Angst

Vor dem Zeitsprung

Christina

Meine rechte Hand zitterte, während ich sie hob und auf die Badewanne richtete. Das vertraute Gefühl durch eine warme Welle zu schwimmen, durchströmte mich. Ein Plätschern drang an meine Ohren und ich näherte mich der Badewanne. Ich sank auf die Knie und linste über den Rand. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, als ich sah, dass die Wanne sich mit Wasser füllte. Zumindest das gelang mir.

Schließlich befand sich genug Wasser in der Wanne und ich schlüpfte aus meinen Klamotten. Ein wohliger Seufzer verließ meinen Mund, als ich in die Wanne stieg. Langsam schloss ich die Augen und ließ mich am Rand hinabgleiten.

Lenas Worte hallte in meinen Ohren nach. Achtzig Jahre. Die Zeit musste um achtzig Jahre zurückgedreht werden und dann ... Woher sollten wir wissen, dass unser Plan tatsächlich aufging? Sicher, Sarah würde wieder leben und die Schattègî von uns Lynas wären wieder an uns gebunden, aber was, wenn die künftige Version meiner Selbst in dem Zeitraum existieren würde, in den wir Lin, Ria, Theo und Henning schickten? Wenn ...

Ein Klopfen. „Schatz, darf ich reinkommen?" Nichello würde alles tun, um mich zu beruhigen oder abzulenken. Wenn ich ihn jedoch in das Meer meiner negativen Gedanken ziehen würde, würde ich mir das nur schwer verzeihen.

„Bedenke, was ihr alles im Krieg erlebt und gemeistert habt. Er hat dich nicht verlassen bisher und du darfst alles mit ihm besprechen, wie du weißt", raunte eine innere Stimme.

„Komm rein", rief ich und wandte mich der Tür zu.

Sie schwang auf und mein Mann trat ein. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, während er zu mir ging. „Darf ich dir Gesellschaft leisten, oder möchtest du lieber in Ruhe das Bad genießen?"

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. „Es tut mir leid, aber mir geht gerade zu viel durch den Kopf, als dass ich mich gut genug entspannen könnte."

Er nickte und setzte sich auf den Boden vor die Wanne. „Wie kann ich dir helfen, mein Herz? Du hast kaum etwas gesagt, seit wir nach Hause zurückgekehrt sind."

Der Kloß drückte gegen meine Kehle, so dass ich schluckte. „Unser Plan ... Wir wissen zu wenig, was alles geschehen wird, sobald wir ihn in die Tat umsetzen und das nutzt mein Kopf, um sich alle möglichen Szenarien auszumalen."

Mein Mann streckte eine Hand aus und streichelte sanft meine Wange. Wie aus Reflex schloss ich die Augen. „Du befürchtest, dass unsere Schattègî in der Zeit herumstreunen, die Ria, Lin, Theo und Henning betreten", wisperte er.

Daraufhin nickte ich, ohne die Augen zu öffnen.

„Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es dazu kommen wird, doch so wie ich dich kenne, wäre es dir lieber, wenn wir uns einen Ersatzplan zurechtlegen. Gleich morgen werde ich mich darum kümmern, versprochen." Die Zuversicht in seiner Stimme verjagte die Zweifel ein wenig.

„An wen möchtest du dich wenden?", sprach ich und öffnete wieder die Augen. „Die Legende hilft uns nicht weiter und Vanessas Visionen werden bereits teilweise von ihrem Schattègô blockiert. Mit Sicherheit wird sie nicht zulassen, dass wir an diese Information gelangen."

Nichello senkte den Kopf. „Du hast Recht, das hatte ich nicht bedacht. Entschuldige, ich dachte, wenn sie sieht, was genau in der Spritze war, die diese Doktorin uns damals verabreicht hat, könnten wir vielleicht ein Gegenmittel herstellen und uns somit wieder mit unserem Schattègô verbinden."

„Hey, ich mach dir keinen Vorwurf", entgegnete ich und legte meine nassen Hände auf seinen Kopf. Er beschwerte sich nicht. „Die Idee an sich ist richtig gut und es könnte so einfach sein, aber leider ..."

Nichello hob den Kopf und nickte. Mit seinen Händen streichelte er zärtlich meine Unterarme, woraufhin eine Gänsehaut meine Wirbelsäule hinabkroch.

Eine Weile verharrten wir so.

„Ich würde mich jetzt gerne wieder anziehen", flüsterte ich und ließ ihn los.

Mein Mann nickte und gab meine Arme frei.

Anschließend stieg ich aus der Badewanne und atmete tief ein. Jede Sorge, jede noch so leise ängstliche Stimme verjagte ich aus meinem Hinterkopf, bis eine tiefe Ruhe in meinen Geist getreten war. Danach konzentrierte ich mich fest auf mein Element Luft. Der gläserne Nebel umhüllte mich und ich spreizte die mittleren Finger meiner rechten Hand, nachdem ich sie gehoben hatte. Im Anschluss drehte ich mein Handgelenk etwas. Augenblicklich spürte ich, wie die Raumtemperatur anstieg. Es dauerte nicht lange, bis ich vollständig getrocknet war. Langsam senkte ich meine Hand und der Nebel löste sich auf.

„Du bist so schön, mein Herz." Die Ehrfurcht in Nichellos Stimme ließ meine Zehen kribbeln, gleichzeitig breitete sich Hitze in meinem Gesicht aus.

Wortlos ging ich zu ihm und schlang meine Arme um ihn. Sein frischer Duft hüllte mich in eine wohlige Decke ein. Mein Mann drückte mich an sich und bettete seinen Kopf auf meine Schulter.

„Weißt du, was mir noch durch den Kopf geht?", raunte ich.

„Nein, aber rede mit mir darüber, wenn du möchtest."

„Die achtzig Jahre bedeuten, dass der Krieg wieder ausgetragen werden muss und ... Was, wenn wir Kunalia dieses Mal nicht besiegen können? Wenn sie gewiefter vorgehen wird und wir keine Möglichkeit finden sie zu schlagen? Wenn wir keine Chance sehen, den Fluch zu brechen, der in mein Blut gewebt ist?" Ich spürte die ersten Tränen. „Am Meisten habe ich aber Angst davor, dass wir nicht mehr zusammen sein können. Dass ich das Kapitel mit Kunalia nur abschließen kann, indem du ebenfalls mit ihr nach Schattenaura zurückkehrst."

Nichello presste sich fest an mich und ich spürte durch die Berührung deutlich, dass er zitterte. „Ein Leben ohne dich will und kann ich nicht leben. Du bist mein Ein und Alles, mein Herz, meine Adamira, mein Leben." Er ließ mich los.

Tränen schimmerten in seinen braunen Augen. Der Anblick ließ mich frösteln, gleichzeitig scheuerte ich mir innerlich eine.

„Verzeih mir bitte. Unter keinen Umständen wollte ich mit meinen Worten deine Ängste befeuern, geschweige denn dich unglücklich stimmen. Es schmerzt mich, wenn du Kummer leidest", raunte ich.

Mein Mann lachte auf. „Wann verstehst du endlich, dass wir weit mehr als den gleichen Nachnamen teilen? Deine Sorgen und Ängste sind meine, wie auch deine Freuden meine sind und umgekehrt. Mein Verständnis dir gegenüber lässt sich nicht in Worte fassen, so intensiv ist es und trotzdem unterscheiden wir uns."

Daraufhin schluckte ich.

Wie in Trance stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er öffnete sofort den Mund und gewährte mir Einlass. Unsere Zungen fanden einander und er zog mich erneut an sich. Mit seinen Händen fuhr er langsam meine Taille hinab, ehe sie auf meinen Hüften ruhten.

„Denke bitte nicht, dass ich dich nicht mehr brauchen werde, denn das werde ich immer", wisperte er.

Die Aufrichtigkeit in seiner Stimme ließ mein Herz rasen. Obwohl ich diese Angst nicht ausgesprochen hatte, wusste er, dass diese auch in meinem Kopf herumspukte.

„Lass mich dir zeigen, wie sehr." Der Klang seiner Stimme jagte einen Schauer meine Wirbelsäule entlang. Erste Flammen tanzten in meinem Inneren.

„Sicher, dass du das willst?" Am Liebsten hätte ich mir wieder eine Ohrfeige verpasst. Warum zum Henker jetzt meine Zweifel? Er hatte mehrere Male bewiesen, wie sehr er mich liebte und obgleich er keine Prota mehr war, sorgte er sich immer noch sehr um mich.

„Christina, meine Hélen, ich will, dass du glücklich bist und alles, was ich dazu beitragen kann, werde ich tun. Also, bitte. Gib mir die Möglichkeit, dir zu zeigen, wie sehr ich dich brauche."

Zitternd atmete ich ein, dann nickte ich.

Nichello zog sein Hemd aus und kniete vor mir nieder. „Bereit?"

„Bereit", hauchte ich.

In der nächsten Sekunde strömten Bilder auf mich ein, während ich gleichzeitig die Hände meines Mannes auf meinen Oberschenkeln spürte.

Die Bilder formierten sich. Sie alle zeigten Nichello, wie er an mich dachte, oder mich ansah, aber nicht mit mir reden konnte. Jedes einzelne drückte das Bedürfnis aus, einen Schritt auf mich zuzugehen, mit mir zu reden, oder mich einfach nur im Arm zu halten, damit es ihm besser ging. Um seine Zweifel zu vertreiben und seine Sorgen zu verjagen.

Etwas Warmes strich an der Innenseite meines rechten Oberschenkels entlang.

Ein Keuchen entriss sich meiner Kehle. „Warte, warte", hauchte ich.

Sofort verschwanden die Bilder und Nichello richtete sich auf. „Bin ich zu weit gegangen?"

Augenblicklich schüttelte ich den Kopf. „Nein, aber ich kann das gerade nicht und obwohl ich weiß, dass es dir nichts ausmachen würde, wenn du mich verwöhnst, kann ich nicht vergessen, wie sehr du mich willst."

Nichello nahm mein Gesicht in seine Hände und blickte mir tief in die Augen. „Schließ deine Augen und lass dich fallen. Keine Sorge, ich fange dich auf." Die Flammen in meinem Inneren wurden wieder entzündet.

„In Ordnung", wisperte ich und schloss die Augen.

Warme Lippen strichen meinen Hals entlang. Verteilten mehrere Küsse auf beiden Seiten und auch leichte Bisse. Die Flammen loderten höher. Mein Inneres zog sich zusammen. Weiche Hände streichelten meine Wangen, fuhren meine Schultern hinab, wanderten zu meinem Busen und strichen sanft über meine Knospen.

„Ich liebe dich von ganzem Herzen, Christina. Nichts wird daran etwas ändern, egal was noch geschehen mag. Meine Seele, mein Herz, alles, was mich ausmacht, gehört dir." Nichellos warme Stimme entlockte mir abermals ein Keuchen.

Meine Mitte spannte sich an. Die langen Finger meines Mannes fuhren meinen Bauch hinab und seine Lippen bedeckten meine Haut mit federleichten Küssen. Reflexartig streckte ich die Hände aus und versenkte sie in seinem weichen Haar.

„Du bist so schön, Christina. Deine Haut ist so weich, deine Seele leuchtet so hell, dass ich deinen Anblick kaum ertragen kann."

Ich schnappte nach Luft, während ein Schauer nach dem anderen meine Wirbelsäule hinabrann. Mein ganzer Körper schrie nach ihm, doch die Erinnerung an die Verkündigung der Ärzte klammerten sich mit Leibeskräften an meine Muskeln. Gleichzeitig wusste ich, dass mich diese Angst nicht ewig beherrschen durfte.

„Mach weiter", flehte ich, während ich spürte, wie eine Träne meine Wange hinunterlief.

Ein Rascheln. Eine warme Hand strich die Träne weg.

„Keine Sorge, ich bin hier und ich werde nicht von deiner Seite weichen, bis du mich wegschickst."

Kaum waren diese Worte verklungen, als Nichellos Lippen zu meinen zurückkehrten. Seine Zunge spielte sanft mit der meinen, während er mich so dicht an sich presste, dass ich fast jeden seiner Muskeln spüren konnte.

Mein Herz, ich will dich. Dich allein. Darf ich dich haben?", flüsterte er.

Ja. Ja, denn ich brauche dich. Immer und ganz besonders jetzt."

Schon spürte ich, wie er mich in seine Arme nahm und aus dem Badezimmer trug. Seine Lippen wichen nicht von meinen. Nicht einmal, als er die Schlafzimmertür öffnete. Sanft legte er mich auf dem Bett ab und entledigte sich dem Rest seiner Kleidung. Mein Herz schlug schneller. Nichello kletterte zu mir aufs Bett und streichelte sanft mein Gesicht.

„Wir fallen entweder gemeinsam oder gar nicht, ok? Also mach dir keine Gedanken um mich, dein Anblick allein ..." Ein Stöhnen entwich ihm, woraufhin meine Mundwinkel zuckten.

„Wir fallen gemeinsam oder gar nicht", flüsterte ich und legte meine Hände auf seine Schultern.

Ein weiteres Bild blitzte vor mir auf. Es zeigte Nichello und mich, wie wir an einem Strand spazieren gingen und uns unterhielten.

„Hast ... Hast du dich je berührt?", sprach mein jüngeres Ich.

„Mehrere Male."

„Woran hast du dabei gedacht?"

„An dich, an dich allein."

Das Bild verblasste.

Nichello schaute mir tief in die Augen und dann spürte ich, wie die Flammen in meinem Inneren ihren Höhepunkt erreichten.


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