Prolog: Dunkles Eindringen

Es stank erbärmlich.

Der Geruch von Tod und Verderben zog sich bereits durch das gesamte Dorf, doch hier, im Mittelpunkt des vergangenen Geschehens, war er definitiv am stärksten. Vor Monaten vergossenes Blut war bereits getrocknet. Rostrot lag es auf den schwarz-grauen Steinplatten, umgeben von etlichen, leblosen, steifgefrorenen Körpern. Die Möbel waren zertrümmert, auf dem einzigen Herd in der Küche stand eine verschimmelte Suppe, deren ursprüngliche Bestandteile man nicht einmal mehr erahnen konnte und mehrere wilde Tiere hatten sich an dem Schlachtfeld satt gefressen, nur, um anschließend wieder in die Wildnis zu fliehen. Niemand mehr betrat diesen Ort; zu viel Leid klebte an ihm, der Tod und die Schatten hatten die Herrschaft übernommen.

Und genau deswegen war er perfekt für Fergus' Vorhaben.

Der Mann hatte seine weite Kapuze aufgesetzt, sodass seine Augen im Schatten lagen. Ruhig lagen sie auf dem weißhaarigen Albinoelfen, der sich in einer relativen kurzen Zeit einen erstaunlich großen Namen gemacht hatte. Fergus hatte ihn zwar bereits wieder vergessen, doch es war ihm von Anfang an klar gewesen, dass dieser Elf nur eine weitere Marionette in seinem großartig durchdachten Spiel gewesen war. Dennoch, es war bedauerlich, dass gerade er gestorben war; er hatte das Talent besessen, die talentiertesten Schurken des Landes auf seine Seite zu ziehen, darunter den Schwertkämpfer Degen oder den wahnsinnigen Assassinen Metus, doch im Endeffekt hatte er sich nur sein eigenes Grab geschaufelt. Nun waren seine Handlanger tot oder zur Kirche übergelaufen und er selbst fristete ein ewiges Dasein im Schattenreich.

Furax.

Fergus fiel der Name mit einem Mal wieder ein und ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er neigte den Kopf leicht zur Seite und zog den unheimlichen Duft intensiv ein, schloss die Augen und genoss den Geruch, der ihm so vertraut vorkam, wie sein eigener. Ein paar Strähnen seiner kastanienbraunen Haare fielen bei der Bewegung unter seiner Kapuze hervor und Fergus hob eine Hand, um sie wegzustreichen.

Ein Würgen ließ ihn aufblicken.

Sein treuester Diener war gerade eben in der Küche aufgetaucht und hielt sich eine Hand vor dem Mund. Seine Glatze schimmerte orangefarben im untergehenden Licht der Sonne und seine Augen tränten leicht.

„Bei Cataphractes." Birger hustete mehrmals. „Die Kirche hat aber alles ziemlich gründlich gemacht."

„Ist das nicht wundervoll?" Fergus lachte leise. „Sie werden nie erfahren, dass sie nur benutzt worden sind."

Ganz langsam und vorsichtig trat der mysteriöse Mann direkt in die Mitte des Schlachtfeldes und winkte Birger zu sich heran. Dem Magier war sichtlich unwohl dabei, über das Blut und die Leichen zu treten, doch er gehorchte und brachte ein dickes Buch mit sich, das er Fergus ehrfurchtsvoll übergab. Der Mann nahm es an sich, dann schob er eine Hand in die Tasche seines Mantels. Seine Finger umschlossen einen kalten, gezackten Gegenstand und als er sie wieder herauszog, funkelte zwischen seinen Fingern ein pechschwarzer Stein hervor, dessen genaue Herkunft niemanden bekannt war.

„Wie lange wird es dauern?", fragte Birger neugierig.

„Sehr lange", antwortete Fergus und hielt sich den Stein direkt vor die Augen, deren Iris eine undefinierte Farbe besaßen. Aus jedem Blickwinkel betrachtet schimmerten sie in einem anderen Akzent. Von Birgers Seite aus gesehen leuchteten sie in einem hellen Grau, durchzogen von grünen und blauen Adern.

„Das hier wird unser letztes Opfer sein, Birger. Tritt näher", befahl Fergus anschließend. Der Magier gehorchte und neigte respektvoll den Kopf. Fergus legte das Buch auf den wackeligen Tisch, der sich noch so gerade eben halten konnte, und blätterte eine geraume Weile darin herum, bis er die richtige Seite gefunden hatte. Dann nahm er einen kleinen Dolch zur Hand – der Griff war pechschwarz und mit seltsam, weiß angemalten Symbolen verziert – ehe er zu seinem Diener trat.

„Dies hier ist der perfekte Ort, um ihn zu beschwören. Mord, Tod, Verlust, Angst, Panik, Schrecken ... Kämpfe. Ein kleiner Krieg, wenn man es so will, doch keine Seite hat tatsächlich gewonnen."

„Denn die Sieger sind wir", wisperte Birger und hob den Kopf so an, dass sein Kehlkopf gut sichtbar wurde.

„Die Sieger sind wir", wiederholte Fergus mit leiser Stimme und legte den Dolch an die zarte, empfindliche Haut des Halses. Er zögerte nicht. Mit einer beinahe schon sanften Geste zog er die frisch geschliffene Klinge über Birgers' Kehle. Ein roter Wasserfall ergoss sich auf seine Kleidung, den Boden und Fergus hielt den schwarzen Stein darunter. Das Blut verfärbte seine eigene Hand, besudelte seine Kleidung, doch er hielt still, während Birger, der sich jahrelang auf dieses Opfer vorbereitet hatte, keuchte und gluckste, jedoch still auf die Knien sitzen blieb, während das Licht in seinen Augen langsam erlosch.

„Blut eines Magiers", flüsterte Fergus und ein seltsames Leuchten schlich sich in seine Augen, als er den Stein unter seiner Blutdusche hervorholte. Seine ganzen Vertiefungen hatten sich mit der roten Flüssigkeit vollgesogen und es schien, als pulsierte der Gegenstand leicht in seiner Handfläche; vom frischen Blut dampfte er leicht, hatte sich aufgewärmt und wirkte wie ein kleines, schlagendes, dunkles Herz.

Fergus legte den Stein in die Mitte des Raumes, dann kniete er sich daneben. Seine roten Finger umklammerten den Dolch und er atmete mehrmals durch, bevor er die Waffe hob und langsam an seine eigene Kehle setzte. In dieser Situation fiel es ihm schwer, sich an die richtigen Worte zu erinnern und der Mann spürte ein leichtes Zittern in seinen Armen.

Keismi Kahalny ilinion-kilir'lino ilin'ishatar ea arsingul'lion."

Es war nicht einfach, die alten Laute mit der Zunge zu formen und richtig auszusprechen. Doch Götter waren stets verärgert, wenn man einen Fehler machte und Fergus hatte sich monatelang auf diesen einzigen Moment vorbereitet. Anfangs war der Mann aufgeregt gewesen, ja, beinahe schon ängstlich, doch jetzt ... jetzt spürte er eine innere Ruhe. Es schien, als habe das Aussprechen der alten Beschwörungsformel etwas bewirkt, was sich jetzt in seiner unmittelbaren Nähe bemerkbar machte. Es wirkte, als habe der Wind mit einem Mal aufgehört zu heulen, die Wolken am Himmel schienen stehen geblieben zu sein und die Sonne verdunkelte sich wie von selbst. Fergus befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und spürte, wie er schwitzte.

Sein Arm zitterte nicht mehr und mit einem Mal wich jegliches Gefühl aus ihm heraus. Fergus keuchte auf, als er eine dunkle Macht spürte, die sich seiner bemächtigte. Langsam bewegte sich seine Hand, ohne sein eigenes Zutun, zudem wurde sein eigener Körper vollkommen taub und der Mann schaffte es nicht einmal mehr, zu blinzeln. Er musste zusehen, wie sein Arm ein eigenes Leben bekam und den Dolch an seine eigene Kehle setzte. Sein Herzschlag hörte mit einem Mal auf, während der, der aus dem schwarzen Stein kam, immer lauter zu werden schien.

Einen Wimpernschlag lang verharrte Fergus in dieser Position und er linste mit weit aufgerissenen Augen nach unten zu seinem eigenen, todbringenden Körperteil.

Dann schnitt der Dolch durch sein eigenes Fleisch und warmes Blut ergoss sich über den Stein. Als der erste Tropfen ihn erreichte, wirbelten mit einem Mal schwarze Nebelschwaden heraus, wirkten wie ein Strudel, der sich in die falsche Richtung bewegte. Binnen weniger Sekunden waren Fergus, Birger und all die anderen Leichen von dem Nebel eingeschlossen und er zog ihnen den letzten Funken Energie heraus, den sie noch besessen hatten.

Der Stein pulsierte nun sichtlich. Das Blut blubberte in seinen Vertiefungen, seine Zacken glänzten dunkel wie die Krallen eines Raubtieres und wenn man genau hinhörte, dann konnte man ein leises Kichern von ihm ausgehen hören.

Etwas kam.

Etwas Großes und Bedrohliches fing an, seinen Weg aus dem Schattenreich heraus durch die Barriere zu finden und würde nun bald im Land der Draconigena eintreffen. Und das Wesen, das kam, wusste: Es würde nicht viel Zeit haben, um seinen Plan zu verfolgen ...


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