Dalora
Heute
Theo
Jemand klopfte an meine Zimmertür. „Theo, bitte aufstehen!"
„Hm", brummte ich und schlug die Augen auf.
Was hab ich nach dem Gespräch mit Lisa gemacht? Kann mich gar nicht daran erinnern. Egal. Ab unter die Dusche, anziehen, frühstücken und in Geschichte reißt du dich zusammen. Du schaffst das schon.
Als ich die Küche betrat, wuselte meine Mum gerade vom Herd zur Spüle. „Dein Smoothie ist schon fertig", sprach sie, ohne sich umzudrehen. „Soll ich dir wieder Porridge mitgeben, oder möchtest du heuteetwas anderes?"
„Mir egal", entgegnete ich und ließ mich auf die hölzerne Bank nahe des Tisches aus Kirschholz sinken, wo das Glas mit dem Smoothie stand.
„Ist alles ok?" Meine Mum wandte sich mir zu.
„Lass mich einfach."
„Gut, ich lass dich." Mit diesen Worten drehte sie sich wieder um.
Ich nahm einen Schluck aus dem Glas. Der vertraute Geschmack des Himbeer-Erdbeer-Smoothies weckte meine Lebensgeister ein wenig. „Porridge wäre nice für die Schule", sprach ich nach einer Weile.
„Ist gut, mach ich dir."
„Danke."
„Hast du bei der Fahrschule angerufen, um dich für morgen abzumelden?"
„Wieso abmelden? Was ist morgen?"
„Deine Schwester Ria und ihre Freundin Sarah kommen und ich fände es schön, wenn du da wärst, wenn sie schon extra die weite Fahrt auf sich nehmen."
„Schon wieder? Waren sie nicht erst vor zwei Wochen da?"
Meine Mum schwieg, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie am liebsten etwas gesagt hätte.
„Nach der Schule rufe ich bei der Fahrschule an. Dann darf Dad aber nicht ständig fragen, ob ich meinen Führerschein noch bis zum Erlösertag schaffe."
„Nein, das wird er nicht."
„Gut." So langsam nervt es nämlich.
Auf dem Schulgelände warteten bereits meine Freunde Lilly und Henning bei den Fahrradständern auf mich.
„Schlecht geschlafen?", sprach Henning,während ich mein Fahrrad abschloss. Darauf zuckte ich nur mit den Schultern.
„Jeder schläft mal schlecht. Lass dich von ihm bitte nicht runterziehen", meinte Lilly.
„Das mach ich nicht", erwiderte ich und ging zu ihnen.
Wir drei liefen den geteerten Weg zum Schulgebäude entlang. Vereinzelt sangen Vögel in der Ferne und der leichte Geruch nach Regen lag in der Luft. Hoffentlich regnet es erst heute Nachmittag, oder noch besser, heute Abend. Keinen Bock bei Regen nach Hause zu fahren.
„Hast du viel für Geschichte gelernt?", sprach Henning, kaum dass wir das Gebäude betreten hatten.
Darauf schüttelte ich den Kopf. „Fast nichts, aber das hat bisher ja gut geklappt."
Lilly nickte. „Du schaffst das schon und zur Not kannst du immer noch über deine mündliche Note ausgleichen."
Henning grinste und ein Funkeln trat in seine himmelblaue Augen. „Dafür, dass du noch in der zehnten Klasse bist und keine älteren Geschwister hast, kennst du dich ja gut aus, wie es ab der Oberstufe läuft."
Lilly lächelte. „Das liegt daran, dass ich viel mit euch rumhänge. Außerdem höre ich gerne zu."
„Das ist bekannt", entgegnete ich.
In diesem Moment schrillte der Gong.
„Dann bis später", rief Lilly und ging davon.
Henning klopfte mir auf die Schulter. „Willst du wirklich nicht sagen, was los ist, Mann? Zuletzt sahst du so schlimm aus, als wir bei Michael gefeiert haben."
Ein genervtes Stöhnen entwich mir. „Lass mich einfach in Ruhe, ok? Wie wäre es, wenn wir heute Nachmittag zusammen zocken?"
Henning nickte. „Wie du willst. War ja nur gut gemeint."
Dalora, die Sprache der Elfen. Warum zum Henker benutzt eine Person in meinem Traum diese Sprache? Klar, ich kenne diese und ein paar Bruchstücke kann ich aufgrund der erfolgreichen Filmreihe auch übersetzen, aber Lisa ist diejenige, die sich ein Wörter- und Grammatikbuch der Sprache gekauft hat. Vielleicht, wenn ich mit ... Nein, das wäre zu peinlich. Aber irgendwas muss ich tun.
„..., Theo?" Sofort hob ich den Kopf.
Herr Tisch blickte mich durch die eckigen Gläser seiner Hornbrille an.
„Es tut mir leid, könnten Sie die Frage bitte wiederholen?", sprach ich.
„Möchtest du die Aufgabe vielleicht vorrechnen?", entgegnete der Lehrer. Der Bass seiner Stimme ließ den Boden unter meinen Füßen vibrieren.
„Klar, warum nicht." Ich räusperte mich und konzentrierte mich fest auf den Unterricht.
„Und, wie war Geschichte?", sprach Lilly, kaum dass Henning und ich zu der Säule gingen, an der sie lehnte.
„Dafür, dass ich so wenig geschlafen habe, echt gut", erwiderte ich.
Sie lächelte. Ihre strahlend weißen Zähne bildeten einen starken Kontrast zu ihrer Haut. „Das freut mich sehr für dich. Wie lief es für dich, Henning?"
Er senkte den Blick.
„So schlimm wird es schon nicht gewesen sein", meinte ich und klopfte ihm auf die Schulter.
Röte färbte seinen pfirsichfarbenen Nacken.
„Gut, du musst es auch nicht sagen." Lilly schob den Riemen ihrer blauen Ledertasche etwas höher.
„Wie war dein Tag?", sprach ich, als wir gerade aus dem Gebäude traten.
Sonnenstrahlen küsste meine Haut, Gesprächsfetzen wehten zu mir und der Duft nach Frühling streichelte zärtlich mein Gesicht.
„Super! Frau Kirschkern hat erzählt, dass Christina vielleicht eine Lesung veranstalten möchte. In dieser Schule!"
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich blieb stehen. „Welche Christina?"
„Na, Christina Voll." Lilly klang, als sei es absolut offensichtlich. Als weder Henning noch ich etwas sagten, verdrehte sie die Augen. „Im Ernst, Jungs? Christina Voll, Heldin des Großen Galaktischen Kriegs, deren ausgedachten Figuren lebendig geworden sind ... Klingelt jetzt etwas?"
„Stopp, stopp, stopp!" Henning hob die Hände. „Du willst uns wirklich weismachen, dass sie immer noch lebt? Der Krieg ist doch jetzt ... wie lange her? Achtzig Jahre?"
Lilly schüttelte den Kopf. „Habt ihr denn gar nichts mitbekommen? Sie und die anderen fünf Lynas waren doch während des Kriegs Vampire und nach Kriegsende haben sie zwar ein paar vampirische Eigenschaften verloren, aber andere wie ihre Unsterblichkeit behalten."
Henning lachte auf. „Du willst mir allen Ernstes weismachen, dass so etwas möglich ist? Lilly, wir alle wissen, wie sehr du Vampirgeschichten liebst und ich streite nicht ab, dass solche Storys nach demSélunschen Massaker einen neuen Hype erlebt haben, aber das muss noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt, was du gehört hast. Woher hast du eigentlich die ganzen Infos? Die meisten Leute von damals sind entweder alle tot oder mindestens achtzig."
Lilly stemmte die Arme in die Hüften und hob die Augenbrauen. „Wenn du mir nicht glaubst, lass uns heute Nachmittag zu meiner Tante fahren. Immerhin ist sie Vanessas Tochter."
Henning schenkte mir einen Blick, woraufhin ich nur mit den Schultern zuckte.
„Boah, das ist ja echt schlimm mit euch! Vanessa Glück, eine andere Kriegsheldin und ehemaliger Vampir!"
„Wieso reden wir nicht gleich mit Christina oder mit Vanessa?", sprach ich.
„Genau. Lass mich raten, das geht nicht, weil die beiden tot sind." Henning feixte.
Meine Mundwinkel zuckten.
Lilly schüttelte den Kopf. „Wir können nicht zu ihnen, weil die Lynas momentan eine Tour durch die Galaxis machen und die Akademien besuchen. Sagt mir bitte, dass ihr zumindest von denen gehört habt?"
„Klar, wer kennt sie nicht? Die berühmten Akademien."
Ein Seufzer entwich mir. „Nicht lustig, Henning."
Lilly schnaubte. „Ok, wann kommt ihr zu mir? Ihr müsst unbedingt mit meiner Tante reden. Eure Unwissenheit geht mir gehörig auf den Keks."
Henning atmete tief durch. „Meinst du die Tante, die vier Katzen hat und jeden Tratsch und Klatsch kennt?"
Lilly nickte.
„Können wir das nicht verschieben? Schau mal, Theo und ich werden bestimmt nicht durch unser Abitur fallen, wenn wir diese Dinge nicht wissen." Henning schenkte ihr ein Lächeln.
„Theo, wie siehst du das?" Lilly blickte zu mir. Unter dem prüfenden Blick ihrer schokoladenbraunen Augen schien ich zu schrumpfen.
„Also, ich hab die Filmreihe über die Elfen gerne geschaut und ja, ich mag die Geschichten, die man über Christina Voll und die anderen Lynas erzählt, aber meine Schwester und ihre Freundin kommen morgen zu Besuch. Meine Mum wird wahrscheinlich noch von mir verlangen, dass ich mein Zimmer aufräume und das Bad putze." Ich ging langsam weiter zu meinem Fahrrad.
„Schön, wie ihr wollt. Dann verpasst ihr die Gelegenheit das wandelnde Dalora-Lexikon zu treffen, aber das ist ja nicht ..."
Es durchfuhr mich wie ein Blitz. In einer Bewegung drehte ich mich um. „Wie war das?"
Lilly blinzelte. „Es ist eure Entscheidung."
„Nein, das danach."
„Ach so. Meine Tante hat vor langer Zeit angefangen Dalora zu lernen, die Kunstsprache, die Christina sich damals ausgedacht hat. Deswegen nenne ich sie gerne wandelndes Dalora-Lexikon."
„Wann sollen wir bei dir sein?", sprach ich.
Henning runzelte die Stirn. „Ist das dein Ernst, Mann? Du willst zu Lillys verrückter Tante, nur weil sie eine Kunstsprache gelernt hat?"
Lilly nestelte an ihrem Armband herum. „Hm, fünfzehn Uhr? Sie wohnt auch ganz in der Nähe, wir können locker zu Fuß gehen."
„Alles klar. Bis dann", meinte ich und schloss mein Fahrradschloss auf.
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