3. Karamell Kekse zum Tee
Obwohl es mir doch etwas schwerfiel, nahm ich mir Ellies Worte zu Herzen: „Aber falls du wen nettes kennlernst, nutze die Chance. Du wirst es bestimmt nicht bereuen" das hatte sie gemeint.
Ich hatte schon früher nie viele Leute um mich herum gehabt, immer nur engste Freunde und ab einem gewissen Punkt Ellie.
Aus einem mir unerklärlichen Grund hatte ich Angst davor, die Leute würden mich enttäuschen, verlassen oder verraten. Auch deswegen hatte ich meine Meinung und tiefste Gedanken über die Sterne und die Welt hinter dem Himmel nie wirklich jemanden erzählt. Dass ich in meiner ersten Stunde „Stern- und Planetenentstehung" aufgestanden war und dem Jungen meine Meinung gesagt hatte, war schon ungewöhnlich gewesen. Aber noch nie in meinem Leben hat mich jemand indirekt so angegriffen. Ich war enttäuscht von seiner Einstellung, da ich irrtümlich gedacht hatte, alle Sternenforscher so ticken würden wie ich. Einige Zuhörer hatten mir zwar zugeklatscht und somit meine Aussagen bestätigt, aber ich konnte nicht wissen, inwiefern ihre Sicht mit meiner übereinstimmte.
Auch mit Arthur hatte ich das Thema nicht wirklich weiter vertieft, da ich mir weiterhin unsicher war, wie er meine Aktion fand. Er hatte mich, zwar sanft aber trotzdem, wieder zu sich heruntergezogen, als ich von meinem Platz aufgestanden war.
Ich beschloss, dass Thema in der Luft hängen zu lassen, falls er es hätte ansprechen wollen, was er allerdings nicht tat.
Aber Arthurs Freundlichkeit erinnerte mich daran, dass er Kumpels besahs, die Studenten vom Lehramt, und so kam mir der Gedanke diese Jungs einmal genauer kennenlernen zu wollen.
Sie mussten netten sein, schließlich mochte Arthur sie.
Als Arthur also beim Mittagessen in der Mensa zwei jungen Männern zuwinkte, dann aber auf einen Zweier-Tisch zusteuerte, stoppte ich ihn sachte mit einer leichten Berührung an seiner Schulter und meinte ehrlich:
„Wir können gerne mit ihnen essen, Arthur. Nur weil ich nicht so gut mit vielen Leuten auskomme, musst du dich nicht für mich opfern. Außerdem würde ich auch gerne mal deine Freunde kennenlernen"
Arthur blieb mit seinem Tablett stehen und drehte seinen Kopf zu mir um. Überrascht betrachtete er mich und schätzte wohl ab, ob ich das gerade ernst meint. Als er in meinem Gesicht keinen Ausdruck von einem Witz sah, begann er zu grinsen und nickte freudig:
„Wenn du das möchtest, können wir das gerne machen. Aber mach dir nicht zu viele Gedanken Froy, wenn es mich stören würde, nur mit dir zu essen, hätte ich es dir gesagt"
Ich nickte leicht und folgte mit zuversichtlichen Schritten meinem Mitstudenten durch die Mensa.
Als die zwei Freunde von ihm uns erblickten, schienen sie sich sichtlich zu freuen, denn sie nahmen ihre Taschen von den zwei noch freien Stühlen und klopften einladend auf die Holzplatte.
Mit einem Lächeln setzte ich mich neben einen großen Jungen, dessen schwarzen Haare in Locken auf seine Schultern fielen. Sein Gesicht war leicht vernarbt und trotzdem wirkte er selbstbewusst und streckte mir freundlich seine Hand entgegen. Er stellte sich mit den Namen Jack vor.
Arthur setzte sich gegenüber von mir, neben den anderen jungen Mann, der wohl so groß war wie ich und Arthur recht ähnlich sah. Seine Haare waren ebenfalls blond, nur etwas kürzer. Er schmunzelte, als Arthur ihn freundschaftlich anstupste und strich sich dabei über eine weiße Stelle an seinem Hals, die auf eine Pigmentstörung seiner Haut hindeutete. Auch er lächelte mich an und stellte sich als Robin vor. An seinem Dialekt konnte man erkennen, dass er aus Schottland kam, was er mir auch bestätigte, und sich so herausstellte, dass Jack der einzige gebürtiger Londoner in dieser Runde war.
Als wir unser Mittagessen, bestehend aus Fish and Chips, zu essen begannen, sprudelten Arthurs Freunde direkt los und fingen an mich auszufragen:
„ Also Froy, Arthur hat ja schon viel von dir erzählt. Du bist das Sternen Naturtalent aus Dover, richtig?" fragte Jack direkt drauf los und ich strich mir leicht geschmeichelt durch die Haare.
„Naja, ich bin doch kein Naturtalent, ich interessiere mich einfach schon lange für das Thema. Aber ja ich komme aus Dover"
„Cool, meine Großeltern kommen auch da aus der Nähe" erzählte Robin und verspeiste ein Stück frittierten Fisch.
„Und wie kommt es, dass ihr beide hier in London Lehramt studiert? Ich meine bei dir Jack, ist es eher klar, aber in Schottland gibt es doch bestimmt auch gute Universitäten?" fragte ich an den blonden Jungen gerichtet.
„Ich wollte einfach gerne die Erfahrung machen, hier in London zu studieren und für einige Jahre weg aus meiner Heimat zu sein" erklärte er mir und Jack fügte grinsend zu: „Und ich musste gar nicht umziehen, was sehr praktisch ist. Zwar habe ich so eine etwas weitere Anreise, aber das macht mir nichts aus"
„Seid ihr eigentlich auch im ersten Semester?" fragte ich nach und trank einen Schluck Wasser, während eine Gruppe von quatschenden Mädchen an unserem Tisch vorbeilief.
„Nein, die beiden sind im dritten Semester" antwortete Arthur für die beiden, während diese bestätigend nickten.
„Ja genau und wir sind im Moment dabei mit anderen Studenten das große Sommerfest zu planen, dass am Ende des Monats stattfinden wird" meinte Jack stolz.
„Ein Sommerfest?" fragte ich nach.
„Ja eine Art Begrüßungsfeier für die neuen Studenten am letzten Samstag des Monats. Und psst am Abend wird's noch ne Party geschmissen, allerdings nicht mehr auf dem Campus Gelände, das hätten die Professoren niemals erlaubt" erklärte Robin schulterzuckend, aber mit einem Grinsen in den Augen.
Ich lächelte ihm zu, obwohl ich schon wusste, dass ich sehr wahrscheinlich nicht auf diese Party gehen würde.
„Ich habe auch gehört, dass am Abend das Teleskop für Interessierte offen sein wird. Das bedeutet wir können auch hingehen, obwohl wir noch im ersten Jahr sind" erzählte Arthur plötzlich und ich lehnte mich interessiert ein Stück nach vorne.
Dieses Sommerfest würde ich nicht verpassen.
„Was machst du denn eigentlich so in deiner Freizeit, Froy?" schaute mich Jack fragend an.
„Naja ich beschäftige mich auch in meiner Freizeit sehr viel mit Sternen und ich mache immer mal wieder was mit meiner Freundin"
„Ah verstehe, du lebst wohl wirklich für dein Studium. Sport machst du nicht?"
„Ich habe in meiner alten Schule Hockey gespielt, aber ich bin mir unsicher, ob ich wieder anfangen soll"
„Was Hockey? So ein Zufall. Robin spielt hier an der Uni Hockey" meinte Jack fast schon aufgeregt und klopfte mit seiner Hand auf den Arm seines gegenübersitzenden Freunds.
„Wirklich?" perplex zog ich meine Augenbrauen hoch und Robin nickte:
„Ja tatsächlich. Seit ich hier studiere, bin ich im Team. Du kannst gerne mal vorbeikommen. Training ist immer am Montag und Donnerstag um 18 Uhr"
„Und du meinst ihr braucht neue Mitglieder?"
„Wir freuen uns immer über Nachwuchs. Vor allem mussten zwei vor ein paar Monaten aufhören, weil sie ihr Studium beendet hatten und weggezogen sind. Soll ich dich am Donnerstag den anderen mal vorstellen?" schlug mir Robin freundlich vor und nach kurzem Überlegen stimmte ich zu.
Ich war nicht nur hier in London, um zu studieren, ich hatte mir vorgenommen mich zu verändern oder zumindest mich weiterzuentwickeln. Vielleicht wäre ein Teamsport genau der richtige Anfang dafür.
Der nächste Tag fing seltsam an, als ich zur Uni kam und Arthur nicht in der Vorlesung vorfand, auch Robin und Jack wussten nicht, wo er war, als ich die beiden morgens kurz traf. Als ich ihn anrief, ging er auch nicht an sein Handy, weswegen ich den Vormittag alleine verbrachte.
Ellie war zwar auch an dieser Schule, doch ihr Fachräume für Geographie waren in einem Gebäude am anderen Ende der Straße und in den kurzen Pausen zwischen den Vorlesungen hatte ich leider nicht die Zeit sie zu besuchen.
Die Zeit ohne Arthur erinnerte mich auf eine Art schmerzlich an meine letzten Abschlussjahre. Es machte mir nichts aus alleine zu sein, aber der Gedanke nicht zu wissen, wo Arthur war, macht mich ein wenig verrückt.
Das war genau mein Problem gewesen, schon seit Ewigkeiten: Verlustangst.
Mein ehemaliger bester Freund hatte in der 11. Klasse die Schule abgebrochen und war in die USA gereist. Es hatte mich irgendwie zerbrochen und mein Kopf hatte sich dazu entschieden, dass ich meinen besten Freund lieber vergessen solle, als ihm schmerzlich nachzutrauern.
Ihm das allerdings offen sagen, gelang mir nicht.
Das alles führte dazu, dass ich keine Ahnung hatte, wo er gerade steckte. Ich wusste nicht einmal, wie spät es gerade bei ihm war.
Ich hatte mich an das alleine-sein gewöhnt, beziehungsweise gewöhnen müssen, denn meine Angst ließ es selten zu, dass ich mich neuen Leuten öffnete.
Ich wollte nicht abhängig von ihnen werden und eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass das genauso bei meinem Mitstudenten schon passiert war.
Fast schon wütend schüttelte ich den Kopf bei diesem Gedanken, Arthur hatte mich nicht verraten, im Gegenteil: Er hatte mir seine Freunde gezeigt, er respektierte meine manchmal seltsame Art und hinterfragte nicht, wenn ich an manchen Tagen seinen Berührungen auswich.
Obwohl ich ihn erst seit zwei Wochen kannte, kam er mir so vertrauenswürdig vor, jemanden den ich nicht aufgeben möchte. Und sein Fehlen hat bestimmt einen logischen Grund, den er mir erzählen wird, dachte ich mir und schob meine Angst beiseite.
So ging ich alleine in meine Kurse, unterhielt mich kurz bei einem Gruppenprojekt mit einem Physikstudenten und traf mich mit Ellie zum Mittagessen. Doch da ihre Mitbewohnerin Isla dabei war, redeten wir bloß über Smalltalk und meine Gefühle schluckte ich erst einmal tief herunter – so wie ich es schon oft getan hatte.
Als schließlich meine letzte Stunde für den Tag zu Ende ging, schrieb ich eine Nachricht an meine Freundin:
„Hab jetzt Schluss, wollen wir zusammen was machen?"
Ich legte mein Handy wieder zurück auf den Tisch des Aufenthaltsraums, in dem viele Studenten mit Laptops, IPads oder Block und Stift saßen und leise lernten.
Sie warteten auf ihre nächste Vorlesung, erledigten Hausarbeiten oder Gruppenprojekte oder entspannten einfach. So wie das Mädchen mit den lila Haaren, welche große Kopfhörer trug und ihre Augen geschlossen hatte. Wenn man genau hinsah, konnte man leicht erkenn, dass sie schlief: Hinter ihren Augenlidern zuckten ihre Augäpfel rasant hin und her, was ein Zeichen dafür war, dass sie träumte.
Ich musste lächeln als ihr Mundwinkel leicht zuckte und sie ein wenig überrascht die Augen öffnete und sich umsah. Diskret wand ich meinen Blick ab und nahm mein Handy wieder in die Hand.
Tatsächlich hatte Ellie geantwortet, doch zu meiner Enttäuschung schrieb sie:
„Ich habe leider noch zwei Stunden Vorlesung und danach direkt Training. Wie siehts bei dir morgen aus?"
Ich überlegte kurz, bevor ich meine Antwort eintippte:
„Ich wollte morgen um 18 Uhr zu einem Hockey Training gehen"
„Ist doch cool, dann komme ich danach zu dir und du erzählst mir wie's war?" antwortete sie und ich dachte daran, dass ich morgen eigentlich Sterne schauen wollte, da eine Sternschnuppen Nacht sein würde. Ich schüttelte den Kopf und schickte meine Antwort los:
„Klar, du kannst gerne vorbeikommen"
Dann würde ich eben heute Abend wieder ins Feld fahren. Sternschuppen Nächte würde ich noch genug in meinem Leben sehen.
Also stieg ich auf mein Fahrrad, um nach Hause zu fahren, doch irgendetwas hielt mich zurück. Mein Magen begann zu grummeln und ich dachte darüber nach wie viel essen ich noch im Kühlschrank hatte.
Tatsächlich würde sich dort nicht viel befinden, weshalb ich beschloss in die Stadt einkaufen zu fahren. Ich konnte zwar auch bei meinem tollten Supermarkt nebenan meine Besorgungen erledigen, doch lieber bummelte ich noch einmal durch die Stadt und fand vielleicht noch mehr als nur mein Abendessen.
Ich trat in die Pedale und fuhr in Richtung Norden, also zum Hauptpunkt von Egham.
Jedoch kam ich nicht einmal bis dorthin, denn schon von weitem fiel mir ein grün gestrichenes Gebäude mit großem Fenster auf: Das „Edition"
Ich wusste nicht was es war, aber irgendwas zog mich zu dem Café hin. Warum eigentlich nicht, dachte ich mir und stellte mir vor, wie ich in diesem gemütlichen und fast mysteriösen Raum einen Tee trinken würde. Einkaufen könnte ich auch danach, denn bis Sonnuntergang war noch reichlich Zeit.
Im Fahren schwang ich mein Bein über den Sattel und kam so langsam zum Stehen. Vorsichtig lehnte ich mein Fahrrad gegen die Wände und achtete darauf, dass bloß keine Blumen zerstört werden würden.
Vor der Tür stand ein kleiner Stehtisch, doch da dieser der prallen Sonne ausgesetzt war, hatte sich kein Gast dazu entschieden hier draußen einige Zeit zu verweilen. Auch drinnen schien nicht viel los zu sein, schließlich war der kritische Zeitpunkt zwischen Tee und Abendbrot erreicht, ich schaute auf meine Uhr, die 18 Uhr anzeigte.
Ich griff nach dem verschnörkelten Metallgriff und öffnete die Tür des Ladens.
Jetzt wo so wenig Leute im Café waren, fiel mir erst die Einrichtung auf. Überall waren Pflanzen verteilt, die die Helligkeit des Raumes leicht einschränkte, da sich auch hängende Pflanzen von der Decke um die altmodischen Kronleuchter rankten.
Die weißen Wände sorgten dafür, dass der Laden nicht direkt wie ein Urwald wirkte.
Hier drinnen musste außerdem eine Klimaanlage laufen, den sofort kühlte sich meine Haut auf eine entspannte Temperatur herunter.
An einem der großen Fenster saßs ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern, die sich tierisch über kleine Kekse freuten, während die Erwachsenen aus blau-weißen Tassen tranken. Ein paar Tische weiter saßs ein älterer Mann und blätterte in einer Zeitung. Dabei biss er ab und an von einem Sandwich ab.
Ich trat nun ganz in den Laden hinein und schloss die Tür hinter mir. Wie schon vor ein paar Tagen schlängelte ich mich zwischen den Tischen entlang und achtete bloß darauf, dass mir kein Kronleuchter gegen den Kopf schlug.
Hinter dem, wie konnte anders sein, grünen Tresen, auf dem alle möglichen Dinge standen, stand das blonde Mädchen von letztem Mal. Sie hatte aus Versehen das Geschirr fallen gelassen, als ich gegangen war. Heute trug sie keine pinke, sondern eine orange Bluse mit gepufften kurzen Ärmeln.
Ihr Blick war nach unten gerichtet, da sie eine Tasse trockenwischte.
Kurz bevor ich am Tresen ankam, sah sie allerdings hoch und begann freundlich zu lächeln. Das Lächeln war so echt und auch ihre Augen fingen nahezu an zu funkeln, dass ich zurück lächeln musste. Ich war nicht gewohnt, dass Servicekräfte so überaus ehrlich freundlich reagierten, wenn man etwas von ihnen wollte. Die meisten setzten bloß ein falsches Lächeln auf.
Ich trat an den Tresen heran, während sie die Tasse beiseitelegte und mich fragte:
„Hi, du bist Froy richtig? Du warst schon mal wegen Mr Edit hier"
„Ja da hast du Recht. Wie kommt es, dass du dir meinen Namen gemerkt hast?" fragte ich das Mädchen genauso direkt und sah sie neckisch an.
„Du bist mir halt aufgefallen und außerdem kommen nicht so oft Jungs vorbei, die den Chef sprechen wollen" sie grinste und mit ihren Lachfalten bewegten sich auch ihre vielen Sommersprossen, die über ihr ganzes Gesicht verteilt waren.
Ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanzen gebunden und die einzelnen Haare bewegten sich bei jeder kleinsten Bewegung hin und her.
„Und wie ist dein Name? Schließlich kennst du meinen" wollte ich wissen und lehnte mich ebenfalls leicht an den Tresen an.
„Mein Name ist Hera und bin 20 Jahre alt. Das wäre bestimmt deine nächste Frage gewesen" sie grinste mich an, während ihr Blick plötzlich zum anderen Ende des Raumes flitze und sie mir ein „Warte kurz" zu raunte.
Schnell eilte sie um den Tresen herum an mir vorbei und ich folgte ihr mit meinen Augen durch den Raum. Die Frau mit ihrer Familie hatte den Arm gehoben und wollte gerne bezahlen. Hera zog ein schwarzes Portmonee aus ihrer Schürzentasche heraus und kassierte ab. Sie bedankte sich noch für ein wenig Trinkgeld und kam dann wieder zurück zu mir.
In der Zwischenzeit hatte ich mich auf eine Art Barhocker verzogen und saßs dem Mädchen nun aufrecht gegenüber, wodurch ich noch ein paar Zentimeter größer als vorher war.
Was sie auch gleich mit „Du wächst aber schnell" kommentierte. Ich musste lachen, obwohl ich es eigentlich nicht wollte, aber war so positiv überrascht darüber, dass Hera so ähnlich zu denken schien wie ich. Obwohl sie selbstverständlich und eindeutig frecher war als ich.
„Ne ganz schön vorlaute Kellnerin bist du, bist du zu allen Gästen so?" fragte ich kopfschüttelnd.
„Kellnerin? Pff ich schmeiß doch gerade den ganzen Laden. Falls jemand was zu essen will, werde ich kurzerhand zum Koch. Und natürlich bin ich nicht zu allen Gästen sah. Nicht wahr, Mr Taylor?" rief sie auf einmal dem alten Mann mit der Zeitung zu, den ich eigentlich für mürrisch gehalten hätte. Doch Mr Taylor senkt seine Zeitung ein wenig und zwinkert uns lächelnd zu.
„Ich konnte einfach spüren, dass du nicht so ein, wie sagt man, einfältiger Gast bist, Froy"
Ich dachte über ihre Worte nach und fragte mich, ob meine optische Erscheinung tatsächlich so etwas ausstrahlen würde, doch bevor ich etwas erwidern konnte, sprach Hera weiter:
„Aber Fakt ist, dass du mein Gast bist. Was kann ich dir also bringen?"
„Einen Earl Grey bitte"
„Richtig klassisch also, mach ich dir sofort" mit diesen Worten verschwand sie für ein paar Minuten in der Küche und kam dann mit einer diesen bunten Teetassen und einem Teller Kekse mit.
Beides stellte sie mir hin und meinte dann: „Bitte sehr. Die Kekse schenke ich dir, normalerweise bekommt man nur einen" sie zwinkerte mir mit ihren blauen Augen zu.
Überrascht über diese weitere Freundlichkeit, brachte ich nur ein kurzes „Danke" heraus und biss in einen Keks. Er schmeckte nach Karamell.
Während mein Tee abkühlte, bis er trinkbar war, ging Hera zum Tisch, wo die Familie gesessenen hatte und wischte Krümel und Tee Reste weg.
Dann kam auch noch eine junge Frau, bestellte ein Sandwich zum Mitnehmen, welches Hera ihr zubereitete und verschwand dann wieder. Das Mädchen in der orangenen Bluse zwinkerte mir bedeutend zu, als sie das Essen brachte und ich verdrehte lächelnd die Augen. Aus einer Kellnerin war für kurze Zeit eine Köchin geworden.
Als wieder ein wenig Ruhe im Café einkehrte, gesellte sich das Mädchen zu mir und sie begann mich auszufragen. Sie wollte wissen, wie alt ich bin, was ich studieren und seit wann ich in London leben würde.
Großzügig beantwortete ich ihre Frage, während ich meinen Tee trank, und erzählte ihr von meinen ersten Wochen in London. Interessiert hörte sie zu und nickte immer wieder. Sie schien es sehr zu faszinieren, dass ich Astronomie studieren würde und ich freute mich sehr darüber.
Ich wusste nicht, warum sie so nett zu mir war, aber es gefiel mir, dass ich meine Gedanken loswerden konnte, schon fast vergaß ich meine Sorge um Arthur.
Ich strich mir durch die Haare und mein Ohrring in Form eines roten Kreuzes klapperte als ich lachte, weil Hera mir einen Geschichte über ihre Tollpatschigkeit erzählt hatte.
„Coole Ohrringe übrigens, aber dein Ohrläppchen sieht ein wenig gerötet aus" bemerkte sie und musterte die entsprechende Stelle.
„Ich hab sie noch nicht so lange, es war eins der ersten Dinge, die ich getan habe, als ich hierher gezogen bin"
„Wie denn das?" horchte Hera neugierig nach und lehnte sich gegen die Wand hinter dem Tresen.
„Naja, immer wenn ich etwas Besonderes in meinem Leben getan habe, habe ich es an meinem Körper verewigt" Ich deutete auf mein Nasenpiercing „Das habe ich mir stechen lassen, als ich meinen Führerschein gemacht habe und vor ein paar Monaten, also zum Schulabschluss hab ich mir ein Baunabelpiercing machen lassen"
„Wow, das ist ja was Besonderes. Willst du dir auch Tattoos machen lassen?" fragte sie nach.
„Ich weiß nicht" antworte ich ehrlich „Piercings und Ohrringe sind oft ohne Motive und das gefällt mir. Klar, Tattoos können auch nur Formen sein, aber ich will ehrlichgesagt nicht deswegen angesprochen werden. Ich bin nicht so der kommunikative Typ"
„Dann ist es ja schön, dass ich dich heute anscheinend an einem guten Tag erwischt habe" lächelt Hera und wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab.
„Das stimmt wohl" ich sah zu ihr hinüber, lächelte dem Mädchen leicht zu und trank den letzten Rest meines Tees aus.
Als ich auf die Uhr sah, bemerkte ich, dass ich nunschon fast eine Stunde in diesem Café gewesen war und holte passend Geld ausmeiner Tasche heraus.
„Ich muss los, Hera, war wirklich nett mit dir. Den Rest kannst du behalten"ich drückte ihr das Geld in die Hand und sie nickte.
„Komme gerne mal wieder, ich bin jeden Tag hier" sie stemmte ihre Hände in dieHüfte, sodass es fast auffordern aussah, wie eine Mutter, die wissen wollte, woihr Sohn den ganzen Tag gewesen war.
„Verstehe schon. Und danke für die Kekse" erwiderte ich schmunzelnd und wandmich um, um den Laden zu verlassen und einkaufen zu fahren.
„Auf Wiedersehen Mr Taylor" sprach ich noch kurz den alten Mann an, derebenfalls die ganze Zeit im Geschäft verweilt war. Dieser nickte mir freundlichzu und vertiefte sich dann weiter in seine Zeitung.
Etwas seltsam war es schon, denn normalerweise blieb ich lieber für mich und eswar schon ein Weile her, dass ich Leute so gegrüßt hatte.
Das war in meiner Heimat Dover gewesen, wo man eben auch ein paar Leute grüßt,auch wenn man sie nicht kennt.
Bevor ich den Laden verließ und auf mein Fahrrad stieg, drehte ich mich nocheinmal um und winkte Hera zu.
Schon lange hatte ich nicht mehr das Gefühl gehabt, zuhause zu sein.
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