21. Warum hast du nicht gelogen?

Das Turnier mit Ellie hatte mich noch einmal richtig durcheinandergebracht und ich entschied mich für etwas, was ich nicht für möglich gehalten hätte, dass ich es tun würde.
„Guten Abend, Badger hier"
„Hey Dad, kann ich Mom bitte sprechen?" meinte ich etwas zerknirscht, als ich zuhause in Dover anrief. Meine Mutter hatte mir prophezeit, dass ich Liebe finden würde. Und es war passiert, wie sie es gesagt hatte. Doch nun brauchte ich ihre Hilfe.
„Froy, was für eine Überraschung. Ja, ich gebe sie dir. Einen Moment"
Stille und ein Klacken.
Dann hörte ich die Stimme meiner Mutter:
„Froy, mein Schatz, schön, dass du anrufst. Was möchtest du denn von mir?"
„Ich brauch deine Hilfe, Mom" ich seufzte und setzte mich an meinen Schreibtisch.
„Natürlich. Was ist los? Soll wir zu dir kommen?" fragte sie etwas aufgeregt und ich konnte mir vorstellen, wie mein Vater unser Gespräch verfolgte, ohne mich zu hören. Es war äußerst ungewöhnlich, dass ich zuhause anrief, weshalb meine Eltern wohl mit dem Schlimmsten rechneten.
„Mom, du hast doch mal gesagt, dass ich Liebe finden würde" begann ich das Gespräch.
„Ja, das stimmt. Und soweit ich weiß, bist du noch mit Ellie zusammen. Oder hat es sich da etwas geändert?" ich hörte ein Stirnrunzeln heraus.
Ich zögerte: „Nein, ich bin noch mit ihr zusammen. Aber ich bin mir unsicher, ob meine Gefühle für sie immer noch die gleichen sind"
Jetzt war es raus.
„Warum bist du dir denn unsicher?" fragte sie nach.
„Ich... Es gibt da ein Mädchen und ich weiß nicht, was ich für sie empfinde"
„Oh je, Froy" meine Mutter seufzte.
„Ja, ich weiß. Ich hab's vermasselt" seufzte ich schmerzlich.
„Nein, nein, das meine ich gar nicht!" rief sie aus „Du kannst nichts für das, was passiert. Beziehungsweise was mit deinen Gefühlen passiert"
„Was soll ich denn jetzt tun?"
„Ich kenne nur Ellie, Froy, nicht dieses andere Mädchen oder, für wen dein Herz schlägt. Aber liebst du Ellie denn? Ich meine, ist es so wie immer?"
„Ja, ich liebe sie. Aber ich weiß nicht, was ich für das andere Mädchen empfinde, weil die Gefühle ganz anders sind. Vielleicht liebe ich ja sie..." versuchte ich zu erklären.
„Du musst das alles für dich entscheiden und auf jeden Fall solltest du mit beiden reden. Aber Ellie ist ein gutes Mädchen. Du solltest sie nicht für eine andere verlassen, die vielleicht nur eine kleine Schwärmerei ist"
„Ich weiß einfach nicht" seufzte ich, weil meine Mutter mir jetzt das Gegenteil von Arthur riet.
„Vielleicht fehlt es mir einfach an Erfahrung und die erste Liebe hält doch sowieso nie. Warum sollte ich also an Ellie festhalten, wenn ich unsicher bin?"
„Ja Froy, es fehlt dir an Erfahrung, aber das ist nicht schlimm. Du hast alle Zeit der Welt. Und außerdem kennst du sogar jemanden, bei dem die erste Liebe gehalten hat: Deine Tante, Dads Schwester, hat doch vor einigen Jahren geheiratet. Und ihr Mann war auch ihr aller erster Freund. Alles ist in der Liebe möglich"
„Warum ist das Ganze nur so kompliziert, Mom?"
Meine Mutter seufzte: „Das ist leider immer so, Froy. Du wirst lernen müssen damit umzugehen"
„Verstehe. Ich muss über alles nochmal in Ruhe nachdenken" sagte ich nachdenklich und starrte an meine Wand „Danke Mom für den Rat und grüß Dad von mir"
„Das werde ich machen. Bis zum nächsten Mal, mein Schatz"
„Bis dann" verabschiedete ich mich ebenfalls und legte auf.

Es machte mich richtig verrückt, dass mir alle Leute andere Ratschläge gaben.
Ich solle Ellie treu bleiben.
Ich solle Ellie verlassen und Hera meine Zeit schenken.
Ich sollte mit beiden besprechen was möglich war.
Es gab unzählige Möglichkeiten, doch am Ende würde ich mich entscheiden müssen:
Ellie oder Hera.
Mensch oder Stern.
Denn auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, beide Mädchen konnte ich nicht haben, egal was ich versuchen würde.

Eine Unzufriedenheit kochte in mir hoch und ich knüllte ein Blatt mit Notizen und Kritzeleien zusammen und pfefferte es in den Mülleimer unter meinem Schreibtisch.
Warum musste ich es so schwer haben?
Wäre Hera nicht in mein Leben gekommen, wäre alles so gewesen wie immer. Vielleicht wäre ich glücklich gewesen, zwar mit einer stechenden Sehnsucht nach Antworten, aber ohne diese Art von Zwiespalt.
Aber ich konnte nicht leugnen, dass die Zeit mit Hera unglaublich schön für mich war. Ich konnte mich nur an wenige Zeitpunkte in meinem Leben erinnern, wo ich so viel und ehrlich gelacht habe. Hera hat mich verändert, meine Menschlichkeit aus mir herausgekitzelt. Aber sie hat mich emotionaler gemacht. Ich mag die Tränen nicht, wenn sie hemmungslos kommen, und ich sehne mich nach einer Zeit zurück, wo ich mich und meinen Körper kontrollieren konnte.
Mein steinhartes Selbst war zu vielen Zeiten mein Schutz und Rückzug gewesen, doch nun hatte ich das Gefühl, dass es mir immer schwerer fiel, kalt und unnahbar zu sein. Und auch wenn das seltsam klang, war das nun mal ich.
Was sich meine Eltern wohl dachten? Sonst hatte ich nur in Notfällen zuhause angerufen und nicht wegen so einer Lappalie.
Aber für mich war es nicht nur eine kleine Lappalie, für mich war es mehr.
Ich hasste Entscheidungen zu treffen, vor allem, wenn sie für eine längere Zeit waren.
Aber ich konnte nicht länger davor davonlaufen. Es war an der Zeit, das alles mit einer Person zu klären: Und zwar die Person, die all meine Probleme ins Rollen gebracht hatte:
HR 8832
„Wir müssen reden. Treffen jetzt bei der alten Bank im Feld" tippte ich eine Nachricht an das Café Mädchen und machte mich auf den Weg. Es war mir egal, dass es draußen neblig war und es anfing zu dämmern. Hera würde Zeit für mich finde, schließlich war ich ihr Magnet.
Entschlossen stand ich auf, zog mir eine Jacke an und ging los.
Heute wollte ich die Sache ein für alle Mal klären.
Auch wenn das bedeuten könnte, dass ich Hera verlassen musste.

Hera hatte nicht geantwortet, deshalb musste ich einfach hoffen, dass sie trotzdem kommen würde.
Ich starrte hinauf in den Himmel, doch wegen dem Nebel und den Wolken, konnte man keine Sterne sehen.
Ich hatte mir vorgenommen, hart zu sein und nicht emotional zu werden.
Auf dem Weg zu dieser Bank, hatte ich eine Entscheidung getroffen:
Ich wollte bei Ellie bleiben, sie brauchte mich und ich sie.
Es tat mir sehr leid für Hera, doch ich hoffte, dass ich mit ihr befreundet bleiben und ihr somit genügend Energie geben könnte. Oder ob sie alternativ Polaris bitten könnte, erneut wiedergeboren zu werden, um einen neuen Magneten zu bekommen.

„Hallo Froy" hörte ich plötzlich Heras Stimme und drehte mich um. Dort stand sie, ich hatte sie gar nicht kommen gehört, weil ich so in Gedanken versunken war.
Ich räusperte mich und versuchte eine möglichst neutrale Miene aufzusetzen. Denn obwohl es mir wirklich leidtat, musste es getan werden:
„Hey Hera. Danke, dass du so schnell kommen konntest"
„Für dich immer" sie zuckte lächelnd mit den Schultern, wirkte aber um einiges zurückhaltender. Sie schien zu merken, dass etwas anders war.
„Darüber wollte ich mit dir reden" fing ich an langsam an.
„Was meinst du genau?"
„Du und ich. Es sollte vielleicht nicht so weitergehen..."
Sie starrte mich mit offenem Mund an, das Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen und ein starker Wind zog an ihren Haaren.
„Froy, du willst doch nicht etwa...?"
„Doch, wir sollten unser Verhältnis beenden. Zumindest was die Beziehungsebene angeht. Der Kuss... ging zu weit" erklärte ich und verschränkte entschieden meine Arme vor der Brust.
„Wegen diesem kleinen Kuss soll alles vorbei sein?" fassungslos blickte sie zu mir hoch.
Ich schnaubte vorwurfsvoll und verlor ungeahnt meine Fassung:
„Kleiner Kuss? Für dich vielleicht, aber ich bin in einer Beziehung mit Ellie. Dieser Kuss war ein Betrug"
„Warum hast du ihn dann erwidert, Froy?" antwortete sie schnippisch.
„Ich..." ich stockte, weil ich die Antwort selbst nicht ganz wusste. Vermutlich hatte es sich einfach richtig angefühlt.
„Warum hast du angefangen, frage ich dich?" antworte ich.
„Du musstest dir deinen Gefühlen klar werden und du kannst mir nicht sagen, dass du nichts gefühlt hast. Ich habe es gespürt und dir angesehen"
„Meine Gefühle gehen nur mich was an" grollte ich. Eigentlich wollte ich mich nicht mit Hera streiten, doch es führte wohl kein Weg dran vorbei.
„Mich gehen sie genauso an. Ich bin deine Sternschnuppe, deine Seelenverwandte"
„Das weiß ich, HR 8832, aber das bedeutet nicht, dass ich das auch akzeptieren werde und nach deiner Pfeife tanze" ich blickte sie vorwurfsvoll an und kam so richtig in Fahrt:
„Du hast mich verführt und um deinen Finger gewickelt, obwohl du von Anfang an von Ellie wusstest. Du wolltest seit dem Beginn unserer Bekanntschaft, dass meine Beziehung kaputt geht und obwohl ich dir deutlich gemacht habe, dass ich Ellie liebe, hast du weiter gemacht"
„Und bleibt mir denn eine Wahl, Froy?! Ich bin kein Mensch, der frei entscheiden kann, was er tut. Ich bin an dich gebunden und von dir abhängig" warf sie mir wütend an den Kopf.
„Wenn du mich nicht weiter anschreist, würde ich auch gerne mit dir befreundet bleiben und dir so die nötige Energie geben. Du hast ja nicht mal versucht, ob es auch so geht. Ohne, dass ich dein fester Freund werde. Aber ich werde auf keinem Fall mit dir eine Beziehung eingehen, solange es Ellie und mich gibt!"
„Du weißt nicht, wovon du redest! Du bist kein Lichtkind und weißt nicht, was wir durchmachen müssen" sie schrie schon fast und der Wind um uns herum tobte ebenfalls.
„Dann erzähl es mir doch! Oder lass dir von Polaris einen neuen Magneten geben. Das zwischen uns wird so nicht weiter funktionieren..."
„Pah, als wenn das möglich wäre" sie schüttelte verachtungsvoll den Kopf „Denkst du, es war leicht für mich, zu wissen, dass du Ellie liebst und ich dich trotzdem verführen muss, weil es meine Aufgabe ist? An dem Tag als ich dich das erste Mal im Edition gesehen habe und du Mr Edit erzählt hast, dass du in einer Beziehung bist, habe ich das Geschirr fallen gelassen. Wegen dir. Weil ich wusste, dass es schlimm für mich und dich werden könnte. Hör also auf mir Vorwürfe zu machen, wenn du gar nicht weißt, was ich tun muss, um am Leben zu bleiben!"
Das Mädchen schnappte wütend nach Luft, bevor sie energisch fragte: „Willst du die Wahrheit wissen, Froy?"
Ich funkelte sie nur stumm an.
„Die Wahrheit ist, dass ich fallen werde, wenn du mich ablehnst. Das bedeutet, mein Sternenkörper wird verglühen und ich werde nicht wiedergeboren werden" eine Träne lief über ihr wutverzerrtes Gesicht, dass plötzlich eher verzweifelt aussah.
Und auch mir fiel die Wut aus dem Gesicht und wandelte sich in Entsetzen:
„Nein, das kann nicht sein?"
„Doch. Ich werde nur wiedergeboren, wenn ich für dich sterbe. Lehnst du mich ab, reicht die Energie für eine Wiedergeburt nicht"
Starr und eingefroren blickte ich das blonde Mädchen an.
„Du... du wirst sterben? Für immer?" flüsterte ich schockiert und Hera nickte.
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so etwas sagen würde. Ich war mir sicher mit meiner Entscheidung gewesen, doch nun kam ich ins Wanken. Auf keinen Fall konnte ich Hera einfach sterben lassen. Wer wollte schon für einen Tod verantwortlich sein?
Ich blickte das Mädchen an, welches aus einer fremden Welt kam und gar nicht wirklich hierhergehörte. Ihr ganzes Leben lang war sie alleine gewesen und musste sich immer auf eine einzige Person verlassen, damit sie diese am Leben erhielt.
Sie wischte sich übers Gesicht und fing niedergeschlagen an zu erzählen:
„Weißt du, als ich dir die Wahrheit über meine Identität erzählt habe und du mir nicht geglaubt hast, dachte ich, es wäre vorbei" sie schniefte „Ich war ganz alleine in meiner Wohnung und hab darauf gewartet, dass ich von der Erde verschwinde und in meinen Körper zurückkehre. Ich konnte nicht einmal weinen, weil ich so voller Sorge und Angst war. Seit hunderten Jahren bin ich schon hier bei euch und hatte nie damit gerechnet, dass es einmal vorbei sein könnte. Stundenlang hab ich auf die Vollstreckung meiner Strafe, wegen meinem Versagen, gewartet, aber du hast mich nicht aufgegeben. Ein winziger Teil von dir hat mir geglaubt" sie stoppte krächzend „Aber unsere Zeit neigt sich dem Ende zu. Du musst eine Entscheidung treffen, bevor es zu spät ist, Froy. Wenn du Ellie wählst, ist das in Ordnung, aber dann werde ich nicht mehr wiederkehren und verschwinden. Und zwar für immer"
Nun fing sie richtig an zu weinen und schluchzte hemmungslos.
Auch wenn ich es nicht wollte, trat ich einige Schritte vor und nahm Hera ganz fest in den Arm.
„Es tut mir so leid" keuchte ich den Tränen nah und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren.
Ich konnte, nein, ich durfte sie nicht sterben lassen.

Warum hast du nicht gelogen, HR 8832?
Warum hast du mir nicht erzählt, dass alles gut werden würde?
Dann hätte ich diese ganzen Sorgen nicht. Und ich würde nicht um einen Stern weinen, der zu verschwinden drohte.

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