Kapitel 32

Als Live zuhause ankam huschte sie schnell unter die Dusche um sich wieder aufzuwärmen. Bis Sonja und Frank von der Arbeit kamen hatte sie noch ein wenig Zeit und da sie die beiden überraschen wollte, hatte Live sich vorgenommen die Wohnstube ein wenig umzugestalten und schon alles gemütlich zu machen. Es war nur eine Kleinigkeit, aber ihr war bewusst, dass sich das Ehepaar auch über solch eine Kleinigkeit freuen würde. Eigentlich hatte sie vorher noch zu Lea huschen wollen, doch bei dem Regen hatte sich bestimmt auch das kleine Kätzchen in der Gasse versteckt. Genug zu essen hatte sie definitiv allemal, da Live ihr immer wieder eine kleine extra Ration Essen mitbrachte. Diese waren eben genau für solche Fälle, wenn sie einmal nicht aus dem Haus kam, gedacht. Seufzend verließ sie die Dusche und rubbelte ihre inzwischen um einiges gewachsenen Haare trocken. Kurz blieben ihre Augen im Spiegel an der Wand bri ihrer geschundenen Haut hängen. Doch bevor die Bilder erneut über sie hinwegrollen konnten riss sie sich von dem Anblick los und zog sich die bereitgelegten Sachen an. Theoretisch hätte sie auch einfach ein paar Schlampersachen anziehen können, doch für Live musste einfach alles ordentlich aussehen, sie konnte sich auch in Jeans und T-Shirt wohlfühlen. Dann machte sie sich daran die Wohnstube ein wenig sauber zu machen, Snacks bereit zu stellen, ein paar Filme auszuwählen und mehr Kissen als gewöhnlich mehr auf dem Sofa zu verteilen. Und ehe sie es sich versah ging auf einmal die Haustür auf, bevor Sonja gefolgt von Frank freudestrahlend ins Wohnzimmer kam. Sie wollte gerade ansetzten um etwas zu sagen, als sie verstummte und sich umsah, nur um dann noch glücklicher auszusehen. ,,Oh Live, das sieht ja total schön aus! Danke, Liebes. Da können wir es uns ja gleich gemütlich machen mit einem Film, bevor wir uns was bestellen!" schnell wie der Wind, flog Sonja regelrecht zu Live hinüber und umarmte das Mädchen schnell. ,,Sonja, jetzt lass das Mädchen doch mal!" lachend musterte Frank die beiden und spürte erneut die Wärme in sich aufsteigen, welche er immer empfand, wenn seine Frau so glücklich und unbeschwert aussah. Sonja hatte es so zugesetzt, dass sie selbst keine Kinder bekommen konnte und er hatte sich Sorgen gemacht, dieses Lächeln, als wäre alles auf dieser Welt gut und heil, nie wieder zu sehen. Doch irgendwie hatte Live es in den letzten Tagen geschafft dieses Lächeln zurück zu holen.

Live drückte Sonja vorsichtig ein wenig, bevor sie sich von der Frau trennte und lächelnd zu ihr aufsah. Mit solch einer überschwänglichen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie an ihre eigenen Eltern dachte, sie hätten nie so reagiert, sie hätten, ... Live stockte. Wie konnte sie Sonja und Frank nur versuchen mit diesen Monstern auch nur in Verbindung zu bringen? Bevor die beiden ihre aufkommende Unsicherheit bemerkten wand sie sich schnell ab und lief hinüber zu der angrenzenden Küche. ,,Wollt ihr Wein? Ich habe euch extra eine Flasche in den Kühlschrank gestellt." Rief sie zu den beiden hinüber und Frank konnte sich ein: ,,Was für ein Serves!" nicht verkneifen, wofür er von Sonja sofort einen gepielt bösen Blick bekam. Doch zu der Verwunderung beider drang aus der Küche nur ein leises lachen von Live. Und freudestrahlend blickten Sonja und Frank sich an.

Nachdem die Eheleute sich schnell verdrückt hatten um sich ein paar angenehmere Sachen anzuziehen, kamen sie zurück zu Live und zu dritt machten sie es sich auf der großen Couch, auf welcher bestimmt noch ein, zwei Leute Platz gehabt hätten, bequem. ,,Was möchtest du sehen, Herzchen?" Live verzog bei dem neuen Spitznamen von Sonja ein wenig das Gesicht. Niemand konnte so unschuldig sein und doch so viele schreckliche Kosenamen entdecken, wie diese Frau. Als diese ihren Blick bemerkte, fing Sonja einfach nur an mit Lachen und hob die Hände. ,,Schon gut, keine Kosenamen mehr, aber wirklich, was willst du sehen?" Kopfschüttelnd stand Live aus ihrer Position neben Sonja, welche in die Mitte geschoben wurde, auf, um einen der vier vorher ausgewählten Filme auszuwählen. Zum Leidwesen von Frank, entschied sich das Mädchen für ,,Briefe an Julia" eine Romanze, was für den sonst Action und Krimi Gucker, nicht unbedingt ideal war. Doch die beiden Frauen überstimmten ihn gnadenlos.

Nach einiger Zeit wand Sonja sich wieder Live zu. ,,Mir fällt gerade wieder ein. Ich wusste gar nicht, dass Alexa und du euch vertragen habt, ich dachte du hasst sie." Verwirrt schaute Live sie an. ,,Hassen ist gar kein Ausdruck, wie wäre es mit verabscheuen?" Nun war es an Sonja verwirrt drein zu blicken und Live überkam ein mulmiges Gefühl. Frank stoppte den Film und schaute nun zu Live. ,,Nun, wir dachten uns ihr hätten euch ausgesprochen, da sie gerade vom Haus kam und in ihren Wagen stieg, bevor wir heim gekommen sind." Verwundert schaute Live die beiden an. Abgesehen davon, dass es sowieso nicht ihr Stil war, machten die beiden definitiv keinen Witz. Doch wenn Alexa hier gewesen war, was hatte sie dann gemacht? Warum hatte sie nicht einfach geklingelt, schließlich hätte Live dieses Geräusch auch unter der Dusche noch gehört. Dann fiel es ihr jedoch wie Schuppen von den Augen. Die Blicke in der Schule, dass Alexa sie provozierte, dieser Streit um Kader. Vermutlich hatte sie geglaubt Live hätte etwas mit ihm und wollte einfach nur wissen, ob er bei ihr war. Dieses Miststück. Reichte es ihr nicht, dass sie Live schon in der Schule auf die Nerven ging, musste sie nun auch noch bei ihr zuhause aufkreuzen? Schnell räusperte sie sich und blickte die beiden ernst an. ,,Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was sie hier wollte. Wir haben nicht geredet und versöhnt habe ich mich definitiv auch nicht mit ihr, abgesehen davon, dass ich das auch nicht wollen würde. Nicht nachdem sie sich die Sache mit dem Video geleistet hat. Es ist eine Sache mich zu beschimpfen und mir das Leben schwer zu machen, aber ... mich reden noch immer Leute darauf an. Weil sie es lustig finden und dabei verstehen sie es nicht einmal! Diese ganzen Leute da in der Schule wissen nicht einmal, was wirklich passiert ist! Sie haben nur dieses dumme Video gesehen und denken sofort, sie würden mich und meine Lebensgeschichte kennen." Die letzten Worte platzten nur so aus ihr heraus. Live hatte gar nicht so viel von sich und ihren Gefühlen preisgeben wollen. Doch als sie nun aufblickte und in die Gesichter von Sonja und Frank blickte sah sie nur Liebe. Kein Mitleid, keine Trauer, sondern viel mehr Neugier. Und Live stieß beruhigt ihren Atem aus. Das war das Schlimmste für sie, wenn Leute sie bemitleideten. Wenn sie Live anschauten, als wäre sie ein Exot, der jeden Moment in sich zusammenfallen würde, wenn man sie nicht richtig behandelte oder zu harte Worte aussprach. Doch das war sie nicht. Live war nie schwach gewesen, sie hatte irgendwann nur einfach aufgegeben.

Aufgebracht fuhr er sich durch die Haare. ,,Und deshalb, wird dich nie jemand lieben!" ,,... nie lieben." Die Worte schwirrten in seinem Kopf umher und hinterließen ein einziges Chaos. Holly hatte recht. Niemand liebte ihn, niemand wollte ihn, nicht einmal seine Mutter und bei Live, dem einzigen Mädchen, welches ihn je wirklich interessiert hatte, hatte er es auf jeden Fall gründlich verbockt. Er wusste, dass es dumm war auf ihre Worte zu hören, doch die Wut hatte ihn wieder voll im Griff. Dennoch war er kurz nachdem Holly gegangen war zurück in sein Auto gesprungen und raste nun im strömenden Regen nach Hause. Seine Laune war nicht mehr nur schlecht, sie war geradezu unterirdisch. Holly hatte ihm heute gerade noch gefehlt. Live nervte ihn in Gedanken, Inka riss ihn aus dem Bett, wenn er sich einfach nur verkriechen wollte, seine Mutter ... machte ihn einfach schon viel zu lange wütend und Holly, hatte ihm im Endeffekt einfach nur den Spiegel vorgehalten. Kader vergraulte alles und jeden, aber diese Wahrheit versuchte er vor sich selbst fern zu halten. Und bisher hatte das auch wirklich sehr gut funktioniert. Denn tief im Herzen war er noch dieses kleine verletzte Kind, welches von heut auf morgen pllötzlich von seinem Vater und kurz darauf quasi auch von seiner Mutter verlassen worden war. ,,Fuck! Man lasst mich doch einfach alle in Ruhe!" aufgebracht brüllte er in seinem Wagen los. Doch niemand würde ihn hören und viel zu schnell kam die Villa, in welcher er schon so lange lebte in Sicht. Kurz ließ er noch einmal seine Gedanken zu Live schweifen. Nein, sie würde nicht an ihn denken, vermutlich war sie glücklich darüber, dass er wieder aus ihrem Leben hinaus war. ,,Du bist eben doch wie alle anderen!" Kraftlos sank seine Stirn auf das Lenkrad, als der Wagen zum Stehen kam. Er hatte es vergeigt, er hatte das einzige Mädchen, welches wahrscheinlich das erste mal in seinem Leben wirklich ihn gesehen hatte vergrault. ,,Schluss jetzt! Bei Live kann ich mich auch später noch entschuldigen und sie wird mir verzeihen, irgendwann!" damit schloss er das Mädchen wieder zurück in sein Herz, konzentrierte sich darauf zu atmen und rannte im Regen schnell zur Haustür. Seine Mutter würde vermutlich bald da sein und dafür musste er sich auf jeden Fall noch mental vorbereiten, denn eins wollte Kader definitiv nicht. Dieser Frau zeigen wie sehr sie ihn verletzte, wie sehr sie ihm immer wieder durch den Kopf geisterte, obwohl sie ihm den Rücken zugedreht hatte. Fluchend schüttelte er den Kopf und stellte fest, dass er schon wieder daran dachte wie er sie am besten beeindrucken konnte.

Mit einem leisen Knarren sprang die Tür auf und dann stand er plötzlich einer Frau in schwarzer Designerhose mit weißer Bluse und kleinen Absatzschuhen gegenüber. Ina White trug wie immer ihre langen blonden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zurück gekämmt und ihre grünen Augen fixierten sofort Kader, ehe ihr Blick, wie immer sofort zur Seite wanderte. Wenn man mit dieser Frau nicht schon Jahre verbracht hatte, könnte man fast glauben, sie schaue ihn an, doch wenn man genau wusste, dass sie nie mit Kader sprach, beziehungsweise so gut wie nie, dann entdeckte man, dass diese Frau eigentlich nur die Wand neben ihm anstarrte. ,,Mom!" überrascht und mit etwas geöffnetem Mund stand er vor ihr. Sofort fühlte er sich in seinen nassgeschwitzten Trainingsklamotten zu underdressed für diese Frau. Mit einem kurzen Kopfnicken wand sie sich ab und lief zurück zu Jon, welcher freudestrahlend zu Kader winkte und sich dann voller liebe ihrer Mutter zuwendete. ,,Hallo, mein kleiner Engel und wie läuft die Schule?" ihre Stimme hatte sich seit den vielen Jahren kein bisschen verändert, noch immer war sie glockenhell und ihr rot umrahmter Mund verzog sich zu einem mütterlichen Lächeln, als sie dem kleinen Lockenkopf über die Haare fuhr und begeistert seinen Erzählungen folgte. Sofort wurde Kader kalt und seine Miene verzog sich zu einer wütenden Grimasse. Dieser Tag konnte nur noch scheiße werden und er würde am Ende bestimmt nicht der sein, welcher wieder weinte.

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