Christina Voll

Heute

Theo

Das Stimmengewirr meiner Mitschüler summte wie Fliegen um mich herum, als ich mit Lilly die langen Tische in der Aula entlanglief. Mein Herz schlug schneller. Meine Hände schwitzten leicht. Lilly nahm an einem Tisch in der dritten Reihe Platz. Schnell setzte ich mich neben sie.

„Du bist ganz sicher, dass sie auftauchen wird?", flüsterte ich und verschränkte meine Hände auf der Tischplatte ineinander.

Meine Freundin nickte. „Ich war vorhin extra noch einmal bei der Direktorin. Sie hat mir hoch und heilig versichert, dass sie von keiner Änderung weiß."

„Gut. Hoffentlich kann sie mir ein paar Antworten liefern."

Lilly legte ihre rechte Hand auf meinen linken Unterarm. „Entspanne dich. Christina ist eine der freundlichsten Personen der ganzen Galaxis. Im schlimmsten Fall hat sie keine Antworten für dich, aber ich bin sicher, dass sie dich dann an andere Leute weiterleiten kann."

„Danke."

Nachdem ich tief Luft geholt hatte, blickte ich zu der kleine Bühne. Die Schulleiterin sowie die Direktorin standen dort. Zwischen ihnen ein einfacher Holzstuhl und ein Mikrofon.

In diesem Moment betrat eine gewaltige Schönheit die Bühne. Meine Kinnlade sackte nach unten. Das ist Christina? Hat Lilly etwas über einen Freund oder Mann gesagt? Vielleicht sollte ich ...

Neben mir klatschte jemand. Kopfschüttelnd riss ich mich von meinen Gedanken los und fiel in den Applaus mit ein.

Christina lächelte, während sie zu dem Stuhl spazierte. Jede noch so kleine Bewegung zeugte von einer Anmut, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. „Danke. Vielen Dank", sprach sie. Heiliger Strohsack, ihre Stimme! So sanft, ruhig, einfach ... schön.

Lilly boxte mir mit dem Ellenbogen gegen meine Schulter.

„Was soll denn das?", brummte ich und rieb mir die Stelle. Schmerz verspürte ich keinen, doch sie hatte das noch nie zuvor getan.

„Willst du sie weiterhin mit offenem Mund anstarren? Wir haben eine Mission, vergiss das nicht."

Ein Seufzer entwich mir. Es stimmte ja. „Du kannst doch nicht abstreiten, dass sie ... na, ja, ... toll aussieht, oder?"

Lilly verdrehte die Augen. „Bitte, wenn du ihr einen Heiratsantrag machen willst, nur zu. Lauf nach vorne und blamiere dich und mich vor der ganzen Schule."

Betont langsam drehte ich den Kopf zu ihr. „Höre ich da eine gewisse Eifersucht heraus?"

Lilly zuckte mit den Schultern. „Das ist jetzt vollkommen egal."

Da stimmt doch etwas nicht. Entweder ist sie wirklich eifersüchtig und will es nicht zugeben, oder ich habe sie mit meinen Worten unwissentlich verletzt. Rede doch mit mir! Nein, sie hat Recht. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen.

„... hier zu sein." Mein Blick kehrte wieder zur Bühne zurück. Christina breitete leicht die Arme aus. „Dieser Ort hat mich inspiriert. Es gab nicht wenige Tage, an denen ich durch die Schulgänge gegangen bin und mir Gedanken über mögliche Ereignisse gemacht habe." Sie lächelte und es schien, als würde die Sonne mich wärmen.

Reiß dich zusammen, Theo!

„Vielen Dank, Frau Voll." Die Direktorin schenkte Christina ein Nicken. „Nun wollen wir unsere werten Schüler und Schülerinnen nicht länger warten lassen." Diese Worte waren kaum verklungen, als die Schulleiterin Christina ein Buch reichte.

Den Titel konnte ich nicht lesen, dafür sah ich deutlich, dass das Cover in Blau gehalten war.

Christina nahm das Buch und ließ sich auf dem Stuhl nieder.

Stille trat ein und ich hätte schwören können, dass man eine Stecknadel hätte fallen lassen hören können.

„In der ersten Szene, die ich euch vorlesen möchte, trifft die junge Elfe Jara auf Feya. Jara hat davor keinen Kontakt zu anderen Elfen gehabt", sprach Christina.

Sie räusperte sich und begann zu lesen. Ihre Stimme fesselte mich und als ich mich umschaute, musste ich feststellen, dass alle anderen ebenfalls zur Bühne schauten.

Abgesehen von Lilly. Sie rutschte immer wieder auf ihrem Stuhl leicht hin und her.

Tosender Applaus flutete die Aula. Ein Schüler neben mir pfiff sogar. Ich schüttelte leicht den Kopf.

Christina stand auf und verneigte sich.

„Vielen Dank für diese wunderbare Lesung. Ihr dürft nun gerne Fragen stellen", sprach die Direktorin.

Einige Hände schossen in die Höhe.

Lilly stupste mich an. „Willst du dich nicht auch melden?"

„Klar, weil ich meine Fragen vor der ganzen Schule klären möchte. Da kann ich auch gleich nackt hier rumlaufen."

Meine Freundin verdrehte leicht die Augen.

„... aus?"

Christina lächelte. „Die Ideen für die Geschichten gelangen auf ganz unterschiedlichen Wegen zu mir. Meistens inspirieren mich andere Bücher oder Filme, zum Teil auch Hörspiele. Manchmal auch Bilder oder bestimmte Lieder."

Die Schülerin am Tisch vor mir nickte.

Schließlich wurde die Versammlung für beendet erklärt. Mein Herz schlug schneller, während ich mich erhob.

„Du schaffst das", flüsterte Lilly.

„Danke."

Tuschelnde Schüler kamen uns entgegen. Mit jedem Schritt, dem ich der Bühne näher kam, schwitzten meine Hände etwas stärker. Christina unterhielt sich gerade noch mit der Schulleiterin.

Lilly blieb stehen und räusperte sich.

Die beiden Frauen wandten sich uns zu.

„Ah, Frau Jung, Herr Zorn, was kann ich für Sie tun?", sprach die Schulleiterin.

„Theo hat eine Frage an Frau Voll, die er ungerne vor der ganzen Schule stellen wollte", entgegnete Lilly.

Die Schulleiterin warf Christina einen Blick zu. „Es ist Ihre Entscheidung, Frau Voll. Sicherlich kann Herr Zorn auch warten, sollten Sie keine Zeit mehr ..."

Christina machte einen Schritt auf mich zu. „Theo, schön, dass wir uns endlich treffen."

Meine Muskeln verkrampften sich.

„Sie kennen ihn?" Die Schulleiterin blickte abwechselnd zwischen Christina und mir hin und her.

„Allerdings, jedoch habe ich bisher nur Geschichten von ihm gehört." Mein Herz raste.

Die Schulleiterin zuckte mit den Schultern. „Dann überlasse ich Sie den jungen Leuten. Einen schönen Tag noch, Frau Voll."

„Den wünsche ich Ihnen auch."

Absätze klackerten über den Parkettboden.

„Also, Theo, was kann ich für dich tun?" Christina schenkte mir ein sanftes Lächeln und abermals schien es mir, als würde mich ein Sonnenstrahl küssen.

„Nun, ich ... ähm ... stimmt es, dass Sie einst ein Vampir waren?" Toll gemacht! Das war nicht die Frage, die du stellen wolltest!

Christina lachte auf. „Lass mich raten, deine bezaubernde Freundin und ihre Tante haben dir das erzählt."

„Ja ... Moment, was? Sie kennen Lilly und Tante Lena?"

Christina nickte und wandte sich zu Lilly, die stocksteif neben mir stand. „Aber sicher doch. Wie könnte ich Vanessas Tochter und ..."

„... Theo träumt seit Monaten von ein und derselben Frau. Blasse Haut, pechschwarzes Haar." Lilly atmete tief durch. „Außerdem hat er einen Brief von ihr erhalten und im Archiv konnte nur der Name herausgefunden werden: Linvay, allerdings soll sie bereits vor zwanzig Jahren verstorben sein. Zudem hat sie einmal etwas in Ihrer ausgedachten Kunstsprache gesagt: Iriva, éro nél."

„Verstehe." Christina verschränkte die kleinen Hände vor ihrem Bauch ineinander. „Zu deiner Frage, Theo: Alles, was dir über uns Lynas erzählt wurde, entspricht der Wahrheit. Deswegen sind wir auch nach den all den Jahren immer noch am Leben und wir zeigen keine Merkmale des Alterns." Mein Mund klappte auf.

„Dann ... Aber wieso wusste ich nichts davon? Selbst meine Schwester, die übrigens ein großer Fan Ihrer Elfen-Buchreihe ist, konnte mir dazu nichts erzählen. Laut ihr wäre es einst fast zu einem zu einem Großen Galaktischen Krieg gekommen, der aber von Maria Moritz verhindert werden konnte."

Christina nickte. „Der Zauber verliert an Stärke. Schon bald wirst du alle Antworten auf deine Fragen kennen und was deine andere Frage anbelangt: Linvay starb vor zwanzig Jahren und wurde am gleichen Abend wiedergeboren. Du träumst von ihr, da sie dich mit den daloranischen Worten zu sich gerufen hat."

„Aber wieso? Ich liebe sie nicht, kenne sie nicht einmal und habe sie nie getroffen. Hätte sie da nicht einfach meinen Namen sagen können und dann noch, dass ich sie finden soll?"

Christinas Mundwinkel zuckten. „Die Barriere wurde nicht grundlos um deinen Geist errichtet. Vertrau mir, dass du schon bald die Antworten erhalten wirst, die du haben möchtest und dann wirst du auch begreifen, weshalb ich dir nicht mehr sagen kann." Du wirst es bald erfahren. Kann mir nicht irgendjemand mal sagen, was los ist? Werde ich verrückt? Verliere ich etwa den Verstand?

„Du brauchst dir keine Sorgen um deine Gesundheit zu machen." Christina legte eine Hand auf meine Schulter. Die Berührung sandte eine Welle des Friedens durch meinen Körper. „Bitte, Theo, glaube mir, dass es zu deinem Besten ist, wenn ich dich nur mit diesen wenigen Infos versorge. Du bist nicht verrückt und dein Verstand funktioniert reibungslos wie eh und je."

„Sie ... Sie können meine Gedanken lesen?", flüsterte ich.

Daraufhin nickte Christina nur und ließ ihre Hand von meiner Schulter sinken. Gar nicht creepy diese Fähigkeit oder so.

„Oh, eine Frage hätte ich noch, wenn das in Ordnung ist."

„Aber natürlich. Was liegt dir auf dem Herzen?" Christina sprach derart sanft und ruhig, dass ich glaubte, ihr alles anvertrauen zu können. Wahrhaft alles, aber ich musste auf der Hut bleiben.

„Der Brief, den ich von Linvay bekam ... Nun ... Sie hat als Sprache Dalora benutzt und ich verstand die Sprache mühelos. Mir war nicht einmal klar, dass es diese Sprache war, bis die Freundin meiner Schwester das sagte. Wieso hatte ich bei dem Brief keine Probleme, bei dem Satz in meinem Traum aber schon?"

„Wie ich bereits sagte: Der Zauber verliert an Kraft. Dass du Dalora für selbstverständlich gehalten hast, wundert nicht, wenn man bedenkt, dass diese Sprache deine Muttersprache ist." Bitte was? Wie kann eine Kunstsprache meine Muttersprache .... Das bedeutet dann doch auch, dass ich ...

Kopfschüttelnd machte ich einen Schritt nach hinten. „Bei allem Respekt, Frau Voll, aber das ergibt keinen Sinn. Meine Eltern stammen aus Kosan und ich bin dort geboren. Mein ganzes Leben habe ich hier verbracht, ich werde doch wohl kaum Ihrem Buch entspringen."

„Deine Verwirrung wird vergehen, sobald der Zauber verflogen ist. Verständnis wird deinen Geist überkommen und die Zweifel vertreiben." Christina schenkte mir ein Lächeln. Ihre Zähne leuchteten mit ihren goldenen Haaren um die Wette. „Leider muss ich jetzt gehen. Viel Glück bei deiner Suche weiterhin, Theo. Antworten lassen sich überall finden, auch an Orten, die auf den ersten Blick keine bereithalten. Zwar heißt es, dass ein toter Mann keine Geschichten erzählt, aber wer weiß? Möglich ist viel."

Nach diesen Worten drehte sie sich um und ging.

„Tut mir leid." Lilly nahm meine Hand und drückte sie. „So rätselhaft und mysteriös hat sie sich noch nie gegeben."

„Du weißt doch mehr, als du mir erzählen möchtest, oder?", sprach ich und wandte mich ihr zu. „Was verschweigst du mir und weshalb? Dient das auch dazu, mich nicht zu überfordern?"

Lilly schluckte und senkte den Blick. „Du magst denken, dass dein Leben vollkommen verrückt ist, aber ich ..." Sie schüttelte den Kopf.

„Du? Komm schon, du weißt, dass du mir alles erzählen kannst. Peinlicher als dein Erlebnis im Schwimmbad letztes Jahr wird es wohl kaum sein, oder?"

Lilly schwieg.

Ein Seufzer entwich mir und ich befreite mich aus ihrem Griff. Anschließend drehte ich mich um und ging.

„Tut mir leid, Theo, ich wollte dich nicht ... Es ist nur ... Ach, verdammt, mir kreisen auch ständig Fragen durch den Kopf, hörst du? Seit deinem Geburtstag ist in mir ein Drang erwacht, Dinge zu tun. Furchtbare Dinge und ich weiß nicht, woher dieser Drang kommt." Ihre Worte ließen mich innehalten.

„Warum hast du mir nicht davon erzählt?", sprach ich und drehte mich wieder um.

Lilly ging zu mir. Sie schniefte. „Hättest du mir denn geglaubt? Du bist ja immer noch der Meinung, dass dich jemand die ganze Zeit auf den Arm nimmt." Berechtigte Frage. Ein Teil von mir hielt weiterhin daran fest, dass Jim hinter der ganzen Aktion steckte. Wie auch immer er das angestellt hatte.

Ein anderer Teil jedoch begriff, dass hier etwas anderes am Werk war. Etwas, das ich einfach noch nicht sah.

Ich grinste. „Was hast du für morgen geplant?"

Lilly runzelte die Stirn. „Bisher nichts. Wieso?"

„Dann weiß ich, was wir morgen unternehmen. Du fürchtestdich doch nicht auf Friedhöfen, oder?"


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