Atmen
Kennst du das Gefühl, als hättest du ewig deine Luft angehalten, als hätten sich deine Lungen Jahre lang nicht mit Luft sondern mit Wasser gefüllt, so das du dachtest du ertrinkst? Und dann ganz plötzlich verwandelt sich das Wasser in Luft und du kannst Atmen.
Ich stehe in der Küche, der Kühlschrank ist offen, meine Beine Zittern. Nicht nur weil ich das erste mal jemanden geküsst hatte, nicht weil ich mich gerade wirklich seit langem wieder lebendig fühle. Mein Körper ist so ausgehungert, das er selbst bei zwanzig Grad Raumtemperatur friert, normaler weise ignoriere ich das. Doch jetzt kann ich es nicht ignorieren, ich fühle mich lebendig und lebendige essen, lebendige frieren nicht bei zwanzig Grad!
Ich nehme mir ein Brot und geniese jeden Bissen, etwas in meinem Kopf warnt mich mehr zu essen, doch ich nehme mehr und ich esse und esse, kann nicht mehr aufhören, mein Magen schmerzt bereits, doch es ist mir egal. Ich höre erst auf, als ich höre das im Stockwerk über mir jemand aufgestanden ist, jemand der geschlafen hat seit ich gekommen bin. Jemand der nach unten kommen wird, der hungrig sein wird und zwar nicht auf essen, auf mich!
Mir ist schlecht, wie könnte mir auch nicht schlecht sein? Aber der Gedanke, das er mich wieder anfasst, lässt mich direkt auf den Boden erbrechen und ich kann es nicht einmal verhindern.
Warum regiere ich auf einmal so? Wieso fühle ich all die Scham, all den Eckel, all den Hass und all ... all diese Angst? Wieso bin ich nicht mehr leer? Ich wünsche mir leer zu sein, mein Magen entleert sich erneut. Ich will leer sein! Ich will wieder Gefühllos sein! Ich will sterben!
Ich wische mir mit dem Handrücken über den Mund, ich höre die Treppenstufen knarren. Sie schnurren nicht, wie bei mir, denn Klaus wiegt sicher dreißig Kilo mehr. Ich übergebe mich erneut und habe die düstere Vorahnung das ich für diese Tat bestraft werde. "Oh, Frank, was hast du getan?" lacht Klaus und kommt näher, mein Körper zittert und ich fühle mich wie ein beschissener Angsthase. Was ich auch irgendwie bin, denn ich will schon wieder weg laufen. "Putz das auf, wenn deine Mutter das sieht, tötet sie uns beide!" scherzt er und wirkt wirklich Väterlich. So spricht er nur einmal im Monat mit mir und es lässt mich hoffen, das er mich heute vielleicht in ruhe lässt.
Ich nicke und mache mich an die arbeit.
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Es ist dunkel und ich liege in meinem Bett, mein Magen fühlt sich etwas besser an, mein Bauch ist etwas gewölbt. Ich stehe am Fenster, der Boden ist nur etwa fünzehn, oder zwanzig Meter weit unten und ich frage mich, ob es wohl weh tun würde aus meinem Zimmerfenster zu springen. Ich frage mich, ob es schlimm aussehen würde, wenn ich da auf der Wiese liegen würde, matschig und kaputt. Ich höre wie sich meine Tür öffnet und ich blicke in den Himmel und in die Sterne. Eine Träne läuft über meine Wange, ich wische sie weg und als ich mich umdrehe steht er bereits direkt vor mir. "Schwing deinen dürren Hintern ins Bett!" flüstert er, seine Stimme ist erfüllt von Lust. "Töte mich!" murmle ich und ich hoffe wirklich das er mich hört und als er seine Hände um meinen Hals legt, glaube ich auch er hat meinen Wunsch erhört. Doch als er fertig ist, lässt er mich einfach liegen, kaputt und schmutzig und ich spüre das die roten Striemen an meinem Hals, von seinen Händen morgen früh für jeden Sichtbar sein werden. Ich dachte er würde mich heute in ruhe lassen, ich hatte mich getäuscht. Ich dachte er würde mich töten, doch ich hatte mich getäuscht. Vielleicht täusche ich mich auch in anderen Sachen. Vielleicht musste ich jemanden rein lassen, ich meine in meinen Kopf natürlich! Vielleicht habe ich ein recht auf ein Happy End, auf MEIN Happy End!
Wie kannst du so etwas denken? Du verdienst kein Happy End!
Ich gehe ins Badezimmer, es ist ein Uhr in der früh und das einzige woran ich denken kann ist wie viel besser das leben wäre, so ganz ohne mich! Ich nehme die Klinge und ich schneide, schneide tief. Überall ist Blut und ich wieder weglaufen und ich will sterben und ich will nicht sterben und meine Gedanken verknoten sich. Irgendwie drängt sich Kellin in meine Gedanken und ich stürme aus dem Badezimmer, ich stürme die Treppe hinunter und renne die Straße entlang. Ich weiß nicht wo ich hin will und tränen strömen über meine Wangen. Ich habe Angst, große Angst. Blut strömt über meinen Arm, tropft auf den Boden und färbt die dort liegenden Blätter dunkelrot.
Ich bleibe stehen und plötzlich weiß ich wo ich bin. Nur ein paar Häuser entfernt, liegt Billys Haus und somit auch Kellins. Was will ich hier? Ich kann nicht denken, aus meinem Arm läuft immer mehr Blut und am Himmel entstehen schwarze Punkte. Dann sinke ich zusammen, wer doch irgendetwas in mir sagt. Das es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist! Ich will zurück, bekomme Panik und versuche die Klingel zu erreichen. Ich hoffe jemand ist zuhause, jemand ist da drin und rettet mich! Ich schluchze und kann die beschissene Klingel nicht erreichen. "H.. Hiiiii...Hiiiiillffffeeee" stöhne ich und kraze an der Tür, wie ein.... wie ein verwundetes Hündchen. Irgendwann öffnet sich die Tür und ich falle ins Haus, ich hatte nur sitzend an der Tür gelehnt und jetzt liege ich da, eine Blutlache neben mir, im Eingangsbereich dieses Hauses, welches ich erst zweimal betreten hatte. Ich liege nur wenige Zentimeter von der stelle entfernt wo ich Kellin geküsst hatte und auch genau dieser steht jetzt über mir.
"Franky?" fragt er verwirrt und mustert mich, sein Gesicht verzieht sich, er sieht meinen Arm und .... und dann wird alles um mich herum Schwarz.
Ich weiß nicht wo ich bin und nicht mehr genau was passiert ist. Aber meine Augen sind so schwer wie Sandsäcke und meine Kehle ist trocken wie eine Wüste. Ich fühle mich Tod, nicht als würde ich sterben. Als wäre ich Tod! Ich kann nur etwas hören, ganz leise und nur mit großer Anstrengung. "Warum tust du dir das nur an, Hündchen?" höre ich eine Stimme weit, weit entfernt, ich kann sie nicht zuordnen. Doch das Wort -Hündchen- habe ich bis jetzt nur von einer Person gehört, Kellin!
"Dein ganzes leben liegt noch vor dir! Wie kannst du es einfach weg werfen?" Ich will antworten, ihm sagen, das er keine Ahnung hat wer ich bin und das ich meine Gründe habe. Aber ich kann nicht sprechen, kann ja nicht mal meine Augen öffnen.
Alles was ich kann ist zuhören. "Oh, Hündchen!" Ich versuche mit aller Kraft meine Augen zu öffnen und sie sind offen, nur ein kleines bisschen, aber sie sind offen. Und sie fallen wieder zu. ich versuche meinen Mund zu öffnen und kämpfe gegen jeglichen Schmerz an, der sich in mir ausbreitet, sobald meine Lippen sich nicht mehr berühren. "Ich .... bin ....kein Hündchen!" es ist nicht mehr als ein Satz in meiner Atemluft und doch spüre ich das er mich ansieht. Ich versuche erneut meine Augen zu öffnen. Oh Mann, was haben die mit meinen Augen gemacht? Ich hole tief Luft und kann meine schweren Augenlider heben. "Du bist wach?" fragt Kellin und ein lächeln bildet sich auf seinen Lippen. Als sei er tatsächlich froh, das ich wach bin, oder am leben bin!
"Was bringt dich nur dazu, deinen Arm aufzuschlitzen und vor meiner Tür zusammen zu brechen?" fragt er und sein Blick wird ernst. "Ich meine, was wenn Billy die Tür aufgemacht hätte?" er klingt etwas zornig, ich muss meine Augen wieder schließen, meine lider sind so verdammt schwer. Außerdem will ich diesen Jungen nicht wütend sehen, ich will nicht sehen, das jemand wütend auf mich ist und ich will nicht sprechen. Denn immer wenn ich spreche mache ich es nur schlimmer!
"Nein! ... Oh komm schon, mach deine Augen wieder auf! Tut mir leid, das ich dich kritisiert habe!" ich kann ihn deutlich schlucken hören. "Du bist nur nicht die erste Person, die ich Blutverschmiert gefunden habe!" dieses mal muss ich laut schlucken und irgendwie finden Tränen ihren weg aus meinen schweren lidern und rollen über meine Wangen. "Du willst mich retten .... weil du jemand anderes nicht mehr retten konntest?" hauche ich, es ist eine Frage, doch ich kenne die Antwort bereits. Ich bin das verletzte Hündchen!
"Ich will dich retten, weil du eine interessante Person bist und ich dich kennen möchte und ich nicht glaube, das dein leben so schlecht ist, wie du glaubst! Ich denke es gibt immer ein Licht in der Dunkelheit!" Das ist ein ziemlich langer Satz, ich weiß nicht was ich dazu sagen soll, oder wie ich reagieren soll. Ich will das er verschwindet und andererseits will ich das er bleibt.
"Wer hat sich umgebracht?" presse ich hervor. "Ich war zwölf, als ich meine Mutter fand, die sich beide Pulsadern aufgeschnitten hatte." er hält inne, ich versuche erneut meine Augen zu öffnen und kann sie so weit auf machen, das ich seine Gestalt neben mir sitzen sehen kann. Nach vorn gelehnt und die Hände auf dem Bett zusammen geschlagen, wie ein besorgter Freund, oder ein Vater. "Letztes Jahr an Halloween, wollte unser Vater etwas später kommen, er wollte Popcorn mitbringen. Hatte uns am Tag vorher einen Horrorfilm gegeben. Wir wollten ihn uns gemeinsam anschauen und er sagte, wenn er zu spät kommt, sollen wir schon mit dem Film anfangen. Aber am nächsten Morgen war er immer noch nicht da, ich habe im ganzen Haus nach ihm gesucht, doch sein Bett war unbenutzt und dann hat das Telefon geklingelt." Er holt tief Luft und starrt auf die Bettdecke, als würde diese ihm die Bilder noch einmal zeigen. "Sie fragten ob ein Erwachsener im Haus wäre und ich sagte, ich bin neunzehn, also bin ich erwachsen. Sie meinten mein Vater hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus!" Ich versuche meine Hand zu bewegen, ich kann sie nicht einmal fühlen, ich kann sie nur sehen. Mit aller Anstrengung bewege ich meine Hand, die ich immer noch nicht wirklich spüren kann an seine heran. "Es stellte sich heraus, das er sich selbst erschießen wollte, jedoch nicht sofort starb und deshalb einen Monat im Koma lag!" er beißt seine Zähne zusammen und Tränen rollen über seine Wangen, ich ergreife seine Hand und er sieht mich verletzt an. Jetzt sieht er aus wie ein verletztes Hündchen, mir ist bewusst, das ich aussehen muss, wie von einem Zug überrollt, aber gerade ist er das verletzte Hündchen, nur für diesen Moment, will ich ihn retten!
Als ich meinen Blick von ihm wende, weil meine Augen weniger schmerzen und endlich ganz auf gehen, sehe ich das ich in einem großen Krankenhauszimmer liege. Mein Stiefvater, Klaus arbeitet in einem Krankenhaus! Er darf mich so nicht sehen!
"Welches Krankenhaus?" frage ich schwach und panisch. "St. maria!" Kellin sieht mich mit intensivem Blick an, ich schlucke und schüttle minimal meinen Kopf. Ich muss hier weg! Das ist sein Krankenhaus! Also nicht wirklich seins, aber er arbeitet hier!
Ich versuche mich aufzusetzen, geht nicht! Ich will hier raus! Ich will weg laufen!
"Bring mich raus!" sage ich, meine Stimme klingt krazig und rau. "Ich muss hier raus!" ich nehme meine Hand von seiner und versuche mich aufzustützen, mich aufrecht hinzusetzen und dann aufzustehen. "Du wirst mindestens acht un vierzig Stunden bleiben müssen!" meint Kellin und streicht sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. "Was ist los?" fragt er und mustert mein Gesicht, das sicher aussieht als hätte ich einen Geist gesehen.
"Franky?" ich sitze einfach da, unfähig aufzustehen und das erste mal bemerke ich, das etwa tausend Geräte und Schläuche an meinem Körper angeschlossen sind. Und mit einem mal kommt wieder der Wunsch zu sterben. Warum bin ich nur zu Kellin gelaufen, wie ein verwirrtes Hündchen? Warum bin ich nicht einfach gestorben? Warum bin ich immer noch hier?
Er legt seine Hand auf meinen Rücken und zucke zusammen, ich weiß nicht weshalb, aber ich zucke einfach zusammen. Ich schließe meine Augen, ich sehe es vor mir, wie ich zu tief schnitt, wie ich durch die Straße lief, wo mich niemand beachtete. Es war etwa halb zwei gewesen, mitten in der Nacht, kein Wunder das mich niemand beachtet hat. Es war nämlich niemand da, der mich hätte beachten können!
"Du hättest mich sterben lassen sollen!" murmle ich, in diesem Moment öffnet sich die Tür und ich muss nicht einmal hinsehen um zu wissen wer das Zimmer betritt. Die schweren Schritte und der Geruch von teurem Rasierwasser ist mir sehr bekannt.
Ich will nicht mehr Atmen, ich will nicht mehr leben! Ich will sterben auf der stelle! Ich muss husten und schmecke Blut. Bitte lass mich an diesem Blut ersticken!
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