... im Wald?

Er sah die Sterne nicht.

Als Tribalds Blick von den dunkel verästelten Baumkronen wieder zurück auf den Boden der Tatsachen fiel, war da zwischen den Baumstämmen nicht mehr nur ein Licht, sondern drei. Sanft wie kleine Kerzenflammen leuchteten sie zwischen den Bäumen und tauchten die Welt um sich herum in ein friedliches, wunderschönes Schimmern. Doch der junge Mann wusste, dass er keinen Frieden finden würde. Nur der Tod lauerte hier. Und alles in ihm schrie danach, sich umzudrehen und so schnell und so weit zu rennen, wie er nur irgend konnte.

Doch dann setzte die Musik wieder ein.

Lauter und klarer als je zuvor tanzte sie geradewegs in Tribalds Verstand, durchbrach alle Türen und überwand alle Mauern. Verträumt blieb Tribald stehen, wo er war und lauschte. Die wunderschönen, überirdischen Klänge verwischten seine klaren Gedanken, erstickten seine Ängste. Zurück blieb nur eine tiefe Zufriedenheit, die sich wie ein kuscheliges Lammfell um ihn legte und leise flüsternd fragte, was denn eigentlich so katastrophal schlimm wäre.

Tribald wusste es nicht.

Durch die sanft glimmenden Lichter war es nicht mehr so beängstigend dunkel. Ihm war auch nicht mehr kalt und überall um ihn herum flüsterte eine Musik, wie er sie nie zuvor gehört hatte. Wie gern würde er ihr für immer lauschen.

Staunend wie ein kleines Kind starrte Tribald die drei flackernden Lichter zwischen dem Unterholz des Waldes an. Im Takt der Musik tanzten sie anmutig umeinander herum. Selbst die Schatten der Bäume, die sie umringten, schienen sich mit ihnen zu bewegen , zu tanzen und zu feiern. Als wären Licht und Schatten keine grundverschiedenen Gegensätze, sondern im Herzen eins.

Da löste sich eines der Lichter aus dem munteren Reigen und schwebte lautlos auf ihn zu. Fasziniert klebten Tribalds Augen an diesem sanften Schimmern, das im Takt der eigenen Musik spielerische kleine Kreise flog. Ganz kurz schob sich die alte Angst zurück in seinen Geist, doch da wurde die Musik noch ein kleines bisschen intensiver und alle Bedenken verschwammen wieder zu undeutlichen Nebelschleiern. Warum sich Sorgen machen? Die Lichter waren doch nur so klein und tanzten so gern ...

- Hilfe! -

Tribald war so verstrickt in die Musik und seine eigenen, schwer zu fassenden Gedanken, dass er den Ruf gar nicht wahrnahm. Erst, als die Musik leiser wurde, drang seine Umgebung langsam wieder zu ihm durch. Der junge Mann blinzelte verärgert. Er wollte nicht, dass die Musik aufhörte. Warum durfte er nicht weiter lauschen? Warum durfte er den Lichtern nicht weiter bei ihrem Tanz zusehen?

- Hilfe! -

Nur allmählich wurde ihm bewusst, was er da hörte. Und mit dem Bewusstsein kam die Angst zurück. Lichter.

Da waren Lichter.

Hektisch drehte er sich einmal um die eigene Achse. Mittlerweile hatten sich die drei kleinen Schimmer gleichmäßig um ihn herum aufgeteilt und umkreisten ihn langsam, wie die Wölfe ihre Beute.

- Bitte! Wir brauchen Hilfe! - Die Stimme klang so flehentlich und gleichzeitig so sanft und verlockend. Tribald wusste nicht einmal, ob sie in seinem Kopf war oder ob er sie tatsächlich hörte.

„Hallo?", murmelte er leise und seine Stimme klang so zaghaft, dass er sich vor sich selbst schämte. Also räusperte er sich noch einmal. „HALLO! Wer ist da?" Immerhin. Das klang doch schon besser.

- Auch nicht helle - , grummelte eine andere glockenhelle Stimme. Aber diese klang definitiv bissiger als die erste. Tribald meinte sogar, dass eines der drei Lichter dabei wütend auf und ab hüpfte. Ob die Stimme wohl daher kam?

- Ach Nyin -, setzte die sanftere Stimme erneut an, doch das wütend hüpfende Licht flackerte rot auf.

- Nein! -, antwortete es resolut. - Verschwende die Nacht nicht. Nimm seine Zeit. Dann haben wir wieder etwas Ruhe. -

Diese Worte brachten Tribald schlagartig zurück in die Realität. Er war mit drei Irrlichtern allein im Wald. Wieder suchten seine Augen einen Ausweg. Doch die Lichter waren näher gekommen. Sie hatten den Kreis um ihn herum weiter verkleinert, sodass er nun volltändig in ihrem sanft leuchtenden Schimmer stand. Es gab kein Entkommen.

Er würde sterben.

Die Erkenntnis traf Tribald wie ein Faustschlag. Seine Beine brachen mit einem Mal unter ihm weg und er sank kraftlos zu Boden.

- Jetzt hast du ihm Angst gemacht! -, tadelte eine dritte viel aufgeregtere Stimme und eines der Irrlichter flackerte dabei hell auf.

„Ähm... Wobei denn helfen?", unterbrach Tribald die beiden Lichter ohne darüber nachzudenken. Augenblicklich verstummte jegliche Musik und eine allumfassende Stille breitete sich um ihn herum aus, sodass er seine Worte sofort bereute.

Überhaupt konnte er sich nicht erinnern, dass irgendjemand je erzählt hätte, dass Irrlichter sprachen. Bisher hatte er sie für seelenlose Monster gehalten. Andererseits gab es aber auch nicht allzu viele, die eine Begegnung mit diesen Wesen überlebt hatten und von eventuellen tiefgründigen Diskussionen berichten könnten.

- Natürlich musst Du es vernichten! - , antwortete plötzlich die dritte Stimme.

Er hörte Nyin frustriert aufseufzten – es musste dieses Irrlicht sein, keine der anderen Stimmen hatte trotz der glockenhellen Stimmen eine so bitter-ironische Tonlage. - Nari! Beende es endlich. Es hat doch keinen Zweck. -

Nari war wohl das Licht, das bereits auf ihn zugeflogen war und so sanft schimmerte wie der Abendsonnenschein selbst. Es kam noch näher. Ängstlich wich Tribald nach hinten zurück. Doch da waren schon die anderen beiden Schimmer.

Wieder irrte sein Blick zu Nari, während seine Gedanken immer hektischer nach einem Ausweg suchten. ‚Was ist denn „es"?!', wollte er fragen. Doch da setzte die Musik wieder ein. Augenblicklich wurde es schwer für Tribald auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu behalten, während die Musik abermals all seine Ängste und Überlegungen zur Ruhe kommen ließ und sich eine bleierne Müdigkeit in seinem Körper ausbreitete.

Schlaf ... Schlaf klang nach einer verlockenden Idee. Sich einfach hier auf dem Waldboden ausstrecken und der Musik noch ein bisschen länger lauschen, bis sie einen ins Land der Träume forttragen würde. Bestimmt waren es wundervolle Träume, die er mit dieser Musik träumen könnte.

Träume, aus denen er nie wieder erwachen würde.

Dieser Gedanke schnitt scharf durch den betäubenden Nebel in seinen Kopf und er schaffte es ein letztes Mal gegen die Musik aufzubegehren und seinen Geist zu sammeln. „Aber – aber. Wenn – wenn ... Wenn ihr mich tötet, kann ich euch wirklich nicht helfen!"

Die Worte kamen nur als leises Lallen aus seinem Mund, denn er konnte kaum noch die Lippen bewegen. Vage wurde Tribald bewusst, dass er mittlerweile auf dem Waldboden lag. Wann hatte er sich überhaupt hingelegt? Aber die alten Blätter vom letzten Jahr waren soviel gemütlicher als er je gedacht hätte. Vergeblich versuchte der junge Mann, seine Überlegungen wieder zu fokussieren. Doch sie glitten immer wieder ab, hinein in die schönen, weißen Wollewölkchen seiner Träume.

Zwischen seinen immer deutlicher werdenden Träumen hörte er verschwommen die leise Stimme des Irrlichts, das mittlerweile so dicht vor seiner Nase schwebte, dass er blinzeln musste, da seine Augen sonst zu überfordert wären von der sanften Helligkeit: - Das ist wahr, Mensch. –

Das Blinzeln machte noch müder. Tribald nickte mechanisch. Er wusste nicht einmal mehr genau, wovon diese wunderschöne Stimme überhaupt sprach. Alles, was er wusste war, dass er weiter zuhören wollte.

- Aber Du verstehst nicht, Mensch –, fuhr die Stimme so betrübt fort, dass es Tribald direkt ins Herz stach. Er wollte nicht, dass die Stimme, dieses kleine Licht, traurig war. - Ich habe keine Wahl. –

Dieser letzte Satz beunruhigte den jungen Mann, ohne, dass er sagen konnte, warum. Doch da war gleich wieder diese Stimme, in deren Worte ein sanftes Lächeln mitschwang: – Hab keine Angst, Mensch. Ich schenke Dir Frieden. –

Von diesen Worten beruhigt, schloss Tribald die Augen und überließ sich endlich dem seligen Schlaf, der schon die ganze Zeit seine verführerischen Finger nach ihm ausstreckte.

Ganz am Rande seines Bewusstseins hörte er sie plötzlich noch einmal, diese süße, friedliche Stimme: - Glaubst Du wirklich, Du kannst uns helfen? Glaubst Du wirklich, Du kannst es vernichten? -

„Ja", murmelte Tribald, denn er hatte das vage Gefühl, dass das die richtige Antwort war, ehe sein Geist endgültig in ein tiefes, traumloses Nichts abglitt.

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