Ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt (Teil 3)

Ein Schatten senkte sich über ihn. Nukritas sah auf und erkannte Gregorius neben sich stehen.

„Ich habe Informationen über diesen Magier einholen können", eröffnete der General das Gespräch und ließ sich neben Nukritas auf der Bank nieder. Cheva sprang erschrocken auf und beschimpfte den General lautstark auf Drakonisch – was natürlich nur Nukritas vernahm.

„Sein Name ist Barry, aber das scheint auch nur ein Spitzname zu sein. Er war in der Narrengilde als Rotwolf beschäftigt, bis Goldvogel ihn vor einigen Jahren heraus geschmissen hat. Seitdem treibt er als Blutwolf sein Unwesen, allerdings war niemanden bekannt, dass er über magische Kräfte verfügt. Offiziell gilt er seit heute als einer der meistgesuchten Verbrecher des Landes."

„Ich bezweifle, dass sie ihn kriegen werden", brummte Nukritas und knetete seine Hände. „Sie bräuchten einen ähnlich starken Magier, um ihn zu besiegen."

„Oder einen Magierjäger", ergänzte Gregorius. „Ich bin mir sicher, sie setzen Grinder auf ihn an, wenn er nicht anderweitig beschäftigt ist."

Nukritas schwieg eine Weile. Er kannte den Namen Grinder bereits und wusste, dass Tryson den Mann nicht leiden konnte. Wieso, das hatte er noch nicht herausgefunden, aber er wollte den Templerkommandanten auch nicht mit zu vielen Fragen nerven.

„Und diese Mutanten?", fragte der Lichtritter. „Was ist mit ihnen?"

Vrinda und Klaif.

Als Tryson von deren Existenz erfahren hatte, war er wütend geworden und hatte einige Templer und Paladine auf die beiden angesetzt, doch sie schienen wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

„Nicht wirklich viel. Diese Vrinda scheint ihre Wunden sehr schnell heilen zu können und Klaif wird in den Aufzeichnungen des Alchemisten als fehlgeschlagenes Experiment bezeichnet."

Wenn Tryson das hören würde... Nukritas fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht.

„Ich kann nicht fassen, was alles passiert ist. Innerhalb weniger Wochen erleidet diese Stadt einen harten Schlag nach dem anderen."

„Irgendetwas bewegt sich im Land", prophezeite Gregorius mit grimmiger Miene. „Ich bin mir sicher, das hier in Collis ist erst der Anfang gewesen. Wir müssen so schnell wie möglich zurück zur Kirche, um weitere Informationen einzuholen. Wer weiß schon, was in den anderen Städten alles passiert ist?"

„Oder noch passieren wird", ergänzte Nukritas und richtete sich auf. „Diese... Mutanten", fing er schließlich wieder an. „Sie wurden als Geborene bezeichnet. Was genau bedeutet das?"

Gregorius schien eine Weile zu überlegen, dann antwortete er: „Die Frage kann dir Tryson besser beantworten. Was ich nur weiß ist, dass es wohl Mutanten gibt, bei denen mindestens ein Elternteil selbst Mutant gewesen ist. Sie wurden also direkt so geboren, mit ihren besonderen Fähigkeiten, und nicht dazu gemacht. Daher nennt man sie Geborene Mutanten."

„Sie wurden also gezüchtet. Von Menschen", erkannte Nukritas. „Und anschließend sollten sie getötet werden, einzig und allein für ihre bloße Existenz."

Gregorius schwieg und erwiderte darauf nichts. Nukritas schüttelte den Kopf und meinte: „Niemand sollte für das getötet werden, was er darstellt."

„Dem stimme ich zu. Aber...", fing Gregroius an, wurde aber von Nukritas unterbrochen: „Nein, da gibt es kein Aber", fuhr er auf. „Das gleiche machen sie mit Halb-Elfen und Magiern. Und wenn es noch Halb-Drachen geben würde oder Halb-Zwerge oder sonst etwas, würden sie diese Wesen auch umbringen. Und wenn ich nicht heilen und Wunder vollbringen würde, dann würden sie mich wohl auch am liebsten tot sehen. Aber ich bin ja einer der Guten und der Kirche zugehörig. So etwas zu töten gehört sich natürlich nicht, dabei bin ich nichts anderes, als all diese anderen Personen... Ich bin anders. Und mir gegenüber hegt keiner den Wunsch, mich tot zu sehen, im Gegenteil. Sie fallen alle auf die Knie und wollen meinen Segen."

„Nukritas..."

„Ich finde es unfair, Gregorius. Hilflose Halb-Elfen, die nichts Böses tun und einfach nur existieren, werden getötet. Magier, die ihre Kräfte nicht einmal anwenden, werden ermordet. Und Mutanten, die nichts dafür können, dass sie geboren wurden, werden misshandelt. Ich bin genauso anders wie sie auch – eigentlich müsste man mich mit Heugabeln und Fackeln jagen. Und warum tun sie es nicht?"

„Weil... Nukritas, bitte. Das ist nicht der richtige Ort für diese Gedanken", fing Gregorius beinahe verzweifelt an, aber es war zu spät; wenn sich der junge Lichtritter in eine Sache reingeredet hatte, dann gab es kein Zurück mehr.

„Weil ich eine Organisation hinter mir habe. Weil ich Menschen wie dich und Tryson habe, die mir immer den Rücken gestärkt haben. Und alle anderen haben es nicht. Nur, weil sie alleine und schwächer, hilfloser, sind als ich, werden sie gejagt und getötet."

Der junge Paladin schlang die Arme um sich selbst. Für ihn war es immer schrecklich zu erfahren, was im Land tatsächlich vor sich ging – zu begreifen, wie die Adeligen dachten, was sie sich alles herausnahmen, ohne, dass es jemanden gab, der sie zur Rechenschaft zog. Sie gingen mit einem Leben um, als wäre es nichts wert und Nukritas, der moralische, liebe Nukritas, schaffte es nicht, diesen Umstand einfach so stehen zu lassen.

„Oh, bei Kreon...", murmelte Gregorius und packte ihn an der Schulter. „Nukritas", flüsterte er ihm eindringlich zu. „Ich weiß, was du gerade denkst, und ich kann dir sagen: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Du kannst nicht losmarschieren und verlangen, dass die ganzen Jagden aufhören sollen. Dazu hast du noch nicht die Stellung. Bleib ruhig. Sobald wir als Kirche wieder ernst genommen werden, können wir beginnen, die bestehenden Dinge zu ändern. Aber jetzt nicht."

„Das alles muss aufhören", sagte Nukritas und schloss die Augen. „Niemand sollte in diesem Land in Angst leben, dass seine bloße Existenz zum Tod führt."

„Das ist ein sehr ehrenvoller Gedanke", stimmte Gregorius ihm zu. „Aber bitte, hör auf mich... Jetzt kannst du es noch nicht ändern."

Nukritas sah dem General direkt in die Augen. „Werde ich es je können?"

Gregorius erwiderte den Blick und hielt ihm stand. „Ja. Das verspreche ich dir. Es hat so etwas schon einmal gegeben. Es hat ein Ort für genau diese Wesen gewesen – Tryson hat ihn gekannt. Zwar wurde er zerstört, aber wenn er wieder auflebt... und wenn du als Lichtritter dahinter stehst, dann kannst du so vielen das Leben retten und es ihnen ermöglichen, endlich in Frieden zu sein."

„Und das kann ermöglicht werden?", wollte Nukritas wissen. Seine Neugierde war geweckt und er erblickte einen Hoffnungsschimmer am Horizont.

„Es gibt da eine Legende... Tryson kennt sie gut. Oder du fragst diesen Geschichtenerzähler, Dainius. Er erzählt sie ebenfalls gerne. Aber bevor wir uns solchen Dingen widmen können..."

Nukritas hörte schon gar nicht mehr zu. Er hatte erfahren, was er wollte und spürte, wie ihm ein wenig leichter ums Herz wurde. Als Paladin und Lichtritter durfte er nicht parteiisch sein, egal, was im Land passierte... doch es war seine Aufgabe, sämtliche Lebewesen zu beschützen und wenn es darum ging, eine unterworfene Spezies zu retten, dann würde er alles in seiner Macht stehende tun, um dies zu ermöglichen. Er verstand, dass viele Menschen Angst vor diesen unbekannten Mächten besaßen, doch er wusste auch, dass Mord definitiv keine Lösung für ihre Probleme war. Er würde demnächst mit Tryson sprechen, und...

„Nukritas?"

Der junge Lichtritter sah auf und erkannte einen nervösen Templer vor ihnen stehen.

„Der Kommandant schickt mich", sagte er und wirkte ziemlich zerknirscht. „Es ist sehr dringend... Seth ist verschwunden."

Nukritas sprang auf. „Verschwunden?"

„Ja... Er ist nirgendwo zu finden. Keiner weiß, wo er hingegangen ist."

Nukritas warf einen raschen Blick zu Feyjassan, der durch die Reihen der Verletzten ging, um sie genau zu studieren. Steckte er hinter dem Verschwinden ihres Magiers, oder waren da viel größere Mächte am Werk?

„Wir müssen ihn finden." Gregorius raffte sich ebenfalls hoch und fuhr sich durch die ergrauten Haare. „Seth ist gefährlich, wenn er von Tryson nicht unter Kontrolle gehalten wird."

Nukritas nickte und wollte sich schon auf den Weg machen, doch der General hielt ihn zurück: „Nein. Du musst hier bleiben und dich um die Verletzten kümmern. Ich gebe dir Bescheid, wenn wir ihn gefunden haben."

Der junge Paladin erstarrte zuerst und wollte Widerworte geben. Doch dann drang das schmerzerfüllte Stöhnen und Wimmern der Patienten an seine Ohren und er nickte langsam. Gregorius behielt Recht; er würde es sich nicht verzeihen können, wenn irgendjemand starb, wenn er ihn hätte retten können.

„Gut. Ich bleibe hier... und werde auf Neuigkeiten warten."



 „Wir haben ganz Collis abgesucht. Er ist weg."

Tryson saß niedergeschlagen in seinem Rollstuhl und schien sich selbst enorme Vorwürfe zu machen. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte vor sich hin. Seit zwei Wochen hatten sie den Templermagier gesucht, doch keinen einzigen Anhaltspunkt auf dessen Aufenthaltsort gefunden. Seth blieb verschwunden und selbst Feyjassan behauptete, er wisse nicht, wo der Magier hin sei. Natürlich glaubte ihm niemand, anderseits jedoch konnte man dem Alchemisten auch keine Lüge nachweisen.

„Es ist nicht deine Schuld, Tryson", sagte Gregorius zu dem Kommandanten.

„Und wessen dann?" Tryson schnaubte abfällig aus. „Ich habe ihn zu dem gemacht, was er ist, Gregorius. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten, ihn unter Kontrolle zu halten und jetzt ist das eingetreten, wovor ich am meisten Angst gehabt habe: Ein gefährlicher, unberechenbarer Mutant ist auf das Land der Draconigena losgelassen worden."

Nukritas verkniff sich ein Was habe ich gesagt? und meinte stattdessen: „Irgendwann werden wir die Nachricht über einen seltsamen Mann mit undefinierbaren Zeichen erhalten und Seth wiederfinden. Er ist wahrscheinlich nur verwirrt und braucht ein wenig Zeit für sich."

Tryson hob den Kopf und sah ihn direkt an. „Ich danke dir, dass du mir keine Vorwürfe machst, auch wenn ich ganz genau spüre, dass du genau das am liebsten tun würdest."

Man konnte keine Geheimnisse vor dem Kommandanten haben. Das war einfach unmöglich. Doch dieses Mal fand es Nukritas gar nicht mal so schlecht, dass Tryson seine Mutantenfähigkeiten einsetzte, und er lächelte nur leicht.

„Was passiert ist, ist passiert. Wichtig ist, dass wir jedem Hinweis auf Seth nachgehen werden."

Er gab sich locker, doch in Wahrheit machte sich der Lichtritter immense Sorgen – Seth galt als Mutant und Magier. Und inzwischen schaffte er es, die Adeligen so einzuschätzen, dass sie ihn sofort töten würden, auch wenn sie sich anschließend mit der Kirche herumschlagen müssten. Aber Seth war in der Tat niemand, den man unterschätzen sollte und Nukritas wusste selbst, dass der impulsive Mann dazu in der Lage war, mithilfe seiner verstärkten, magischen Kräfte wohl ganze Dörfer zu zerstören. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie Seth finden würden – doch in welcher Verfassung, das war fraglich.

„Wir... werden zurückreisen", meinte Gregorius schließlich. „In der Kirche können wir definitiv mehr unternehmen als hier in Collis."

Die anderen beiden nickten und Tryson begann, den Paladinen und Templern Befehle zu erteilen. Nukritas ging zu dem Fenster und sah hinaus; bisher war immer noch keine Ruhe in Collis eingekehrt und das Königspaar war sich sicher, dass Nyrociel die Chance erkennen und wahrnehmen würde. Doch darauf konnten sie keine Rücksicht nehmen; sie hatten ihre eigenen Probleme und wenn sich der Paladin zwischen einer missgelaunten Wildelfin und einem hochgefährlichen Magiermutanten entscheiden musste, dann wusste er sofort, welches das geringere Übel war.

Und dann spürte der junge Mann etwas, das er schon lange nicht mehr gefühlt hatte: Freude. Er würde diesen verfluchten Ort verlassen und endlich wieder heimkehren können. Er würde seine Frau und Tochter wiedersehen, seine Freunde, die ganzen Rekruten... Endlich konnte er Collis den Rücken kehren, auch wenn er wusste, dass ihn der Gedanke an die Stadt niemals loslassen würde.

Nicht nach allem, was sich innerhalb der letzten Wochen hier ereignet hatte – und was sein komplettes Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hatte. Doch Nukritas wusste, wo seine Prioritäten waren und er wusste auch, dass Gregorius recht behielt: Wenn er etwas ändern wollte, würde er warten müssen.

Doch der junge Paladin schwor sich: Wenn die Sache mit Seth beendet war, dann würde er dafür sorgen, dass ausnahmslos alle Wesen im Land der Draconigena friedlich miteinander leben würden.

Denn als Lichtritter, als halbe Gottheit, schuldete er es ihnen.

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