Kapitel 21

Kader wünschte sich Live käme wieder zurück, noch ehe sie vollends im Flur verschwunden war. Er wollte, dass sie mit ihm redete. Von ihm aus konnte Live ihn auch anschreien, anbrüllen oder verletzen, aber ihn dort nur nicht alleine lassen. Nicht nachdem sie ihn dazu gebracht hatte seine Mutter zu erwähnen. Seine Mutter welche es nicht einmal interessierte wenn er grün und blau geschlagen zuhause vor sich dahin welkte. Er bekam gar nicht mit, dass in der Zwischenzeit jemand in den Raum gekommen war. ,,Was soll ich nur mit dir machen?" seufzend schaute Inka zu ihm und in dem Moment fühlte er sich schlimmer als wenn Live ihn abblitzen ließ. Er hatte sie enttäuscht, immer und immer wieder. Kader wollte so sehr die Aufmerksamkeit seiner Mutter, obwohl er wusste, dass dies niemals geschehen würde. Dabei vergaß er völlig die Liebe und Fürsorge dieser anderen Frau, welche schon immer da gewesen zu sein schien. Die ihn gehegt und gepflegt hatte, als es eigentlich seine leibliche Mutter hätte tun sollen. Irgendwann würde es auch der Hausfrau zu viel werden wurde ihm schlagartig bewusst. Und er fürchtete sich mehr vor dem Tag, wenn Inka gehen würde, als den Rest seines Lebens nie wieder etwas von seiner Mutter zu hören. Er liebte diese rundliche Frau, welche ihn zum Lachen brachte, wenn Kader glaubte die Welt würde untergehen. Die ihn nicht behandelte wie ein kleines bockiges Kind, obwohl er sich so benahm. Inka war für ihn mehr als einfach nur ein Hausmädchen, es würde nie jemand besseren geben und er würde alles tun, um dieser Frau zu geben, was sie verdiente. Denn Inka war in den Jahren mehr zu einer Mutter, als einer Angestellten geworden und er würde ihr jeder Zeit das Herz zu Füßen legen. Er vertraute ihr und nichts und niemand konnte das je ändern. ,,Es tut mir leid, ich wollte nicht ..." doch er wusste nicht wie er den Satz beenden sollte. ... sie nicht enttäuschen, ihn nicht schlagen, niemandem eine Last sein, ... ,,Lass uns einfach fahren!" mit einer knappen Kopfbewegung scheuchte die kleine Frau ihn aus dem Raum und dort sah er Live gerade noch mit ein paar Kindern davon laufen.

Die Kinder lachten, strahlten und schauten voller ... Freude, nein voller Liebe zu Live auf. Ob sie dies wusste? Fragte sich Kader und versuchte diesen Moment festzuhalten. Live schien so befreit zu sein in ihrer Nähe. Gemeinsam wirkte diese Gruppe wie in ihrer eigenen kleinen Welt. Und dann als würde sie ihn spüren wand Live Kader ihr Gesicht zu. Ihre Blicke trafen wie so oft aufeinander, als würden sie sich immer im Wissen des anderen suchen, doch wenn sie sich dann trafen verschwand der selige Ausdruck in Lives Gesicht, noch bevor sich ihre Blicke und sie selbst sich ineinander verlieren konnten. Doch nicht heute. Lächelnd wand sie sich nur wieder den Kindern zu und Kader stockte das Herz. Sie sah so glücklich und befreit aus, ganz anders als er sie sonst kannte. Für einen kurzen Moment hatte er einen Blick hinter ihre Maske werfen dürfen. Sein Herz machte einen Sprung, als er ihre zu einem sanften Lächeln geschwungenen Lippen betrachtete und eine ruhige, lauernde Wärme breitete sich in ihm aus. Kader hatte noch nie etwas so schönes gesehen und wünschte er sich, dass Live ihre Maske nie wieder in seiner Gegenwart tragen würde. Er wollte mehr über dieses mysteriöse Mädchen herausfinden, welches ihm seit dem ersten Tag nicht mehr aus dem Kopf ging.

,,Na los jetzt oder willst du Löcher in die Wand starren!" scheuchte Inka, welche das Szenario nicht mitbekommen hatte, ihn aus seinen Gedanken auf und zog sogar an seiner Jacke. Das war im Moment vermutlich auch der einzige Weg Kader überhaupt aus seiner Starre zu lösen. Viel zu fasziniert und gebannt war er von dem strahlenden blau in Lives Augen. Verwundert fiel Kader wieder ins Jetzt zurück und folgte der kleinen Frau. Sie sprachen kein Wort auf dem Weg zu ihrem Heim und Kader wurde zunehmends unruhiger. Inka hatte noch nie nichts gesagt und dass sie ihn nun nicht einmal anschaute machte es nur noch schlimmer. ,,Inka es tut mir leid. Wirklich! Ich wollte ... ich wollte dich nicht enttäuschen!" seine Stimme zitterte, doch vor ihr brauchte er nicht stark sein. Vor ihr konnte Kader seine eigene Maske, die auch er immer wieder aufsetzte, damit niemand die Trauer und Wut in seinem Inneren sah, fallen lassen. ,,Oh Kader, du könntest mich nie enttäuschen! Ich liebe dich wie mein eigenes Kind und ich bin so stolz auf dich. Du hast schon viel Schlimmes verzapft, das stimmt, doch du bist immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen und solange du deine Taten bereust bin ich unendlich erleichtert. Ich weiß, dass es deinem Bruder gegenüber nicht fair ist, aber du bist mir wichtiger. Weißt du, dein Bruder wuchs mit deiner Mutter zusammen auf. Sie war zwar auch wenig da, aber er bekam ... ihre Liebe." entschuldigend schaute sie kurz zu dem dunkelhaarigen neben sich, bevor ihr Blick schnell zurück zur Straße huschte. ,,Ich weiß wirklich nicht was sie hat, du bist so ein toller Junge und ..." ,,Ich sehe aus wie er. ... Ich sehe aus wie mein Vater, deshalb hasst sie mich so." Angestrengt schluckte er die Wut, welche augenblicklich wieder in ihm aufkochte herunter. Damals, als sie zusammengebrochen war, weil er uns verlassen hatte, da ... da hat sie es zu mir gesagt und ... und ich dachte sie würde es nur im Affekt sagen. Jedoch hat sich seitdem alles verändert und seit diesem Moment ist sie so zu mir. Von heut auf morgen sprach sie nicht mehr mit mir! Inka, kein Wort kam mehr über ihre Lippen. Und zuerst dachte ich sie würde einfach nur trauern. Das tat ich doch auch! Schließlich habe auch ich jemanden verloren, doch meine Wut errang die Oberhand. Bis ich sah, wie meine Mutter mit anderen sprach. Da wurde mir klar, es lag nicht an ihrer Trauer, sondern einfach an mir, meinem Aussehen, meinem ganzen Verhalten, dass ihm, diesen ... diesen Bastard, der uns einfach verlassen hat, ähnelte." stockend unterbrach er Inka. Plötzlich schien es als wäre eine Last von seinen Schultern gefallen und nur am Rande nahm er die warme Hand welche seine fest drückte war. Noch nie hatte er jemanden erzählt was er wusste, seine Mutter aber längst vergessen hatte. ,,Das ist trotzdem kein Grund mein Engel." Sie sagte noch nicht einmal etwas zu seiner Ausdrucksweise, welche Inka schon immer versucht hatte Kader auszutreiben, doch dieser eine Satz, bot Kader etwas um sich daran festzuhalten. Er hatte Inka. Und diese Frau würde ihn bis zum Ende der Welt begleiten, wenn er sie ließe.

Er hatte sie gesehen. Er hatte sie lachen sehen, befreit von allen Sorgen, dort wo sie am liebsten auf der Welt war. Doch Live störte es nicht, nein sie wünschte sich diese Frau welche ihn abgeholt hatte wäre nicht gekommen und hätte ihn noch ein wenig dort gelassen. Live hatte insgeheim gehofft, noch einmal mit ihm reden zu können, ihn zu necken, so wie sie es vorhin getan hatte. Sie sehnte sich danach ihn zu berühren und konnte einfach seine weiche Haut nicht vergessen. Seinen Duft, seine strahlenden Augen. Wieder geisterte er nur durch ihren Kopf und wie sie vorhin mit ihm gescherzt hatte. Kader fing an sie zu verändern. Doch war das gut? Live kannte keine Antwort auf diese Frage, wollte eigentlich auch gar nicht darüber nachdenken und nur das Gefühl wie sie sich bei ihm fühlte bewahren. Das erste Mal schien jemand bis auf den Grund ihrer Seele schauen zu können und Live freute sich auf den fortlaufenden Nachhilfeunterricht. Sie brauchte es, noch eine Aufgabe mehr um von dem Schreien in ihrem Kopf abgelenkt zu werden. Auch wenn seine Fragen die Wunden immer wieder erneut aufrissen, so wollte sie doch auch mehr von ihm erfahren. Live konnte die Trauer, welche in seiner Stimme, beim erwähnen seiner Mutter gelegen hatte nicht vergessen. Und wie geknickt er plötzlich gewirkt hatte. Sie hatte Kader eine solche Verletzlichkeit nicht zugetraut und irgendwie hatte er damit das Eis zwischen ihnen gebrochen. Denn Live konnte einen Menschen, nicht so zurücklassen. ,,Wieso machst du das nur mit mir Kader?" flüsternd hob Live den Blick und begegnete ihrem Spiegelbild zuhause in ihrem kleinen angrenzenden Bad. Gleich würde sie sich wieder rausschleichen um nach dem kleinen flauschigen Kätzchen zu schauen. Insgeheim hatte sie sich dafür entschieden die Katze zu beanspruchen und nun würde sie sie nicht mehr hergeben, auch wenn sie das Kätzchen noch immer dort in seiner kleinen Gasse gelassen hatte. Live traute sich nicht es einfach aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen, so wie man es damals mit ihr gemacht hatte. Auch wenn sie sich sicher war, dass die Katze ihr, hätte Live es gewollt bis ans Ende der Welt gefolgt wäre. Denn sobald das Tier Live entdeckte und hörte, kam es freudig aus dem Loch in welchem es sich versteckt hielt. Schnurrend strich es immer wieder um Lives Beine und funkelte sie mit ihren grünen Augen, die wir kleine Diamanten wirkten an. Die beiden vertrauten sich vollends.

Als Live sicher war, dass Sonja und Frank nicht mitbekommen würden wie sie aus der Hintertür in der Küche hinausschlich huschte sie sofort raus und rannte den Weg zu der dunklen Gasse. Obwohl sie nun jeden Abend herkam überfiel sie noch immer ein Schauer wenn sie in diesen schwarzen Klecks Nichts starrte. Obwohl sie wusste, dass nur Tiere, vielleicht noch andere Katzen oder auch Ratten, in der Gasse hausten, fühlte sich Live jeden Abend beobachteten, wenn sie das kleine Wesen, welches ihre Welt auf solch positive Weise verändert hatte, besuchte. Als würde in den Schatten eine Gefahr lauern, die nur darauf wartete, sich auf sie zu stürzen. Live war klar, dass dieses Gefühl nur ihrer Fantasie entsprang, doch sie konnte es einfach nicht abschütteln. ,,Lea!" leise rief sie beim Näherkommen den Namen welchen Live dem kleinen Fellknäuel gegeben hatte und als hätte es nur auf diesen Moment gewartet kam es aus der Dunkelheit geschossen und raste glücklich auf Live zu. Ihr Blick musterte Live und schien sie nur dazu aufzufordern von ihrem Tag zu erzählen. Also breitete Live das Essen welches sie mitgebracht hatte aus, kraulte das Tier zwischendurch gedankenverloren und berichtete ihr von Kader, Alexa, der Arbeit und was alles geschehen war. Die Zeit verflog dabei nur so und bald hörte Live eine Glocke schlagen. Verwundert schaute sie auf ihr Handydisplay und stellte erschrocken fest, dass es schon nach zehn Uhr war. Liebevoll drückte sie das Kätzchen noch einmal an sich, sprang auf und rannte den Weg wieder zurück in der Hoffnung, dass ihr Fehlen nicht bemerkt wurde.

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