Wer bist du?
Heute
Theo
Der Bass dröhnte durch meine Airpods, während ich mich auf meine Fitnessmatte setzte. Anschließend legte ich mich auf den Rücken und zog die Beine an. Gerade, als ich mein linkes Bein anhob, erhaschte ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel.
Ich drehte den Kopf.
Meine Mum stand in der Tür und funkelte mich leicht an.
„Was ist los?", sprach ich und nahm die Kopfhörer aus meinen Ohren.
Sie schüttelte leicht den Kopf. „Kannst du bitte deine Musik das nächste Mal leiser drehen, damit du mich hörst, wenn ich rufe?!"
„Sorry", entgegnete ich und hob die Hände.
Sie winkte ab. „Ist ja jetzt auch egal. Deine Schwester kommt gleich. Denkst du nicht, du könntest das Bad noch etwas sauber machen? Zumindest die Waschbecken?"
„Ok", meinte ich und stand auf.
„Dankeschön. Die Putzmittel stehen alle oben bei uns im Bad, wenn du etwas nicht findest, ruf einfach."
Nach diesen Worten drehte meine Mum sich um und verließ mein Zimmer.
Eine gute halbe Stunde später saß ich gemeinsam mit meinen Eltern am gedeckten Tisch im Wohnzimmer.
„Was, wenn ihnen etwas passiert ist?" Meine Mum tippte zum wiederholten Mal das Display ihres Smartphones an.
„Ria kann sehr gut fahren, sie sind wahrscheinlich nicht so schnell durchgekommen wie sonst." Mein Dad drückte sanft die Schulter meiner Mum.
Sie nickte.
In diesem Moment klingelte es.
Sofort sprang meine Mum auf und eilte in den Flur. „Oh, hallo?" Also nicht meine Schwester und ihre Freundin.
„Hallo, würden Sie das Paket für die Nachbarn annehmen?", sprach der Postbote.
„Klar."
„Wunderbar. Dann einmal hier ... und das ist für Sie."
Stille.
„Dann einen schönen Tag noch."
Die Tür wurde geschlossen, die Stöckelschuhe meiner Mum klapperten über den gefliesten Boden.
„Theo, hier ist ein Brief für dich!", rief sie. Ein Brief für mich? Beim Zahnarzt war ich erst vor zwei Wochen gewesen und der Bibliothek habe ich seit längerem keinen Besuch mehr abgestattet.
„Von wem ist er denn?", sprach ich, während ich zu ihr ging.
Sie zuckte mit den Schultern. „Da steht kein Absender auf dem Couvert." Hm. Ungewöhnlich.
Mein Herz schlug schneller, als ich den Brief nahm. Im Anschluss kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und nahm wieder auf dem Stuhl Platz. Ein Stück Pergament kam zum Vorschein, nachdem ich den Brief geöffnet hatte.
„Wer benutzt denn bitte noch Pergament heutzutage?", murmelte ich. Überhaupt erschien mir Briefeschreiben etwas unnötig bei der ganzen Technik. Jeder Bürger Kosans verfügte über eine Holo-ID, die von allen wichtigen Unternehmen angefordert werden konnten, um Mitteilungen, wie die Erinnerung an einen Arztbesuch, an das Holopad zu schicken. Keine Unkosten für Papier, kein Stress für die Post. Kopfschüttelnd verjagte ich diese Gedanken.
Mittlerweile hatte ich den Brief entfaltet. Die Handschrift ... Sie hinterließ den Geschmack nach Vertrautheit auf meiner Zunge, doch ich konnte den Grund dafür nicht benennen. Dann finden wir doch mal heraus, was der Schreiber von uns will.
Mit dem nächsten Atemzug begann ich zu lesen.
Meine unsterbliche Liebe!
Ich hoffe, es geht dir gut. Wenn nicht, dann lass es mich bitte wissen. Auch wenn ich gerade nicht bei dir sein kann, so sollst du wissen, dass ich jederzeit an dich denke. Kein Tag, nicht einmal eine Minute vergeht, ohne dass ich meine Gedanken zu dir schicke. Du fehlst mir, obwohl ich dich erst einmal gesehen habe und dies erschien mir eher wie ein Traum oder eine Vision.
Dein Bild weicht nicht aus meinem Kopf. Deine Stimme klingt immer noch in meinen Ohren nach und dein Duft ... Ein tiefer Atemzug und ich bin von ihm umgeben. Ebenso wie mich der Nebel an einem nasskalten Herbsttag umgibt.
Ich sehe mich nach dir. Am liebsten würde ich mich zu dir begeben, dich halten und nie mehr von deiner Seite weichen, doch ich kann nicht. Nicht bis ich weiß, ob dies auch dein Wunsch ist. Niemals würde ich es mir verzeihen, wenn ich dich zu etwas zwingen oder drängen würde.
Du sollst glücklich sein, das ist alles, was ich mir jemals wünschen werde. Selbst, wenn das bedeutet, dass du meine innigen Gefühle nicht erwiderst. Selbst, wenn das bedeutet, dass ich die Bürde der Unsterblichkeit weiterhin allein tragen muss.
All der Kummer verschwindet, sobald ich dein Lächeln sehe. Der Schmerz darüber, dass ich möglicherweise ein Monster für dich bin, löst sich auf, sobald ich dein Lachen höre.
Du bist so schön. Nein, du bist perfekt. Ich weiß, dass es Tage gibt, an denen du dein Spiegelbild meidest. An denen du einfach nur hoffst, dass die Sonne untergeht, um das Ende des Tages einzuleiten. Vergiss bitte niemals, wie sehr ich dich liebe und dass sich das nie ändern wird. Nichts, was du tust, oder jemals auch nur in Erwägung ziehen kannst, wird daran etwas ändern.
Wenn du weinst, spüre ich einen Stich im Herzen. Wenn du Kummer leidest, fühlt es sich so an, als würde ich in einem Moor feststecken. Wenn du verletzt wurdest, fühlt es sich so an, als würde ich in der Wüste umherirren.
Bitte, zögere nicht, mich um Hilfe zu bitten. Niemand verlangt, dass du alles sofort und ganz allein schaffst. Sollte es irgendetwas geben, wobei ich dir helfen kann, lass es mich wissen. Durch meine Unsterblichkeit habe ich schon viel erlebt, aber ich zwinge dich nicht dazu, dich an mich zu wenden.
Du bist so stark. Du hast schon so viel erreicht. Alles, was du bisher erlebt und durchgemacht hast, hat dich zu diesem Moment geführt, in dem du das hier gerade liest. Ist dir klar, wie sehr ich dich bewundere? Für deine Stärke, deine Weisheit, deinen Mut und ... Keine Worte könnten jemals ausdrücken, wie tief meine Bewunderung dir gegenüber reicht.
Ich liebe dich. So sehr und eines Tages werden wir zusammen sein. Dann werde ich dir das geben, was du verdienst, was du brauchst. Auf diesen Tag freue ich mich schon sehr, selbst wenn es tausend Jahre oder Äonen dauern wird, bis er gekommen ist.
Mir ist bewusst, dass du möglicherweise darüber nachdenkst, mein Schicksal zu teilen. Auf dass ich die Bürde nicht mehr allein tragen muss und der Kummer der Unsterblichkeit zumindest ein Stück weit vergeht. Nichts würde mich glücklicher machen, als mit dir die Ewigkeit zu verbringen. Jedoch weiß ich auch, was das für dich bedeutet, und ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren. Du wirst miterleben, wie deine Familie, Freunde und jede andere Person, die du kennst, sterben wird, während du am Leben bleibst. Darüber hinaus wird kein Tag vergehen, ohne dass du dich nach Blut, Rotwein oder Traubensaft verzehren wirst. Zudem wird große Trauer dein Dasein beenden können, ebenso ein Silberpflock. Das Bedürfnis nach Schlaf wird sich nicht mehr einstellen, ebenso das Bedürfnis nach Essen. Der Segen des Vergessens wird dir genommen werden. Sicherlich, du wirst deutlich mehr Raum in deinem Kopf haben und du wirst Ereignisse in dein Unterbewusstsein schieben können, auf dass du nicht mehr überfordert wirst, aber du wirst alles, was du je mit deinen fünf Sinnen aufgenommen hast, jederzeit wieder in dein Bewusstsein rufen können. Es wird dir so leicht fallen wie atmen.
Wenn du bereit bist, all das auf dich zu nehmen, würde es mir sehr viel bedeuten, dir das Geschenk der Unsterblichkeit zu überreichen. Mach dir keine Gedanken, wenn du das Geschenk nicht annehmen möchtest, werde ich dir nicht böse sein. Es wird nichts an meiner Liebe zu dir ändern.
Denn du bist meine niemals endende, ewig währende, unsterbliche Liebe. Für immer.
Auf ewig dein,
Ich
„Ich", hauchte ich.
Kein Name, kein Siegel, nicht einmal eine ID. Nichts. Nur diese drei Buchstaben: I. C. H. Vielleicht auf der Rückseite ...
In dem Moment, in dem ich meine Finger über das Pergament gleiten ließ, blitzten Bilder vor meinem inneren Auge auf. Die blasse schwarzhaarige Frau stand auf dem Balkon wie in meinen Träumen. Dann in einem riesigen Raum. Dann in einer Halle mit fünf anderen Leuten. Dann auf einem Friedhof und dann ...
Ein Schrei gellte durch meinen Schädel. So laut, dass ich mir die Ohren zuhielt.
Eine warme Berührung an meiner Schulter ließ mich zusammenzucken. Langsam nahm ich die Hände von meinen Ohren.
„Ist alles in Ordnung?", flüsterte meine Mum. Die Sorge in ihren großen Augen verpasste mir ein flaues Gefühl in meinem Magen.
„Hm, was? Ja, alles gut."
Sie zog die Augenbrauen hoch und schenkte mir einen Blick, der eindeutig dafür sprach, dass sie mir nicht glaubte.
Seufzend nahm sie wieder Platz.
Schon wieder diese Frau, aber dieses Mal hab ich eindeutig nicht geträumt, oder doch? Meine Eltern frag ich besser nicht, die halten mich sonst für komplett verrückt. Apropos verrückt, wenn Lilly und ihre Tante recht haben, wieso weiß dann fast niemand etwas über diesen Großen Galaktischen Krieg? Auch wenn er achtzig Jahre her ist, ich kann mir nicht vorstellen, dass uns davon nichts erzählt wird. Was geht da vor sich und wer zum Henker bist du, werter Briefschreiber?
In diesem Moment klingelte es abermals.
„Ich geh schon", sprach ich und erhob mich, bevor meine Mum reagieren konnte.
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