2. Das Leben in London

Tatsächlich sah ich Ellie, meine Freundin, zwei Tage nach dem Treffen mit Mr Edit erst wieder, sodass ich am Abend des ersten Tags beschloss, doch alle drei Sachen zu essen.
Aber natürlich würde ich Ellie, wann anders, etwas aus dem Laden mitbringen. Frisch ist es doch sowieso besser.
Meine Finger spielten mit einigen ihrer losen schwarzen Strähnen, die sie nicht hochgesteckt hatte und ich seufzte:
„Love, wie lange wollen wir hier noch bleiben?"
Ich lehnte meinen Kopf an ihren, während sie lächeln musste und ihre mandelförmigen Augen verdrehte:
„Froy, wenn wir in einer deiner Lieblingsläden sind, bist du nicht mal mehr ansprechbar. Gönn mir doch auch mal was... Was sagst du: eher grün-blau oder ein blauer Verlauf?" sie hielt mir zwei kostümartige enganliegende Anzüge entgegen. Da Ellie demnächst wieder einen Wettkampf im Turnen haben würde, suchte sie nach einem neuen Outfit, doch ich war meiner Meinung nach nicht der bestgeeignete Berater. Ihre Meinung sah hingegen etwas anders aus.
„Fühl doch mal, der hier hat noch Pailletten am Rückenausschnitt, das wird bestimmt gut aussehen" Sie nahm meinen Zeigefinger in die Hand und führte ihn über den Anzug.
Der Stoff fühlte sich nicht besonders weich an, aber insgesamt sollte das Kostüm schließlich optisch mehr her machen als haptisch.
„Ich würde lieber andere Dinge fühlen" flüsterte ich verschmitzt in ihr Ohr, nahm meinem Finger vom Anzug und führte ihn von ihrer Fingerspitze über ihren Arm hoch zu ihrer Schulter. Ihre Haut fühlte sich wegen der Klimaanlage, die hier im Geschäft auf Hochtouren lief, kalt an. Als mein Finger sich jedoch Ellies Oberkörper nährte bildete sich eine Gänsehaut und ihr Herz fing wild an zu klopfen. Ihr Körper zog meine warme Berührung an wie ein Magnet und zwischen meiner Fingerkuppe und ihren winzigen durchsichtigen Härchen entstand eine fast nicht spürbare elektrische Spannung
Überrascht schlug sie ihre Augenlieder nieder und verfolgte mit jedem Blick, wie mein Finger ein lose Haarsträhne fand, sie vorsichtig zwirbelte und dann hinter ihr Ohr strich.
Ihr Atem beschleunigte sich leicht, als meine rechte Hand hinunter zu ihrem Kinn wanderte und ich es leicht anhob, sodass sich Ellies Augen wieder auf meine richteten.
Ich musterte die vielen Facetten ihrer Iris und die Tiefe ihres Blickes. Es war nicht normal für mich, dass ich Augenkontakt so lange aushielt, aber Ellie gab mir ein Gefühl von Sicherheit.
Nach einigen Sekunden senkte ich allerdings doch den Blick und Ellie legte ihre Hand auf meine rechte.
„Du scheinst ja heute sehr gut drauf zu sein, Froy, aber ich denke nicht, dass jetzt der geeignetste Moment wäre" sie deutete lächelnd mit dem Kopf nach rechts, ich folgte ihrem Blick und begriff, was sie meinte. Eine ältere Verkäuferin in hellblauer Kleidung, die Sporttrikots zusammenlegte, warf uns leicht skeptische Blicke zu und ihr Kopf zuckte fast hektisch zur Seite und ihre Locken wirbelten wild umher, als sie bemerkte, dass wir nun sie beobachteten.
In diesem Sportgeschäft, welches sich über zwei Stockwerke erstreckte, waren wir fast die einzigen Gäste. Doch durch die vielen Aufsteller war der Raum nicht komplett überschaubar, sodass ich weitere Personen in unserer Nähe nicht ausschließen konnte.
Ellie nahm meine Hand, die immer noch auf ihrem Kinn geruht hatte und küsste leicht meinen Zeigefinger. Und wieder bildete sich diese Spannung. Diesmal zwischen ihren weichen roten Lippen und meiner Haut, sodass ich diesmal derjenige war, der eine Gänsehaut bekam.
Das Gefühl breitete sich kribbelnd aus und ich spürte, wie mein Auge leicht zuckte, als die Gänsehaut meinen Hals erreichte.
Ich war weder zimperlich noch kitzelig, doch manche Berührungen machten mir mehr aus als andere. Manchmal sehnte ich mich nach Berührung, nach Wärme und Liebe. Und ein anderes Mal wollte ich die Person am liebsten von mir stoßen, weg von meinem Körper, als würde er dadurch mit giftigen Substanzen in Berührung kommen.
Doch ich wusste, dass dieser Gedanke falsch war. Die anderen Menschen wollten mich mit ihren Berührungen nicht in Verlegenheit oder Unwohlsein bringen, sie wollten nur freundlich sein. Zumindest glaubte ich das.
Das Klopfen von Arthur auf meinen Rücken war freundlich gewesen, es hatte mich nicht verunsichert und zeigte mir, dass mein Körper es mir erlaubte sich ihm zu nähern. Genau dasselbe galt für Ellie, auch wenn ich bei ihr länger gebraucht hatte.
Intime Berührungen von ihr hielt ich zu Beginn unserer Beziehung nur wenige Sekunden aus, doch nach über einem Jahr Partnerschaft kam es nur noch selten vor, dass mein Geist und Körper negativ auf sie reagierten.
Ellie hat es am Anfang wirklich nicht leicht gehabt und musste lernen mich zu verstehen und ich musste lernen mich ihr zu öffnen und ihr zu vertrauen. Früher hatte ich mir Dinge, wie Liebe, einfach genommen, wenn ich sie wollte und es beendet, wenn mein Körper anfing Berührungen abzuwehren und ich zu faul war das Gefühl zu überwinden. Doch diese Zeiten waren vorbei.

Als ich nichts erwiderte, fand meine Freundin den Gesprächsfaden wieder:
„Ich glaube, ich nehme beide Anzüge mit und zeige sie nachher Isla. Die hat immer einen guten Blick für sowas" sie zwinkerte mir zu und ich lächelte nickend. Meine fehlende Begabung wurde also endlich erkannt.
Zusammen gingen wir an der Verkäuferin vorbei, die uns mit einem aufgesetzten Lächeln weiter nachspionierte, und kamen so zur Kasse. Während Ellie die beiden Turnkleidungen bezahlte und noch einmal wegen den Umtauschmöglichkeiten nachfragte, hielt ich ihre Tasche und schaute durch die großen Schaufenster hinaus auf die sich tummelnde Menge in der Einkaufsstraße, der Haupt-Shoppingmeile von Egham, einem Vorort von London, in dem sich meine Universität und mein neues Zuhause befand.
Noch extremer als in der Uni flitzen dort Menschen allen Alters und jeder Hautfarbe vorbei, um ihr Geld auszugeben oder der Verlockung zu wiederstehen und nur zu schauen. Auch an Touristen aus aller Welt, die von Stadtführern durch die Straßen geleitet wurden, mangelte es nicht und ich dachte zurück an das letzte Mal, als ich mit meinem Vater hier in London und selbst ein Tourist war.
Wir waren zu den vielen Orten gegangen, die man als Tourist eben besucht: London Eye, den Palast der Royal Family und den Tower of London.
Die vielen Menschen und vielen Eindrücke hatten mich erst gestresst, doch innerhalb eines Tages lernte ich die Atmosphäre zu lieben. Ich weiß nicht, ob mich die Nähe von allem Möglichen faszinierte, die Vielfalt, das Gefühl nicht allein oder das Wissen in der Hauptstadt zu sein. Der Grund, warum ich letztendlich nach Egham zog, war die Universität und das Studium.
Dennoch brachte jede Großstadt einen sehr großen Nachteil mit sich und das waren die Lichter.
Jedes Autolicht, jede Reklametafel und Straßenlaterne sorgte dafür, dass der Himmel bei Nacht dunkler blieb und die Sterne durch die Lichtverschmutzung kaum zu sehen waren. Ich war schon sehr enttäuscht gewesen, als ich am ersten Abend in meinem eigenen Apartment mein Teleskop ausgepackt hatte und nur spärlich etwas erkennen konnte. Da die Uni recht außerhalb von Egham angesiedelt war, konnte man dort auf mehr Klarheit hoffen, doch die im Nachhinein offensichtlich ungünstige Lage meiner Wohnung frustrierte mich.
Sie war zwar gut gelegen, um möglichst schnell zur Uni zu gelangen, doch lag sie zu nah an einem großen Supermarkt, welcher sein Licht, die ganze Nacht anließ. Viele Studenten wohnten dort und begrüßten diese Einkaufsmöglichkeit, aber ich hätte ihn gerne auf den Mond gewünscht. Meine Wohnungsauswahl war nicht wirklich gut durchdacht gewesen, aber es war zu spät etwas zu ändern, schließlich hatte das Semester angefangen und kaum Leute baten noch günstige Studentenwohnungen an. Es war zwar zu spät für einen Wohnungswechsel, aber ich hatte in den letzten Tagen eine andere Möglichkeit gefunden, die Sterne gut beobachten zu können, ohne auf das Dach der Uni klettern zu müssen. Außerdem erlaubten die Professoren dies sowieso nur nach Absprache und Studenten im ersten Jahr konnten sich das alleinige Besteigen des Astronomie Turms erst recht abschminken.
Sie sprachen von Glück, dass wir überhaupt wenige Stunden in der Woche dort hinauf gehen durften, da dies eher den älteren Hochschülern vorbehalten war. Ein weiterer Grund mir zu wünschen, ich könnte das erste Jahr einfach überspringen.

„Sugar?" ich wand mich vom Fenster ab, als ich meinen Kosenamen hörte und nahm die Sachen entgegen, die Ellie mir gab.
Bevor wir den Laden verließen, verabschiedeten wir uns noch von der Kassiererin und traten dann hinaus auf die Straße.
Während im Geschäft eine angenehme Musik die kühle Luft untermalt hatte, sprühte hier draußen jeder Körper Hitze und Lebensfreude aus und ich zog meine Freundin schnell in den Schatten eines Sonnenschirms und strich mir mit meinem Handrücken über die Stirn.
Durch meine hastige Bewegung schlugen meine Ohrringe leicht an meinen Hals und das kalte Metall pikste für einen Moment in meine sich jetzt schon aufwärmende Haut. Auch mein Nasenpiercingring ruhte kühl auf meiner Haut und ich wischte meine Hände fast unauffällig an meinem schwarzen T-Shirt ab.
Da es in den letzten Tagen noch wärmer geworden war, hatte ich meinen eher schickeren Kleidungsstil, zumindest während meiner Freizeit, über Bord geworfen und durch etwas praktischere Sachen getauscht. Meine Hemden während der Vorlesungszeit konnte mir jedoch keiner nehmen. Nicht einmal der Hochsommer.
Auch meine Freundin fächelte sich mit ihrer Hand Luft zu, da die plötzliche Wärme sie ebenso traf wie sie.
Ich blickte am Rande des Schirmes vorbei in Richtung Himmel und beobachtete, wie die wenigen Wolken Platz machten für einen sich schon leicht rot-orange färbenden Himmel. Es würde noch einige Stunden dauern, bis die Sonne aufgehen würde, doch jemand mit einem guten Auge, konnte den Mond auch jetzt schon in einiger Entfernung erkenn können.
„Hast du noch etwas vor? Besorgungen oder so?" fragte ich meine Freundin, ohne den Blick vom Himmel zu wenden und ich spürte, wie sie nach meiner Hand griff und unsere Hände verschmolzen.
„Nein, heute brauche ich nichts mehr. Aber ich habe Hunger, wollen wir essen gehen?" fragte sie und musste leicht lachen, als sich ihr Bauch mit einem Grummeln meldete.
Auch in meinem Bauch spürte ich die Leere, sodass ich nickte und überlegte, welche guten Restaurants es hier in der Nähe gab.
„Hast du an etwas bestimmtes gedacht?" fragte ich Love prüfend und sie schüttelte den Kopf.
„Das nicht, aber falls dir was Besonderes einfällt. Ich hätte Lust was Neues auszuprobieren" erwiderte sie grinsend und ich tat es ihr nach.
„Soso, was neues also" ich grübelte und fing an unsere ineinander geschlossen Hände hin und her zubewegen.
„Ich kenne ein Geschäft, ist aber ein paar Minuten entfernt, aber ist etwas nicht so typisches" sprach ich meinen Gedanken aus und deutete mit dem Kopf in Richtung Norden
„Und was wäre das für ein Laden?" fragte Ellie neugierig.
„Dort gibt es niederländisches Essen. Hering, Kibbeling, Pommes und so Kram" zählte ich schelmisch auf.
„Du weißt aber schon, dass ich kein Fisch Fan bin?" gab meine Freundin ebenso neckisch zu bedenken.
„Na klar, aber ich dachte du willst was neues ausprobieren" ich lachte, sodass meine dunkelbraunen Haare mir leicht ins Gesicht fielen.
Sie verdrehte ihre Augen so süß genervt und mit einem kurzen Kuss auf ihren Mund verhinderte ich ihre nächsten Worte: „Vertrau mir, da gibt's auch Sachen ohne Fisch. Ich war schonmal in den Niederlanden und hab ein wenig Erfahrung. Und wenn du die Sachen nicht magst, dann bezahle ich sie eben"
„Na schön, ich habe ja gesagt, ich will was ausprobieren" sagte Ellie daraufhin und gab mir einen Kuss auf die Wange und zog mich dann vom Schatten des Sonnenschirms hinfort auf die sonnenbeschiene gepflasterte Einkaufsstraße.
Im Takt der anderen Menschen gingen wir den Weg entlang und Ellies Sandalen erzeugten klackernde Geräusche auf den mehr oder minder gerade gelegten Steinen.
Als wir an einem Blumenstand vorbeikamen, fragte mich Ellie, ob ich ihr eine Blume kaufen würde und selbstverständlich kam ich ihrem Wunsch nach.
Manchmal viel es mir schwer romantisch zu sein und liebevolle Dinge zu sagen, die als Worte in meinem Kopf herumspuckten und nur schwer über meine Lippen gleiten konnten. Deswegen war ich froh darüber, dass Ellie meine Probleme verstand und mir zeigte, was sie wollte und mochte.
Ich kaufte ihr eine weiße Lilie, weil ich wusste, dass sie diese am liebsten mochte.

„Wie schaffst du es nur zu trainieren, zu Turnwettbewerben zu gehen und gleichzeitig zu studieren, Love. Das ist mir manchmal schon ein Rätsel" meinte ich nachdenklich und schob mir eine Pommes in den Mund und schaut zu meiner Freundin, die gegenüber von mir am schön gedeckten Tisch des besagten Restaurants saßs.
Auf meinem Teller lagen dazu noch einige Bitterballen, frittierte Fleischbällchen, und ein kleiner gemischter Salat. Zu meiner großen Verwunderung hatte sich Ellie tatsächlich an den ihr sonst so gar nicht gutgesinnten Fisch gewagt und aß den Kibbeling, frittierten Fisch, doch ganz zufrieden. Dazu hatte sie sich noch Kroketten bestellt.
Sie zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck aus ihrer Cola: „Ich weiß nicht, ich tue es einfach. Ich will die Zeit nutzen, um viel erreichen. Sobald ich das Geografie Studien abgeschlossen habe und anfange zu arbeiten, werde ich vermutlich nicht mehr die Zeit für das Training finden. Das macht mich schon etwas traurig, deswegen habe ich mir ja auch direkt einen guten Verein gesucht"
„Verstehe, ich hab das Gefühl, seit dem Studium bin ich nur noch bei den Sternen oder bei dir" dachte ich laut nach und tippte mit der Gabel an meinen Mund.
„Warum machst du denn eigentlich kein Hockey mehr? Du kannst dir doch auch einen Verein hier in der Nähe suchen. Bestimmt gibt es sogar von der Uni eine Gruppe" bemerkte Ellie und ich runzelte etwas unsicher die Stirn.
„Ich weiß nicht, ich will nicht zu viel auf einmal. Die ganzen neuen Leute und die vielen Sportbessesenen verstehen bestimmt nicht, dass ich Gewinnen nicht für das ultimative Ziel halte"
„Du kannst nicht wissen, was sie denken, bevor du sie nicht einmal kennengelernt hast, Sugar. Ein paar neue Leute könnten dir guttun"
„Ich hab doch schon Arthur kennengelernt und ich habe dich" erklärte ich ihr und beobachtete mit einem Auge wie der Kellner in Raum herum flitzte und die Gäste bediente, Karten verteilte und Tische abwischte. Das Restaurant war mit rechtem dunklem Licht beschienen und es lief leise Musik aus einem anderen Land. Auf einer Sprach, die ich nicht verstand.
„Es ist ja auch schön, dass du und Arthur sich so gut verstehen. Aber falls du wen nettes kennlernst, nutze die Chance. Du wirst es bestimmt nicht bereuen" meinte Ellie aufmunternd und strich über meine Hand, die ich auf dem Tisch abgelegt hatte.
Ich lächelte ihr zu und begann ebenfalls mit meinem Daumen über ihre Hand zu gleiten.
Es war schon lange her, dass sie und ich frisch verliebt gewesen waren, aber bei solchen Momenten erinnerte ich mich an die Zeit unseres Anfangs, als wäre es gestern gewesen.
„Ich liebe dich" flüsterte ich ihr leise zu und meine Wange wärmten sich leicht auf.
„Ich liebe dich auch" flüsterte sie zurück und ich sah in ihren Augen wie glücklich sie dieser Satz machte.

Selbstverständlich brachte ich meine Freundin zu ihrer Wohnung, in der sie mit ihrer Mitstudentin Isla zusammenwohnt. Zur Verabschiedung hatte ich sie zärtlich in den Arm genommen und liebevoll auf die Stirn geküsst.
Nachdem sie mir von ihrem Fenster im ersten Stock aus zugewunken hatte, verließ ich ihr Viertel und machte mich auf den Weg zu meiner eigenen Wohnung, die nur wenige Minuten entfernt lag.
Da die Dämmerung nun doch hereingebrochen war und das warme Licht der Sonne langsam der angenehmen Kühle der Nacht wich, begannen die Straßenlaternen zu surren und sich automatisch einzuschalten.
Meine Schritte auf dem Asphalt wurden übertönt von Rufen aus der Ferne und dem Dröhnen der Musik aus dem Haus, an dem ich gerade vorbeiging, einer Kneipe.
Viele Studenten interessierten sich nicht, dafür, dass am nächsten Tag wieder Vorlesungen sein würden. Aber da nicht jeder morgens direkt wieder zur Uni musste, wurde gefeiert bis zum Abwinken. Nicht dass ich bei solchen Feiern oft dabei gewesen war, die wenigen Male auf meiner alten Schule hatten gereicht, doch es war allgemein bekannt wer die Feiern schmiss. Am Anfang wurde ich auch gefragt, doch nach wiederholten Absagen meinerseits ließen es die anderen Jungs sein. Außerdem wusste ich nicht mal aus welchem Studiengang sie kamen.
Über die letzten Tage hinweg, bekam ich das Gefühl, dass wir Astronomie Studenten anders tickten als der Rest. Ich vermutete, dass dies daran lag, dass wir abends besseres zu tun haben, als uns zu betrinken und abzuschießen.
Denn am Abend fängt das eigentlich Interessante unserer Berufung an.

Ich kramte den alten Haustürschlüssel aus meiner Tasche und schloss mit dem Richtigen die Tür des Mehrfamilienhauses auf. Als ich hineingetreten war, schloss ich die Tür, und stieg, ohne das Licht einzuschalten, hinauf in den obersten Stock, wo sich meine Wohnung befand.
Auch hier schloss ich die Tür auf und trat hinein. Diesmal schaltete ich das Licht ein und meine Augen kniffen sich zusammen, als die Lampen mich kurz blendeten.
Ich griff blind nach einer dünnen Jacke, die an meiner Garderobe hing, und zog sie mir an, da ich direkt wieder los wollte.
Meine Ein-Zimmer-Wohnung reichte für mich alleine und meine Sachen, welche hauptsächlich Bücher, Klamotten und astronomische Geräte waren – wie zum Beispiel mein Teleskop.
Die grau-weiß bemalten Wände hatte ich von meinem Vormieter übernommen, genau wie die schwarz gestrichenen Möbel, die dafür sorgten, dass meine Wohnung recht dunkel wirkte, doch das machte mir nichts aus. Ich verbrachte sowieso die meiste Zeit auf dem Campus Gelände.
Schnellen Schrittes eilte ich in mein Zimmer, welches ordentlich eingerichtet war und kniete mich auf den Holzboden hin, um unter mein Bett greifen zu können.
Von dort zog ich eine lange schwarze Tasche hervor, in dem sich mein Teleskop befand. Die Tasche war so konzipiert, dass man sie sich umhängen und so leichter transportieren konnte.
Wie einen Rucksack schulterte ich das Teleskop, schnappte mir noch ein Notizbuch und verließ meine Wohnung schon wieder.
Unten vor dem Haus schloss ich mein Fahrrad auf und fuhr in Richtung Süden.
Vor einigen Tagen hatte ich die Gegend erkundigt und herausgefunden, dass dort im Süden von Egham, hinter der Universität, landwirtschaftliche Felder und kleine Wälder lagen, die weit genug vom Licht der Stadt entfernt sind, um gut den Himmel beobachten zu können.
Hinter dem hell leuchtenden Supermarkt bog ich ab und fuhr Minutenlang gerade aus, bis ich endlich die Felder erreichte. Der Wind, der mir ins Gesicht schlug, war noch ein wenig warm und die Hitze des Tages würde über die nächsten Stunden sehr wahrscheinlich in Schwüle umwandeln. Ich trat in die Pedale und sah eine Gruppe von Jugendlichen am Rande der Straße sehen, die mich überrascht musterten. Doch ich machte nicht halt und fuhr noch ein paar Kilometer weiter, bis ich zu einer alten und knarzenden Holzbank gelangte, welche auf einem kleinen Hügel gelegen war. Ich schob mein Fahrrad hinauf und legte es dann in das leicht feuchte Gras.
Dann schaute ich in den Himmel und musste richtig breit grinsen, als ich die vielen Sterne über mir funkeln sah.
Weiße, goldenen, silberne und bunte Punkte im Kosmos in ihren eigenen Formen und Größen. Meine Augen waren geschult sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und die auffälligsten Sterne direkt zu entdecken, auch ohne Teleskop. Das Gerät würde mir vor allen bei Nahbetrachtungen helfen.
Eine große Wolke schob sich vor das Sternbild des kleinen Bärs, in dem der Polarstern befestigt war und der abnehmende Mond strahlte kalt und weiß auf mich hin nieder. Von der Sonne war nur noch ein Fitzel am Horizont zu erkennen.
Ich ließ mich auf die knarrende Bank nieder und legte meinen Kopf in den Nachen, sodass meine Haare nach hinten fielen. Meine Hände umklammerten das feuchte Holz, damit mein Körper nicht noch weiter nach hinten kippen würde.
Die Grillen zirpten und in der Ferne hörte ich die Geräusche der Stadt, doch es war mir egal. Als ich so in den Himmel sah, fühlte es sich an, als wäre ich zuhause. Winzige Flugzeuge in der Luft gaben die Illusionen der Himmel würde sich bewegen, doch Bewegungen konnte kein menschliches Auge erfassen – außer es würde sich um Meteore, Sternschnuppen oder ähnliches handeln.
Auch die Planeten, die sich um den Mond tummelten, strahlten heute besonders hell und zogen durch ihre Größe die Aufmerksamkeit jedes Betrachters auf sich.
Mit einem tiefen Atemzug zog die Nachtluft in meinen Körper und gab mir ein kleines Schaudern. Welches Gefühl dies ausgelöst hatte, ließ sich nicht in Worte fassen.
Ich seufzte und wollte gar nicht blinzeln, weil ich das Gefühl hatte, ich würde dadurch aufwachen und die Schönheit des Himmels würde verschwinden. Doch das würde sie niemals. Das Universum des Himmels war unendlich und wenn ich verschwinde, wird der Himmel noch viele Jahre weiter existieren.
Ich nahm meinen Blick von meinen geliebten Sternen und umfasste entschlossen das Teleskop, welches noch eingepackt und gesichert neben mir lag.
Um es aufzubauen, stand ich auf und machte mich an die Arbeit. Ich justierte die Räder, sorgte dafür, dass es sicher auf der Bank stand und nicht wackeln konnte, überprüfte die Stärke und säuberte zuallerletzt die Linse.
Ich hatte das Teleskop nicht einfach ins Nichts gerichtet. Ich wusste, was ich sehen wollte.
Meine Hände umfassten den Griff des kalten weißen Instruments und langsam spähte ich durch das geputzte Glas.
Dort oben sah ich weitere Sterne leuchten und funkeln. Sonnen, Lichtjahre entfernt, manche nur mit dem Teleskop sichtbar und wieder andere unsichtbar für die Menschen.
Mein Fernglas war auf ein bestimmtes Sternbild ausgerichtet: Kassiopeia.
Denn in der Nähe dieses Sternbildes befand sich einer meiner Lieblingssterne. Leicht verschob ich ein Rad und stellte so den Fokus auf den Stern HR 8832. Er leuchtete in orange, was nicht viele Sterne taten und weswegen er mir aufgefallen war.
Ich hatte viel über ihn gelesen und im Allgemeinen war er kein besonderer und großer Stern, um den sich nur eine Hand voll Planeten tummelten, und trotzdem war ich fasziniert von seiner Existenz.
Als ich ihn damals das erste Mal sah, glaubte ich er würde nur für mich leuchten.

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