Stadtunter (Teil 4)
Sie trugen ihre Masken nicht und nun sah sie endlich deren wahres Äußeres: Ein großer, gebogener Schnabel brach aus einem Kopf hervor, der grausiger nicht hätte sein können. Hautfetzen und –lappen hingen von ihm herunter und schlackerten wild umher, Bäche aus Blut und Wundflüssigkeit brachen immer wieder hervor und ergossen sich über den hornigen Schnabel, dessen Schneiden gezackt waren, sodass sie noch viel mehr Schaden anrichten konnten. Ein paar vereinzelte, verkümmerte Federn standen von der Haut ab, als wäre sie viel zu groß und die Wesen müssten erst noch reinwachsen, ihre Augen waren klein und aus der Entfernung kaum zu erkennen. Ihre verkrüppelten Körper waren mit Federn bedeckt, sie gingen gebückt und ihre langen Arme schleiften bei einigen sogar auf dem Boden, endeten in gewaltigen Klauen mit spitzen, schwarzen Krallen. Die Monster wirkten so grotesk, dass sie unmöglich auf natürliche Art und Weise entstanden sein konnten und sie schienen keine Angst zu kennen, denn sie stürzten sich in die Reihen der Elfen. Eve sah, wie eines der Wesen, aus dessen Arme lange Federn rausbrachen und sie wie Schwingen aussehen ließen, einen von ihnen packte und ihm im Handumdrehen das Genick brach und ihn dann wie einen leeren Sack einfach hinter sich warf. Dann legte der Vogelmensch den Kopf in den Nacken und er schrie markerschütternd, während ein erneuter Blutschwall aus unsichtbaren Wunden herausbrach und sein Federkleid einsaute.
Es waren nur fünf Stück, doch diese fünf schienen die Schlacht zugunsten von Collis noch entscheiden zu können. Die Soldaten standen wenige Wimpernschläge schockiert da, doch als sie erkannten, dass diese Monster auf ihrer Seite standen, griffen sie mit neu erwachtem Mut an und begannen, die Elfen langsam, aber sicher wieder zurückzudrängen. Eve tauchte in der Menge unter, verschwand im Schatten und kam wieder hoch, nutzte Lumens magische Kräfte, um sich selbst stärker, schneller und geschickter zu machen, um so viele Soldaten in kurzer Zeit auszuschalten und den Wildelfen ihren Vorteil wiederzugeben. Plötzlich spürte sie, wie sie beobachtet wurde und selbst Lumens Warnung kam zu spät, als sie plötzlich eine Klaue an der Schulter packte und aus dem Gleichgewicht riss. Eve spürte einen Schlag gegen ihren Geist, Lumen schrie panisch auf und verstumme anschließend ganz. Die Assassinin schaffte es ohne ihre Hilfe nicht, das Gleichgewicht zu behalten und stürzte, riss sich die Handflächen an der aufgebrochenen Rüstung eines Leichnams auf, hielt ihren Dolch aber fest umklammert.
Verschreckt sah sie hoch und erkannte einen der Vogelmenschen direkt über sich stehen, die Augen glühten in einem unheilvollen Rot und ein tiefes Grollen entkam seiner Brust. Eves Lippen formten lautlos ein Oh, verdammter Mist, dann rappelte sie sich auf und versuchte, Lumen zu erreichen, doch sie hörte nur ein schwächliches Jammern seitens der magischen Tätowierung. Das Monster kreischte schrill und fing an, ihr nachzustellen; es mähte sämtliche Soldaten in seinem Weg nieder, achtete nicht mehr auf Verbündete oder Feinde, sondern schien sich voll und ganz auf die Schattentänzerin zu fokussieren. Sein Blick stach in ihrem Nacken und Eve schlängelte sich durch die sich ständig bewegende Menge, Schweiß rann ihr über die Stirn und sie schaffte es nicht, einen Schatten zu finden, in dem sie sich verstecken konnte. Dieses Monster schaffte es irgendwie, die Magie ihrer Tätowierung zu unterdrücken und Eve wusste, dass sie, ausgelaugt vom bisherigen kämpfen, es körperlich nicht mit ihm aufnehmen konnte.
Panik ergriff sie, als sie erkannte, in was für einer Gefahr sie sich befand und sie fragte sich, was, bei den Phantomen im Schattenreich, Feyjassan da nur erschaffen hatte. Eve rannte weiter, keuchte schwer, doch sie spürte das Monster immer näher und näher kommen. Hatte Feyjassan ihr den Namen seiner Erschaffung verraten? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, doch es schien eine Art... Magierjäger zu sein.
Magierjäger.
Eve konnte es sich nicht leisten, stehen zu bleiben, aber sie dachte an Nyrociel. Sie war ebenfalls eine Magierin und wahrscheinlich machten die meisten der Vogelwesen auch Jagd auf sie und Eve verfluchte sich, ihr nicht helfen zu können, doch sie hatte ihr eigenes Problem, das es zu meistern gab. Hinter sich hörte sie Assassinin, wie der Vogelmensch zu einem Sprung ansetzte und im nächsten schon wurde sie unter eine Masse von Federn, schleimiger Haut und Blutfetzen begraben. Eve hustete, der widerliche Geruch der Wesen stieg ihr in die Nase, ein Würgen kam aus ihrer Kehle und sie streckte die Arme blind von sich und hieb mit dem Dolch auf das ein, was sich ihr im Weg befand. Ein Knurren ertönte über ihr und die Schattentänzerin öffnete die Augen einen Spalt weit, als das Gewicht von ihr nachließ. Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Brustkorb und nahm an, dass mehrere Rippen gebrochen waren. Schwer atmend lag sie auf der Seite, zusammengekauert wie ein Embryo, mit Schmerztränen in den Augenwinkeln. Lumen war nutzlos, solange der Vogelmensch sie in Beschlag nahm und niemals hatte Eve sich so hilflos und schwach gefühlt, wie in diesem Moment. Sie hatte immer geglaubt, sich aus jeder Situation irgendwie rauswinden zu können, doch dieses Mal glaubte sie, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Sie drehte sich auf den Rücken und starrte dem Vogelmenschen direkt in das hässliche Gesicht. Dieser holte mit einer Klaue aus und rammte sie um Eves Taille; sie war so groß, dass sich die Krallen links und rechts von ihr in den Stein bohrten und als die Assassinin Druck auf ihrem Bauch spürte, stieß sie schockiert aus: „Nein! Da ist mein Baby drin! Das Baby deines Meisters!" Sie wusste nicht, was sie dazu trieb, diese Worte rauszuschreien, wieso sie Feyjassans Vaterschaft erwähnte, doch das Wesen hielt tatsächlich einen Moment inne und schien zu zögern. Eve atmete schwer und starrte den Vogelmenschen weiter an, der sie immer noch am Boden festhielt, aber nun den Kopf zu Seite neigte. Das rote Glühen überdeckte die Augenfarbe beinahe ganz, dennoch erahnte Eve die stechend gelbe Iris, mit blauen und grünen Sprenkeln drin, was eigentlich wunderschön aussah, doch die Assassinin hatte momentan nicht den Kopf dafür, das einzig Schöne an dem Monster zu bewundern. Diese Vogelmenschen schienen die menschliche Sprache also zu verstehen – das hätte Eve sich aber auch denken können, immerhin gehorchten sie Feyjassans Befehlen und der sprach ja auch nicht plötzlich eine andere Sprache.
Doch gleichzeitig... Eve sah, wie das rote Glühen ein wenig nachließ und der Vogelmensch den Griff um ihren Bauch ein wenig lockerte, als wolle es dem Kind nicht schaden. Instinkte schienen bei den Monstern also auch zu funktionieren, jedoch...
„Du bist ein Weibchen", stieß Eve aus und hätte auflachen können. Welches andere Wesen würde eine schwangere Frau sonst verschonen, oder zumindest zögern? „Du bist ein Weibchen..." Sie legte sich eine Hand auf die Augen und spürte die salzigen Tränen auf ihren Wangen. Zuvor hatte sie das Baby noch verflucht, doch der Gedanke daran, es zu verlieren, hatte sie entsetzt und so verzweifelt gemacht, dass sie nichts anderes mehr hatte tun können, als das Monster um Gnade zu bitten.
Und es hatte funktioniert.
Der Vogelmensch – die Vogelfrau – ließ Eve zögernd los und trat einen Schritt zurück. Auch wenn es ein Magierjäger war und stark von irgendwelchen Trieben geleitet wurde, selbst ein solch grausiges Monster hatte doch noch einen gewissen Instinkt, dem es folgen musste. Und ein Baby zu töten war für die meisten undenkbar und in diesem Moment war Eve froh über die Schwäche der Tierwelt. Sie schaffte es trotz ihrer gebrochenen Rippen, sich langsam aufzurichten und wusste, dass sie nur in Sicherheit war, solange kein Männchen auf sie aufmerksam wurde. Doch die Vogelfrau selbst kam nun zu ihr, das Rot in ihren Augen war vollends erloschen und zögernd stupste sie mit ihrem Schnabel Eves Bauch an, als wolle sie fragen, ob da wirklich etwas drin steckte.
„Ja", hauchte die Schattentänzerin und legte ihre Hände auf ihre Bauchdecke. Ein Gurren ertönte aus der Kehle des Weibchens und es schien sich zu freuen. Eve hätte sie Situation mit Sicherheit sehr ulkig gefunden, wie sie mitten in einer Schlacht stand und sich mit dem Monster unterhielt, das sie vor wenigen Momenten noch hatte töten wollen, doch sie blickte an der Vogelfrau vorbei und ihre Gesichtszüge entglitten ihr.
Nyrociel stand umringt von den vier anderen Monstern. Sie wirbelte ihren Stab herum und schlug einem damit auf den Kopf, blutete aber bereits aus mehreren Wunden. Ihre Eisklauenwölfe beschützten sie, so gut es ging, doch auch sie schienen verletzt zu sein und Nanuq lahmte sogar auf dem hinteren Lauf. Eve würde es niemals rechtzeitig zu der Herrin schaffen, schon gar nicht in ihrem lädierten Zustand, und eiskalt lief es ihr den Rücken herunter.
Dann sah sie, wie Tralir plötzlich auf die Viecher zusprang, dicht gefolgt von Vineeta. Nyrociel stolperte zurück und krümmte sich, wahrscheinlich vor Schmerzen, doch für einen Moment ließen die brutalen Magierjäger von ihr ab. Und genau diesen Augenblick nutzte die Schamanin: Sie riss ihren Stab mit einem wilden Schrei hoch und stieß dann damit auf die Erde, schien etwas, das am Boden war, zu zertrümmern.
Einen Augenblick geschah nichts, doch dann spürte Eve, wie sich eine dunkle Macht formte und anbahnte. Die Assassinin konnte nicht schnell genug reagieren, da brachen aus jedem einzelnen, kleinen Schatten, egal welcher Größe, plötzlich riesige Tentakel hervor, dunkel-glitschig und im Schein der Sonne glänzend. Sämtliche Kämpfer wurden von den Füßen gerissen und immer mehr Tentakel erschienen, breiteten sich wie eine Welle aus und schienen alles um sich herum zu verschlingen. Eve sah zu, wie das Weibchen vor ihrer Nase von einem geschnappt und mehrmals auf den Boden geschlagen wurde, wie bei einem Tier, das versuchte, eine Nuss zu knacken. Soldaten schrien, ein gewaltiges Beben kam auf und die Schattentänzern schaffte es nicht, sich auf den Füßen zu halten, sondern wurde umgerissen. Links, rechts, vorne, hinten... überall schossen die Tentakeln aus dem Boden, brachten den charakteristischen, schwarzen Nebel mit sich und wanden sich durch die feindlichen Reihen, schnappten sich die Soldaten und brachten sie um, einen nach dem anderen.
Die Stadtmauer zerbröckelte unter dem gewaltigen Angriff, Eve wusste nicht mehr, von wo die Schreie kamen und das Beben wurde immer schlimmer. Sie konnte sich gut vorstellen, wie in Collis gerade alles zusammenstürzte, Haus um Haus. Der Stein unter ihren Füßen bekam gefährliche Risse und der Boden schien sich zweiteilen zu wollen. Eve hob den Kopf und sah Collis vor ihren Augen, mit der kaputten Stadtmauer, aus der immer weitere Teile rausbrachen und auf den Boden schmetterten, etliche Leben unter sich begruben. Sie sah die einzelnen Plateaus der Stadt, wie sie bebten und wie etliche Staubwolken aufstiegen, der Beweis dafür, dass sie wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Ihre Augen hefteten sich auf den Palast, der Schneeflocke, den sie durch ein großes Loch in der Mauer erkannte und sah, wie zwei gewaltige Tentakel aus dem Boden schossen und sich von oben den Palast griffen und langsam anfingen, ihn auseinander zu brechen. Eve konnte aus der Entfernung nicht viel sehen, aber sie wusste, dass der Palast wohl nicht mehr zu retten sein würde; sie wandte das Gesicht ab und blickte zu Nyrociel.
Um sie herum lagen die vier toten Vogelmenschen; sie selbst verharrte immer noch in der gleichen Position, seit der Angriff begonnen hatte, jedoch den Blick erhoben. Ihre Augen waren so verrollt, dass nur noch das Weiße zu sehen war, Blutspritzer waren auf ihrem gesamten Körper verteilt und schwarzer Nebel umschlang sie, als wolle er sie in das Schattenreich ziehen. Ihre Wölfe neben ihr legten die Köpfe in den Nacken und fingen an zu heulen und es war das grausamste, erschreckendste und zugleich wundervollste Bild, das Eve jemals mit eigenen Augen hatte sehen dürfen.
Und dann, war mit einem Mal alles vorbei. Das Monster aus dem Schattenreich verschwand und im gleichen Augenblick kippte Nyrociel vornüber und blieb regungslos liegen. Eve starrte mit offenem Mund, sie konnte einfach nicht anders, bei der Macht, die Nyrociel gerade demonstriert hatte. Aber nicht nur sie selbst war sprachlos; sämtliche überlebenden, durchgeschüttelten Soldaten kamen langsam auf die Knie, blickten entweder zu der hoffentlich bewusstlosen Herrin des Clans oder zu ihrer vollkommen zerstörten Stadt.
Die zerstörte Stadt.
Eve drehte ihren Oberkörper ein wenig und zischte dank des Schmerzes laut auf. Sie hielt sich die Seiten und blickte einer untergegangenen Stadt entgegen, die nun nur noch einem riesigen Schutthaufen ähnelte. Obwohl das Beben nachgelassen hatte, fielen immer noch etliche Bruchstücke zu Boden und jeder colliser Soldat schien nicht realisieren zu können, was gerade eben passiert war. Selbst Eve fiel es schwer, die Ereignisse zu verdauen und zuerst reagierte sie nicht, als jemand ihren Namen rief. Erst, als man sie an der Schulter berührte, schreckte sie aus ihrer Starre auf und blickte in das verzerrte Gesicht von Lafadiel.
„Der Clan zieht sich zurück", teilte er ihr mit. „Eve sollte gehen. Nach Arensentia, wie Eve es Nyrociel versprochen hatte."
Die Worte brauchten einen Moment, um in ihrem Kopf einen Sinn zu ergeben; doch dann gab sich die Assassinin einen Ruck und nickte, doch ein Gedanke beschäftigte sie: „Was ist mit Tralir?" Sie hatte den Elfen seit seinem mutigen Eingriff nicht mehr gesehen und Lafadiel blickte zur Seite.
„Der Clan hat heute eine Menge mutiger Krieger verloren", schnaubte er aus und die Schattentänzerin holte tief Luft. Sie hatte den Elfen nicht lange gekannt, doch er hatte sich ihr stets freundlich gegenüber verhalten. Aber wahrscheinlich war ein ehrenvoller Tod im Krieg besser, als irgendwann an Altersschwäche zu sterben... Die Assassinin versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und nickte Lafadiel zu.
„Lafadiel sorgt für Nyrociels Sicherheit", versprach der Elf ihr. Eve vertraute ihm und wollte sich schon nach Tango umsehen, als sie Hufgetrappel hörte und ihre schwarze Kresota-Dame auf sie zugetrabt kam. Die Assassinin wusste, dass sie sich in der Nähe des Eingangs in das Unüberwindbare Gebirge befand und von da an war der Weg nicht mehr allzu weit zu den Zwergen. Sie könnte auch wieder zurück nach Sigra'Kivi gehen, doch Tango würde die Elfen nur aufhalten und das konnten sie sich nicht erlauben. Es war besser, wenn sie sofort ging und sich später um ihre Verletzungen kümmerte.
Lafadiel half ihr, in den Sattel zu steigen und neigte den Kopf zum Abschied respektvoll. Eve hielt sich irgendwie aufrecht, auch wenn es ihr schwer fiel und niemand schien großartig Notiz von ihr zu nehmen; zu groß war die Schockstarre, in der sich alle befanden und die Elfen würden sich ungehindert zurückziehen können.
Lumen?, fragte Eve probeweise.
Ich bin hier, erhielt sie sofort eine Antwort und plötzlich spürte die Assassinin, wie eine neue Stärke durch sie floss. Ich brauchte eine Weile, um mich zu erholen.
Es wird reichen, antwortete Eve und schnalzte mit den Zügeln, um Tango zum Bewegen zu animieren. Niemand hielt sie auf, denn es wäre nur ein lächerlicher Versuch gewesen und Eve konnte es selbst nicht wirklich wahrhaben, dass die Dritte Große Stadt tatsächlich... gefallen war.
Die Schattentänzerin spürte einen Blick auf sich ruhen. Langsam brachte sie Tango dazu, anzuhalten und hob den Blick. Auf dem zerstörten Wehrgang erkannte sie Feyjassan stehen; hinter ihm befand sich wahrscheinlich Vorgrel, sein widerliches Monster und obwohl sie sein Gesichtsausdruck nicht richtig erkennen konnte, nahm sie an, dass der Alchemist ziemlich wütend über den Ausgang der Schlacht sein musste.
Sie lächelte, weil sie wusste, dass er sie beobachtete, dann legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Was Feyjassan in diese Geste interpretieren würde, war ihr egal, deswegen wandte sie sich sofort ab und galoppierte mit Tango und mit der Hilfe von Lumen endlich in die Richtung, in der sie zu den Zwergen gelangen würde, den Sonnenuntergang in ihrem Rücken und mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen.
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