Dazwischen

Heute

Theo

Etwas Hartes bohrte sich in meinen Rücken. Geflüster umkreiste mich. Ich wollte die Augen aufschlagen, doch meine Lider schienen das Hundertfache zu wiegen. Ächzend drehte ich mich auf die linke Seite. Jedes Körperteil, jeder Muskel brannte bei der kleinsten Bewegung.

Was zur Hölle hat Henning mit mir angestellt? Wo bin ich, verdammt nochmal?

Abermals versuchte ich, die Augen zu öffnen und dieses Mal gelang es mir. „Was bei ..." Mir blieben die Worte im Hals stecken.

Gewitterwolken schwebten auf mich zu, wurden aber von einer unsichtbaren Wand abgelenkt. Behutsam streckte ich die Beine aus. Flüssiger Schmerz schoss durch mich hindurch. So stark, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Ein Donner grollte in der Ferne und dann blitzte es.

Die letzten Momente vor meiner Ohnmacht tauchten vor meinen inneren Augen auf. Henning ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Das Messer. Er hat mich angegriffen, aber nicht getötet. Christina hat das verhindert und dann ... hat sie Ria erwähnt. Was hat meine Schwester damit zu tun? Irgendwie ergibt alles gerade gar keinen Sinn mehr.

Endlich kam ich auf die Füße. Schweißperlen flossen meine Stirn hinab. Schatten tanzten vor meinen Augen, doch ich stand. Atme, Theo. Atme.

Überall um mich herum schwebten diese Wolken, auch wenn sie mich nicht erreichten. Wo zum Henker stecke ich und wie bin ich hier gelandet?

Niemand sonst ließ sich blicken. Wir rufen jetzt ganz sicher nicht. In Filmen endet das nie gut und manchmal ist es auch absolut dämlich. Welcher Feind verrät bitte seine Position und gibt damit einen Vorteil auf? Dennoch ... Irgendwie muss ich doch herausfinden, wo ich gelandet bin.

Mit zusammengekniffenen Augen marschierte ich auf die unsichtbare Wand zu. Durch die Wolken ließ sich nichts erkennen. Dem Geräusch nach, das meine Füße machten, dürfte ich über Steinboden laufen. Als ich den Blick senkte, starrten mich nur weitere dunkle Wolken an. Wir sind nicht gestorben, oder? Können wir es jedoch ausschließen? Nicht unbedingt. Klasse! Was ist das hier?

In diesem Moment stießen meine Finger auf Widerstand. Gemächlich senkte ich die Hand und tastete die Wand ab. Glas?

Mit aller Kraft drückte ich dagegen, doch die Wand gab nicht nach. Kopfschüttelnd senkte ich meine Hände und vergrub sie in den Jacken meiner Jeans.

„Hallo?", rief ich.

Meine Stimme kehrte als Echo zu mir zurück, doch sonst geschah nichts.

Seufzend drehte ich mich um und lief in die entgegengesetzte Richtung. Nach ungefähr fünfzig Schritten prallte ich an etwas ab. „Diese verflixte Wand!"

Was jetzt? Wir können natürlich den ganzen Bereich ablaufen, um herauszufinden, wie groß unser Gefängnis ist, aber damit gewinnen wir auch nichts. Wir verlieren damit nur Zeit, in der, wer weiß was in dem Schloss geschehen kann. Das Schloss! Mum! Wenn Henning ihr etwas antut, bringen wir ihn um! Darauf kann er sich verlassen!

„Es erstaunt mich, dass es so lange gedauert hat, bis wir uns endlich wiedersehen können", sprach jemand. Der eisige Klang der Stimme jagte einen Schauer meinen Rücken hinunter.

„Soweit ich weiß, hat niemand das dringende Bedürfnis geäußert, sich hier mit mir zu treffen", erwiderte ich und drehte mich um. Scheiße, was?!

Vor mir stand mein Spiegelbild, aber die Augen ... Weshalb das Purpur? Sehen unsere Augen auch so aus? Hoffentlich nicht! Dann dürfen wir uns ganz miese Sprüche in der Schule anhören.

Mein Spiegelbild grinste. „Der Zauber, ich verstehe. Zu köstlich, dass ich einmal einen Trumpf in der Hand habe und du nicht, wenn es doch bisher immer anders aussah." Wie bitte? Wovon redet der Kerl? Bilde ich mir das alles nur ein? Werde ich verrückt?

„Du wirst vermutlich nicht die Freundlichkeit besitzen und mir erklären, wo wir uns gerade aufhalten, oder?"

Der andere Theo legte die Handflächen aneinander und schloss die Augen. „Hm, doch, das werde ich. Immerhin wirst du mit dieser Information nichts anfangen können." Ganz toll! Konzentriere dich, Theo! Wir finden schon eine Lösung für alles!

Mein Gegenüber breitete die Arme aus. „Wir, mein lieber, Lichtègô, befinden uns ... im Dazwischen."

Ich hob die Augenbrauen. Dazwischen, noch nie gehört und was zur Hölle soll ein Lichtègô sein?

„Wie ich es mir dachte, diese Information hilft dir nicht weiter. Köstlich." Mein Spiegelbild lächelte.

„Wenn du nur zusehen willst, wie ich hier verzweifle, hättest du dich gar nicht zeigen müssen, geschweige denn mit mir reden. Es gibt doch bestimmt etwas, das du von mir willst, oder? Also, spuck es aus und wir bringen die ganze Angelegenheit hinter uns."

„Oh, sehr klug. Tatsächlich gibt es etwas, das du für mich tun könntest, aber ich fürchte, dass du dazu momentan noch nicht in der Lage sein wirst." Meint er etwa eine Kraft, die laut Lillys Tante durch diesen komischen Zauber unterdrückt wird? Wie lange dauert es eigentlich, bis dieser vollständig abgeklungen ist? Er büßt bereits an Kraft ein, aber ich habe immer noch keine Antworten auf meine Fragen erhalten.

„Nun, dann könnte es möglicherweise helfen, wenn du mir hilfst, hier herauszukommen. Danach finde ich vielleicht einen Weg, wie ich wieder Zugang zu meinen Kräften erhalte und ..."

Mein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Darum geht es mir nicht. Wir beide ... Wir gehören zusammen, weißt du? Uns verbindet so viel, wir bilden eine Einheit und ich ..." Er schmunzelte. „... wäre wirklich gerne wieder an dich gebunden, wenn du verstehst, was ich meine." Was zum Henker? Wovon redet er eigentlich und wie ... what? Sekunde mal, Lichtègô. Da klingelt irgendetwas in meinem Kopf, aber ich kann mich nicht erinnern. Lichtègô, Lichtègô, Lichtègô. Was für ein bescheuertes Wort! Das ist doch safe nicht Kosanisch und es klingt auch nicht nach einem Wort aus einer mir bekannten Sprache, aber irgendwoher kenne ich es dennoch.

„Auch wenn ich keine Ahnung habe, wovon du sprichst, werde ich dir diesen Gefallen nicht erweisen. Irgendwie musst du dich ja von mir gelöst haben und ich vertraue einfach mal auf die Leute, die das getan haben."

Mein Spiegelbild machte einen Schritt auf mich zu. Sofort wich ich zurück. „Wie köstlich. Hm, ich könnte dich weiter foltern, indem ich dich mit Wissen versorge, mit dem du nichts anfangen kannst, oder aber ich verschwinde einfach wieder und lasse dich mit deinen Gedanken allein."

Darauf zuckte ich nur mit den Schultern. „Tu, wie es dir beliebt. Eine wirkliche Wahl habe ich ja nicht, da ich nicht aus eigenem Antrieb diesen Ort wieder verlassen kann."

Der andere Theo gluckste. Besteht doch eine Möglichkeit dazu? Aber wie? Verdammt, warum wurde ich auch mit diesem Zauber belegt? Es hätte so viel vereinfacht, wenn ...

„Hände weg von ihm!", knurrte jemand und mit dem nächsten Herzschlag erschien eine schwarzhaarige Frau neben meinem Spiegelbild.

Wärme durchfuhr mich, als ich sie erkannte. Linvay, das war sie. Tatsächlich. Hatte ich sie gefunden?

„Du hast keine Macht über dieses Reich mehr, meine Teure. Wenn du noch deinen Schattègô in dir tragen würdest, mit Sicherheit, aber so ..."

Linvays Schultern hoben sich und dann wurde mein Spiegelbild zurückgeschleudert.

Er landete auf den Knien und stand im nächsten Moment wieder vor mir. Wie zur Hölle hat er das gemacht? Niemand kann sich so schnell fortbewegen! Niemand!

„Du irrst dich, Òhet. Verschwinde, wenn du nicht willst, dass ich dich hinausjage!", zischte Linvay.

„Wie du willst. Man soll Turteltauben ja nicht stören, nicht wahr?" Diese Worte verklangen noch, als der andere Theo verschwand.

Linvay wandte sich mir zu. Eine Freude lag in ihren wunderschönen grünen Augen und ich fühlte mich, als würde ich in Sonnenlicht baden.

„Hi", sprach ich und lächelte.

„Hallo."

Eine Weile standen wir da und schauten uns nur an. Alles in mir schrie danach, etwas zu sagen, doch jedes Wort erstarb auf meinen Lippen.

Schließlich räusperte ich mich. „Verrätst du mir, welch super tolle Plan hinter all dem steckt?"

Kummer trat in Linvays Blick. „Der Zauber wirkt noch, aber da du hier bist, fürchte ich, dass die Zeit schneller verrinnt als gedacht. Erinnere dich, Theo. Die Antworten auf all deine Fragen, sie stecken in dir."

„Wie soll ich das anstellen? Bisher habe ich nur Bilder gesehen, die ich nicht einordnen konnte und ich ..." ... verstehe Dalora, eine Sprache, die sich jemand ausgedacht hat. Laut Christina soll das ... Nein, sie hat recht. Es ist meine Muttersprache, aber Kosanisch auch. Das ergibt doch keinen Sinn, ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen.

„Es gibt jemanden, der dir bei deinem Erinnerungsproblem helfen kann, doch du darfst ihm nicht vertrauen." Linvay ergriff meine Hände. Die Berührung erschien so ... vertraut. Die Wärme ihrer Haut, ihre schmalen Finger ... Drehe ich jetzt komplett durch? Was stimmt hier nicht?

„Warte mal, Sekunde! Du wolltest doch, dass ich dich finde. Jetzt habe ich das getan und was ..."

Linvay schüttelte den Kopf und der Kummer kehrte in ihren Blick zurück. „Du hast mich erreicht, aber noch nicht gefunden. Sobald deine Erinnerungen wieder vollständig zurückgekehrt sind, wirst du wissen, wo du mich findest."

„Gib mir doch wenigstens einen Ansatz. Blind loslaufen, wird mich nicht zum Ziel führen!" Ich drückte ihre Hände.

Linvay nickte. „Damit hast du Recht, aber wenn ich dir sage, wo ich mich aufhalte, ohne dass deine Erinnerungen zurückgekehrt sind ... Wird die Salinara ein leichtes Spiel mit dir und deinen ... Schwestern haben." Meine Schwestern? Was genau läuft hier eigentlich? Henning meinte, dass ich in einem Netz voller Liebe stecken würde und es nicht wirklich um mich geht. Woher weiß er das und warum hat er mich bisher im Dunkeln gelassen? Arbeitet er etwa mit der Salinara zusammen? Moment mal, wieso gehe ich davon aus? Woher ...

„Gut, ich werde nach einem Weg suchen, mich wieder zu erinnern, aber ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Wie viel Zeit bleibt mir noch?"

Linvay legte ihre rechte Hand auf meine Wange. Geborgenheit und Trost durchströmten mich. „Das weiß ich nicht, aber du wirst es merken, wenn es zu spät sein sollte. Kehre zurück ins Licht, Licura. Lange genug hast du hier in den Schatten verweilt, es wird Zeit die Rückkehr anzutreten."

Kaum hatten diese Worte ihre Lippen verlassen, als sie sich auflöste. Auch die Wolken verblassten.

„Iriluv héli", hauchte sie und dann fiel ich nach hinten.

Der Aufprall jagte Schmerz meine Wirbelsäule entlang. Mit zusammengebissenen Zähnen richtete ich mich auf und schluckte. Gitterstäbe blickten mich an, doch dahinter erkannte ich ein hohes Fenster, durch das Sonnenlicht fiel.

„Willkommen zurück, Theo", sprach Christina. Sie erhob sich von einem Stuhl, der links von den Gitterstäben stand.

„Wieso haben Sie mich eingesperrt?"

Christina näherte sich mir, blieb aber wenige Meter vor den Stäben stehen. „Mir blieb keine andere Wahl. Kurz, nachdem du umgekippt bist, hast du Anstalten gemacht, dich mit Hennings Waffe zu verletzen. Als ich dich daran hindern wollte, hast du mich angegriffen und dann sah ich keinen anderen Ausweg mehr, als dir die Waffe zu entwenden und dich in diesen Käfig zu sperren, bis du wieder zu dir gekommen bist." Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Warum macht mein Körper Sachen, von denen ich nichts mitbekomme? Gleicht das Schlafwandeln?

„Wohin haben Sie mich gebracht?", sprach ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„In mein Arbeitszimmer. Keine Sorge, hier kann dir niemand etwas tun." Abgesehen von diesen Frauen vermutlich.


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