Will
Murrend zog ich die Decke über meinen Kopf. Schon viel zu früh, für meinen Geschack, hatte mein Wecker geklingelt. Gestern Abend war ich erst spät nach Hause gekommen, doch selbst als ich dann im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Zu viele Gedanken hatten mich davon abgehalten.
Gedanken über Harry und seine Freunde. Wie schön es gewesen war, mit ihnen etwas zu unternehmen. Wie wohl ich mich in dieser Freundesgruppe gefühlt hatte und wie nett jeder einzelne von den Jungs war. Ich hoffte sehr, dass ich bald wieder zu einem gemeinsamen Abend mit ihnen eingeladen werden würde.
Doch auch Gedanken über das was Harry auf dem Nachhauseweg zu mir gesagt hatte, hielten mich wach. Ich hatte mich endlich jemandem über die seltsamen Briefe anvertraut, doch statt wie vermutet eine Warnung zu hören, hatte er mir gut zugeredet. „Lass dich darauf ein, Louis.“ hatte er mir geraten, doch war das wirklich die richtige Entscheidung? Vermutlich hatte Harry Recht damit, dass der Absender schon längst entwas unternommen hätte, wenn er böse Absichten hatte. Also hatte ich nach langem Abwägen tatsächlich beschlossen, Harrys Rat anzunehmen und nicht mehr so viel darüber nachzudenken.
Nichtsdestotrotz musste ich nun langsam aufstehen, da ich meinem Onkel in der Bibliothek helfen musste. Widerwillig rollte ich mich also aus meinem warmen, kuscheligen Bett, um meinen Arbeitstag zu beginnen.
Einige Zeit später, ich hatte gerade erst die Bibliothek geöffnet, da trat auf einmal Harry durch die Tür. Ich hätte ihn gerne begrüßt, doch leider stand gerade ein älterer Mann bei der Theke und wollte einen Reiseführer bei mir ausleihen. Deswegen begnügte ich mich damit, ihm nur schnell zuzuwinken. Dies erwiderte er mit einem Lächeln, bevor er irgendwo zwischen den Bücherregalen verschwand.
Gerade war der alte Mann durch die Tür verschwunden, da ertönte ein polterndes Geräusch. Ich zuckte erschrocken zusammen. Es hatte sich angehört, als wären mehrere Bücher aus einem Regal gefallen. Schnell lief ich durch den Raum, bis ich Harry entdeckte, der hilflos zwischen den Sachbüchern stand. Einige Exemplare lagen vor seinen Füßen auf dem Boden.
„Alles in Ordnung?“ fragte ich besorgt, bevor ich mich hinkniete und anfing, die Werke aufzusammeln. „Ich wollte nur ein Buch von dort oben.“ erklärte Harry und zeigte auf eine Stelle an der jetzt eine Lücke war. „Aber ich hab wohl nicht richtig aufgepasst. Tut mir Leid.“ meinte er schuldbewusst, während er mir mit den hinunter gefallenen Büchern half.
„Ist nicht so schlimm. Was machst du überhaupt hier? Müsstest du nicht gerade in irgendeiner Vorlesung sitzen?“ wollte ich interessiert wissen, doch Harry winkte nur ab. „Meine nächste Vorlesung ist erst in einer halben Stunde. Aber ich schreibe nächste Woche eine Prüfung in Literaturgeschichte, deswegen wollte ich mir hier noch ein Buch dazu ausleihen.“ Passend zu seiner Aussage hielt er ein Buch über Literatur im 19. Jahrhundert nach oben.
„Wegen diesem langweiligen Buch machst du hier so einen Krach?“ scherzte ich. „Vielleicht war das ja auch Absicht, damit du dich ein wenig länger mit mir unterhältst." Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte, also blieb Harrys Antwort unerwidert und eine seltsame Spannung breitete sich aus. Je länger die Stille zwischen uns andauerte, desto unangenehmer wurde die Situation. Doch mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
„Ähm also könnte ich dann das hier ausleihen?“ unterbricht Harry schließlich die Stille, wofür ich ihm wirklich dankbar war. Kurz nickte ich, bevor ich den Weg zum Computer der Bücherei einschlug. Harry mit dem Buch unter dem Arm dicht hinter mir. Doch als ich die Theke erblickte, erstarrte ich mitten in der Bewegung, so dass er in mich hinein lief.
„Alles okay?“ fragte er mich verwirrt, doch ich zeigte nur auf das Buch, dass dort vor mir lag. Er schien jedoch nicht zu verstehen, sondern blickte mich nur verständnislos an. „Ich hab schon wieder eine Nachricht von diesem anonymen Absender bekommen.“ erklärte ich, doch Harry war noch immer misstrauisch. „Das sieht für mich aber nach einem Buch aus.“
Um es ihm zu demonstrieren, ergriff ich das Buch, es handelte sich um Pocahontas, und schlug es auf. Es dauerte nicht lange, bis mir wie gewohnt ein kleiner Zettel auffiel. Ich zog ihn heraus und hielt ihn Harry entgegen. „Siehst du, so läuft das immer ab. Ich bin einen Moment unachtsam und kurz darauf finde ich ein Buch in dessen Inneren ich eine Botschaft auf einem kleinen Stück Papier finde.“
Neugierig trat Harry einen Schritt näher. „Los, jetzt ließ ihn schon!“ forderte er mich auf und blickte mir über die Schulter, während ich begann die Nachricht leise vorzulesen. „Sometimes the right path is not the easiest.“ Dann faltete ich den Zettel auseinander, um den Text auf der Innenseite ebenfalls vorzulesen.
„Der richtige Weg wäre dir gegenüber zu treten, statt mich hinter geheimen Botschaften zu verstecken. Doch genau das ist auch der schwerste Weg. Ich habe Angst du könntest mich zurückweisen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als dir weiterhin zu schreiben. Bis ich irgendwann den Mut aufbringe, dir zu sagen wer ich bin xH.“
Noch ein zweites Mal überflog ich den Text, um die Bedeutung richtig zu realisieren. H wollte sich mir zeigen, doch traute sich nicht. „Wenn ich H doch nur eine Nachricht zukommen lassen könnte... Ich würde die Person gerne einmal treffen.“ überlegte ich laut.
„Ich muss jetzt wieder zur Uni zurück, aber was hältst du davon, wenn wir uns morgen auf einen Kaffee treffen und nochmal über alles reden. Vielleicht fällt uns ja dann etwas ein, wie wir deinem H eine Nachricht zukommen lassen können.“ schlug Harry vor und ich nickte begeistert. Das war eine gute Idee. Vielleicht hatte er ja auch eine Idee, wer H sein könnte, denn er kannte deutlich mehr Leute hier in London als ich.
Schlampig krizelte Harry also seine Handynummer auf einen Block. „Schreib mir, dann können wir ausmachen, wo wir uns morgen treffen.“ Zum Abschied umarmte er mich kurz, bevor er sich in Eile aufmachte, um noch rechtzeitig zu seiner Vorlesung zu gelangen.
Mit neuer Hoffnung, endlich herauszufinden wer hinter H steckte, drückte ich das Pocahontas-Buch an mich und lächelte bei dem Gedanken an die Worte auf der heutigen Botschaft. Vielleicht würde ein Treffen zwischen H und mir schon bald Realität.
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