innen Brunst, dass ihr der Gedanke jetzt gehen zu müssen nur noch mehr Angst machte. Sie war nicht nur ihre Angestellte, sondern Inka war im Laufe der Jahre ein Teil der Familie geworden. Und nicht nur Kader und Jon hatten von ihr gelernt, sondern auch Inka von ihnen. ,,Nein Miss, ich habe ihren Jungen nicht ruiniert, das haben Sie mit Ihrer Kaltherzigkeit und Ignoranz, der letzten Jahre selbst getan. Wenn ich Ihnen noch einen letzten Rat geben darf: Lassen Sie Kader nicht ziehen, er ist ein guter Junge. Sie haben sich in den letzten Jahren in Arbeit gestürzt, was ich keineswegs verurteil würde, aber dabei haben Sie leider das eine aus den Augen verloren, was wirklich wichtig ist. Und das sind ihre Kinder, vor allem Kader, welcher immer nur ihre Liebe wollte." Damit schlurfte die Frau in ihr Zimmer und ließ die erschöpfte Mutter mit ihrem kleinen Sohn ihm Essenssaal zurück. Inka bereute ihre Worte nicht, alles was sie bereute war nicht mehr Zeit mit ihren kleinen Jungs gehabt zu haben.
Zuerst glaubte Kader sein Körper würde aufgrund der halsbrecherischen Geschwindigkeit, mit welcher er über die Straßen jagte hin und her geschüttelt werden, doch dann bemerkte er, dass er bebte. Alles schmerzte, das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer und Kader glaubte schon beinahe zu ersticken, als die ersten Häuser von Willow auftauchten. Er musste zu ihr. Sie war die einzige, welche ihn jetzt beruhigen konnte. Seit einer gefühlten Ewigkeit weinte er nun schon im Stillen vor sich hin und eigentlich hätte er sich dafür geschämt, doch jetzt gerade in dieser Situation, diesem Moment wusste er einfach nicht mehr was richtig und was falsch war. Die Gefühle, welche er seit Jahren zu verstecken versuchte brachen plötzlich einfach so aus ihm heraus und er konnte nichts dagegen tun. Seine Hände krampften sich noch mehr um das Lenkrad, als er an den Ausdruck seiner Mutter dachte. Sie hatte so gleichgültig gewirkt, als würde es sie wirklich einfach nicht interessieren, dass sie im Begriff war Kader die einzige Bezugsperson, welche er noch hatte zu nehmen. ,,Verflucht! Wie kann ... wie kann sie nur denken, sie täte das zu unserem Schutz?" Wenn es nicht schon später Abend wäre würde er einfach zur Trainingshalle fahren und boxen gehen. Vielleicht wäre Steve da, eine Prügelei käme ihm gerade gut gelegen. Kader wollte nie einer dieser werden, die sich gern und mit Absicht stritten, prügelten oder anderen gegenüber fies wären. Doch nun hatte er einmal Blut geleckt und seine Wut schien ihm besser zu sein, als die Tränen, welche unaufhörlich liefen. Egal woran er dachte, nichts half ihm sich zu beruhigen und Kader wusste nicht mehr, was er tun sollte. Er hatte Angst vor dem was er gerade in Begriff war zu tun, denn damit würde er sich eingestehen, dass er schwach war.
Nach weiten zehn Minuten hatte er endlich das kleine niedliche Haus erreicht, vor welchem er erst diesen Dienstag gestanden hatte. Es war erst knapp 3 Tage her und dennoch erschien es Kader schon wie eine halbe Ewigkeit, in welcher er Live nicht mehr gesehen hatte. Bevor er sich bremsen konnte stand er draußen im strömenden Regen. Zumindest würde sie nun nicht mehr sehen, dass er geweint hatte, beziehungsweise, dass die Tränen nun noch immer liefen. Seine Schritte lenkten ihn wie von selbst durch den kleinen Vorgarten, vorbei an Lives Fahrrad, welches vom Regen völlig nass war und schließlich erreichte er die Tür. Kader musste seine Hand regelrecht dazu zwingen, den Finger wieder von der Klingel zu nehmen, ehe er diese noch komplett durchdrückte und dann wurde ihm schlagartig bewusst was er hier tat. Er stand vor Lives Haus, er hatte geklingelt und sie wollte ihn nicht mehr sehen. Doch noch bevor Kader sich abwenden konnte um wieder in seinem Wagen zu verschwinden, wurde die Tür von einer freudestrahlenden Live aufgerissen. Die Luft schien aus ihm nur so heraus zu weichen, als er dieses Strahlen an ihr entdeckte, doch sobald sie realisierte, wer dort vor ihr stand verschwand das ruhige Grinsen von ihrem Gesicht und sie verschränkte desinteressiert die Arme vor ihrer Brust. ,,Was machst du hier?"
Das erste was Live auffiel, als sie merkte, dass vor ihr definitiv nicht der Pizzabote stand war, dass Kaders Augen verquollen wirkten und er ein paar rote Striemen auf der Wange hatte. Sofort machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit, doch sie konnte ihn nicht fragen was passiert war. Live wollte ihn nicht sehen und dabei blieb es. Auch nachdem ihre Gedanken sofort einige Szenarien aufbrachten, die sich bei ihm abgespielt haben könnten. Doch wenn sie ihn nun diese eine Frage stellte, welche ihr so heiß auf den Lippen brannte, dann würde sie gleichzeitig zugeben, dass er sie eben nicht kalt ließ und dass sie im Inneren eigentlich mehr über ihn erfahren wollte. ,,Live ..." war alles was Kader mit seiner krächzenden Stimme herausbrachte und beinahe wäre sie eingeknickt. Aber eben nur beinahe. Er war Kader White und hatte seine Spielchen genauso mit ihr gespielt, wie alle anderen auch. Wie sollte sie ihm vertrauen, wenn er sie schon von der ersten Minute an nur belogen und ausgetrickst hatte. Immerhin wusste Live noch immer nichts weiter über ihn und seit Dienstag verspürte sie auch keinen Wunsch mehr, dies zu ändern. Zumindest ihr Kopf wollte das nicht, ihr Herz wollte da was ganz anderes. ,,Live ich ..." setzte Kader erneut an, doch da kam Sonja angelaufen und fragte was da so lange dauerte. Live wand sich kurz erschrocken zu ihr um und wollte eigentlich die Tür schon zu machen, doch da stand diese schon neben ihr und stierte nach draußen.
,,Ein Junge?" kurz schaute Sonja Live verwundert an, bis ihr auffiel, dass Kader schon völlig durchnässt noch immer im Regen stand und leicht zitterte. Dass dem so war, weil er mit aller Kraft versuchte seine Wut zurück zu halten, konnte diese ja nicht wissen. ,,Live, also wirklich, nun lass ihn schon rein!" damit zog sie Kader ins Innere des warmen Hauses, bevor weder Live noch Kader protestieren konnten und begutachtete ihn besorgt. ,,Oh du armer, du bist ja völlig nass! Komm erstmal rein, da drüben ist das Bad, dort kannst du dich abtrocknen und mein Mann wird dir gleich ein paar seiner Sachen bringen, nicht dass du dich hier noch erkältest!" völlig perplex folgte Kader den Anweisungen, der ihm unbekannten Frau, wobei ihm der wütende Blick, welchen Live ihm zuwarf nicht entging. Er musste schlucken und verschwand schnell im Badezimmer. Was hatte er sich nur gedacht hier aufzukreuzen? Live würde jetzt bestimmt erst recht nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen.
,,So, so, ist er dein Fre..." ,,Er ist ein Schulkamerad und von mir aus hätte er auch weiterhin im Regen stehen bleiben können!" unterbrach Live Sonja harsch, was diese verwundert zu ihrem Kind schauen ließ. Live wirkte plötzlich wieder so völlig verschlossen und zurückgezogen und der ruhige, selige Ausdruck war von ihr gewichen. ,,Hat er dich verletzt?" sofort schossen ihre Gedanken wieder zu dem Video. Wenn dieser Junge etwas damit zu tun hatte, würde sie ihn höchst persönlich wieder rauswerfen und zum Teufel jagen. ,,Er ... er hat mich belogen." Murmelte Live und sofort beruhigte sich auch Sonja wieder. ,,Worum ging es denn?" Sonja lebte nun schon seit fünf Jahren mit Live zusammen und hatte ihr Adoptivkind schon so lange ihm Blick, dass ihr nicht entgangen war wie sie den Jungen angesehen hatte. Natürlich hatte er sie verletzt, doch noch immer blickte Live ihn voller Sehnsucht an, als würde sie auf irgendwas hoffen. So als würde sie noch immer darauf warten, dass alles zwischen ihnen wieder gut werden würde. Dennoch wusste Sonja, dass Live viel zu stur war diesem Kerl zu vergeben, was auch immer er getan hatte. ,,Es ging um nichts. Ich mag ihn nicht, können wir es dabei belassen?" Gerade als Sonja etwas erwidern wollte, wurden die beiden Frauen durch die Klingel unterbrochen.
Nun deutlich mit weniger Enthusiasmus öffnete Live die Tür, wechselte ein paar Worte mit dem Pizzalieferanten und bezahlte ihn, ehe sie die Pizzen entgegennahm. ,,Egal was es war Liebes, aber für heute Abend musst du ihn wohl oder übel ertragen. Ich kann es als Mutter und als guter Mensch nicht verantworten ihn bei solch einem Wetter fahren zu lassen!" Dass Sonja mit dafür war eine Pizza zu bestellen und somit jemand anderes hatte im Regen fahren müssen, ließ Live lieber ungesagt. Sie liebte Sonja und wollte eine bessere Beziehung zu dieser aufbauen, da brauchte sie sich nicht auch noch wegen diesem Idioten Kader mit ihr streiten. Denn wenn sie dafür ihre Bindung mit Sonja verlor, war er ihr das allemal nicht wert. ,,Schön, von mir aus!" murrend verschwand das Mädchen, mit den Pizzen in der Küche.
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