Zweifel

Heute

Theo

Wie lange ich in meinem Zimmer saß, verlor irgendwann an Bedeutung für mich. Lilly war Lenas Schattègo. Welche Lena? Lena ... Nein, ich komme nicht darauf. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ich hier wieder direkt eine Antwort erhalten hätte. Wann hat sich Lilly von Lena gelöst, oder wurde sie aus ihr gerissen? Schon wieder mehr Fragen statt Antworten. Soll ich sie einfach fragen? Weiß sie das überhaupt noch? Sekunde mal, wenn ich diese Lena finde, dann wird sie mir diese Information doch sicherlich geben können. Dazu muss ich erst einmal mehr über sie wissen.

Seufzend streckte ich mich und stand dann auf. Während ich zu meiner Zimmertür ging, drangen Stimmen an meine Ohren.

„... sagen." Diese Stimme gehörte zu meiner Mum.

„Du weißt, dass wir das nicht dürfen. Christina und Nichello haben uns damals eingeschärft, dass wir ihm unter keinen Umständen alle Informationen auf einmal geben dürfen." Dads Stimme.

Sie redeten über mich. Schon rannte ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.

„Das stimmt, aber es fällt mir so schwer. Nach allem, was geschehen ist ... Er mag nicht mein leiblicher Sohn sein, aber trotzdem ..."

Meine Glieder gefroren zu Eis. Es erschien mir unmöglich, auch nur einen Schritt zu tun. Nicht der leibliche Sohn. Hatte mein Vater eine Affäre? Das kann ich mir nicht vorstellen, er würde Mum nie betrügen. Wurde ich mein ganzes Leben belogen?

„... allein. Wir stehen das gemeinsam durch und du wirst das schaffen, meine Felicitas. Du bist so stark, ist dir das eigentlich bewusst?"

Ein Schniefen.

Mum ... Wenn es stimmt, was ich eben gehört habe, ist sie dann immer noch meine Mum? Sie war in den letzten siebzehn Jahren immer für mich da und ich kann mir niemand anderen als meine Mutter vorstellen. Trotzdem ...

Ein Seufzer entwich mir. Dann betrat ich die Küche.

Meine Eltern saßen am Tisch und mein Vater hatte die Hand meiner Mutter ergriffen.

„Kennt ihr eine Lena, deren Schattègô aus ihr gerissen wurde?", sprach ich.

Meine Eltern zuckten zusammen, ehe sie sich mir zuwandten.

„Theo, hast du mich erschreckt." Meine Mum atmete tief durch. „Ich muss mich echt noch daran gewöhnen, dass du dich so leise fortbewegen kannst."

„Tut mir leid, auch ich muss mit meiner Rückverwandlung klarkommen."

Sie nickte.

„Um deine Frage zu beantworten, wir kennen die Person, von der du gesprochen hast. Leider kannst du nicht mit ihr reden", entgegnete mein Dad.

„Wieso? Möchte sie nicht mit mir sprechen?"

Meine Eltern tauschten daraufhin einen Blick.

„Schatz, du kennst die Antwort auf diese Frage." In den Augen meiner Mum schimmerten Tränen.

„Verstehe und ihr dürft es mir nicht sagen." Soll ich jetzt das ansprechen, was ich vorhin gehört habe? Einerseits will ich sie nicht vor den Kopf stoßen, andererseits möchte ich schon die Wahrheit erfahren. Alt genug dafür bin ich allemal.

„Leider." Mein Dad lächelte mich sanft an.

„Gut, dann schau ich mal, wie ich anders an meine Antworten gelange. Tut mir leid, dass ich euch erschreckt habe. Das war keine Absicht."

„Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Wenn wir dich brauchen, rufen wir dich." Meine Mum hob ihre Mundwinkel.

Daraufhin nickte ich, ehe ich in mein Zimmer zurückkehrte. Dort schnappte ich mir mein Holopad vom Schreibtisch und setzte mich auf mein Bett. Wenn ich einfach wieder nach Schattègô suche? Beim letzten Mal habe ich dazu nicht sonderlich viel gefunden, wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht wissen meine Schwestern ... Sind sie noch meine Schwestern? Bin ich mit Lisa, Ria und Marie noch blutsverwandt? Wurden sie auch adoptiert wie ich? Zu dumm, dass ich nicht mehr darüber weiß. Kann ich es ihnen jedoch zumuten, sie ... Nein, ich werde Lisa anrufen. Sie hat mich bei meinem Traum nicht ausgelacht, also wird sie das auch jetzt nicht.

Kurzerhand zückte ich mein Smartphone und steckte mir die Airpods in die Ohren. „Hey, Siri, rufe Lisa an!"

Das Freizeichen ertönte.

„Theo, was kann ich für dich tun?"

„Du erinnerst dich an den Traum, von dem ich dir erzählt habe, oder?"

„Natürlich."

„Wie soll ich sagen ... Ich habe die Frau getroffen, von der ich die ganze Zeit geträumt habe und seitdem sind ein paar echt verrückte Sachen passiert."

Einen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Verstehe. Was denn genau? Du musst mir auch nicht davon erzählen, wenn du nicht willst."

Wärme durchströmte mich. „Es klingt total merkwürdig, aber ich verspreche dir, dass ich mir das nicht ausdenke, noch lüge ich dich an, ok?" Meine Stimme zitterte leicht.

„Nett, dass du das sagt, obwohl ich nie davon ausgehe, dass du mich anlügst und merkwürdige Sachen mag ich. Würde ich sonst Fantasy lesen und schreiben?"

Davon musste ich lachen. „Guter Punkt. Also schön. Die Frau, von der ich seit Monaten träume, heißt Linvay und ich habe sie in einem Reich namens Dazwischen getroffen. Danach sind bei mir Kräfte erwacht, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie in mir trage, aber irgendwie ... gehören sie einfach zu mir. Als wären sie immer ein Teil von mir gewesen, konnten aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht aktiv werden und ich habe durch sie erfahren, dass ... Christina Voll ..." Nein, das kann ich nicht. Wie soll ich ihr das mit dem Fluch begreiflich machen? Ein Teil von mir versteht es immer noch nicht so ganz.

„Was ist mit Christina Voll?" Lisa klang vollkommen ruhig.

„Sie ... hat mir etwas helfen können und dann ist ... jemand aufgetaucht und irgendwie habe ich mich durch diese Person ... in einen Vampir zurückverwandelt."

„Wie geht es dir damit? Haben unsere Eltern dich aufbauen können?" Kein Schock in ihrer Stimme. Keine Zweifel. Sie hat auch davon gewusst. Irgendwie beruhigt mich das, gleichzeitig würde ich jetzt umso lieber wissen, weshalb das alles vor mir geheim gehalten werden musste. Hätte man mich nicht warnen können, dass ich in mir einen Vampir trage? Wahrscheinlich hätte ich das nicht geglaubt.

„Einigermaßen und gut, dass du unsere Eltern ansprichst. Vorhin, als ich in die Küche wollte, habe ich gehört, wie Mum gesagt hat, dass ich ... nicht ihr ... leibliches Kind sei und jetzt stelle ich mein ganzes Leben in Frage. Hat Dad sie betrogen? Bist du ... meine Schwester?"

Lisa schwieg einen Moment lang. „Schwierige Fragen, Bruderherz. Was denkst du? Kannst du dir vorstellen, dass Dad eine Affäre hatte?"

„Nein. Das passt nicht zu ihm, aber nach allem, was gerade geschieht, frage ich mich sowieso, ob meine Wahrnehmung nicht komplett kaputt ist."

„Verständlich und an deiner Stelle würde es mir nicht anders gehen. So gerne ich dir helfen möchte, ich darf nicht. Auch wenn du dich nicht erinnern kannst, hast du diesen Plan damals zusammen mit anderen Leuten ausgearbeitet. Du hast uns allen eingetrichtert, dass wir dir um keinen Preis deine Fragen beantworten dürfen, deren Antworten in dir schlummern." Na super! Wieder eine Sackgasse. Was mache ich jetzt? Ah, bezüglich der Schattègî wollte ich sie auch noch fragen.

„Kannst du mir sagen, wie ein Schattègô wieder mit seinem ursprünglichen Ich verbunden wird?"

Lediglich Lisas Atmen drang durch die Airpods an meine Ohren. „Laut der Legende kann dies auf zwei Wege geschehen. Entweder vollbringt der Lichtègô eine derart dunkle Tat, die den Schattègô wieder an ihn bindet, oder man wendet einen Zauber in der daloranischen Sprache an." Wieder Dalora, meine eine Muttersprache. Zu schade, dass ich keine Zauber in dieser Sprache ... Nein, das stimmt nicht. Ich kenne Zauber in dieser Sprache.

„Verstehe. Vielen Dank für die Info und deine Zeit." „Gerne und ... was auch immer du noch über dich herausfinden magst, was diese Familie angeht, du wirst immer mein Bruder bleiben. Egal, was geschieht, das wird sich nicht ändern." Erleichterung durchfuhr mich.

„Du wirst immer meine große Schwester sein. Ganz egal, was noch passiert, das wird sich nicht ändern."

„Wie lieb von dir. Brauchst du sonst noch meine Hilfe?"

Über Lena wird sie mir nichts sagen können, das mit den Schattègî hatte ich. Wobei könnte sie mir denn noch helfen ... Gerade fällt mir nichts mehr ein. Außer ... Das mit Henning will ich ihr nicht erzählen. Nicht, dass der Kerl sie dann noch aufsucht und ihr etwas antut.

„Gerade fällt mir nichts ein. Vielen Dank für alles."

„Gern geschehen und gib die Hoffnung nicht auf. Du wirst die Antworten auf deine Fragen finden, versprochen." Mit diesen Worten endete das Gespräch.

Ok, es gibt einen Zauber, der Lilly wieder mit Lena verbinden kann. Dazu habe ich jedoch kein Recht. Außer natürlich, sie möchte das. Moment mal, Sara ist eine Blavishka. Das sind Wesen, die ihre Energie aus Blut und Sex ziehen und in ihrem Speichel befindet sich ein Enzym, der die Blavishka für jeden, der über einen langen Zeitraum mit ihrem Speichel Kontakt hat, zur Droge werden lässt. Das ist mit Lilly geschehen und deswegen klang sie so. Darf ich sie jedoch daran hindern, Sara erneut aufzusuchen? Als ihr Freund sollte ich sie zumindest vor den Gefahren warnen. Sind wir noch Freunde? Irgendwie ... denke ich schon.

Seufzend nahm ich mein Handy in die Hand und schrieb Lilly eine Nachricht.

Anschließend legte ich mich in mein Bett und schloss die Augen. Keine Müdigkeit, kein Schlaf streckte sich nach mir aus. Vampire schlafen nicht und ich vertrage Blut, Traubensaft oder Rotwein. Zudem verfüge ich über deutlich schärfere Sinne als ein Mensch und meine Geschwindigkeit, Schnelligkeit und Kraft lassen auch nicht zu wünschen übrig.

In diesem Moment gab mein Smartphone ein Geräusch von sich.

Lilly

Hey <3

Es ist nett, dass du dir Sorgen um mich machst, aber Sara hat mir bisher nichts getan. Weder hat sie mich dazu gezwungen, sie aufzusuchen, noch mit Gewalt am Gehen gehindert.
Vielleicht möchtest du mitkommen, um dich selber zu überzeugen. Natürlich verstehe ich, wenn dir das zu unangenehm ist, aber in diesem Fall musst du darauf vertrauen, dass ich weiß, was ich tu.

„Typisch", murmelte ich und legte mein Handy weg. Was Lilly treibt, geht mich gar nichts an, doch ruft mir etwas zu, sie daran zu hindern, diese Sara aufzusuchen. Als Lenas Schattègô sollte sie sich gut zur Wehr setzen können, immerhin ist sie fast mit den gleichen Kräften gesegnet wie ich. Sie mag nicht die Geschichte der Essenzen anderer herausfinden können, doch ihre Kraft, Schnelligkeit und Geschwindigkeit stehen meiner in nichts nach. Woher weiß ich das denn jetzt schon wieder? Lena. Lena, Lena, Lena. Gott, natürlich, ich bin so dumm. Lena ist eine Lyna, ein ehemaliger Vampir und sie besitzt die Gabe der Heilung sowie Verwandlung wie die Gestaltwandler.

Lena Schwan, Frau von Maria Moritz und Taufpatin von Leyniva, die leider zu früh starb.


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