Kapitel 19
Seit dieser ersten Nachhilfestunde waren einige Tage vergangen in denen Kader und Live kein Wort miteinander wechselten, sie hatten sich auch am Donnerstag nicht noch einmal getroffen. Besser gesagt, Kader versuchte vergeblich weiterhin Lives Interesse zu wecken, doch diese ignorierte ihn geflissentlich. Sie wollte keine weiteren Fragen von Kader, aus Angst alles würde wieder hochkommen und dass sie ihm vielleicht früher oder später doch alles erzählen würde. Alexa hatte sich ebenfalls nicht erneut geregt und es schien fasst so als würde nun auch sie Kader meiden. Gut für ihn, doch irgendwie machte ihn diese Stille, das Schweigen fast noch verrückter als dass alle sich um ihn scharrten und versuchten ihn von den Dingen abzuhalten, die er eigentlich tun wollte. Natürlich waren da noch immer die Jungs der Sportvereine, die unbedingt mit Kader abhängen wollten und auch einige Mädchen zeigten offenkundig ihr Interesse, doch Kader ließen sie völlig kalt. Doch diese Stille beschäftigte ihn. Stille bedeutete nie etwas Gutes für ihn, denn wenn sie einmal gebrochen war, dann schlug der Schmerz meistens doppelt so hart zu. Und er war sich sicher, das würden weder er, noch Live ertragen. Kader wusste nicht genau was an jenem Tag in der Bibliothek geschehen war, wieso Live plötzlich so abrupt aufgebrochen war, was er gesagt oder getan hatte, dass sie so verletzt hatte und das Mädchen ließ ihm auch keine Zeit zum fragen, sondern lief wie am Anfang wieder sofort vor ihm weg, sobald auch nur Pause war. Seufzend schaute er in der Cafeteria zu dem Mädchen, welches wie immer ihr Essen holte und sich dann klammheimlich aus dem Saal schlich. Live wurde nie von irgendjemandem bemerkt, doch Kader sah sie, ob die anderen sie einfach nur ignorierten oder warum keiner sie auch nur anschaute war ihm völlig schleierhaft. Er wusste, dass sie immer als letzte aus dem Räumen raus ging, wartete bis alle ihr Essen hatten um nicht in der Schlange stehen zu müssen und auch wie sie immer sehnsüchtig aus den Fenstern schaute um immer den Anschein zu machte nie Teil des Unterrichts zu sein. Dennoch war sie die beste Schülerin an der ganzen Schule und die Lehrer lobten sie immerzu, auch wenn einige mehrfach versuchten sie dazu zu bringen, sich mehr am Unterricht zu beteiligen. So hasste Live es zum Beispiel, wenn Herr Miller sie in Mathe immer wieder vor holte oder sie den anderen Schülern erklären sollte wie etwas ging. Doch Kader verstand nicht, wieso Live, dieses sonst eigentlich so taffe und freche Mädchen ihn nicht zu mögen schien. Nach der Sache im Krankenhaus und nachdem sie eingewilligt hatte ihm Nachhilfe zu geben, hatte Kader eigentlich gehofft, mehr über sie zu erfahren und sie öfter als nur in der Schule zu sehen. Wieder fragte er sich was für schlechte Erfahrungen sie gemacht hatte oder ob es einfach nur ihr Selberhaltungstrieb war, der Live dazu brachte niemanden an sich heran zu lassen? Immer wieder zerbrach er sich den Kopf über ihr Verhalten, doch es wollte einfach nichts im Zusammenhang mit Live Kamson passen.
Müde. Live war einfach nur müde, seit Tagen konnte sie nicht schlafen, wurde von den Monstern ihrer Vergangenheit und ihres Traumas heimgesucht. Ständig Blitzten die Bilder vor ihr auf und auch Kader geisterte immer wieder durch ihre Gedanken. Doch es war so viel leichter ihn zu vergessen. Zumindest für ein paar Minuten. Live wollte mit ihm reden, fühlte sich das erste Mal mit jemandem verbunden, doch sie wäre sein Untergang. Sie fürchtete sich vor dem, was geschehen würde, sollte sich Live ihm wirklich öffnen. Kader und ihr eigenes Temperament waren wie Feuer und Wasser, sie konnten gemeinsam helfen, würden sich aber gegenseitig verletzten, töten und schließlich vernichten. Es konnte keinen Gewinner geben und ein miteinander war völlig unmöglich. Deshalb ging Live lieber auf Abstand, als sich und ihn selbst zu verletzen. Das hätte sie schon an jenem Tag machen sollen, als sie es ihm im Krankenhaus gesagt hatte. Doch gleichzeitig verzehrte es sie immer mehr nach ihm. Kopf schüttelnd versuchte Live sich nun auf die letzte Schulstunde zu konzentrieren, dann würde sie wieder auf Arbeit müssen, dann nach Hause und wie jeden Abend, seit diesem einen Tag würde sie sich nun wieder raus schleichen, zu dieser einen dunkeln Gasse, vor der es sie noch immer gruselte. Sie konnte das Kätzchen dort nur einfach nicht allein lassen. Vielleicht hätte sie es mit nach Hause nehmen sollen. Sonja und Frank hätten mit Sicherheit nichts dagegen gehabt, doch das hätte bedeutet zu vertrauen. Ihnen noch mehr Einblick in ihre Gedanken und Gefühle zu geben. Und Live war sich nicht sicher, ob sie noch mehr geben konnte und wollte. Vielleicht war das kleine Wesen aber auch genau wie sie, wollte lieber frei sein, als in einem Haus, welches ihr noch immer so fremd war eingesperrt zu sein. Sonja und Frank taten ihr leid, sie wusste die beiden meinten es nur gut mit ihr, doch Live konnte ihnen nicht mehr in die Augen sehen, nicht seit dem sie wieder angefangen hatte mit schreien, Nacht für Nacht, Schlaf um Schlaf. Sie war den beiden dankbar, dass sie nie etwas sagten, doch Live wusste, dass lauter Fragen auf ihren Zungen brannten. Einerseits wollte Live weg von dieser liebevollen Familie, weil sie es nicht ertrug diese beiden zu enttäuschen. Doch gleichzeitig fürchtete Live sich auch davor zurück ins Heim zu müssen. Selbst wenn es nur für ein paar Monate sein sollte, bis sie endlich 18 war und allein leben könnte. Für sich selbst sorgen konnte und endlich die Unabhängigkeit von allen anderen haben könnte, die sie sich so sehr ersehnte.
Sie hasste dieses Mädchen abgrundtief. Sie hatte nicht einmal mehr Begriffe dafür. Sie hasste Live dafür, dass sie wegen ihr diese Drohungen, dieses Leid durchmachen musste. Immer wieder erhielt sie diese Aufträge und langsam war es ihr zuwider was dem anderem Mädchen angetan worden war. Hätte Alexa es eher gewusst, dann hätte sie das Mädchen vielleicht anders behandelt. Und Live hätte ihr eventuell auch leidgetan, doch nicht nachdem das Mädchen sie immer wieder abblitzen lassen hatte oder auch nicht nach ihrer gemeinsamen Geschichte in der Grundschule. Nicht nach diesem einen Tag, als Live daran Schuld war, dass Alexa zum Gespött aller geworden war. Seit dem hatte sie mehr auf andere geachtet, hatte gesehen wie man sich nach ganz oben durchkämpfte. Irgendwann war es ihr egal geworden, wann und wie sie wem wehtat. Sie wollte einfach nur an die Spitze, dabei waren ihr alle Mittel recht. Und dann war dieser Typ hier aufgetaucht. Kader White! Und er interessierte sich nicht für sie! Erst dachte Alexa sie käme damit klar, aber nicht wenn dieser Kerl auch noch Interesse an dem Psycho Live Kamson zeigte. Live Kamson, die eine Familie hatte, welche Alexa nun Aufträge für sie erledigen ließ und dem blonden Mädchen so zu schaffen machte. Dabei war sie vor einiger Zeit nur einmal zu einem kleinen Besuch bei ihrem Vater gewesen, welcher im Gefängnis saß und da hatten Sie sie angesprochen. Gemeint wenn sie nicht mitspielen würde, erführe jeder dass ihr Vater Gelder der Stadt veruntreut hatte und dann wäre Alexas gesamter Ruf dahin, ihre Familie ruiniert. Es grenzte ja schon an ein Wunder, dass niemand davor erfahren hatte, doch ihr Vater hatte mächtige Freunde, welche dafür gesorgt hatten, dass nichts seiner Taten nach außen drangen. Wieder einmal war Live Kamson daran schuld, dass ihr Leben ein einziger Albtraum war. Selbst wenn Alexa ein wenig Mitleid mit dem anderen Mädchen hatte, so verflog dieser doch sofort, als Alexa daran dachte, was sie schon alles wegen Live hatte durchmachen müssen und verloren hatte.
Nach der Schule machte Kader sich sofort auf dem Weg zum Training, er brauchte es mehr denn je, er musste sich abreagieren und am liebsten würde er es den Scheißkerlen zurück zahlen, was sie mit ihm gemacht hatten. Sein Gesicht war noch immer leicht geschwollen, doch nun waren seine Blessuren gelb und sahen einfach nur schrecklich unappetitlich aus. Seine Mutter hatte sich noch nicht einmal zu einem Anruf oder gar einer Nachricht herabgelassen um zu fragen wie es ihm ging. Vielleicht hatte sie es auch einfach nur vergessen, so wie es schon früher oft der Fall gewesen war. Und diese Tatsache hätte ihn ja nicht weiter gestört, hätte Jon nicht freudestrahlend von einem Telefonat in den letzten Tag mit ihrer Mutter gesprochen. Wie immer gefror sein Herz wenn er an diese Frau dachte und gleichzeitig fragte er sich ob diese Wut je verklingen würde, denn sie machte ihn gefährlich, aggressiv und ließ ihn Dinge tun, die er nicht beabsichtigte zu tun oder auch nur zu fühlen. Seine Schläge am Boxsack waren stark und präzise, immer auf denselben Punkt. Die Drehung der Hüfte beachten, der richtige Stand, Schultern hoch, mit den Armen die Rippen schützen und atmen. Er betete die Anweisungen seines Trainers herunter und bald war er wieder im Einklang mit sich. Nun, bis Steve plötzlich grinsen neben ihm lehnte und herabwürdigend meinte: ,,Also mit diesem Gesicht würde ich mich eigentlich nicht mehr raus trauen, du siehst echt scheiße aus, man!" Dann war er auch noch so dreist gewesen ihm auf die Schulter zu klopfen und da war Kader durchgedreht, hatte Steve erst in den Bauch geschlagen, ins Gesicht und hatte auch nicht aufgehört als er seine Nase hatte knacken hören. Dieses Mal hatte die Oberhand, denn weit und breit waren Steves Freunde, die sonst immer um ihn herum wuselten, nicht zu sehen. Steve konnte eins, große Töne spucken, aber wenn es ums Kämpfen ging, konnte er auch trotz seiner ganzen Muskeln einfach nicht mit Kader mithalten. Und so landete diesmal sein Blut auf den Matten.
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