Unangenehmes Wiedersehen (Teil 2)

„Kommandant, die Hinricht- oh, entschuldigt."

Tryson bemerkte, wie Feyjassan einen kurzen Augenblick erstarrte, als er Seths tätowierten Kopf sah. Der Magier sah den jung aussehenden Mann interessiert an, dann meinte er: „Ich entschuldige mich. Ich wusste nicht, dass der Kommandant Besuch hat."

„Oh, ich wollte gerade gehen", meinte Feyjassan gedankenverloren. Dann warf er einen bedeutungsvollen Blick zu Tryson, bei dem dieser ganz unwohl wurde. Feyjassan konnte unmöglich wissen, was er getan hatte... Doch bei den nächsten Worten sackte der Kommandant ein wenig in sich zusammen.

„Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass du dich dem Gesetz so widersetzt, Tryson."

„Was will er damit sagen?", fragte Seth an den Kommandanten gewandt. „Und wer seid Ihr überhaupt?", fügte er an Feyjassan hinzu.

Dieser ging auf die Frage nicht ein, sondern sagte: „Ihr seid ein mutierter Magier, habe ich nicht recht?"

Seth wurde sichtlich unwohl in seiner Haut. „Woher... wollt Ihr das wissen?"

„Ich habe dieses Experiment vor einigen Jahren selbst durchgeführt und habe eine faszinierende Frau dadurch erschaffen. Ihr Name ist Cynthia."

„Cynthia...", wiederholte Seth langsam und der misstrauische Glanz in seinen Augen verwandelte sich in Gier. „Sie ist wie ich?"

„Aber natürlich. Sie weist die gleichen Merkmale auf. Und ihre magischen Kräfte sind ins Unermessliche gestiegen."

Tryson erkannte, wie sehr Seth in der kurzen Zeit von dem Alchemisten bereits eingenommen war. Feyjassan war verdammt gut: Er wusste, welche Worte er zu wählen hatte, um eine bestimmte Person für sich zu gewinnen. Der Kommandant knirschte leise mit den Zähnen. Er selbst konnte Seth nicht wirklich helfen, doch Feyjassan besaß mehr Erfahrung und es wäre ein Leichtes, den unsicheren Templer auf seine Seite zu ziehen. Er musste dies unterbinden, sofort!

„Kommandant! Vielleicht kann der werte Herr mir helfen, mich und meine neuen Kräfte besser zu verstehen", rief Seth ihm eifrig zu und er schien absolut begeistert zu sein. Natürlich war er das; bisher hatte Seth geglaubt, der einzige zu sein, doch dann eröffnete sich ihm die Tatsache, dass es ein weiteres, weibliches, Gegenstück zu ihm gab.

„Auf gar keinen Fall", brummte Tryson und sah, wie sich in Seths Gesicht die Enttäuschung breit machte. „Feyjassan wollte sowieso gerade gehen... Feyjassan?"

Doch der Alchemist schien ihn gar nicht mehr zu zuzuhören. Stattdessen blickte er über Seths Schulter in den Schankraum und meinte: „Tryson. Ich heile eure Beine... wenn Ihr mir die Gelegenheit gibt, mit Nukritas zu sprechen."

Sämtliche Alarmglocken schrillten in Trysons Kopf auf. Nukritas war so oder so schon verwirrt und irritiert und konnte keinen größenwahnsinnigen Alchemisten benötigen, der ihn jetzt noch reinredete. Es genügte, wenn es einen Alchemisten in seinem Leben gab, der das tat. Außerdem war Feyjassan so geschickt und manipulativ, dass er Nukritas wahrscheinlich tatsächlich von der Kirche weglocken konnte.

„Niemals!", fauchte er deswegen.

„Wieso sind wir denn plötzlich so empfindlich, Kommandant?", fragte Feyjassan mit einem verschwörerischen Lächeln. „Läuft es mit unserem Lichtritter gerade nicht gut?"

„Seth, tu mir einen Gefallen und begleite Feyjassan nach draußen", meinte Tryson nur.

„Aber Kommandant", protestierte der Magier. „Er kann mir bestimmt einiges über mich sagen. Vielleicht kann er mir sagen, was diese Stimmungsschwankungen sind." Über die letzten Monate hinweg war es mit Seths kleinem Aggressivitätsproblem immer größer geworden. Der Magier schaffte es, wegen Kleinigkeiten die Wand hochzugehen und hatte dahingehend so ziemlich jedes Personal der Taverne bereits so sehr in Angst und Schrecken versetzt, dass ihn der Wirt persönlich bedienen musste.

„Oh, Cynthia erleidet ebenfalls gewisse... Schübe", meinte Feyjassan geistesabwesend.

„Kommandant, seht Ihr?"

„Begleite ihn nach draußen, Seth. Und du, Feyjassan, wag es nicht, auch nur ein Wort an Nukritas-Vojin zu richten!"

Seth gab einen schweren Seufzer von sich und streckte eine Hand aus. Feyjassan hob den Arm und meinte: „Ihr braucht mich nicht grob anzufassen, wie Ihr Templer es so gerne handhabt. Ich bin in der Lage, alleine den Weg zu finden. Aber Tryson... vielleicht solltest du dir mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Dein Familienname ist seit Jahrhunderten beschmutzt und es könnte nicht schaden, ihn wieder reinzuwaschen."

„Das gleiche kann man über dich sagen."

Feyjassans Lächeln war so kalt wie die vom Himmel fallenden Schneeflocken.

„Ich besitze keinen, Tryson. Du vergisst, dass meine Familie ziemlich arm gewesen ist, wenn man von dem Alchemisten-Status meines Vaters absieht."

Der Jüngere wandte ihm den Rücken zu und spazierte mit erhobenem Kopf raus. Tryson blieb wutentbrannt in seinem Rollstuhl sitzen – was anderes blieb ihm ja eh nicht übrig. Er konnte schlecht den Wunderheiler von Silva (das war so lächerlich, das man es schon fast nicht glauben konnte!) angreifen und würde sich damit begnügen müssen, mehrmals tief ein- und auszuatmen, um seine Fassung wieder zu erlangen. Seth hingegen blickte Feyjassan beinahe schon sehnsüchtig hinterher, dann räusperte er sich und fragte: „Kommandant... er hätte mir doch helfen können. Wieso hasst Ihr diesen Mann so sehr?"

„Weil er dafür verantwortlich ist, was mit mir geschehen ist", brummte Tryson und wandte den Kopf ab. Erinnerungen blitzten in seinem Kopf auf – der Tag, an dem der gute Ruf seiner Familie zerstört wurde und er als Alchemist als Verräter gebrandmarkt und zum Mutanten gemacht worden war. Es war einer der schlimmsten Tage seines Lebens gewesen und seit jeher hatte Tryson das Gefühl gehabt, niemals wirklich zu den Mutanten zu gehören. Aber diese Annahme war falsch, denn er war von ihnen sofort aufgenommen worden. Nur Grinder hatte stets einen gewissen Groll gegen ihn verspürt, doch Grinder war auch ein Sonderfall und schien von ihnen allen die meisten Gründe zu haben, die Alchemisten abgrundtief zu hassen. Tryson rollte sich ans Fenster und blickte hinaus in den Himmel. Momentan schneite es nicht und der Kommandant dachte an Seths Worte zurück, als er den Raum betreten hatte.

Die Hinrichtungen würden bald beginnen.

Der Templer wünschte sich, einige von Severins Leuten rekrutieren zu dürfen, doch die Kirche durfte sich in diese Urteile nicht einmischen. Doch eines Tages würden die Königreiche sie um Hilfe bitten, immerhin war Kreon der Gott des Rechts und gerade Gregorius würde in dieser Hinsicht viel Macht besitzen. Tryson fand es bedauerlich, das so viel großartiges Potenzial einfach weggeschmissen wurde, doch sie durften es sich nicht leisten, den Zorn eines Königreiches auf sich zu ziehen. Wenn sie als Kirche wieder erfolgreich und mächtig werden wollten, dann mussten sie das dreckige Spiel der Adeligen erst einmal eine Weile mitspielen.

Tryson hasste sie, und dabei war er selbst einmal eines ihrer Mitglieder gewesen. Man konnte es sich nicht aussuchen, in welche Familie man hineingeboren wurde, daher waren viele der Adelskinder genauso korrupt und hinterlistig wie ihre Eltern, doch einige wenige waren zu intelligent, um sich einfach formen zu lassen und fingen irgendwann an, so zu handeln, wie sie es für richtig hielten. Das gab es nicht häufig, aber gerade das Königreich Volcanius, das mit ihnen als Kirche besonders gut auskam, war das beste Beispiel dafür: Der magisch begabte Sohn war vor über fünfzehn Jahren spurlos verschwunden und galt als tot, weil er sich nicht versklaven lassen wollte und seine jüngere Schwester, Prinzessin Zvezdanka, war sowieso eine Nummer für sich. Tryson mochte sie gerne und fand, dass sie eines Tages den Thron verdient hatte.

„Kommandant?"

Tryson blickte auf und sah Nukritas in der Tür stehen. Der Junge wirkte verwirrt und der Templer fragte: „Was ist passiert?"

„Wer ist dieser Wunderheiler? Ich habe etwas Seltsames bei ihm gespürt."

Nukritas war ja generell sehr empfindlich, wenn es um seine Sinne ging und Tryson hatte gelernt, dass man denen ziemlich gut vertrauen konnte. Der Kommandant versuchte, seinen vorherigen Ärger herunterzuschlucken und antwortete: „Inwiefern seltsam?"

Der Lichtritter betrat den Raum und ließ sich in den gemütlichen Sessel sinken, verschränkte die Finger ineinander und stützte die Arme auf den Knien ab.

„Es war eine abgrundtief böse Präsenz. Und Belle ist sofort geflohen, als sie ihn gesehen hat. Ich habe das Gefühl bekommen, der Mann ist zu keiner guten Tat fähig."

„Feyjassan ist die kaltherzigste, egoistischste und übelkeitserregenste Person, die ich jemals in meinem Leben kennenlernen durfte", erklärte Tryson mit langsamer Stimme. „Er hat Dinge getan, die man sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen kann. Er arbeitet nur für sein eigenes Wohl unter hinter jedem Wort, das er spricht, und jeder Geste, die er macht, steckt ein bis ins kleinstes Detail durchdachter Plan."

Nukritas schwieg und blickte auf seine Hände.

„Was hat er zu dir gesagt?", wollte Tryson wissen.

Der junge Paladin druckste ein wenig herum und zögerte, doch dann antwortete er: „Er sagte mir, er versteht meinen Zwiespalt und kann mir helfen."

„Nukritas. Feyjassan ist ein Alchemist", sagte Tryson. „Ich gebe zu, er ist unheimlich talentiert und intelligent, aber er wird dir nicht helfen können. Niemand kann das. Du musst für dich selbst herausfinden, wer du sein willst."

„Oder was...", murmelte der Angesprochene vor sich hin.

„Du bist ein Lichtritter. Das kann dir keiner mehr nehmen, Nukritas", antwortete Tryson. „Genau wie ich ein Mutant bin und mir das niemand mehr nehmen kann. Und anstatt Trübsal zu blasen, solltest du lernen, das Beste aus deiner Situation zu machen."

„Das Beste?" Nukritas hob den Kopf und blickte ihn fragend an.

„Das Schattenreich muss eine wahnsinnige Angst vor dir haben. Du kannst nämlich ihre Kraft nutzen. So etwas konnte kein Lichtritter vorher und genau das macht dich zu ihrem mächtigsten Mitglied. Kein Schattentänzer konnte die Mächte der Himmelsebene für sich nutzen, du hingegen besitzt keine wirkliche Schwäche gegenüber einer Schattenbestie. Du bist ganz klar im Vorteil und das bei jedem Kampf."

Tryson konnte regelrecht sehen, wie der Lichtritter anfing, intensiv darüber nachzudenken. Wahrscheinlich war das ein Punkt, den er noch gar nicht bedacht hatte und der Kommandant lächelte leicht. Anstatt das Schlechte in einer Situation zu sehen, sollte man die positiven Sachen herausfiltern und sogleich wurde es einem leichter ums Herz.

„Denk mal darüber nach", meinte Tryson zum Schluss. Und genau das würde Nukritas auch tun. Feyjassan hielt sich zwar für jemanden, dem niemand das Wasser reichen konnte, doch er vergaß, dass auch der Templerkommandant in seinen über zweihundert Lebensjahren einiges an Erfahrung gesammelt hatte.

...allerdings hatten das die meisten der heute noch lebenden Mutanten. Die meisten von ihnen waren alleine aufgrund ihres hohen Alters so gefährlich. Es gab schon einen Grund, wieso man sie damals während der Aufstände beinahe alle getötet hatte. Denn im Endeffekt waren sie nichts anderes als Waffen, die man richtig einsetzen musste. Ein einziger Mutant konnte so einiges anrichten – er selbst war das beste Beispiel dafür, denn vor einiger Zeit hatte kein Templerkommandant so viel Macht in der Kirche besessen, wie er selbst.

„Die Hinrichtungen beginnen bald. Willst du sie dir ansehen?"

Nukritas fuhr sich mit einer Hand über den Nacken. Zuerst schien er ablehnen zu wollen, doch dann nickte er langsam.

„Ich will hingehen", sagte er mit leiser Stimme, jedoch mehr zu sich selbst als zu dem Alchemisten. „Ich will die Gesichter derjenigen noch einmal sehen, die meinetwegen sterben werden."

Dann stand er auf und ging, wahrscheinlich, um sich seinen Mantel zu holen. Tryson blickte ihm eine Weile hinterher. Nukritas war so... erwachsen geworden. Vor allem innerhalb der letzten Monate war dem Templer das schon aufgefallen, doch nun stach es deutlich hervor. Nukritas dachte mehr nach, wirkte nicht mehr so impulsiv und unsicher wie am Anfang und schaffte es sogar, seine Entscheidungen gut durchzusetzen, aber auch abzuwägen, was er unternehmen durfte und was nicht. Er achtete auf das gemeinschaftliche Wohl der Kirche, sorgte sich um jedes einzelne Mitglied und nahm mehr und mehr eine Vorbildfunktion ein. Gerade seit dem Kampf mit Severin hatte er gewaltige Sprünge gemacht und auch, wenn er jetzt ein wenig verunsichert war, würde sich das schnell wieder legen. Tryson besaß nicht die intensive Beziehung zu dem jungen Paladin wie Gregorius es tat, doch in den wenigen Jahren war ihm Nukritas ans Herz gewachsen. Er selbst hatte eine Menge Anführer in der Kirche erzogen und ausgebildet und wusste, woraus es ankam und man achten musste.

Am Anfang hatte der Kommandant schon seine Zweifel gehabt, ob sich der junge Lichtritter zu einem guten Anführer mausern würde, doch jetzt konnte er mit Gewissheit sagen, dass Nukritas in wenigen Jahren wohl einer ihrer besten sein wird. 

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