Eine Überraschung

Vor dem Zeitsprung

Christina

Der leichte Geruch nach Regen und Frühling lag in der Luft, kaum dass mein Mann und ich das Haus verlassen hatten.

Konnte es tatsächlich der Wahrheit entsprechen? Würden wir unsere Tochter zurückbekommen?

„Die Septaner können auch in die Vergangenheit reisen", murmelte ich, während ich Nichellos Hand nahm.

„Alles in Ordnung?" Er drückte meine Hand.

„Irgendwie hab ich mich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass wir Sarahs und den Tod unserer Tochter ungeschehen machen können. Was, wenn Ria die Zeit nur für ein paar Minuten zurückdrehen kann? Was dann?"

„Wir wissen dann, dass wir es zumindest versucht haben und ich bin sicher, dass wir einen Weg finden werden, gemeinsam diese Zeit zu überstehen. Vorausgesetzt, du willst mich immer noch an deiner Seite wissen."

Ich packte seine Hand und drehte ihn so zu mir, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Anschließend stellte ich mich auf die Zehenspitzen und presste meine Lippen auf seine. „Du bist die Liebe meines Lebens. Eine Zukunft ohne dich erscheint mir beinahe unerträglich, ich wage nicht einmal, sie mir vorzustellen", raunte ich, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst hatte.

Nichello schüttelte leicht den Kopf und lächelte. „Iriluv héli. Für immer." Er atmete tief durch und straffte die Schultern. „Bereit, zu Ria zu gehen?"

Daraufhin nickte ich.

Mit dem nächsten Herzschlag schloss ich die Augen. Einen Weile später zog etwas an meinem Bauchnabel.

Autos hupten in der Ferne. Der Geruch nach Abgasen und Schweiß tanzte um meine Nase.

„Voilá, sicher gelandet", verkündete mein Mann.

Lächelnd öffnete ich wieder die Augen. „Vielen Dank, mein Herz."

Wir setzten uns in Bewegung und erreichten schon bald das braune, zweistöckige Haus, in dem Ria wohnte.

Nichello betätigte die Klingel.

„Hallo?" Rias Stimme klang etwas nervös aus dem Lautsprecher.

„Ria, wir sind es", erwiderte ich.

„Ah, schön. Kommt rein."

Ein Knacken. Dann folgte ein Summen und die Haustür schwang auf.

„Nach dir, meine Schöne." Nichello hielt die Tür fest.

„Dankeschön", flüsterte ich und schritt über die Schwelle.

Stille streichelte meine Ohren, während wir die Stufen des Treppenhauses nach oben liefen. Hoffentlich reichte Rias Kraft aus, um Sarah zurückzuholen. Schon die Vorstellung, wie sehr sie leiden und am Boden zerstört sein würde, sollte diese Möglichkeit nicht bestehen, ließ mich frösteln.

In diesem Moment erreichten Nichello und ich die Wohnungstür.

Mein Mann klopfte.

„Nur herein!", rief Ria.

Die ganze Sache würde sich leichter gestalten, wenn ich Rias Gedanken lesen konnte. So würde ich ihr möglicherweise helfen können, wenn sie vor einem Problem stand. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, aktivierte ich meine Gabe des Gedankenlesens. Die vertraute Stimme meines Mannes schoss sofort in meinen Kopf, woraufhin meine Mundwinkel zuckten.

Mein Herz verkrampfte sich, kaum dass wir eingetreten waren.

Nichello drückte meine Schulter.

Hennig ist hier", sprach ich.

Warum sollte Ria ihn zu sich ... Denkst du, da könnte ein Trick dahinterstecken?"

Darauf zuckte ich mit den Schultern. „Das weiß ich nicht, aber wir sollten Vorsicht walten lassen."

Gib mir ein Zeichen und ich jage ihn davon."

Wir sollten ihn zumindest anhören. Irgendwie muss er es geschafft haben, Ria davon zu überzeugen, in ihre Wohnung zu dürfen. Sobald ich das weiß, sehen wir weiter."

Nichello nickte und zog seine Jacke aus.

Das Summen verließ meinen Kopf.

„Darf ich euch eine Tasse Tee anbieten?", sprach Ria da. Dem Hall nach, sollte sie in der Küche stehen.

„Gerne", meinte ich.

„Für mich auch bitte eine Tasse", entgegnete mein Mann.

„Alles klar. Geht schon einmal ins Wohnzimmer, ich bin gleich bei euch."

Nachdem wir unsere Schuhe vor der Garderobe verstaut und unsere Jacken aufgehängt hatten, gingen wir den Flur entlang zum Wohnzimmer. Je größer die Kirschholztür wurde, desto mehr nahm die Laustärke von Hennings Stimme in meinem Kopf zu.

Was mach ich nur, was mach ich nur? Wie erkläre ich ihnen, dass ich hier bin? Sie werden mich doch gleich davon jagen. Liest Christina gerade meine Gedanken? Zumindest spüre ich nichts, aber das muss ja nichts heißen. Verdammt, ich muss mich zusammenreißen. Sie können jeden Augenblick durch diese Tür kommen. Hm, keine Spur von Heuchelei in seiner Stimme.

Nichello blieb vor der Tür stehen und schenkte mir einen Blick. „Rede du besser mit ihm. Deine Geduld und Sanftheit sind immerhin in der ganzen Galaxis bekannt", raunte er.

„Schmeichler. Du hast durch den Krieg auch viel gelernt, aber wie du dich wohler fühlst." Nach diesen Worten öffnete ich die Tür.

Henning sprang von der schwarzen Couch auf, als er uns erblickte. „Ähm, hallo", sprach er und seine Mundwinkel hoben sich ein Stück weit.

„Welch eine Überraschung", erwiderte Nichello und schloss die Tür hinter mir.

„Ja, ich weiß, muss ... komisch sein, mich hier anzutreffen, oder?" Henning lächelte.

Wie dumm willst du sein? Das sind ehemalige Vampire, du Esel! Verdammt, was mach ich jetzt? Mitleid flammte in mir auf und ich machte vorsichtig einen Schritt auf ihn zu.

Henning erstarrte. Sein Herz schlug schneller, wodurch sich sein Duft nach Vanille, Lavendel sowie Minze intensivierte.

„Mach dir keine Sorgen. Es kommt selten vor, dass andere Leute in unsrer Gegenwart vollkommen ruhig und gelassen bleiben können", sprach ich und schenkte ihm ein Lächeln. Für einen Moment schaute Henning mich nur an.

Was ... Soll das Hinweis darauf sein, dass sie meine Gedanken liest? Verdammt, ich werde aus ihr nicht schlau. Ihr Aussehen macht es mir aber auch nicht gerade leich ... Reiß dich zusammen, Mann! Sie ist vergeben und wie ... Schluss damit! Gänseblümchen, Gänseblümchen, Gänseblümchen.

„Warum setzt du dich nicht wieder und wartest, bis jeder von uns in Ruhe erzählt, was uns hierher führt?", sprach ich und deutete mit dem Kopf auf das Sofa.

Henning nickte und plumpste darauf.

Sag ich ja, deine Sanftheit und Ruhe übersteigt jede, die man kennt", raunte Nichello in meinem Kopf.

Wenn du seine Gedanken kennen würdest, würdest du genauso reden wie ich."

Mein Mann schüttelte leicht den Kopf und wir nahmen gegenüber von Henning auf der Couch Platz.

Just in diesem Moment betrat Ria das Zimmer, in ihren Händen ein Teeservice aus Porzellan. Dieses stellte sie auf dem kleinen, weißen Tisch bei dem Sofa ab. „Bitteschön, der Tee, wie bestellt."

„Vielen Dank", sprach Nichello und griff zu einer der hellblauen Tassen, während Ria neben Henning Platz nahm.

„Nun, ich schätze, ihr fragt euch sicherlich, weshalb ich Henning mit zu mir genommen habe." Ria verschränkte die Beine zu einem Schneidersitz und blickte dann zu meinem Mann und mir.

Wir nickten nur.

„Möchtest du, oder soll ich das übernehmen?" Rias Blick wanderte zu Henning.

Dieser zuckte mit den Schultern.

Wie soll ich denn ein Wort über die Lippen kriegen? Verdammt, warum müssen ehemalige Vampire auch so gut aussehen? Diese Augen ... Die Lippen ... Das Gesicht. Wenn ich ... Mist, Mist, Mist, sie hört mich ja! Veilchen, Veilchen, Veilchen.

Meine Mundwinkel zuckten. „Vielleicht beginnen wir besser", sprach ich.

Nichello nahm meine rechte Hand und drückte sie sanft.

Ria lächelte. „Gerne. Was hat es also mit diesen lila Mustern auf sich, dass ihr mir das nicht am Handy sagen wolltet?" Noch während diese Worte ihren Mund verließen, pulsierten eben jene Muster an ihrer rechten Wange.

Nichello holte tief Luft. „Ria, wir stellen hier erst einmal nur Vermutungen an und ich weiß, dass es verdammt schwierig sein wird, die Hoffnung wieder herunterzufahren, sobald du die Information erhalten hast, aber glaube mir, es ist besser so."

Die Angesprochene blinzelte. „Ok. Jetzt hab ich etwas Angst."

„Das brauchst du nicht", erwiderte ich umgehend.

Nichello strich eine Strähne seines langen, braunen Haares zurück und drückte noch einmal meine Hand. „Wir vermuten, dass diese Muster darauf hinweisen, dass du die Zeit zurückdrehen kannst."

Sie wissen also auch davon! So viel zum Plan meiner Herrin. Den kann ich sofort wieder vergessen. Warum kümmert sie mich noch, sie hat mich versetzt. Dieser elende Olléchin!

Ein Frösteln fuhr meine Wirbelsäule hinab. Olléchin unterstützte Sara. Das könnte unser Vorgehen erschweren.

„Die Zeit zurückdrehen?" Ria schüttelte den Kopf. „Wie soll das denn gehen? Niemand in meiner Familie war ein Chanteur oder eine Chanteuse. Also warum sollte ich dann ..." Sie verstummte und blinzelte.

Moment mal. Vielleicht stimmt es ja doch! Meine Oma hat mir doch ... Wo hab ich das nur gelassen?

Ria stand auf. „Bin gleich wieder da." Danach verschwand sie aus dem Wohnzimmer.

Nichello nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

„Hast du schon eine Bleibe gefunden?", sprach ich und nickte Henning zu.

Er zuckte zusammen. „Ähm, bisher nicht."

Meinst du, wir könnten Lin und Theo fragen, ob sie in ihrem Schloss noch ein Zimmer für ihn übrig haben?", flüsterte ich.

Bist du sicher, dass die Beiden ihn aufnehmen werden? Er hat kein kleines Verbrechen begangen und so wie ich Lin einschätze, wird sie ihm das nur schwer verzeihen."

Das stimmt natürlich, aber für Ria waren seine Taten noch schwerer als für jeden anderen von uns und sie scheint ihm genug zu vertrauen, als dass sie ihn mit in ihre Wohnung genommen hat. Wir könnten sie zumindest fragen. Wenn sie nicht einverstanden sind ..."

Nichello schüttelte leicht den Kopf. „Lass mich bitte darüber nachdenken, in Ordnung? Deine Hilfsbereitschaft in Ehren, aber manche Dinge verdienen keine Gnade", wisperte er in mein Ohr.

Das brachte mich zum Lächeln. „Natürlich. Wie dumöchtest."


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top