Hoffnung

Vor dem Zeitsprung

Christina

Henning räusperte sich und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Konnten wir es ihm wirklich zumuten, mit Lin, Theo, Vanessa, Maria, Lena und uns in einem Raum zu sein? Seine Gedanken sprachen eine deutliche Sprache, doch würde Nichello mein Mitgefühl verstehen?

Ein Seufzer entwich mir. „Vielleicht sollten wir uns in Gruppen aufteilen, sobald alle hier sind. Lin, Theo und ich könnten meine Theorie mit Henning testen, während der Rest von euch mit Ria den weiteren Weg bespricht."

Mein Mann schenkte mir einen Blick, den ich sehr gut kannte. „Deine Sturheit habe ich oft genug erlebt, um dich von irgendetwas abhalten zu wollen. Sei einfach vorsichtig, mein Herz, in Ordnung? Auch du kannst überlistet werden."

Ich drückte seine Hand. „Iriluv héli. Für immer."

Nichello lächelte, hob meine rechte Hand an seine Lippen und küsste sie.

Ria verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. „Wir können das gerne so machen. Für den Fall, dass etwas ..."

Hellblaues Licht flutete das Wohnzimmer und einen Herzschlag später traten fünf weitere Stimmen in meinen Kopf.

„Du!", knurrte Lin und ballte die Fäuste.

Theo legte die Hände auf ihre Schultern. „Ruhig, mein Herz. Atme tief durch", flüsterte er.

„Was hat er hier zu suchen?", zischte Maria und pustete eine rote Strähne ihres Haares aus ihrem Gesicht.

„So ganz genau wissen wir das noch nicht, aber ich gebe euch mein Wort, dass er uns nichts tun wird", entgegnete ich.

Augenblicklich entspannte Lin ihre Hände und Maria lehnte sich zurück.

„Theo, Lin, wir wissen, dass wir viel von euch verlangen, indem wir diese Bitte an euch tragen, aber Christina hat eine Idee für Hennings Sinneswandel. Dazu braucht sie jedoch eure Hilfe", sprach Nichello.

Die beiden Vampire tauschten einen Blick.

Wir sollten uns Inis Idee anhören. Hoffentlich hat er es nicht geschafft, sie hinters Licht zu führen.

Wenn das alles ein Trick ist, um jeden von uns unter die Erde zu befördern, ist es mit ihm schneller vorbei, als er Maus sagen kann! Nichts anderes hatte ich erwartet.

„Also schön. Wie können wir dir helfen?" Theo nickte mir zu.

„Das würde ich gerne in der Küche mit Henning und euch besprechen. Ihr anderen könnt mit Ria und meinem Mann einen Plan ausarbeiten, wie wir Sarah zurückholen können", erwiderte ich.

Lenas Augen leuchteten. „Worauf du dich verlassen kannst."

Vanessa schenkte mir ein Lächeln.

„Wunderbar. Henning, Theo, Lin, lasst uns gehen." Nach diesen Worten stand ich auf und ging in die Küche.

Die drei Angesprochenen folgten mir.

Wie er sie ansieht. So voller Hingabe und Ehrerbietung. Hat meine Herrin mir jemals einen derartigen Blick geschenkt? Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Liegt das daran, dass sie seine Adamira ist? Lin ... Ihre Stimme ... So zart wie der Klang einer Harfe. Schluss damit! Tulpen, Tulpen, Tulpen. Meine Mundwinkel zuckten.

In diesem Moment betraten wir die Küche.

„Nimm Platz, Henning", sprach ich und verwies mit meiner Hand auf einen der Holzstühle am runden Tisch in der Mitte des Raums.

Er nickte und setzte sich.

„Nun, was schwebt dir vor?" Lin kreuzte die Arme vor der Brust.

Rasch erzählte ich ihr und Theo von meiner These, die ich Ria und Nichello gegenüber schon geäußert hatte.

„Hm." Theo tippte mit seinem Zeigefinger an sein Kinn. „An deiner Vermutung könnte etwas dran sein, aber wie hilft uns das weiter?"

„Zum einen stünde ich in eurer Schuld, wenn ihr mir dabei helft, das Chaos in meinem Kopf zu klären. Zum anderen ... bewahrt ihr mich möglicherweise vor einem dummen Fehler und ich ... kann frei entscheiden, wie ich mein Leben verbringen möchte." Henning senkte den Kopf. Dann brauche ich Hylivas Angebot gar nicht anzunehmen. Noch besser! Mit dieser Schwesternschaft sollte ich mich besser nicht anlegen.

Mein Mund klappte auf, bevor ich etwas dagegen tun konnte.

„Was hörst du?" Lin drückte meinen rechten Unterarm.

„Nichts, was uns gerade beschäftigen sollte."

Sie nickte und wandte sich dann ihrem Freund zu. „Hast du dich entschieden?"

„Ich werde es tun. Er verdient diese Chance."

Lin schüttelte den Kopf. „Deine Gnade begreife ich manchmal noch immer nicht, aber ich kann dich nicht davon abhalten."

Wir wandten uns Henning zu.

Theo machte einen Schritt auf ihn zu.

„Was genau geschieht jetzt? Durchleuchtest du mich oder so?" Hennings Stimme zitterte leicht.

„So könnte man es ausdrücken." Theo schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Hast du jemals von den Fähigkeiten der Thymaren gehört?"

Henning schüttelte den Kopf.

„Sie können durch eine Kombination aus einem Befehl und einer Berührung die Geschichte eines Gegenstands oder einer Person in Erfahrung bringen. Meine Kraft funktioniert ähnlich, mit der Ausnahme, dass ich statt der Geschichte der Person die Geschichte der Essenzen auf der Haut der Person erfahre."

Henning runzelte die Stirn. Mitleid durchströmte mich.

„Anders ausgedrückt: Theo kann herausfinden, ob in Saras Speichel tatsächlich ein Enzym steckt, das dich an sie gebunden hat", sprach ich.

„Aha. Ähm, wird das weh tun?" Henning atmete tief durch, doch sein Herzschlag beruhigte sich nicht.

„Keine Sorge. Es kitzelt etwas, aber mehr wirst du nicht spüren", entgegnete Lin.

Henning ließ seine Schultern kreisen. „Gut. Dann, ähm, fangen wir an, oder?"

Theo nahm gegenüber von Henning Platz. „Streck bitte deinen linken Arm aus."

Henning gehorchte.

Theo legte seine Hand auf den Arm und schloss die Augen. Hm, hm, hm. Ja, ich spüre ihn. Oh, der ist tief verwoben. Wird schwierig zu sagen, ob er jemals wieder verschwinden wird. Ja, stammt eindeutig von Sara. Diesen Geschmack nach Blut und Feuer kennzeichnet jede Blavishka. Gut so. Ah, ja, wie vermutet. Oh, interessant. Damit gibt es keine weitere Fragen mehr. Theo ließ Henning los und schlug die Augen wieder auf.

„Was hast du herausgefunden?" Lin trat neben mich.

„Christinas Vermutung trifft zu. Im Speichel einer Blavishka befindet sich ein Sekret, das zu einer Art Abhängigkeit führt. Zuerst wirkt sich das nur auf die körperliche Ebene aus, doch mit der Zeit ... Sagen wir: Wenn jemand lange genug und immer wieder in Kontakt mit dem Speichel kommt, bindet sich diese Person vollständig an die Blavishka. Sie wird dann zur Droge. Zu einer, die mächtiger als alle bekannten ist." Kummer trat in Theos Augen, nachdem er geendet hatte.

„Das ... Das kann ich mir nicht vorstellen. Meine ... Sara hätte mich niemals zu einem Sklaven ..." Henning schluckte.

„Natürlich geschieht das nicht mit Absicht seitens der Blavishkas. Zumindest wusste Sara nichts von der Auswirkung." Theo drückte Hennings Hand.

Ich nickte. „Gut. Vielen herzlichen Dank, Theo. Da Henning momentan kein Obdach hat, wollte ich euch noch fragen, ob er vorerst bei euch unterkommen kann."

Wie bitte? Das kann doch nicht ... Hat sie den Verstand verloren?!

„Wir besprechen das in Ruhe und geben dann Bescheid." Lin holte tief Luft. Immerhin schrie sie mich nicht an.

„Wie lange dauert es, bis die Wirkung von Saras Speichel vollkommen abgeklungen ist?", murmelte Henning.

Theo wackelte mit dem Kopf. „Pauschal kann ich das nicht beantworten, da viele Faktoren mit hineinspielen. Wie lange warst du mit ihr zusammen?"

Sekunde. Will er gerade wissen, wie oft wir ... Das kann ich doch nicht ... Es verstößt gegen meine Ehre und, was wenn Lin dann ein noch schlimmeres Bild von mir hat als sowieso schon? Das sollte mich nicht kümmern.

„Wo hast du Sara kennengelernt?", sprach ich.

Henning lächelte und sein Herz schlug wieder gleichmäßig. „Auf einem Konzert von Harfenklang. Im Sommer 75 NGK."

„Dann stehen die Chancen recht hoch, dass du innerhalb von drei Jahren keine Überreste ihres Speichels mehr in dir tragen wirst", sprach Theo und drückte Hennings Schulter.

Da klopfte es an der Tür.

„Nur herein!", rief ich.

Lena trat ein. „Wie kommt ihr voran?"

Ich atmete tief ein. „Wir haben alle vorerst benötigten Informationen. Was ist mit euch?"

Meine Freundin senkte den Blick. „Dank Vanessa wissen wir ganz genau, zu welchem Zeitpunkt wir zurückmüssen, um ganz sicherzugehen, dass Sarahs Tod sich nicht wiederholen wird."

„Das klingt doch gut." Die leichte Verunsicherung in Lins Stimme vernahm ich deutlich.

Lena nickte und hob den Kopf. Der Schmerz in ihren blauen Augen jagte eine eisige Gänsehaut meine Wirbelsäule hinab.

Achtzig Jahre. Wir müssen die Zeit um achtzig Jahre zurückdrehen.

„Hat Ria gesagt, wann sie dies vollbringen könnte?", wisperte ich.

„Sie kann unmöglich vorhersagen, wie lange sie brauchenwird, aber fest versprochen, jeden Tag an dieser Kraft zu arbeiten." Dannkonnte es jederzeit so weit sein.


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