Zorn

Vor dem Zeitsprung

Henning

Sara stieß ein Knurren aus, kaum dass ich das Schlafzimmer betreten hatte. Ihre hellgrünen Augen funkelten. Bin ich zu spät? Nicht, dass ich wüsste.

„Was kann ich für dich tun, Herrin?", sprach ich.

„Mir zuerst erklären, wie dir dieser dumme Fehler unterlaufen konnte!" Fehler? Es lief doch alles nach Plan. Theresa konnte sich unter die Gäste mischen, also ...

Sara zischte und machte einen Schritt auf mich zu. Obgleich meine Muskeln sich anspannten, konnte ich nicht leugnen, dass ihre Wut und ihr Zorn sie noch heißer aussehen ließen als ohnehin schon. „Deiner Verwirrung entnehme ich, dass du wirklich nicht weißt, wovon ich rede! Gut, dann einmal von vorne, aber nur deinetwegen: Ria Sanders entspringt der Königlichen Familie der Lynès'. Seit Generationen wird in dieser Familie die Fähigkeit, die Zeit zurückzudrehen, weitervererbt."

Ich schluckte. „Warum verweilt Sarah dann immer noch unter der Erde? Wenn Ria diese Gabe besitzen würde, würde sie vor nichts Halt machen, um ..."

Meine Herrin fauchte. „Sie weiß bisher nichts davon! Diese Fertigkeit entwickelt sich bei jedem Mitglied der Familie anders und im, nun ob man vom schlimmsten Fall reden möchte, ist Ansichtssache, längsten Fall, offenbart sie sich nie. Das bedeutet aber nicht, dass es bei Ria genauso ablaufen wird."

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, so dass ich schluckte. „Verstehe. Woran erkennen wir, dass Ria von ihrer Fähigkeit weiß und sie auch nutzen kann?"

Ein Lächeln huschte über Saras volle Lippen. Dieses Dunkelrot, diese weißen Zähne ... „An dieser Stelle kommst du ins Spiel, mein Liebster. Mische dich unter sie und finde das heraus."

Mein Herz setzte einen Schlag aus. „Die Lynas werden mich sofort erkennen. Spätestens wenn Christina Voll und ich in einem Raum stehen, wird ..."

Sara schüttelte den Kopf, wodurch sich eine Strähne ihres dunkelbraunes Haars aus ihrem Dutt löste. „Dazu wird es nicht kommen. Wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, hat unsere ehrenwerte Kriegsheldin erst kürzlich ihr Kind verloren und wird deshalb erstmal alle Gedanken so gut wie möglich ausblenden, um in Ruhe trauern zu können, oder welch anderem sentimentalen Quatsch sie sich auch sonst hingeben mag. Allerdings besteht eine kleine Chance, dass sie ihre Antennen doch ausfährt und dich entdeckt. Deswegen ..." Sara grinste und kam noch einen Schritt näher. Ihr Duft nach Jasmin und Veilchen ...

Das Verlangen erwachte in mir wie ein Tier aus dem Winterschlaf. Mein Inneres zog sich zusammen.

„... werden meine Partner dafür sorgen, dass eine Barriere um deinen Geist gelegt wird, die Christina nicht durchdringen kann."

Abermals nickte ich. „In Ordnung. Dann werde ich tun, was du verlangst. Wann soll ich mich mit deinen Leuten treffen?"

Sara hob ihre Hand und legte sie auf meine Wange. Die Berührung ließ mich erzittern. „Keine Sorge, du wirst früh genug davon erfahren. Aber jetzt benötige ich doch etwas Energie. Du glaubst nicht ..."

Ein Klopfen erklang.

Sara verdrehte die Augen und wandte ihren Kopf der Zimmertür zu. „Herein!"

Ein Schaben. Der Duft nach Pfefferminze und dem Meer kroch in meine Nase.

„Ah, Olléchin, sehr erfreut dich zu sehen", sprach Sara.

Meine Nackenhaare stellten sich auf, doch ich weigerte mich, mich umzudrehen.

„Das Vergnügen meinerseits könnte nicht größer sein", erwiderte dieser Olléchin. Diese ruhige, sanfte Stimme ... Was will der Kerl von ihr?

„Was führt dich zu mir? Hat Arimà dir von mir erzählt und du möchtest nun ebenfalls diesen Rausch kosten?"

Ganz automatisch ballten sich meine Hände zu Fäusten.

„Das hat sie nicht, aber wenn du es mir schon einmal anbietest ..."

Schritte und dann stand Olléchin neben Sara. Mir blieb die Luft weg. Was zur Hölle! Nichello Voll hat eine Affäre mit Sara?! Dieser Gutmensch würde doch niemals seine Frau hinter ihrem Rücken ... What?!

Sara seufzte. „Henning, mein Lieber, du scheinst vergessen zu haben, dass jeder Schattègô seinem ursprünglichen Ich wie ein Spiegelbild gleicht. Abgesehen von den Augen natürlich."

Olléchin lächelte und hob die Arme. Mit seinen blassen Händen fischte er jeweils eine Kontaktlinse aus einem Auge. Alles in mir schrie danach, mich umzudrehen und zu gehen, als ich in purpurne Augen starrte. Von einer Iris und Pupille fehlte jede Spur.

„Er ... freut", murmelte ich.

„Von dir habe ich schon so viel gehört." Olléchin nickte mir zu, während er eine Hand auf Saras unteren Rücken legte.

Sie keuchte auf. Aufgeblasener Mistkerl! Glaubt er etwa, dass ich so leicht zu ersetzen bin?! Oh, nein. Nicht mit mir! Dem werde ich zeigen, dass meine Herrin mich mit Bedacht ausgewählt hat. Sie braucht mich und niemanden sonst.

„Herrin, wenn es dir genehm ist, würde ich mich für einen Happen zur Verfügung stellen", sprach ich.

Sara atmete tief ein. „Wie könnte ich mich dem wider..."

Bevor ich auch nur blinzeln konnte, stand Olléchin zwischen Sara und mir. „Eine Blume wie du verdient es, sich an jenen zu laben, die wahre Ekstase zu bieten vermögen", schnurrte er. „Stille an mir deinen Hunger und ich verspreche dir, dass du längere Zeit keine Energie mehr benötigen wirst." Wie bitte?! Sie kann das doch nicht so einfach glauben, oder? Verfügt dieser Olléchin über die Macht, andere Leute zu hypnotisieren? Überhaupt, was ist Olléchin für ein bescheuerter Name! Wer heißt denn bitte so?! Dann auch noch sein dämlicher Aufzug. Das schwarze Jackett mit dem weißen Hemd. Ts, viel zu feierlich.

„Verstehe. Seit mehr als einem Jahr stehe ich an deiner Seite und dann kommt aus dem Nichts einfach so ein Schatt ... Ach, mir doch egal, wie diese Wesen heißen ... und nimmt meinen Platz ein?!", rief ich. „Was du auf deiner Arbeit tust und wie viele Männer oder Frauen du dort anrührst, geht mich nichts an. Das hatten wir so vereinbart, aber was in diesem Zimmer, in diesem Appartement geschieht, kümmert mich sehr wohl!"

Olléchin feixte. „Wie niedlich! Zisch ab, Junge. Du hast nicht den Hauch einer Chance gegen mich." Verdammt, er hat recht. Wenn diese ... Wesen ihrem eigentlich Ich bis aufs Haar gleichen, wird dieser Typ über die gleiche Kraft und Schnelligkeit wie Nichello verfügen. Warum mussten die Kriegshelden auch ein paar vampirische Eigenschaften beibehalten, verdammt nochmal?!

„Herrin, lass das nicht zu. Du hättest jeden anderen Mann haben können, aber du hast dich für mich entschieden! Erinnere dich daran, es muss doch einen Grund gegeben haben."

Sara machte einen Schritt nach vorne, so dass sie neben Olléchin stand. „Wir hatten uns darauf geeinigt, die Dinge locker anzugehen und zu sehen, wie es sich entwickeln würde. Es tut mir leid, aber zu behaupten, er würde mich nicht anturnen, wäre genauso gelogen wie die Behauptung aufzustellen, ich hätte die Zeit mit dir nicht genossen." Keine Zweifel standen in ihren wundervollen Augen. Nur Ernsthaftigkeit und Sicherheit.

Mein Herz raste. Hitze wallte in meinem Inneren auf. „Die Dinge locker angehen? Was redest du da? Das hatten wir nie vereinbart!"

Olléchin lächelte. „Im Ernst, Junge, zieh Leine. Es sei denn, du möchtest gerne zuschauen. In diesem Fall bist du herzlich eingeladen, bei uns zu bleiben." Das ... das muss ein Albtraum sein! Wie ist das denn jetzt so schnell passiert? Gestern sah doch noch alles ganz normal aus. Oh, dieser aufgeblasene Lackmeier! Irgendwann werde ich es ihm so richtig heimzahlen. Ganz sicher!

„Meine Herrin bevorzugt Monogamie, aber vielleicht weißt du das noch nicht, weil du noch nicht so viel Zeit mit ihr verbracht hast wie ich!", zischte ich. „Gut, du hast deine Wahl getroffen. Wie du willst." Nach diesen Worten drehte ich mich um und ließ die Tür zuknallen.

Alles um mich färbte sich rot, während ich das Appartement verließ. Die Hitze in mir schwoll immer mehr an. Wohin soll ich denn jetzt? Zurück in meine alte Wohnung? Niemals. Diese Blöße gebe ich mir nicht und damit zeige ich diesem Olléchin, dass ich viel zu leicht aufgebe. Dieser Kerl wird sich noch wünschen, dass er mich niemals getroffen hat!

Niemand begegnete mir auf der Treppe. Ich holte tiefLuft, öffnete meinen Mund und schrie mit aller Kraft. Wir sehen uns wieder!So leicht gebe ich meinen Platz nicht auf! Niemals!


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