Zuflucht
Heute
Theo
Ein Plan musste her und das schnell. „Dad, gibt es einen Ort, wo wir Zuflucht suchen können?", rief ich.
Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Gibt es, aber wie sollen wir dorthin gelangen? Sobald wir das Grundstück verlassen, sind wir leichte Beute für Arimà." Das stimmt, so ein Mist aber auch! Moment mal, kann ich vielleicht die Sprache Dalora nutzen, um eine Art Schutzschild um uns legen?
Der Boden unter meinen Füßen erzitterte erneut. Sekunde, wenn ich Ántirchis um Hilfe bitte? Gemeinsam sollten wir eher eine Chance gegen Arimà haben.
„Habt ihr Christinas Nummer? Können wir sie irgendwie erreichen?"
Meine Eltern tauschten einen Blick daraufhin.
„Eine Nummer hat sie uns nie gegeben", erwiderte meine Mum. Die Hoffnung, die ich gehegt hatte, erstarb mit dem nächsten Wimpernschlag. Verdammt! Wie ... Natürlich! Ántirchis kennt mich, sie wusste von mir, als ich zum ersten Mal mit ihr in der Schule gesprochen habe. Dafür existiert nur eine Erklärung, sie ist meine ... Adamira und das wiederum bedeutet ... Gut, ich schaffe das. Ich krieg das hin.
Anschließend schloss ich die Augen und atmete noch einmal tief ein. Dann dachte ich fest an Ántirchis. Beschwor ein Bild einer schwarzen Wand vor mein inneres Auge, an der ein Foto von Ántirchis hing.
„Ántirchis? Hörst du mich?" Ein Summen trat in meinen Kopf.
„Theo, womit kann ich dir helfen?"
Meine Mundwinkel hoben sich. Es hatte funktioniert. „Arimà versucht mein Elternhaus aufzulösen, aber noch hindert sie irgendetwas daran. Jedoch befürchte ich, dass uns die Zeit davon läuft und vorhin hat sich jemand gemeldet und damit gedroht, Kreativa einzusetzen."
„Verstehe. Gut, ich helfe euch. Beantworte mir bitte nur eine Frage: Vertraust du mir?"
„Ja. Du wurdest mit genug Licht gefüllt, als dass du meine Familie nicht abschlachten wirst."
„Danke. Bis gleich."
Das Summen in meinem Kopf verpuffte.
Gerade, als ich die Augen öffnen wollte, erleuchtete ein hellblaues Licht die Küche.
„Was ...?"
Mit dem nächsten Wimpernschlag stand Ántirchis uns gegenüber.
„Wie kommst du hierher?" Mein Dad richtete sich langsam auf.
„Entspanne dich, Daniel. Wir können später über alles reden, aber erst einmal müsst ihr diesen Ort verlassen." Ántirchis ging zu meinen Eltern, während ich mich zu meiner Mum wandte.
Sie hielt sich den linken Knöchel.
„Warte, lass mich dir helfen", sprach ich und kniete mich neben sie.
„Danke, Schatz", raunte sie und legte ihren rechten Arm um meinen Hals. Abermals brannte meine Haut, doch ich blieb stumm.
„Wohin genau wirst du uns bringen? Du arbeitest doch mit den anderen deiner Art zusammen, um ..."
Ántirchis seufzte. „Daniel, ich verstehe dein Misstrauen, doch momentan bin ich die einzige Person, die euch helfen kann."
„Person! Dass ich nicht lache", sprach mein Dad, als ich mich aufrichtete.
Meiner Mum entwich ein Schmerzenslaut.
„Entschuldige. Wir können das gleich ansehen", flüsterte ich.
Sie nickte.
„So, Daniel, wenn du bitte noch einen Arm um deine Frau legen könntest, steht unserer Abreise nichts mehr im Wege." Ántirchis trat an meine Seite.
Mein Dad regte sich nicht.
„Dad, ich weiß zwar nicht, warum du ihr misstraust, aber sie wird uns helfen. Glaub mir", sprach ich.
„Na schön", murmelte er und ergriff die freie Hand meiner Mum.
Ántirchis reichte mir die Hand.
Sofort nahm ich sie und dann zog mich etwas an meinem Bauchnabel fort.
Als die Umgebung wieder hinreichend an Schärfe gelangt hatte, stellte ich fest, dass wir uns in der Bibliothek des Schlosses Hyleri aufhielten. Ein Schauer jagte meinen Rücken hinab. Dafür bleibt jetzt keine Zeit. Erst musst du dich um Mum kümmern und danach geht es weiter.
„Geht es?", sprach ich und blickte meiner Mum in die Augen.
Ein Schleier lag auf dem Grün, doch sie schenkte mir ein Lächeln. „Hab schon schlimmere Schmerzen ausgehalten."
„Ántirchis, wohin können wir sie bringen? Sie muss den Knöchel zumindest kühlen und sollte nicht die ganze Zeit stehen", sprach ich.
Ántirchis deutete mit dem Kopf nach links. Dort stand eine Bank. „Ich werde etwas Eis holen. In der Zwischenzeit sollte deine Körpertemperatur ausreichen." Nach diesen Worten setzte sie sich in Bewegung und ging.
Wortlos führte ich meine Mum zu der Bank. Seufzend setzte sie sich und streckte ihr linkes Bein aus.
„Wenn es in Ordnung geht, würde ich meine Hand vorsichtig auf den Knöchel legen", sprach ich.
Meine Mum nickte und ich kniete mich vor ihr auf den Boden.
Behutsam senkte ich meine rechte Hand auf den Knöchel. Ein Zucken durchfuhr das Bein meiner Mum, doch es verschwand so schnell, wie es aufgetreten war.
„Danke, Schatz."
„Keine Ursache."
Eine Weile hörte ich lediglich das Schlagen der Herzen meiner Eltern sowie ihre Atemzüge. Warum hat Dad so mit Ántirchis geredet? Geht er davon aus, dass sie uns doch etwas antun wird? Mir hat sie bisher kein Haar gekrümmt, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass er ihr nicht ganz über den Weg traut. Wieso geht es mir nicht auch so? In meinem Kopf schwirren immer noch genug Fragen herum.
In diesem Moment hörte ich, wie eine Tür aufging und dann folgten Schritte. Der Duft nach Wasserlilien und Veilchen kroch in meine Nase.
„So, bitte sehr." Ántirchis reichte meiner Mutter ein Kühlkissen.
Diese nahm es und ich ließ meine Finger von ihrem Knöchel gleiten.
„Dad, bleibst du hier bei Mum, während ich die nächsten Schritte überlege?"
„Nichts lieber als das." Er setzte sich neben Mum auf die Bank.
Ántirchis schenkte mir einen Blick, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte. Ohne ein weiteres Wort folgte ich ihr.
„Werden die Salinara und die anderen Schattègî sich nicht denken können, dass wir hier Zuflucht gefunden haben?", sprach ich, nachdem wir die Bibliothek verlassen hatten.
„Irgendwann werden sie bestimmt darauf kommen, doch vorher müssen sie erst alle anderen Orte ausschließen und das wird dauern." Interessant. Warum hat sie uns dann hierher gebracht?
„Deine Frage ist berechtigt, aber ich darf sie dir leider nicht beantworten."
„Wegen dem Duft der Erkenntnis, ich verstehe", entgegnete ich und nickte.
„Ganz genau. Hast du einen Plan, was ihr jetzt unternommen wollt?"
Mein Magen zog sich zusammen, als mir etwas einfiel. „Was ist mit Ria und meinen anderen Schwestern? Werden unsere Gegner nicht sie ins Visier nehmen?"
Ántirchis grinste. „Ria und Sarah können sich grandios selbst verteidigen, glaub mir. Was Lisa und Marie angeht ... Sie dürfen ebenfalls nicht unterschätzt werden, Lisa ganz besonders."
„Liegt das daran, dass sie Kreativa nutzen kann?"
Ántirchis drehte ihren Kopf zu mir. Für einen Moment blitzte so etwas wie Durst in ihren blauen Augen auf, doch dann sah ich wieder jene Aufrichtigkeit, die mich immer dort erwartet hatte. „Zum Teil. Mehr ..."
„... werde ich nicht von dir erfahren, alles klar. Kein Problem", erwiderte ich, als wir gerade das Treppenhaus erreichten.
Sie nickte.
„Gut, das beruhigt mich etwas. Jetzt müssen wir nur noch die Schattègî besiegen und danach stehen die Salinara auf dem Programm. Darfst du mir hier helfen?"
„Binden an ihre Lichtègî können wir sie nicht mehr, da diese verschwunden sind. Es gibt zwei Optionen, aber dafür brauchen wir Hilfe von anderen. Für Option Eins benötigen wir Ria und für Option Zwei Linvay." Linvay. Das Dazwischen. Linvay hat es als ihr Reich bezeichnet. Natürlich, sie kann andere Leute dorthin schicken.
„Ria wird am ehesten helfen können, da ich keine Ahnung habe, wo Linvay steckt. Außerdem meinte sie, dass ich sie nicht eher finden solle, ehe ich mich wieder an alles erinnern kann."
Daraufhin runzelte Ántirchis die Stirn. „Warum sollte sie ... Ah, jetzt verstehe ich es. Gut, dann bleibt erst einmal nur deine Schwester, auch wenn ich denke, dass dich diese Option ziemlich überfordern wird."
Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn man mir vor drei Tagen gesagt hätte, dass ich in mir einen Vampir trage, hätte ich die Person für verrückt erklärt."
„Gut, wie du möchtest. Du kannst Ria gerne anrufen." Nach diesen Worten reichte Ántirchis mir ein Handy. Stimmt, meines liegt ja noch Zuhause. Wenn es noch existiert. Dabei hat Arimà doch keinen Grund mehr, jetzt dort einzudringen.
„Dankeschön", meinte ich und nahm das Smartphone entgegen.
„Gerne. Wenn du Durst bekommst, in der Küche steht ein ganzer Kühlschrank voll mit Traubensaft und Rotwein."
Meine Schläfen pochten leicht. „Sehr freundlich, aber werden die Museumsbesucher es nicht höchst seltsam finden, wenn sie uns bemerken?"
Ántirchis lachte auf. „Das wird nicht geschehen, vertrau mir. Geh in die Lobby, wenn du mir nicht glaubst." Sie winkte mir und ging dann.
Das Pochen verebbte. Hm, ich werde zumindest nachsehen. Es ist zudem nicht all zu lange her, seit ich zuletzt hier war.
Während ich die große Treppe hinunterlief, erfüllte mich das Gefühl der Vertrautheit. Als würde ich ... Nein, ich kenne diese Stufen, und zwar nicht, weil ich dem Museum schon einmal einen Besuch abgestattet habe.
Die Rezeption war verschwunden, ebenso die ganzen Schaukästen. Was bei Adamira ist hier geschehen? Das Museum kann ich mir jedoch nicht eingebildet haben, meine Mum war mit mir hier. Seltsam.
In der Lobby angekommen, blieb ich stehen. Ein junger Mann in einem Anzug eines Butlers näherte sich mir. „Kann ich Ihnen helfen?"
„Verzeihen Sie, dass meine Frage merkwürdig erscheint, aber war das hier nicht ein Museum?"
„In der Tat, aber Frau Voll gab uns kurz nachdem Sie und Ihre Mutter uns verlassen hatten, die Nachricht, dass die Erbin zurückgekehrt sei und so machten wir uns umgehend ans Werk."
„Da haben Sie aber schnell gearbeitet, Respekt."
Der Mann lächelte und da bemerkte ich seine Reißzähne.
„Ah, ich verstehe. Dürfte ich wissen, um wen genau es sich bei der Erbin handelt?"
Mein Gegenüber senkte den Kopf. Wieder eine Frage, deren Antwort in mir schlummert. Wie viele sind das eigentlich? Irgendwann muss ich aufgehört haben zu zählen.
„Keine Ursache, das finde ich schon heraus. Vielen Dank für Ihre Auskünfte."
Der Vampir verbeugte sich vor mir. „Gern geschehen. Es ist meine Aufgabe, Ihnen zu dienen."
Anschließend drehte er sich um und ging. Was nun? Rufen wir Ria an? Einerseits brauche ich ihre Hilfe und auf der anderen Seite ... Nein, sie ... Wenn es stimmt, was Ántirchis über sie gesagt hat, brauche ich sie nicht zu beschützen. Gerade, als ich das Display des Smartphones antippte, näherten sich Schritte.
„Welch ein schöner Tag, wenn ich diese Stimme vernehmen darf", sang jemand. Der Klang dieser Stimme ... Er fühlt sich vertraut und freundlich an. Woher kenne ich ihn?
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung und dann stand eine junge schlanke Chanteuse neben mir.
„Hallo. Dumme Frage, kennen wir uns?", sprach ich.
„So sehr das Schweigen auch schmerzt, es hat auch seine Daseinsberechtigung", sang die Chanteuse. Sie gehört auch zum Kreis der Eingeweihten. Wie viele Leute umfasst er eigentlich?
„Verstehe. Was führt Sie zu mir?"
Ein Lächeln umspielte die zierlichen Lippen der Chanteuse. „Deine Anwesenheit wird verlangt, erwartet wirst du im Speisesaal."
„Von wem?"
„Keine Namen wurden mir genannt, doch kennen du sie wirst." Aha! Klingt ziemlich mysteriös.
„Gut, dann gehen Sie gerne vor."
Die Chanteuse nickte, ehe sie sich umdrehte und davon hüpfte.
Ich folgte ihr.
Wer konnte denn jetzt etwas von mir wollen? Hatten meineSchwestern sich zusammengereimt, was geschehen war, oder hatten meine Elternsie benachrichtigt? Das würde ich hoffentlich bald herausfinden.
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