23. Warum entkomme ich dem Leiden nicht?
Ich schwänzte den Dienstag und auch den Mittwoch, und verbrachte die ganze Nacht in meinem Bett mit meinen Skizzenbüchern über Sterne. Die einzelnen Seiten wellten sich und waren an manchen Stellen durchlöchert, weil ich zu doll mit dem Kugelschreiber aufgedrückt hatte.
Meine Augen taten weh und waren gerötet, doch ich hatte Angst zu schlafen und von Ellie zu träumen. Am Abend nach unserer Trennung hatte ich wieder geträumt, dass sie in eine Schlucht fällt, weil ich sie losließ.
Ansonsten schaffte ich es einfach nicht meine Wohnung zu verlassen und als ich mich am Donnerstag endlich aufraffen konnte, passierte genau das, wovor ich Angst gehabt hatte.
Es fing alles damit an, dass ich mit dem Fahrrad an der Universität ankam und dachte ich könne mich beherrschen. Doch in dem Moment als Arthur ankam, brach mein innerer Damm und ich lag flennend in seinem Arm. Ich hatte ihn vorher noch nie umarmt. Und er hatte mich vorher noch nie weinend gesehen.
Dem entsprechend hatte mich Arthur möglichst schnell und unauffällig in eine kleine Lernkapsel gebracht, die in überall in der Uni verteilt standen, wo die Studenten in Ruhe lernen konnten. Zu zweit war es zwar etwas eng, aber niemand konnte uns draußen hören oder sehen.
Mein Studienfreund war offensichtlich sehr überrascht und überfordert und versuchte sich mit Fragen zu erschließen, was mit mir los war.
Nach kurzer Zeit gestand ich ihm, was ich getan hatte.
„Ich habe mich von Ellie getrennt, Arthur. Was soll ich jetzt nur tun?"
Aber was hätte er mir schon raten können? Er war selbst noch nie in der Situation gewesen.
Er riet mir sie zu vergessen und mich abzulenken, dann würde ich bestimmt auf andere Gedanken kommen.
Ich wischte mir die Tränen weg und nickte. Im Nachhinein wünschte ich, Arthur hätte etwas anderes gesagt. Denn daraufhin stürzte ich mich in Aufgaben, die mir meine Dozenten gaben. Ich lieh mir duzend Bücher aus der Bibliothek aus und las so viel über Themen, die mich eigentlich nicht interessierten. Mathe, zum Beispiel.
Aber ich musste es tun, in jedem Augenblick, wo ich nichts zu tun hatte, spürte ich wie meine Gedanken zu Ellie wanderten und mein Herz sich verkrampfte.
Doch ich konnte weder Ellie hinter mir lassen noch auf Hera zugehen.
„Ich habe dich gewählt, doch lass mir bitte Zeit, um das alles zu verarbeiten" hatte ich HR 8832 geschrieben und sie hatte mich in Ruhe gelassen und nicht mehr nachgefragt. Zeitweise wünschte ich mir, sie würde mich anrufen oder mir eine Nachricht schreiben. Jedoch nahm sie meinen Wunsch äußerst ernst und meldete sich leider nicht.
Auch beim Training gab ich mir Mühe, wie ich es vorher noch nie getan hatte. Meine Mitspieler freuten sich zwar über meine ausgezeichnete Leistung, doch meine Stimmung war nicht besonders gut. Sam und Robin fragten mich mehrmals, ob alles in Ordnung sei. Ich öffnete mich ihnen jedoch nicht und bejahte ihre Frage, obwohl es gelogen war.
Die wenigen Tage Fokus auf meine Studien hatten mich wieder versteinern lassen. Der Gedanke, ich könnte jemanden lieben oder geliebt werden, war für mich schon fast nicht mehr greifbar. Ich hatte meine Gefühle in die hinterste Ecke meines Körpers verband und versuchte möglich unnahbar und unantastbar zu sein. Wie sollte ich sonst das alles schaffen?
Und trotzdem war meine Fassade nicht perfekt, schließlich fragten mich die Anderen, wie es mir ging, was sie sonst nicht taten. Aber ich konnte nichts dagegen tun.
Am liebsten hätte ich alles wieder rückgängig gemacht und mich mit Ellie versöhnt, aber ich wusste, dass dies für schlimme Konsequenzen sorgen würde. Vor allem für Hera.
Aber auch der Wunsch die Zeit noch länger zurückzudrehen, in eine Zeit ohne Ellie und Hera, war in den letzten Tagen immer mal wieder in meinem Kopf aufgetaucht. Ich bereute unsere gemeinsame Zeit keinesfalls, doch hatte ich das Gefühl, dass ich vor dieser Zeit einmal glücklicher war. Leider konnte ich mich nicht mehr genau erinnern. Nicht erinnern an das Gefühl, dass es nur mich in meiner Welt gab. Nur um mich musste ich mir Sorgen machen. Ich musste keine Prioritäten setzen und war allein mit den Sternen. Jetzt war es ähnlich, doch mein Blick für die Sterne hatte sich verändert. Wenn ich in den Himmel schaute, sah ich mehr als früher. Ich sah Leben.
Und obwohl ich seit Beginn meines Interesses für den Kosmos, gewusst hatte, dass es da draußen mehr gab, als wir glaubten, machte mir die Wahrheit plötzlich Angst. Es war nicht die typische Angst, sondern sorgte der Blick in den Himmel für einen Gänsehaut und einen Kloß im Hals. Die Sterne blieben nicht dort, wo sie hingehörten, sie waren schon vor langer Zeit zu uns gekommen, ohne dass es jemand bemerkt hatte.
An meinem ersten Wochenende ohne meine Love fühlte ich mich unglaublich alleine. Und ich hasste dieses Gefühl, denn es war so sinnlos und unlogisch. Ich hatte schon oft Wochenende ohne Ellie verbracht und es war kein Problem gewesen. Ich hatte mich damals immer darauf gefreut, mir mal keine Gedanken machen zu müssen und stundenlang mit meinem Teleskop herumprobieren zu können. Allerdings war meine Freude verschwunden.
Denn zu wissen, dass wir nicht mehr zusammen Zeit verbringen würden, vermutlich nie mehr, machte mich fast krank. Die schlimmen Kopfschmerzen kamen wohl vom Stress, der Schlaflosigkeit und dem Mangel an Trinken, sagte der Arzt, als ich aus Frust und sozusagen Langweile in die Praxis ging.
Der Zeitpunkt war erreicht, dass ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Um von der vielen Arbeit vom Studium zu entkommen, die ich selbst gewollt hatte, setzte ich mich an einem extra belebten Tag ins Wartezimmer eines Arztes, um dort Ewigkeiten zu warten. Von außen sah ich gesund aus, vielleicht ein bisschen blass, aber im Inneren war ich kaputt. Ich wollte es nur niemanden zeigen. Der Arzt erkannte es allerdings, er nannte es zwar nicht Liebeskummer, aber ich sah es in seinem Blick.
Ich wollte keinen Kummer haben. Wer wollte das schon?
Er gab mir Tabletten und empfahl mir mich auszuruhen. Ich verließ die Praxis und sah in die vielen erschöpften Gesichter der Leute, die wirklich krank waren. Eigentlich hätte ich mich schlecht fühlen sollen, weil ich ihre Wartezeit für meine Lappalie verlängert hatte, doch es gelang mir nicht. Die Empfangsdame entschuldigte sich sogar bei eigenen Ausharrenden für die lange Wartezeit. Ich wand mich ab und ging schnellen Schrittes davon. Im Prinzip hätte ich lieber eine richtige Krankheit, als Liebeskummer, doch ich war zu egoistisch, um etwas selbstzerstörerisches in dieser Richtung zu tun.
Lange blickte ich die kleinen weißen Kapseln in meiner Hand an und dachte darüber nach sie zu nehmen. Ich seufzte und legte sie wieder zur Seite. Diese Tabletten würden nichts bringen. Was brachte es schon, wenn meine Kopfschmerzen verschwanden, nur weil ich wieder schlafen würde? Diese Dinger würden nicht mein wahres Problem lösen. Und wie gesagt, ich konnte nicht schlafen, weil ich es nicht wollte.
Es war wieder Donnerstag und ich wusste nicht, wie ich die ersten eineinhalb Wochen überstanden hatte. Aber irgendwie hatte ich es geschafft, was nicht bedeutet, dass es mir mental gut ging.
Deswegen zog ich mir ein weißes Hemd an und einen dunkelblauen Pullunder drüber. In meine Ohrlöcher steckte ich heute silberne Ringe und stylte meine Haare. Es war kein besonderer Tag, aber ich wollte den Anschein machen, dass mit mir alles gut war. Dass ich der perfekt organisierte Student war.
Ich schaute mich im Spiegel an und war zufrieden. Meine Augen hatten sich in den letzten Tagen erholt, weil ich es irgendwann doch nicht mehr ausgehalten habe und deswegen geschlafen hatte, weswegen sie nicht mehr so gerötet waren. Meine Haut war zwar immer noch blass, aber es fiel meiner Meinung nach nicht groß negativ auf.
Ich zog meinen Mantel zum Schluss an, da das Wetter sehr gemischt und eher kalt war und machte mich auf den Weg zum Campus.
Arthur traf ich direkt in der Eingangshalle und zusammen gingen wir in die erste Vorlesung. Der Tag verlief für erste genau wie die letzten auch. Ich bemühte mich in den Stunden sehr zuzuhören und mitzuschreiben, lernte in Freistunden mit Arthur in der Bibliothek und traf mich in den Pausen mit Jack und Robin. Robin war etwas emphatischer als Jack und hatte einige Male nach meiner emotionalen Verfassung gefragt, weswegen ich irgendwann Einzelgespräche mit ihm vermieden hatte. Doch sein Freund Jack war ein wenig anders gestrickt, dieser fragte nicht nach. Nur wusste ich nicht, ob er es aus Diskretion tat oder weil meine Tarnung bei ihm einfach wirkte. Zumindest sorgte der große junge Mann unabsichtlich dafür, dass sich die anderen mit Fragen an mich zurückhielten. Das gab mir das Gefühl beim Mittagessen in Sicherheit zu sein, ohne noch mehr schauspielern zu müssen, als ich es eh schon tat.
Nichtsdestotrotz war es am Donnerstag anders.
In der Mittagspause, als ich gerade mit meinen Freunden, in die Mensa gehen wollte, sah ich Isla zielstrebig auf mich zusteuern. Ihr Ausdruck war ernster als sonst und ihre lockigen Haare wippten bei jedem ihrer energischen Schritte auf und ab.
Was machte sie hier? Ellies Mitbewohnerin kam so gut wie nie zum Hauptgebäude herüber, weil das Außengelände eine eigene kleine Kantine hatte. Ellie war nur für mich gekommen, was nun auch nicht mehr der Fall war.
Die Geografie Studentin blieb kurz vor mir stehen und umfasste den Riemen ihrer Umhängetasche.
„Hey Froy" ihre Stimme klang freundlich, aber auch distanziert.
„Hallo Isla" antwortete ich überrascht „Wie kommt es, dass du hier bist?"
„Ich darf sein, wo ich will" konterte sie, wie ich es von ihr kannte. Doch dann schüttelte sie den Kopf: „Ich wollte mit dir reden"
Arthur stand ein paar Schritte hinter mir und ich meinte zu ihm:
„Geh schon einmal vor, wir sehen uns später"
Er nickte verständnisvoll und ließ mich zurück. Vor einer Woche hätte mich Islas Anwesenheit komplett aus dem Konzept gebracht, doch ich hatte gelernt mich ein wenig zu beherrschen und zu sammeln.
Isla und ich blieben in der Eingangshalle stehen und einige Studenten wuselten um uns herum.
Ich wartete bewusst darauf, dass sie den ersten Schritt machte, schließlich wollte sie etwas von mir. Währenddessen musterte ich sie. Isla trug einen gelben Pullover, der weich aussah und ihre Hautfarbe gut betonte. Außerdem trug sie einen schwarzen langen Rock, der fast bis zum Boden reichte. Das Mädchen wirkte viel erwachsener und ernster, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass sie nicht, wie sonst immer, lächelte.
„Wie geht es dir, Froy?" fragte Isla mich aus dem Nichts und schaute mir in die Augen. Die Frage war kein belangloser Einstieg, sie schien wirklich wissen zu wollen, was in meinem Inneren passierte.
Ich schluckte, bevor ich antworte:
„Mir geht es gut, das siehst du doch"
„Verstehe" antworte sie ruhig und nickte. Dann wand sie ihren Blick ab und sagte sehr leise:
„Du hast also nicht vor, es noch einmal mit Ellie zu versuchen?"
Perplex blickte ich sie an und wich einen Schritt zurück. Ich war nicht bereit für so ein Gespräch, nicht hier vor den ganzen Leuten.
„Nein, ich habe mich entschieden" brachte ich schnell heraus. Ich wollte hier eigentlich nur noch weg. Meine Hände fingen leicht an zu kribbeln und mein Auge zuckte.
Isla beobachtete mich und schüttelte dann wie enttäuscht den Kopf:
„Du weißt nicht, wie es Ellie geht. Du bist nicht da, um zu sehen, wie sie leidet, weil du Schluss gemacht hast. Froy, ich versteh das nicht. Wie kann es sein, dass du sie auf einmal nicht mehr liebst?"
„Es ist nun mal so" murmelte ich umfasste in meiner Hosentasche mein Handy so fest, dass es zu zerbrechen drohte. Ich durfte vor Isla keine Schwäche zeigen. Doch zu wissen, dass Ellie so litt, tat mir unglaublich weh. Ich hatte das doch alles nicht gewollt.
„Sie muss sich jemanden anderen suchen, der sie glücklich macht"
Isla starrte mich ausdruckslos an „So wie du es wohl auch getan hast, Mr Badger..."
Vorwurfsvoll funkelte ich sie an und wies ihre Andeutung zurück: „Du weißt nicht was in mir vorgeht, Isla, und du weißt auch nichts von den Dingen, die ich nicht kontrollieren kann. Also mach mir keine Vorwürfe"
„Oh doch, es war genau richtig, dass ich gekommen bin, denn du scheinst dein Herz verloren zu haben. Du bist kalt und unglücklich. Die anderen kannst du vielleicht täuschen, aber ich habe dich lang genug kennengelernt, um zu verstehen wie du tickst"
Ich war nicht wütend auf sie, aber ich spürte, wie ich meine emotionale Kontrolle verlor und gestikulierte bei jedem meiner Worte wild mit:
„Ich habe ihr doch angeboten, dass wir Freunde bleiben können. Weißt du, was Ellie dann getan hat? Sie hat mich geschlagen: Wie eindeutig soll ihre Antwort denn noch sein?"
Fassungslos blickte Ellies Mitstudentin mich an und schüttelte dann den Kopf:
„Dir ist auch nicht mehr zu helfen, Froy. Du hast genau das gesagt, was niemand hören will. Ellie hat mich nicht geschickt, um mit dir zu sprechen, es war allein meine Idee. Aber wenn ich dich jetzt so sehe, ist es wohl gut, dass es vorbei ist. Sie hat jemanden Besseren verdient, als einen Untreuen wie dich"
Mit diesen Worten drehte sie sich um und schritt davon. Ihr Rock flatterte, als sie die Eingangstür öffnete und der Wind hineindrang. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand sie.
Baff blieb ich an Ort und Stelle stehen und wusste nicht was ich tun oder fühlen sollte.
War ich wirklich so ein schlechter Mensch?
Leider konnte ich auch nicht wissen, ob Isla mit Ellies Zustand übertrieb, dafür müsste ich sie mit eigenen Augen sehen, aber das konnte ich einfach nicht.
Es schnürte mir den Hals zu und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Ich strich mein Hemd glatt und eilte dann zu den Toiletten.
Grad als ich die Kabine hinter mir geschlossen hatte, musste ich würgen und übergab mich.
Ich hatte schon lange nicht mehr kotzen müssen und ich wischte mir besorgt den Schweiß von der Stirn weg.
Meine Fassade begann immer mehr zu bröckeln und meine Gedanken spielten verrückt. Ich fühlte mich schrecklich. Eine Stimme in meinem Kopf sagte mir jedoch, dass ich den Schmerz verdient hätte, weil Ellie auch litt und ich an allem Schuld war.
Ich schloss meine Augen und übergab mich wenige Sekunden später wieder.
Mein Magen zog sich zusammen, aber ich akzeptierte es. Vor wenigen Tagen hatte ich mir noch gewünscht krank zu sein, statt Liebeskummer zu haben.
Hier war sie also: Meine Strafe.
Am nächsten Tag schrieb mir Arthur ganz früh morgens eine Nachricht:
„Guten Morgen, Froy, ich komme heute nicht zur Uni (meine kranke Freundin, du weißt schon). Wir sehen uns am Montag. Du schaffst das schon ohne mich"
Leider war ich mir wegen seinem letzten Satz nicht so sicher, denn ich fühlte mich schrecklich. Die Übelkeit war zwar wieder weg, im Gesamten war ich auch körperlich fit, aber mental eben nicht.
Es fühlte sich an, als wäre die Schutzschicht, die mir sonst Sicherheit gegeben hatte, aus Ton, der nun mit jedem Schlag auseinanderfiel. Wie kleine Platten fiel mein Selbstbewusstsein herab und zerschellten auf dem Boden.
Ich zog meine Klamotten von gestern an, denn ich konnte mich nicht mal mehr auf eine ordentlich Kleiderauswahl konzentrieren.
Auf dem Weg zur Uni fuhr ich geistesabwesend über eine rote Ampel und fast in eine Gruppe Fußgänger. Ich hatte das Gefühl, dass meine Augen mir Streiche spielten, indem das Licht der Straßenlaternen ungewöhnlich hell aufblitzte.
Und trotzdem schaffte ich es zum Campus, war aber so am Ende, dass ich in meiner Mathe Vorlesung kurz einschlief.
Die folgende Pause verbrachte ich auch nicht mit Robin und Jack, sondern alleine im Lernbereich der Universität. Dort redete niemand. Niemand würde mich fragen, wie es mir ging und das war im Moment das Einzige, was ich wollte.
Erschöpft schleppte ich mich in die letzte Astronomie Vorlesung der Woche und konnte mich dort allerdings auch nicht konzentrieren. Mein Stift fuhr über das Papier, ohne dass ich darüber nachdachte und das Kuddelmuddel, was sich dann auf meinem Papier befand, ähnelte sehr den Gedanken in meinem Kopf.
Kurz vor Ende der dreistündigen Vorlesung raschelte es neben mir und ich sah, wie Takumi sich an den Leuten in meiner Reihe vorbeiquetschte. Ich saßs ganz alleine am Rand.
„Hey Froy" meinte er leise und setzte sich direkt auf den Platz neben mich.
Das verwunderte mich sehr, denn ich mochte den jungen Mann zwar, doch wir hatten seit dem Ausflug zur Sternenwarte nichts mehr wirklich zusammen gemacht.
„Hi" antwortete ich nur leise und ich merkte selbst, dass meine Stimme schwach klang.
„Was hälst du davon, wenn wir gleich was zusammen machen?" fragte Takumi und lächelte mir freundlich zu.
„Gleich?" fragte ich überrascht.
„Ja, wenn die Vorlesung vorbei ist"
„Ich... Ich weiß nicht" antwortete ich unsicher und strich mir durch die Haare „Ich wollte eigentlich nach Hause"
Takumi lächelte zwar, schwang allerdings wie Isla zu einem ernsteren Ton um:
„Froy, ich mach mir Sorgen um dich. Willst du nicht mit mir drüber sprechen? Du siehst total abgemagert aus. Weißt du, ich habe Sandwiches dabei, die wir bei dir zuhause ganz in Ruhe essen können..."
Ich starrte Takumi an und wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Ich sehe abgemagert aus?" flüsterte ich fragend und Takumi nickte. Naja, ich hatte in den letzten Tagen, auch schon vor der Trennung nur noch sehr wenig gegessen.
„Bitte lass mich dir helfen" Takumi legte seine Hand auf den Tisch, in die Nähe, wo auch meine Hand lag.
Ich überlegte kurz und seufzte dann: „In Ordnung, nach der Vorlesung fahren wir zu mir nach Hause"
Auf dem Weg nach Hause wurde mir erst bewusst, in welchem Zustand ich meine Wohnung zurückgelassen hatte und ich knirschte verärgert mit den Zähnen.
Seit der Trennung war niemand mehr bei mir gewesen, weswegen es dementsprechend unordentlich war. Das gab ich auch Takumi zu verstehen, kurz bevor ich die Wohnungstür aufschloss und ihn eintreten ließ.
Drinnen mussten wir über einige Klamotten, Teller und vor allem Bücherstapel hinübersteigen, um in meine Küche zu gelangen. Da ich nur mein Schlafzimmer und die Küche als Aufenthaltsort zur Auswahl hatte, und ich nicht wieder die gleiche Sitzsituation wie bei der Trennung haben wollte, wählte ich gezwungener Weise die Küche. Auch sie war selbstverständlich nicht aufgeräumt. Aber wenigstens stand das schmutzige Geschirr in der Spüle und nicht auf dem Tisch herum, weshalb wir uns niederlassen konnten.
Takumi verlor kein einziges Wort über die Unordnung und tat so, als wäre alles gut.
Ich hingegen schämte mich schon für den Zustand meiner Wohnung. Das Bild, was ich so von mir Preis gab, war nicht das, was ich ihm zeigen wollte. Zwar hatte ich schon von Anfang an das Gefühl gehabt, vor dem jungen Mann mit japanischen Wurzeln, nichts verbergen zu müssen, doch diese Seite von mir, war mir selbst noch etwas fremd.
Ich war, trotz meines Kontrollzwangs, kein Ordnungsfanatiker, aber so schlimm sah es bei mir noch nie aus. Nicht mal nach tagelangen Sternennächten.
Takumi holte die besagten Sandwiches aus dem Rucksack heraus und reichte mir eines, welches in Alufolie eingepackt war.
„Danke" meinte ich leise und bedankte mich nicht nur für das Brot, sondern auch dafür, dass er da war. Schon jetzt fiel eine unglaubliche Spannung von meinen Schultern und ich hatte das Gefühl seit Tagen mal wieder richtig atmen zu können.
Der Geschmack des Sandwiches war gut, aber ungewohnt frisch, da ich mich in letzter Zeit, wenn überhaupt, nur von fettigen Fertiggerichten ernährt hatte.
„Froy, ich hatte darauf gehofft, dass du vielleicht auf mich zukommen würdest, um mit mir zu reden" begann Takumi vorsichtig, nachdem er einen Bissen heruntergeschluckt hat.
„Ich hatte es dir angeboten und gedacht, naja wenn er mich braucht, wird er schon kommen. Doch als ich dich heute schon wieder so gesehen habe, und ohne Arthur, habe ich es nicht mehr ausgehalten"
„Ist es so schlimm?" fragte ich und stützte mich mit meinen Ellenbogen auf dem Tisch ab.
„Jaein, du siehst einfach fertig und am Ende aus. So sehen einig Studenten im Lernstress aus, aber du doch nicht. Du bist anders, du würdest dir sowas nie anmerken lassen. Also muss es einen schlimmeren Grund geben" antwortete er und sein letzter Satz formulierte er wie eine Frage.
„Hm" ich nickte und strich mir seufzend durch die Haare „Da hast du leider Recht"
Die letzten Tage, hatte ich es vermieden irgendjemanden etwas über meine Gefühle zu erzählen, doch anscheinend konnte ich dem Leiden dadurch nicht entkommen.
War es an der Zeit loszulassen und Takumi zu sagen, was mit mir los war?
Vermutlich würde es meine Seele für eine kurze Zeit ein wenig entlasten...
„Ich weiß nicht mehr genau, was ich dir in Chichester erzählt habe, wegen Ellie und dem anderen Mädchen, meine ich" fing ich an und suchte Takumis Blick.
Dieser grübelte kurz und zählte dann auf:
„Du meintest, dass du Ellie liebst, aber auch Gefühle für das andere Mädchen hast. Dir aber nicht sicher bist, was für Gefühle das genau sind"
„Ja genau. Tatsächlich habe ich mich vor zwei Wochen von Ellie getrennt" brachte ich heraus und meinem Gegenüber fiel kurz das Lächeln aus dem Gesicht.
„Oh mein Gott, Froy, das tut mir sehr leid"
„Mir tut es auch leid. Ich wollte Ellie doch nicht weh tun, und habe es aber trotzdem gemacht..." ein wenig verzweifelt raufte ich mir die Haare.
„Bedeutet das, du hast Schluss gemacht, obwohl du sie noch liebst?" fragte er nach und beobachtete mich ruhig.
„Ja, so ist es"
Nun war es raus. Ich hatte es nicht aussprechen wollen und hatte auch meine Gefühle aus meinem Herzen verbannt, aber es stimmte, ich liebte Ellie immer noch.
„Aber warum hast du dann es getan?" Takumi schaute mich verwundert an und ich hob beteuernd meine Hände, als könnte ich nach etwas greifen.
„Ich musste es tun. Ich hatte keine Wahl"
„Du hast es also für das andere Mädchen getan? Froy, ich ... es tut mir leid, ich hätte dir damals nicht sagen sollen, dass du eventuell eine Veränderung anstreben solltest. So meinte ich das nicht" versuchte der junge Mann sich nun zu entschuldigen, weil er glaubte, er wäre für die Trennung verantwortlich. Doch er hatte mich nicht auf die Idee gebracht, er hatte mich damals sogar davon überzeugt, bei Ellie zu bleiben. Aber es war anders gekommen als geplant.
Ich schüttelte den Kopf: „Es war nicht deine Schuld. Es war der Preis, den ich zahlen musste"
Takumi hob langsam seinen Kopf, er schien sich zu erinnern.
„Der Preis?"
Ich nickte ein wenig traurig. Der Preis war es Ellie zu verlassen, um ein schönes Leben mit Hera zu führen und die Wahrheit über den Sternenhimmel zu kennen.
Ich seufzte. Nun war es eh zu spät: Takumi wusste schon mehr als jeder andere. Warum nicht gleich das große Ganze raushauen?
„Das Mädchen, für die ich Ellie verlassen habe, ist kein normales Mädchen" ich machte eine Kunstpause und schaute mein Gegenüber entschieden an: „Sie ist mein Schutzengel. Sie ist diejenige, die mich vor Edgar gerettet hat"
Takumi blickte mich fassungslos an und sagte nichts. Ich wusste nicht, ob er mich für verrückt hielt oder mir glaubte. Aber nun, da es ausgesprochen war, musste oder eher konnte ich ihm mein ganzes Problem erklären. Zumindest im Grobem.
„Ich liebe diesen Engel und es ist meine Pflicht sie von ganzem Herzen zu begehren. Auch wenn ich immer noch Ellie liebe, liebe ich auch sie. Sie ist anders, schließlich ist sie kein Mensch, und doch spricht sie wie einer und gibt mir das Gefühl mehr Mensch zu sein als jemals zu vor. Ein Mensch, der liebt, Leidenschaft fühlt und nach Antworten sucht"
„Bist du dir denn sicher, dass sie wirklich ein Engel ist?" fragte Takumi vorsichtig nach und ich verstand seine Unsicherheit nur zu gut.
„Es gibt keinen Zweifel. Ich habe mehrere Beweise gesehen"
„Wow, also damit hätte ich nicht gerechnet" meinte er baff und strich sich über seine kurzen schwarzen Haare. „Es ist also wie eine Zwangsehe, nur, dass sie ein Engel ist und, dass du sie liebst" zählte er fragend auf und ich nickte.
„Kenn ich sie?" fragte Takumi nun ein wenig neugierig nach und ich zuckte mit den Schultern.
„Bin mir nicht sicher, vielleicht hast du sie mal gesehen" mir war es irgendwie wichtig Heras Identität, zumindest fürs erste, geheim zu halten. Irgendwann würde es Takumi von alleine herausfinden, spätestens, wenn ich wirklich mit Hera zusammenkam. Was passieren musste und würde, da ich nicht zulassen konnte, dass sie wegen mir starb.
Der junge Mann seufzte und verschränkte dann die Arme vor der Brust:
„Ich will ja nicht sagen, dass ich am liebsten keine Ratschläge geben würde, schließlich bin ich auf dich zu gekommen, aber naja, es ist schon schwierig"
„Ich möchte aber gerne einen Ratschlag von dir" antworte ich und lehnte mich ebenfalls auf meinem Stuhl zurück.
„Das hatte ich befürchtet" er seufzte und musste ein wenig lächeln, bevor er wieder ernster wurde.
„Ich an deiner Stelle, würde es mit dem Engelmädchen versuchen, wenn du bereit dafür bist. Denn auch wenn es wie eine Zwangsehe ist, sie ist ein Engel und du sagst, du liebst sie wirklich. So schlecht ist das auch wieder nicht.
Aber im Ernst, mein Freund, ich verstehe dein Leiden wegen Ellie und warum dir das alles so zu schaffen macht. Überstürze also nichts. Doch wenn du glaubst, das Engelsmädchen könnte dich wieder glücklich machen, hey, dann versuche es"
„Und wenn ich Ellie nicht vergessen kann?"
„Wer sagt, dass du sie vergessen sollst? Sie war deine erste große Liebe, sie wird immer einem Platz in dem Herzen und in deiner Erinnerung haben. Du kannst auch glücklich werden und weitermachen, obwohl sie weiterhin da drin ist" er deutete mit der Hand auf meinen Kopf.
„Vielleicht hast du Recht, Takumi. Danke dir" sagte ich nachdenklich und mein Freund nickte nur lächelnd.
Vielleicht war es keine schlechte Idee, Hera einmal wieder zu sehen. Schlimmer als jetzt konnte es mir nicht werden. Ich war am Boden und brauchte eine Hand, die mich wieder hochzog. Ellie würde es diesmal nicht sein, sondern hoffentlich das Engelsmädchen.
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