Stadtunter (Teil 1)
Langsam strichen ihre Finger über die glatte Bauchdecke, als wollten sie etwas erfühlen, das zwar da war, aber noch nicht ausreichend entwickelt, um es ertasten zu können. Doch Eve tat dies bereits seit Stunden, während das heiße Wasser der Quelle um ihre Schultern schwappte und ihre Haarspitzen durchnässte, während sie immer wieder nach einem Anzeichen von Leben in ihrem Bauch suchte. Dass Nyrociel ihr diese Neuigkeit offenbart hatte, war für Eve ein Schock gewesen – vor allem, weil sie wusste, welches Monster dieses Kind gezeugt hatte. Sie hatte in den letzten Monaten nur mit einem einzigen Mann das Bett geteilt und augenscheinlich hatten dessen Methoden, eine Empfängnis zu verhindern, auf ganzer Linie versagt.
Und jetzt trug sie ein Kind von Feyjassan in sich, einem zweihundertjährigen Mutanten ohne Skrupel. Gut, sie besaß auch keine und auch ihr Dasein als Schattentänzerin wird einige Auswirkungen auf das Neugeborene haben, doch Feyjassans Anteil war definitiv schlimmer. Was würde nur aus dieser Verbindung entstehen? Würde Eve es ohne Probleme gebären können? Die junge Assassinin wusste noch nicht einmal, ob sie sich um das Kind kümmern oder es abgeben würde, wobei ihr letzteres sinnvoller erschien: Bei ihrem Lebensstil brauchte sie kein Baby, das immer nur am Schreien und Klammern war. Die Schattentänzerin hatte selten vor etwas wirklich Angst, aber beim Gedanken an die Geburt in sieben Monaten stand ihr kalter Schweiß auf der Stirn.
Reiß dich zusammen, zischte Lumen in ihrem Kopf. Tausende von Frauen bekommen Kinder, da wirst du das auch schaffen. Außerdem hast du mich, das zu überstehen.
Ihre Tätowierung behielt Recht, dennoch schluckte Eve schwer und ließ endlich von ihrem Bauch ab, um sich tiefer in das Wasser sinken zu lassen. Sie entdeckte Tralir auf sie zukommen und blieb, wo sie war, vollkommen alleine in der heißen Quelle, denn die Wildelfen respektierten ihre Privatsphäre. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt, denn dass sie schwanger war, hatte sich wie ein Lauffeuer durch das Lager verbreitet und jeder Elf und jede Elfin und einfach jeder in dem verdammten Clan hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu bemuttern und in Federn zu packen. Auch jetzt stapelten sich neben ihr mehrere flauschige Decken, damit ihr beim Ausstieg aus dem wohltuenden Wasser nicht kalt wurde, Schalen mit Nüssen und Früchten sowie mehrere Streifen Fleisch lagen bereit, verspeist zu werden und es standen drei Schalen mit Kräutertee neben ihr, die angeblich für eine gute Gesundheit des Kindes garantieren würden.
Tralir kniete sich neben sie und sagte: „Mein Glückwunsch zu deiner Schwangerschaft. Oder sollte ich lieber sagen, mein Beileid?"
„Ich kann verstehen, dass Babys in einer solchen Landschaft etwas Besonderes sind", erwiderte Eve. „Aber ihr seid mir ein bisschen zu fürsorglich."
„Nun, du hast ein Baby außerhalb der Paarungszeiten empfangen." Tralir zuckte mit den Schultern. „Das bedeutet, es wird im Herbst geboren werden und dann ist es hier im Unüberwindbaren Gebirge schier unmöglich, ein Neugeborenes aufzuziehen. Wenn ein Elf außerhalb der Paarungszeiten schwanger wird, wird alles nötige getan, um das Überleben des Kindes zu sichern."
Eve drehte sich zu ihm um. „Ihr habt Paarungszeiten?", fragte sie entsetzt. Tralir nickte ernst und er erklärte: „Wir dürfen im Sommer ein Kind zeugen, das im Frühling geboren wird. Das ist die beste Zeit, um ein Neugeborenes hier zu gebären und für den harten Winter ist es dann bereits robust genug, um ihn zu überleben. Es ist wichtig, das einzuhalten, ansonsten würde unser Nachwuchs ständig verkommen."
Es klang logisch, aber Eve verstand nun, wieso die meisten Menschen in den Wildelfen nichts anderes als intelligentere Tiere sahen. Sie gab jedoch keinen Kommentar dazu ab und antwortete: „Ich verstehe. Aber ich bin im Herbst nicht mehr hier." Zumindest hatte sie das nicht vor, doch Tralir meinte: „Das nicht, aber schwangere Frauen werden hoch geschätzt im Clan. Immerhin sorgen sie für neue Stammesmitglieder und nehmen all die Strapazen auf sich. Also kommt es dir nur zugute, sonst wären sie alle nicht so freundlich zu dir als Mensch."
„Wie schön, dass der eine Fakt den anderen überwiegt", murmelte die Schattentänzerin verdrießlich. „Wann plant deine Herrin denn, Collis anzugreifen?"
„Sie will am nächsten Morgen losziehen. Dank deines Pferdes werden wir nicht so schnell vorankommen und müssen eine Woche für den Marsch einberechnen. Und Collis wird uns erwarten. Der König und die Königin sind nicht auf den Kopf gefallen und werden ahnen, dass Nyrociel einen Angriff plant. Wir müssen auf alles vorbereitet sein."
„Sie haben Drachen", sagte Eve. „Drei Stück."
„Mit Drachen kommt Nyrociel gut klar." Tralir lächelte. „Außerdem besitzen Drachen gewisse Hemmungen, gegen Halb-Elfen zu kämpfen und sie zu zerstören. Wenn wir Glück haben, werden sie sich in den Kampf nicht einmischen und wenn doch, dann kann Herrin Nyrociel sie aufhalten."
„Das will ich sehen", brummte Eve.
„Das wirst du", versprach Tralir, dann sah er all die Gaben um Eve herum an. „Du solltest dich stärken und nicht alles ablehnen, was sie dir bringen. Respekt hat einen hohen Stellenwert bei uns und viele Elfen sind beleidigt, wenn man ihre Geschenke verschmäht."
„Ich wäre für eine neue Waffe dankbarer", antwortete Eve, griff aber trotzdem nach ein paar Streifen Trockenfleisch.
„Auch das lässt sich einrichten", sagte Tralir und holte unter seinem Fellumhang eine lederne Scheide hervor, die er Eve reichte. Die Assassinin legte ihre Mahlzeit wieder hin und griff danach, bewunderte das hochwertige Leder und die Verarbeitung, sowie die filigrane Zeichnung, die einen springenden Eisklauenwolf darstellte. Für das Auge war sogar ein kleiner Saphir eingelassen worden und die Assassinin drehte die Scheide zwischen den Händen hin und her, um jedes kleinste Detail zu bewundern, ehe sie sich dem Dolch selbst zuwandte. Der Griff war mit mehreren Lederbändern umwickelt, die ihr einen guten Halt gaben und sich perfekt an ihre Handfläche schmiegten. Die Klinge selbst glitt geräuschlos aus dem mit weißen Fell gefütterten Leder, war so lang wie ihr Unterarm und funkelte weißlich in dem Licht der hoch am Himmel stehenden Sonne. Eve war wie geblendet von der schlichten Schönheit des schlanken Dolches, fuhr mit dem Finger vorsichtig über die Schneide und war erstaunt darüber, dass selbst die kleinste Berührung ihre Haut bereits anritzte. Ihre Augen glitten an der kleinen eingearbeiteten Rinne herab, in die man Gift füllen könnte, sodass man seinen Gegnern mit einem Stich verheerenden Schaden zufügen konnte und sie bewunderte die Ziselierungen, die am Rand der Schneide entlang liefen und ein feines Muster aus ineinander gewundenen Schneeflocken bildeten.
„Das ist... wunderschön", hauchte die Schattentänzerin. „So etwas habe ich noch nie gesehen! Was ist das für ein Material?", wollte sie wissen und sah zu Tralir. Der Elf schmunzelte und antwortete: „Unter den Wurzeln von Sigra'Kivi ernten wir dieses Erz. Wir nennen es Traumdiamant, weil es zwar so ähnlich wie einer aussieht, aber viel leichter zu bearbeiten, äußerst widerstandsfähig und dazu sehr langlebig ist. Klingen aus diesem Material sind etwas äußerst Wertvolles und werden nur selten an Fremde verschenkt. Du kannst dich geehrt fühlen."
„Das werde ich auch", murmelte Eve und schob den Dolch vorsichtig wieder zurück. Wenn Nyrociel ihr solch ein Geschenk machte, dann musste die Herrin wahrlich große Stücke auf sie halten. Tralir lächelte, dann stand er wieder auf und schickte sich an, sie alleine zu lassen. Eve hielt ihn noch einmal zurück: „Glaubst du, Nyrociel wird siegen?"
Tralir wandte sich zu ihr um und seine Miene wurde ernst. „Die Herrin weiß, was sie tut. Sie ist einzigartig", erklärte er mit verträumtem Blick. „Auch wenn eine Schlacht als verloren gilt, am Ende des Krieges wird sie als die Siegerin hervor gehen."
Eve nickte nur und dachte unwillkürlich an Nukritas – ob er wohl auch in Collis zugegen sein würde? Sie hatte keine Ahnung, was die Kirche als ihre Aufgabe betrachtete und was nicht, konnte sich aber gut vorstellen, dass sie sich von den Adeligen einspannen ließ. Und gegen den Lichtritter zu kämpfen, der Severin besiegt hatte... Darauf brannte sie nicht gerade. Der Schattentänzerin fiel es schwer, in Nukritas eine Person zu sehen, die etwas anderes als der Mörder ihres Vaters war... wäre er nicht ihr Bruder. Zwar kannte Eve ihn überhaupt nicht, doch momentan war er der einzige, den sie als Familie hatte. Bevor sie erfahren hatte, dass Severin ihr Vater war, hatte Eve sich damit abgefunden, keine Familie zu haben. Und jetzt, wie aus heiterem Himmel, tauchten sie einfach so auf und brachten ihr ganzes Leben durcheinander. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Eve Nukritas einen Dolch in den Arm gerammt, aber sie wusste nicht, wie genau sie sich bei ihrer zweiten verhalten würde.
Am besten denkst du nicht zu viel darüber nach, gab Lumen ihr als Ratschlag. Und er war wohl der beste, den Eve in den letzten paar Stunden überhaupt gehört hatte.
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