Kapitel 22
Beide spürten, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Sie gingen lockerer miteinander um, sprachen mehr in der Schule und genossen immer mehr die gemeinsamen Nachmittage in der alten Bibliothek. Kader erhaschte öfter einen Blick hinter Lives Maske und Live bildete sich eine bessere Meinung über ihn. Vielleicht war Kader White ja doch gar kein so großer Rowdy wie er allen Glaube machen wollte. Es war erneut Dienstag und seit jenem Tag im Krankenhaus als Kader Live hatte lachen sehen war schon ein ganzer Monat vergangen. Die Zeit erschien Kader mit Live nur so zu verfliegen und bald wären schon Herbstferien. Seiner Arbeit im Kinderheim ging er pflichtbewusst nach und die Kinder liebten ihn inzwischen so sehr, dass die alte Schachtel ihn nicht mehr weg denken konnte. Noch immer meckerte die Frau viel zu sehr, doch schien es so, als würde auch sie allmählich weicher Kader gegenüber werden. Vielleicht würde Kader ja auch genau das später noch weiter machen und als Betreuer in dieser Einrichtung anfangen richtig zu arbeiten. Irgendwie hatte er das Gefühl ein wenig seiner Schuld mit seiner Arbeit dort wieder gut zu machen. Er fühlte sich seither leichter und nahm auch seine Umgebung wieder mehr wahr.
Live wusste das Kader schon wieder auf sie warten würde, doch irgendwie hatte sie es sich angewöhnt zu ihren Stunden immer ein paar Minuten zu spät zu kommen um Kader ein wenig zu reizen. Auch wenn er noch nie etwas deswegen gesagt hatte wusste Live, dass er noch immer Angst bekam sie würde nicht erscheinen. Sein Blick verriet ihn. Innerlich machte es ihr einfach zu viel Spaß ihn zu ärgern, um es sein zu lassen. Natürlich würde Live dies nie zugeben, aber sie war sich sicher, dass Kader es irgendwie wusste. Grinsend riss sie ihm die Zigarette welche er sich gerade erst frisch angezündet hatte aus der Hand, bevor er auch nur einen ordentlichen Zug hatte nehmen können, warf sie auf den Boden und trat diese schnell aus. ,,Rauchen ist schädlich!" war alles was sie dazu sagte und lief an ihm vorbei die Treppe hoch. Maulend folgte Kader ihr und holte schließlich auf, um neben Live herzulaufen. ,,Weißt du eigentlich was das für eine gute Marke war?" aufgewühlt starrte er sie an. ,,Nö, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen oder?" mit hochgezogener Augenbraue wand sie sich ihm zu. Lachend schüttelte er den Kopf. ,,Ich weiß es eigentlich auch nicht, aber ... seit wann sind wir den so kontaktfreudig?" grinsend stupste er sie an und entlockte Live somit ein kleines Lächeln. ,,Wenn das für dich kontaktfreudig war, dann frage ich mich wie deine ehemaligen Eroberungen wohl an dich geraten sind. Oder läufst du allen Mädchen nach, die eher zurückgezogen leben und nicht sofort hüpfen wenn du etwas sagst?" Schamlos schaute sie ihn an und brachte Kader somit zum Stehenbleiben. ,,Live ..." er wusste nicht was er sagen sollte. Merkte jedoch, dass sich ihre Stimmung sichtlich geändert hatte also versuchte er das Gespräch schnell auf den Unterricht zu lenken, was sie augenblicklich milde zu stimmen schien. Manchmal hatte Kader das Gefühl bei Live einfach alles falsch zu machen, sobald er auch nur den Mund öffnete. Sie verwirrte ihn und spielte manchmal mit ihm, das erkannte Kader an dem belustigten Funkeln in Lives Augen, doch oftmals konnte er nicht wirklich unterscheiden, wann sie nur so tat oder wann sie wirklich wütend auf ihn war.
Wie dämlich! Warum hatte sie das gesagt? Live war doch nicht eifersüchtig auf diese anderen Mädchen, die sich ihm in Gruppen um den Hals warfen und nach Kaders Aufmerksamkeit buhlten, ja geradezu danach lechzten auch nur für einen Moment seine Augen auf sich liegen zu haben. Zumindest war es ja früher so gewesen und auch in der Schule machte keine der Damen einen Hehl daraus wie anziehend sie Kader fanden. Doch seit Kader in Willow lebte hatte sie ihn nie mit einem anderen Mädchen gesehen. Keine außer ihr und irgendwie freute Live das, während es sie gleichzeitig verwirrte. Vielleicht hatten sie ja doch eine besondere Bindung. Live könnte diesen Gedanken inzwischen auch fast genießen, würde nur nicht immer das Bild eines kalten, dunklen Kellers in ihr aufblitzen. Ihre Vergangenheit ließ sie seither nicht mehr aus ihrem Klammergriff und egal wie sehr Live sich in Arbeit stürzte, sie schrie noch immer jede Nacht, raubte nicht nur sich, sondern auch Sonja und Frank ihren Schlaf. Sonja hatte sich nicht noch einmal zu Live gelegt oder versucht zu beruhigen, doch Live war dazu übergegangen ihre Adoptivmutter zu umarmen und ihr auch im Haushalt immer wieder zu helfen, wenn sie nicht gerade bei Kader war oder auf Arbeit. Live verbrachte mehr Zeit zuhause und ließ auch langsam etwas mehr Gefühle diesen beiden Menschen, welche sie ohne weiteres akzeptierten, zu. Irgendwie ersehnte sich Live diese Nähe zu ihr, doch das auszusprechen, dafür war sie noch nicht bereit. Dachte noch immer an ihr töchterliches Vertrauen, welches so schamlos vor langer, langer Zeit missbraucht wurde. Doch nun hatte sie eine neue Familie, eine die sie liebte. Es war Zeit endlich weiter zu leben und endlich zu akzeptieren, dass sie frei sein konnte.
Denn bis vor diesem einen Schrei seit Monaten, hatte Live in diesem großen Haus eher für sich gelebt und Sonja oder Frank hatte sie nie bedrängt zu reden. Würden es auch nie tun, weil sie wussten, dass sich das Mädchen dann nur noch mehr vor ihnen verschließen würde. Doch inzwischen war Live auch dazu übergegangen mehr über sich preiszugeben und ihnen von ihrem Tag in der Schule zu erzählen oder wie sehr sie die Arbeit mit den Kindern im Krankenhaus liebte. Natürlich hatte sie den beiden gegenüber nie Lea, das kleine Kätzchen erwähnt welches sie jeden Abend besuchte, aber manchmal würde sie die beiden gerne darum bitten die Kleine mitbringen zu dürfen. Genauso wie Live den beiden ihre Nachhilfestunden mit Kader verschwieg. Warum sie das genau machte, wusste sie nicht, aber aus irgendeinem Grund, wollte Live nicht, dass die beiden wusste, dass sie sich mit einem Jungen traf. Nicht, dass zwischen ihnen etwas vorgefallen war und es würde auch nie zu etwas werden, das versuchte sich Live zumindest einzureden. Aber dennoch nahm sie sich vor zumindest Lea bald einmal zu erwähnen. Sie musste vorwärts gehen und konnte nicht für jeden Fortschritt wieder zwei Schritte zurück machen. Bald, erst ein paar kleine Schritte machen und dann immer größere! Beruhigte sie sich selber und nahm plötzlich Kader wahr, welcher mit seinem Gesicht genau vor ihrem verharrte.
,,Ähm ..." war alles was sie nervös herausbrachte. Aufmerksam musterte Kader das Farbspiel ihrer Augen, wie sich langsam dunkles Blau mit hellerem vermischte und dann lag sein Blick auf ihren Lippen. Seit dem Tag im Krankenhaus, als sie ihn berührt hatte sehnte er sich nach ihren Lippen und fragte sich wie sie reagieren würde wenn er sie einfach küsste. Vor seinem inneren Auge hatte er diese Szene immer wieder abgespielt, doch es war einfach nicht vergleichbar mit einem echten, reellen Kuss. Seine Augen huschten wieder zu ihren hoch und als er die Angst und Panik darin sah verflogen alle Gedanken welche er soeben gehabt hatte. Räuspernd setzte er sich wieder auf. ,,Ich wollte wissen ob das Ergebnis richtig ist, aber ... du hast nicht reagiert!" einfach weitermachen, so tun als hätte er sie nicht gerade küssen wollen, das erschien ihm in diesem Moment das Beste zu sein. Kurz glaubte er sowas wie Sehnsucht in ihrem Blick aufflackern zu sehen, doch da musste er sich getäuscht haben. Live hatte nie etwas getan um ihre Abneigung ihm gegenüber zu verbergen und auch wenn sie in den letzten Wochen zu nettem Geplänkel übergegangen waren war es eben auch nur das, ''nett" und nicht mehr. Sie hatte nie solche Anzeichen gemacht, dass sie mehr haben wollen würde oder dass sie ihn auch nur mögen würde. Zumindest mehr mögen würde, als nur mit ihm in der Schule zu sitzen und zweimal die Woche Nachhilfe zu geben. Trotzdem erinnerte er sich schlagartig an ihre Worte in seiner ersten Nacht im Krankenhaus. Sie hatte ihn freigeben wollen und dennoch saß sie nun hier, unterhielt sich mit ihm und lachte sogar ab und an über einen dummen Witz, den Kader nur riss um ihr dieses faszinierende Lächeln abzuringen.
Natürlich, er wollte nur die Aufgaben weiter machen. Wie dumm zu denken er hatte sie küssen wollen. ,,Du hast es dir aber gewünscht!" trällerte die leise Stimme in ihrem Inneren ,,Nein, habe ich nicht! Er ist Kader White und ich werde nicht ein weiteres Mädchen, das ihm sabbert hinterher rennt! Ich habe bestimmt keine Lust nur irgendeine Trophäe zu sein. Bestimmt hat Kader schon genug Herzen gebrochen, da braucht er mein halb verdorrtes gar nicht mehr." herrschte Live sich selbst an und ließ keinen Platz übrig für Widerspruch. Nervös rieb Live sich die Hände und nahm seine Unterlagen zu sich. Alles richtig! Verwundert schaute Live zu ihm auf und sah noch für einen Bruchteil der Sekunde sein schiefes Grinsen. Er hatte sie verarscht von vornherein! Wurde ihr schlagartig klar, denn so dumm, wie Kader sich noch vor ein paar Tagen angestellt hatte, da konnte er diese Aufgaben gar nicht alle perfekt gelöst haben. ,,Du bist gar nicht so dämlich, du tust nur so!" wütend sprang Live auf und musste sich beherrschen nicht laut zu schreien. ,,Live ich ..." doch ihm fielen keine Worte ein. Hatte er dieselbe Situation nicht gestern schon mit Inka gehabt?
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