Pilzrahmsoße
Zwanzig Jahre zuvor
Linvay
„Elende Spinnwebe!"
Ich drehte mich um und lächelte.
Theo stand in einer Ecke des Saals und fuchtelte mit dem Staubwedler herum.
„Ist deine Stärke noch nicht vollständig zurückgekehrt?", sprach ich, während ich zu ihm ging.
Mein Freund wandte seinen Kopf mir zu. „Für das, was ich bekommen habe, würde ich jederzeit meine Stärke aufgeben."
„Schmeichler", erwiderte ich und grinste. „Also, was genau ist dein Problem? Sitzt da eine Spinne und du möchtest sie nicht verjagen?"
Theo hob die Augenbrauen. „Sehr witzig! Irgendwie bekomme ich die Spinnwebe nicht weg. Dabei habe ich schon alles versucht."
„Darf ich?", sprach ich und streckte die Hand nach dem Wedler aus.
„Bitte." Mein Freund reichte ihn mir.
Nach einem Nicken trat ich zu der Spinnwebe und fuhr mit dem Wedler darüber. Anmutig flog die Spinnwebe zu Boden.
„Das ging jetzt ziemlich einfach", meinte ich und gab Theo den Wedler zurück.
Er zuckte mit den Schultern. „Glaubst du, das hat etwas damit zu tun, dass ich noch nicht lange eine Person bin?"
„Könnte sein, auch wenn ich mir das schwerlich vorstellen kann. Andererseits fällt mir kein anderer plausibler Grund ein, weshalb du nicht imstande sein solltest, eine einfache Spinnwebe zu entfernen."
Mein Freund nahm meine Hand und drückte sie sanft. „Was meinst du, kümmern wir uns noch um die Bibliothek, oder sollten wir uns langsam fertig machen, damit wir rechtzeitig bei Ria und Sarah sind?"
Auf seine Worte warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. „Du ziehst dich um und ich putze schon einmal die Fenster."
Theos Mundwinkel zuckten. „Mir immer noch ein Rätsel, wie ich länger als du im Bad brauche, obwohl du doch eine Frau bist."
„Ab jetzt!", rief ich, konnte mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Mein Freund verbeugte sich vor mir, dann drehte er sich um und ging.
Lächelnd verließ ich den Saal durch die andere Tür. Es fühlt sich gut an, das Schloss auf Vordermann zu bringen. Als würde mit dem Dreck auch das Grauen verschwinden.
Schließlich trafen Theo und ich uns in der Eingangshalle. „Sind Sie bereit, mylady?" Er hielt mir seinen Arm hin.
„Für Sie doch immer, mylord", erwiderte ich und hackte mich ein.
Theo lächelte. Dann schloss er die Augen und einen Wimpernschlag später spürte ich das wohlbekannte Ziehen in meiner Brust.
Der leichte Geschmack nach buntem Leben mischte sich mit dem Geruch nach Abgasen und Regen.
„Mir immer noch ein Rätsel, wie die Beiden es hier aushalten können", sprach Theo und ich öffnete die Augen.
Wir waren vor einem weißen, zweistöckigen Gebäude gelandet.
„Nicht jeder kann eine reiche Erbin daten. Also, wollen wir?"
Schon setzte er sich in Bewegung und ich folgte ihm. Theo hielt vor dem Kasten an, auf dem die Klingelschilder befestigt waren.
„Wo ... Aha, da!" Er deutete auf ein Schild, auf dem Ria Sanders und Sarah Regen stand.
Nachdem er geklingelt hatte, geschah nichts. Ein Knacken drang durch die Lautsprecher.
„Bitte, identifizieren Sie sich", sprach eine Frauenstimme.
„Theo Sélon und Linvay Rabenfeder", erwiderte mein Freund.
Ein Summen und dann schwang die Haustür auf. Von einer solchen Technologie habe ich bisher nicht gehört. Ob wir so etwas auch im Schloss einbauen sollten?
Theo und ich liefen die Treppe hinauf in den zweiten Stock.
„Wohin jetzt?", raunte ich.
„... an! Sie werden jeden Moment hier sein und ..."
Wortlos zog Theo mich weiter. Vor der zweiten Tür auf der rechten Seite hielt er abermals an und klopfte.
Schritte. „Theo, Lin, kommt doch rein!" Ria schenkte uns ein Lächeln.
„Sehr gerne", meinte ich und schritt mit meinem Freund über die Schwelle.
„Der Traubensaft steht schon bereit. Sarah und ich waren erst nicht sicher, welche Soße wir kochen sollten." Ria schloss die Tür.
„Ach, das macht doch nichts." Theo winkte ab, während ich mich von ihm löste.
Anschließend schlüpfte ich aus meiner Jeansjacke und hängte sie an die metallene Garderobe.
„Täusche ich mich, oder liegt da tatsächlich der Geruch nach Pilzrahmsoße in der Luft?" Theo zog seine Schuhe aus.
Ria lächelte. „Gut, dass du es erwähnst. Geht schon einmal ins Wohnzimmer, wir sind gleich bei euch." Nach diesen Worten sauste sie davon.
„... voll! Sieh dir nur die Herdplatten an!" Rias Stimme.
Grinsend ging ich ins Wohnzimmer.
„Es tut mir leid, ehrlich. Irgendwie kann ich mich nicht so ganz aufs Kochen konzentrieren. Er taucht immer wieder vor mir auf und ... das ganze Blut." Ein Schniefen.
„Denkst du, eine klassische Küchenschlacht könnte sie aufheitern?", flüsterte ich Theo zu, der just in diesem Moment neben mir stand.
„Schadet wahrscheinlich nicht. Viel Spaß."
„Danke", hauchte ich.
Dann trat ich auf den Flur hinaus und öffnete die zweite Tür auf der linken Seite.
„Ihr braucht Hilfe, hab ich gehört?", sprach ich und betrat die Küche.
Sarah drehte sich vom Herd zu mir. Die Bewegung riss eine Strähne ihres hellblonden Haares aus ihrem geflochtenen Zopf. „Eigentlich schaffen wir das schon. Ria macht sich nur Sorgen wegen der Soße."
Mit der rechten Hand, in der sie einen Kochlöffel hielt, deutete sie auf ihre Verlobte.
„Hey, ich bin nicht diejenige, die ganze Kleckse davon auf den Herdplatten verteilt hat." Ria stemmte die Arme in die Hüften.
„Darf ich mal sehen?" Auf Zehenspitzen trat ich näher.
Sarah machte mir Platz.
Der Duft nach Pilzen und Nudeln kroch in meine Nase. Der Geschmack nach Wehmut und Traurigkeit legte sich auf meine Zunge.
„Das solltet ihr im Nu wieder wegwischen können", meinte ich und tunkte einen Finger in die Soße. „Von der Konsistenz her würde ich sagen, dass sie in spätestens drei Minuten serviert werden kann."
„Danke. Würde es dir etwas ausmachen, schon einmal zwei tiefe Teller und vier Gläser zu holen?" Ria deutete mit dem Kopf auf den weißen Schrank, der in der rechten hinteren Ecke der Küche stand.
„Natürlich nicht", erwiderte ich und leckte die Soße von meinem Finger. Es schmeckte wie altbackenes Brot.
Wenn ich eine Schlacht veranstalten will, muss ich irgendwie Zugang zum Wasser bekommen, aber es ... Vielleicht klappt es ja so.
Nachdem ich die Teller und zwei Gläser geholt hatte, stellte ich das Geschirr auf den kleinen Fichtenholztisch an der linken Seite.
Ria schrubbte gerade die verirrten Soßenflecken von den Platten, während Sarah eine traurige Melodie vor sich hin summte. Jetzt!
Schon eilte ich zum Spülbecken und füllte die Gläser damit. Dann kippte ich den Inhalt des einen direkt in Rias Richtung.
„Lin, was soll das?" Sie hustete und sah auf.
Statt etwas zu sagen, zwinkerte ich nur.
Für einen Moment blickte Ria mich mit offenem Mund an, dann hob sich ihre Mundwinkel. „Nicht mit mir!"
Sie ließ ihren Lappen fallen und spritzte mir den Inhalt des Reinigers ins Gesicht. Meine Muskeln spannten sich an, doch ich unterdrückte den Impuls, mich zu ducken.
„Und da heißt es, es liegt an mir, dass das Essen nicht rechtzeitig fertig wird." Sarah eilte zum Fenster und schnappte sich ein Geschirrtuch, das auf dem Fensterbrett lag.
„Ihr wisst ganz genau, dass ich euch mühelos fertig machen könnte, wenn ich wollte", sprach ich.
Ria warf Sarah einen Blick zu. „Die Wette gilt!" Schon hob Ria wieder ihren Arm mit dem Reiniger.
Ein Lachen entwich mir und ich machte einen Satz nach vorne.
„Vampirgeschwindigkeit gehört verboten!" Sarah eilte zu mir, doch ich machte im letzten Moment einen Schritt zur Seite. Sie verfehlte mich mit dem Tuch.
„Ihr hättet euch nicht mit mir anlegen müssen", erklärte ich und lächelte.
„Irgendwann erwischen wir dich." Ria stellte den Reiniger auf die Arbeitsfläche und ließ Wasser über ihre Hände laufen. Diese Nummer also! Sollten sie es ruhig versuchen.
Zwanzig Minuten später saßen wir alle vier dann im Wohnzimmer. Ria und Sarah leerten gerade ihre Teller, während Theo einen Schluck aus seinem Glas nahm.
„Ich glaube, das war die beste Pilzrahmsoße, die ich je in meinem Leben gegessen habe." Mit einem wohligen Seufzer legte Ria die Gabel zur Seite.
„Geht mir genauso." Sarah atmete tief durch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
Theo schenkte mir einen Blick. Augenblicklich verteilte sich der Geschmack nach Glück auf meiner Zunge. Wärme durchströmte mich.
„Vielleicht ist das keine gute Idee, aber ich hätte jetzt nichts gegen Mousse au Chocolat." Sarah stand auf.
Ria schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall! Nachher setzt du noch die Küche in Brand."
Sarah lief um den Tisch zu Ria herum und drückte einen Kuss auf ihre Wange. „Du kannst mir ja dann beim Löschen helfen." Diese Worte waren kaum verklungen, als Sarah Richtung Küche ging.
Mit einem genervten Stöhnen folgte Ria ihr.
„Denkst du, wir haben sie erfolgreich ablenken können?", flüsterte Theo in mein Ohr.
„Auf jeden Fall. Wir sollten nachher noch bei dieser Sara vorbeischauen. Vielleicht haben wir Glück und sie hat gerade Zeit", raunte ich und leerte mein Glas.
„Das will ich doch hoffen." Theos freie Hand fand meine und wir verschränkten die Finger miteinander.
„... schön! Soll ich Lin holen, oder schaffst du das?" Rias Stimme drang gedämpft durch die Küchentür an meine Ohren.
„Nur, wenn du eine zweite Küchenschlacht willst."
Ein Lachen. Danach ein Rascheln. Ein Rumoren und wenigspäter summte der Schneebesen vor sich hin.
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