Kapitel 31
Wütend traf seine Faust wieder und wieder auf das straff gezogene Leder des Boxsackes, welchen er nun schon bestimmt seit einer halben Stunde bearbeitete. Wenn Inka meinte ihn ignorieren zu können, dann sollte sie das ruhig tun! Ist ja nicht so, dass seine Mutter heute kam und er deshalb schon genug Probleme hatte.
,,Kader komm schon, steh jetzt endlich auf! Der halbe Tag ist schon vorbei." Schnaubend drehte Kader sich im Bett um, bis plötzlich seine Decke weg war und er nur noch in Boxershorts kleidet auf der Matratze lag. Inka stand schon wieder über ihn gestemmt da und starrte nun doch eher wütend als ruhig auf ihn hinab. ,,Ich will nicht!" ,,Kader, du bist schon nicht in der Schule o.k.? Dann steh aber wenigstens auf, du kannst dich nicht ewig vor deiner Mutter verkriechen!" Seufzend stand Kader auf und begann damit sich irgendwelche Klamotten über zu werfen. ,,Schön! Aber ich werde nicht nett zu ihr sein! Ich glaube das wird ihr sowieso nicht auffallen, immerhin kann keiner ihrer Angestellten sie leiden, warum sollte es bei ihrer Familie anders sein oder?" wütend stapfte er an der Frau vorbei, welche ihn allerdings nicht weniger wütend am Arm packte und zu sich herum drehte. ,,Kader, ich weiß nicht was in dich gefahren ist, aber so wirst du nicht mit deiner Mutter reden! Ich kann sie auch nicht leiden, da gebe ich dir recht, aber dein kleiner Bruder liebt sie und du bist sein Vorbild. Bring Jon nicht in die Situation sich zwischen seinem Held und seiner Mutter zu entscheiden, denn meistens wird eher der Held dann am Boden liegen!" ihre Augen funkelten ihn an. Er hatte die Hausfrau noch nie so mit ihm reden hören. Sonst bestärkte sie ihn doch auch immer, warum schien nun plötzlich alles so anders zu sein? ,,Inka? Was ist los, wieso bist du plötzlich so ruppig? Ich weiß ich habe Fehler gemacht, aber ... du hast mich sonst auch immer unterstützt." Aufmerksam musterte er die blonde Frau vor sich. Ihr Blick veränderte sich kurz zu einer traurigen Miene, ehe sie ihre Maske der Gleichgültigkeit, welche Kader jetzt erst auffiel, wieder aufsetzt und zu ihm gewandt sagt: ,,Es ist alles in Ordnung, nun mach dich fertig und versuch wenigstens mal im Haushalt ein wenig mit zu helfen!" Damit wand sie sich einfach ab und ging. Kader blickte ihr völlig überrumpelt nach. Seit wann sprach Inka nicht mehr mit ihm? Seit wann ließ sie ihn einfach so mit seinen eigenen Gedanken zurück? Seit wann ließ die kleine Frau ihn nicht mehr Teil haben an ihren Gedanken? Was hatte sie zu verbergen? Kader hatte noch nie solche Trauer in ihren Augen gesehen. Er war sich sicher, irgendwas musste vorgefallen sein, was sie belastete.
Wütend krachte seine Faust erneut in das Leder und hinterließ eine leichte Beule darin. Kader war sich sicher, dass irgendwas Inka beschäftigte. Doch nachdem er sie mehrfach versucht hatte darauf anzusprechen und sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte war er schließlich zu der Sporthalle gefahren, in der Hoffnung, da Freitag war, dass nicht so viele Leute da wären. Und Kader hatte Glück, bis auf ein paar Trainer war er völlig allein in der großen Halle mit dem grellen Licht. Schnaufend wischte er sich den Schweiß aus der Stirn. Sein Herz raste, doch seit langem waren seine Gedanken nicht mehr so klar gewesen, wie in jenem Moment. Er hatte seine Wut loswerden müssen, sonst hätte er etwas gesagt, dass er definitiv bereuen würde. Er war nicht direkt wütend auf Inka, sondern eher auf sich selbst. Sein Temperament hatte mal wieder durchgeschlagen. Doch jetzt gerade war alles still und ruhig um ihn herum. Keine Mutter, die in wenigen Stunden hier in Willow sein würde, keine Inka, die ihn merkwürdig behandelte und vor allem keine Live Kamson, welche ihn um den Verstand brachte, geisterten in seinem Kopf umher. Er fühlte sich beinahe friedlich.
Tief holte er Luft und wollte gerade zu einer nächsten Boxeinheit ansetzten, als plötzlich eine Hand seinen Rücken hinauf, über seine Arme, bis zu seinen in den Handschuhen steckenden Händen wanderte. Wie hypnotisiert folgte er dieser Bewegung, bis sie stoppte. ,,Hallo my Sweetheart." Flötete eine Stimme an seinem Ohr, bevor ihn leicht jemand hineinbiss. Seine Atem stockte und überrascht drehte er sich zu der Blondine in den engen Shorts und dem figurbetonten Shirt um. ,,Was machst du hier?" sie hatte ihm heute gerade noch gefehlt und schlagartig war es das mit der inneren Ruhe. ,,Ich liebe doch boxen, also Kader, manchmal bist du wirklich lustig." Kicherte das Mädchen ihm gegenüber und warf ihre Haare zurück. ,,Du hasst Sport!" ungläubig taxierte er sie mit seinen Blicken, als hätte sie auch nur irgendeine Ahnung, wie man richtig boxt, mal ganz davon abgesehen, dass diese Schönheit vor ihm noch nie in ihrem Leben Sport, außer dem in der Schule, betrieben hatte. Und selbst der Schulsport war für sie die reinste Folter gewesen, hatte sie danach zumindest immer herumgequengelt. ,,Ich hab dich vermisst." Entging sie seinem Kommentar, schlang die Arme um seinen Nacken und presste sich regelrecht an ihn, sodass Kader den Duft ihrer nach Kokosnuss duftenden Haare in die Nase stieg. Dieser Dufte weckte alte Erinnerungen, die er nun definitiv nicht durchleben wollte.
Sein Herz beschleunigte sich und etwas in ihm regte sich. Aber das zwischen ihnen war schon immer nur eine rein körperliche Sache gewesen, also brauchte es nicht so viel Überwindung sie einfach von sich zu schieben. ,,Holly, es ist aus. Das habe ich dir schon gesagt, ich weiß nicht was du dir von sowas hier erhoffst. Wir hatten eine schöne Zeit, aber wir wissen beide, dass es keine Liebe zwischen uns ist." Er wollte kein Arsch sein und kurz glaubte er auch sowas wie Trauer in ihren funkelnden Augen aufblitzen zu sehen, doch es stimmte, sie hatten sich beide getrennt, es war nicht nur Kader gewesen, der damit einverstanden war, nachdem er wusste, dass er mal wieder die Schule wechseln müsste. ,,Aber gegen eine Nacht spricht doch nichts, komm schon Kader. Ich weiß du willst es auch!" erneut drückte sie sich an ihn, doch dieses Mal hielt er Holly gleich auf Abstand. ,,Nein Holly, eigentlich möchte ich das nicht." Von wollen war nicht wirklich die Rede, er konnte nur einfach nicht. Allein schon, dass er mit diesem anderen Mädchen redete fühlte sich für Kader so an, als würde er Live betrügen. Was völliger Quatsch war, da die beiden weder zusammen waren, noch miteinander redeten. Vielleicht hätten sie das getan, wenn Kader nicht wie ein Feigling mal wieder den Schwanz eingezogen hätte und lieber der Konfrontation mit ihr aus dem Weg gegangen wäre. Erneut flackerte das Bedauern in ihm auf, doch die vergangenen zwei Tage konnte er nun mal nicht ungeschehen machen und bei ihr zuhause aufkreuzen würde ihm wohl kaum Pluspunkte bei Live eintragen. Kader spürte wie Holly immer mehr in den Hintergrund rückte und Live wieder einmal seine ganze Konzentration bekam. Ungläubig schaute Holly nun zu ihm. ,,Bitte? Hast du eine Neue oder was? Bin ich so leicht auswechselbar?" nun klang sie eher sauer, als darauf aus mit ihm ins Bett zu hüpfen und Kader war schlagartig wieder aus seinen Gedanken an Live herausgerissen. Verdammt, warum mussten heute nur alle darauf aus sein wütend auf ihn zu sein?
,,Holly nein, natürlich nicht. Weder das eine noch das andere. Aber wir haben uns getrennt schon vergessen? Und wenn wir diesen Fehler jetzt begehen und wieder miteinander schlafen, dann macht sich vielleicht doch noch einer Hoffnung und das wäre dann alles andere als einfach. Wir würden süchtig nach einander werden und das möchtest du doch auch nicht oder?" doch während er sprach und dabei sah wie ihr Gesicht plötzlich rot wurde, merkte Kader das er mal wieder das falsche gesagt hatte. ,,Fehler? Es war also ein Fehler mit mir zu schlafen? Ja? Kader soll ich dir dann mal was sagen? Ich könnte jeden haben, ich brauche dich nicht. Aber du wirst dir noch wünschen, du hättest mich nicht einfach so abblitzen lassen. Warte es ab, irgendwann wirst du wieder bei mir angekrochen kommen!" ihre Augen blitzten wütend auf. ,,Ich hab dir eine Chance gegeben das friedlich zu lösen, aber erinnere dich an meine Worte, wenn es so weit ist! Du wirst das alles noch bereuen. Nichts und niemand könnte dich lieben, weil du einfach viel zu besessen davon bist, die Liebe deiner Mutter zu bekommen. Aber du vergisst die Leute, welche um dich herum sind. Und warum? Weil du Kader White, dich nur für dich selbst interessierst und genau deshalb wird dich auch nie jemand lieben!" ihr Finger bohrte sich schmerzhaft in seine Brust, doch Holly gab ihm nicht einmal die Möglichkeit etwas zu erwidern, drehte sich um und stöckelte in ihren High Heels davon. In Kader hinterließen ihre Worte einen bitteren Beigeschmack und er stürzte erneut in dieses Loch aus Finsternis und Selbsthass in welchem er schon den ganzen Tag trieb.
Schreiend drehte er sich um und wollte mit seiner Hand erneut auf den Boxsack schlagen, doch plötzlich blitzte Lives Gesicht wieder vor ihm auf. Ihren Augen, wie sie ihn verletzt und traurig vor der Bibliothek angesehen hatte, dann wandelte sich die Trauer in Hass, Abscheu und Kader hielt inne. Holly hatte recht. Niemand würde ihn lieben. Nicht wenn es noch nicht einmal seine eigene Mutter konnte. Dabei wollte er inzwischen nicht mehr nur von dieser Frau geliebt werden, sondern auch von dem braunhaarigen Mädchen, mit den strahlenden blauen Augen, welches viel taffer war, als es eigentlich sein sollte. Dieses Mädchen, welches nicht vom ersten Moment an, an ihm gehangen hatte, als wäre Kader eine Trophäe, die es hieß zu besitzen. Er musste das mit Live geradebiegen koste es was es wolle oder er würde den Kampf gegen seinen Selbsthass endgültig verlieren.
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