Manchmal laufen wir davon
Manchmal laufen wir davon, von allem was uns zu viel wird! Manchmal laufen wir davon von allem was uns zu ernst wird!
Der Tag vergeht schnell, die Nacht dafür scheint nicht zu enden. Ich wünsche mir, das Kellin wieder neben mir liegt und ich mich sicher fühle. Doch Klaus ist da und ich bin nicht sicher!
Als er mich endlich in ruhe lässt, rolle ich mich nur zusammen. Ich weine, komme mir noch schwächer vor als sonst. Da klingelt mein Handy, es klingelt normalerweise nur wenn meine Mutter einkaufen ist und mich fragen will ob ich noch etwas brauche, aber es ist vier Uhr in der früh! Ich nehme das schwarze Touchhandy verschlafen in die Hand und versuche zu erkennen, was dort auf dem Bildschirm erscheint. Das Bild eines, nur in karierten Boxershorts gekleideten Kellins erscheint auf dem Display. Was hat das denn jezt zu bedeuten? Wann hatte er seine Nummer in mein Handy gespeichert und vor allem, wann hatte er die Zeit gehabt ein Foto von sich zu schießen und vor allem wie hatte er das gemacht, er war total Stoned, als ich geschlafen hatte.
"Was?" frage ich verschlafen, ohne vorher meinen Namen zu sagen, oder den Anrufer zu grüßen. "Du bist wach?" was für eine Dumme frage, natürlich war ich wach! Sonst wäre ich wohl nicht an mein beschissenes Hand gegangen!
"Ja!" antworte ich kurz und gähne. "Franky?" fängt er an. "Ja?" frage ich. "Warum tust du das?" "Was denn? Nachts ans Handy gehen? Ich weiß auch nicht!" antworte ich schläfrig und meine Augen fallen beinahe zu. "Ich meine, ... warum Hungerst du?" es ist still, ich weiß das er eine Antwort erwartet, aber ich weiß nicht was ich sagen soll! -Ja, Kellin weißt du, ich Hungere damit ich nichts spüre, damit ich sterbe und damit mich mein Stiefvater vielleicht irgendwann in ruhe lässt!- Er würde es nicht verstehen!
"Ich verstehe es einfach nicht! Warum tust du dir das an? Wieso siehst du nicht was ich sehe?" Stille! Die Antwort auf seine Frage war eigentlich einfach -Ich sehe nicht was du siehst, weil du etwas siehst das ich nicht bin!-
"Ich sollte dich nicht länger wach halten, tut mir leid!" "Hör auf dich ständig zu entschuldigen!" gähne ich. "Gute Nacht, Franky!" "Nacht, kell!" ich lege mein Handy weg und schlafe sofort ein. Denn allein der klang seiner Stimme lässt mich vergessen, was vor einer Stunde noch gewesen war.
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Verdammt, hör doch auf so dumm zu sein! Du lässt ihn rein, das ist nicht gut! Hör auf damit!
"Das ist nicht so einfach!" murmle ich, bevor ich bemerke das ich mit mir selbst spreche und am Frühstückstisch sitze, mit meiner Mutter, die heute ausnahmsweise erst Mittags arbeiten muss und mir unbedingt zusehen möchte, wie ich mein Frühstück esse.
"Was ist los?" fragt sie verwirrt, während ich ein paar Cornflakes in eine Schüssel fülle. "Was ist nicht so einfach?" ich antworte ihr nicht, löffle einfach die Cornflakes und es fühlt sich nicht schlecht an, endlich wieder etwas im Magen zu haben. Ich bekomme mehr Hunger, ich esse drei Schüsseln Cornflakes und meine Mutter sieht mir nur besorgt zu. Dann als ich die letzte Schüssel geleert habe, sehe ich meine Mutter mit ernstem Blick an. Ich muss mit ihr reden! Nicht darüber was Nachts in meinem Zimmer geschieht, aber darüber, das ich auf Jungs stehe und das ich Kellin echt gern habe! Ich muss einfach mit jemandem darüber reden, mit jemandem, der nicht mit ihm verwandt ist!
"Mum." fange ich an, doch soll ich es wirklich sagen? Was wenn sie mich anschreit, mir sagt das es falsch ist? Das ich falsch bin? Das sie mich nicht mehr als Sohn haben will?
"Was ist los mein Schatz?" fragt sie besorgt und zieht ihre schmalen Augenbrauen zusammen. "Gar nichts!" murmle ich. "Du weißt du kannst mit mir über alles reden?" Ja, natürlich! Ich kann mit ihr über alles reden, sie ist ja auch so oft da, wenn ich jemanden zum reden brauche!
"Ich bin Schwul, Mum!" sage ich dann leise, nach ein paar Stillen, ewig anhaltenden Sekunden. Ich sage es in ganz normaler Stimme und hoffe, das sich meine ruhe auf sie überträgt. "Du bist was?" fragt sie und zuerst ist ihr Gesichtsausdruck geschockt, doch dann ... dann fängt sie an zu lächeln. "Ich bin Schwul! Ich stehe auf Kerle!" meine ich langsam und sie atmet erleichtert aus. "ich bin so froh, das du mit mir darüber redest!"sagt sie in Roboter ähnlicher Stimme. "Und ist dieser kleine Freund der dir die Hausaufgaben gebracht hat, dein Freund... also dein fester Freund?" fragt sie und in der art wie sie es sagt macht sie mir Angst, denn ihre Stimme klingt nicht mehr wirklich Menschlich, eher Maschinenartig. Ihr Körper wirkt angespannt und wie eingefroren, genau wie das lächeln auf ihrem Gesicht. "Billy? Nein!" Soll ich ihr von Kellin erzählen? Ich beschließe es nicht zu tun, denn meine Mutter ist eindeutig mit der Situation überfordert.
"Ich muss jetzt gehen!" sage ich und räume die Cornflakes Schüssel weg. "Ich fahre dich!" sie löst sich aus der starre und klingt wieder völlig normal. "Das letzte mal als du mich zur Schule gefahren hast, war vor drei Jahren!" stelle ich fest und sie zuckt die Schultern. "Dann wird es doch mal wieder Zeit!"
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Wir sitzen im Auto, es herrscht peinliche Stille, nur ein schnulziger Song ist aus dem Radio zu hören. "Mum, warum bist du nie zuhause?" frage ich und komme mir dabei vor wie ein kleiner Junge. "Ich arbeite, das weißt du doch Schatz!" in ihrer Stimme höre ich genau, das es nicht die ganze Wahrheit ist. "Du versteckst dich!" murmle ich. "Du kannst nicht mit ansehen, wie ich mich kaputt mache!" flüstere ich. "Ist das denn so verwerflich?" Sie bremst, mitten auf der Straße, hinter uns Hupen ein paar Autos und überholen uns dann. "Ich kann nicht zusehen, wie du dich zu tote Hungerst, aber mir jedes mal wenn ich dich danach frage, sagst es sei alles okay! Du sagst immer du bist ein Junge, Jungs haben solche Probleme nicht, aber wach auf! Du hast diese Probleme und du bist ein Junge!" sie ist den Tränen nahe, ich kaue auf meinem Lippenpiercing herum. "Denkst du nicht, ich weiß das du diese Pillen vor drei Jahren nicht nur zum Schlafen genommen hast? Ich bin nicht dumm! Ich weiß das es deine Absicht war, so viele zu nehmen! Aber Klaus meinte, Teenager sind eben Depressiv manchmal, das vergeht wieder und er muss es doch wissen, bei hm im Krankenhaus sind ständig solche Teenager. Er sagt, würde man dich in Therapie stecken, würdest du dich nur dagegen wehren und dich noch weiter vor uns verschließen!" sie weint. Ich will nicht das sie weint, doch ich kann keine Worte finden, die sie beruhigen würden.
"Franky, wieso versuchst du jeden aus deinem leben fern zu halten? Wieso willst du sterben?" Ich schaue auf die Straße und auf die genervten und entsetzten Blicke der Autofahrer die uns überholen. "Ist es ... ist es weil du Schwul bist und Angst davor hast?" Ich antworte nicht, bin wie verstummt. "Franky, brauchst du vielleicht doch eine Therapie?" "Könntest du bitte aufhören?" flehe ich. "Wieso interessiert es dich auf einmal? In den letzten Jahren warst du nie für mich da! Wir haben zwei, oder dreimal die Woche mit einander gegessen, das wars. Wir sind mehr wie Mitbewohner, nicht wie Mutter und Sohn! Wir sind keine Familie! Meine Familie starb, als mein Vater erschossen wurde!" sprudelt es aus mir heraus und es die Wahrheit! Ich bereue was ich gesagt habe, aber es war nur die Wahrheit.
"Das du das so siehst tut mir leid!" murmelt meine Mutter und ich steige aus. ich öffne die Autotür und verlasse den roten Wagen. "Franky!" ruft meine Mutter, doch ich reagiere nicht. Ich laufe den Gehweg entlang, dann renne ich, so schnell ich kann. Es ist mir egal ob ich irgendwann bei der Schule ankomme, oder in einem anderen Land. Ich renne einfach weiter.
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Ich stehe auf einer Brücke, mitten im nirgendwo und kauere mich am Geländer zusammen. Ich weiß nicht wo ich bin, ich hätte nicht weg rennen sollen! Aber was hätte ich denn tun sollen? Meiner Mutter alles erzählen? Ihr den Mann rauben, der ihr über den Tod meines Vater hin weg geholfen hat? Das kann ich nicht tun, egal wie befreiend es für mich währe!
Aber so ist das eben mit Geheimnissen, versteckt man sie einmal, ist es schwer sie wieder zu offenbaren.
Ich schaue auf mein Hand. Ein Uhr Mittags, das heißt ich bin vor etwa fünf Stunden aus dem Auto meiner Mutter geflohen. Das heißt ich habe sämtliche Kalorien meines Frühstücks auf jeden fall wieder abtrainiert. Es vergehen zwei weitere Stunden, bis mein Handy klingelt. Es ist meine Mutter, ich ignoriere den Anruf und es ist mir egal, ob sie jetzt Angst um mich hat, oder sich Sorgen macht. Diese Gefühle wären verdammt mütterlich und sie sollte sich mehr wie eine Mutter verhalten und fühlen, vielleicht kläre ich sie dann irgendwann auf, oder hinterlasse einen Abschiedsbrief, wenn ich gehe.
Ich komme mir vor wie in einem Horrorfilm, keine Autos, keine Menschen, nur ein paar Bäume in Sichtweite und ein Fluss unter mir. Sobald es anfängt zu dämmern springt bestimmt ein Kerl mit einer Kettensäge hervor und zerhackt mich!
Mein Handy klingelt erneut und dieses mal zucke ich zusammen, als wäre der Mann mit der Kettensäge aus dem Gebüsch gesprungen. Ich blicke auf den Bildschirm, es ist Kellin. Ich will nicht reden, allerdings brauche ich eine Ablenkung von dem Gedanken an den Kerl mit der Kettensäge!
"okay, ich gehe nur ran, weil ich nicht weiter an einen Mann denken will, der mich in Stücke zerhackt!" melde ich mich und ich kann Kellins verwirrtes Gesicht fast vor mir sehen. "Warte, was?" "Nicht so wichtig!" murmle ich und umklammere mit einem Arm meine Knie. "Kannst du mir verraten, wieso mich eine hysterische Frau angerufen hat und gefragt hat ob ich ihren Sohn gesehen habe, er ist aus dem Auto gerannt!" seine Stimme klingt gleichzeitig amüsiert und vorwurfsvoll. "Vielleicht verhält sich die Frau, das erste mal in ihrem leben wie eine Mutter!" flüstere ich und zucke zusammen, als es zwischen den Bäumen auf der einen Seite der Brücke raschelt. "Franky, wo bist du?" Ich atme erleichtert aus, es ist nur ein Reh, das mich ansieht, als hätte ich es bei einer Straftat ertappt und dann weiter springt.
"Frank!" seine Stimme klingt ermahnend. "Ich habe keine Ahnung wo ich bin!" gebe ich etwas kleinlaut zu. "Warte, wieso hat meine Mutter dich angerufen?" "Weil sie unsere Nummer hatte und Billy nicht zuhause war!" "oh" Ich stehe auf und laufe von der einen Seite der Brücke zu der anderen, hin und her. "Wieso bist du weg gelaufen?" fragt er und ich laufe mit meinen Fingern das Brückengeländer ab. "Was interessiert es dich?" frage ich leise. "Ich dachte, du hättest verstanden, das ich etwas für dich empfinde!" Kellin klang verzweifelt. -Etwas für dich empfinde- Was ist das, eine ausrede, wenn man Angst hat jemanden zu verlieren, den man noch nicht repariert hat?
Ich schaue auf das Wasser unter mir. "Was würdest du tun, wenn ich von einer Brücke springen würde?" frage ich. "Wo bist du, Franky?" er klingt panisch. "Auf einer Brücke." sage ich und stelle mir vor, von der Brücke zu fallen, in dem Fluss zu ertrinken und all das Chaos in meinem leben zu vernichten. "Steht irgendwo ein Name der Brücke?" Ich sehe mich um. "Irgendwas Französisches mit Pan, oder so!" ich kann kein Französisch und es fällt mir auch schwer diese Schrift auf dem Schild zu entziffern. Aber Kellin scheint sofort zu wissen von was für einer Brücke ich spreche.
"Bleib wo du bist und leg ja nicht auf!" befiehlt er und ich steige über das alte Brückengeländer. Ich halte mich mit einer Hand fest und in der anderen Hand halte ich mein Handy am Ohr. Soll ich springen, oder nicht?
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