Kapitel 6

Harry POV

Wie kann man nur so viel Pesch an einem Tag haben? Das wird bestimmt nicht gut ausgehen. Caro geht in die Küche, auch wenn sie sich in diesem Haus nicht auskennt, man konnte hören, wo das Geräusch des kaputten Glases herkam. Ich laufe ihr nur hinterher und versuche relativ unauffällig zu sein. Ich sehe wie meine Mutter auf dem Boden hockt und versucht, die Scherben einzusammeln, was ihr nicht gerade gut gelingt. Sie ist schon etwas angetrunken, das sehe ich ihr an.

"Alles okay? Kann ich ihnen helfen?", will Caro wissen. Meine Mutter schaut erschrocken nach oben, wahrscheinlich hat sie nicht mitbekommen, dass wir schon länger an der Tür stehen. Zuerst sieht sie Caroline verwundert an, doch dann entdeckt sie mich und ihr Blick wird dunkler. Wenn sie mich jetzt auch nur ansatzweise beleidigt oder eine nicht so schöne Bemerkung macht, wird man direkt merken, dass bei uns etwas nicht stimmt. "Was stehst du da noch rum? Komm her und räum die Scherben weg!" Zweimal lass ich mir das nicht sagen, nicht, dass ihre Laune noch schlechter wird. Ich hocke mich also auf den Boden und fange an, vorsichtig die Scherben wegzuräumen.

Meine Mutter wirft die Scherben, welche noch in ihrer Hand liegen, neben mich und läuft auf Caro zu. "Sie können doch nicht ihren Sohn so anmeckern, er kann doch nichts dafür. Was, wenn er sich jetzt verletzt?", wendet Caro entsetzt ein. "Ach nein, er hilft mir doch gerne."

"Aber Miss Styles, er-"

"Seine Hände sind kleiner als meine, also wird ihm nichts passieren."

Caro sieht sie leicht verwirrt an, wahrscheinlich, weil sie diese Aussage nicht versteht - die Logik. Ich verstehe sie auch nicht, aber halte lieber meinen Mund, man mischt sich nicht in eine Unterhaltung ein, auch nicht, wenn es zu einem Streit werden könnte. Das hat mir mein Vater immer gesagt, als ich noch jünger war. Drei Tage nach meinem 11. Geburtstag ist er gestorben. Ich weiß nicht woran, meine Mutter hat es mir nie erzählt, aber er kam eines Tages nicht mehr nach Hause. Vielleicht will ich es aber auch gar nicht wissen. Ich würde nur noch trauriger sein und um ehrlich zu sein, habe ich ihn die letzten Jahre eigentlich ganz gut verdrängt.

Durch eine nasse Flüssigkeit an meinen Fingern werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich blicke auf meine rechte Hand und sehe, wie das Blut aus meiner Handinnenfläche auf den Boden tropft. Erst jetzt spüre ich den Schmerz aufkommen. Es ist ein stechender Schmerz und meine Hand fühlt sich an, als würde sie brennen. Als ich einen zischenden Laut von mir gebe, drehen sich beide zu mir und Caro rennt auf mich zu.

"Harry, geht's dir gut? Tut es sehr weh?", fragt sie mich, als sie sich vor mich hockt und meine verletzte Hand genauer anschaut. Als ich die Frage immer noch nicht beantwortet habe, packt sie mich sanft am Oberarm an und hievt mich auf die Beine. Ich höre nur noch wie mir gesagt wird, dass ich ins Badezimmer gehen soll und werde dann langsam aus der Tür geschoben. Ich starre noch immer auf die stark blutende Wunde und mir wird leicht schwindelig, als ich sehe, dass die Scherbe in meinem Fleisch steckt. Ich öffne die Tür und setze mich auf die Badewanne, damit mein Kreislauf wieder etwas runterkommt.

Nach einiger Zeit nehme ich schnelle, gedämpfte Schritte wahr und plötzlich wird die Tür aufgestoßen. Mein Blick liegt auf der Verletzung, jedoch sehe ich im Augenwinkel, wie sich Caro vor mich hockt. Sie nimmt meine Hände in ihre und sagt, ich soll ihr in die Augen schauen, also tat ich das - nach einer kurzen Verzögerung - und sie lächelt mir beruhigend entgegen. Immer noch meine Hand haltend greift sie rechts neben sich in einen kleinen Verbandskasten und holt eine Pinzette raus. "Das könnte kurz etwas wehtun...", meint sie und setzt vorsichtig an. Ich zucke zusammen, als die Glasscherbe leicht bewegt wird. "Tut mir leid. Ich weiß, dass es wehtut. Ich mach ganz langsam, okay?" "Geht schon...", erwidere ich.

Jetzt sitze ich auf meinem Bett und starre auf den Verband, welcher vielschichtig um meine Hand gewickelt wurde. Kurze Zeit später kommt Caroline ins Zimmer und setzt sich neben mich. Für knapp zwei Minuten haben wir nichts gesagt, aber dann fragt sie mich: "Ist das öfter so mit deiner Mutter?" Ich weiß nicht, was ich antworten soll, aber ich glaube, mein leichtes Nicken hat gereicht. Mein Kopf ist noch immer gesenkt und ich möchte ihr auch nicht in die Augen sehen. Es ist mir einfach peinlich, wenn ich nicht viel Gutes über meine Mutter sagen kann. Plötzlich spüre ich ihren Arm um meinen Körper und sie legt ihren Kopf auf meine linke Schulter.

"Soll ich heute hier schlafen?"

"Du musst morgen wieder auf Arbeit." Caro muss leicht schmunzeln. "Ich kenne meinen Arbeitsplan", versichert sie mir spaßig. Ich muss auch leicht lächeln und schaue sie an. Mit einem fragenden Blick sieht sie zu mir und wartet auf meine Antwort. "Ist wirklich lieb, aber du solltest vielleicht lieber nach Hause gehen... Ist wirklich nicht böse gemeint." Das letzte habe ich noch schnell hinzugefügt, weil es doch ein bisschen unhöflich von mir war, sie einfach nach Hause zu schicken. Sie schaut mich lächelnd an und sagt, dass es vollkommen okay ist, wenn ich es nicht möchte.

"Naja", sagt sie und steht auf. "Ich mach dann mal los. Wir sehen uns wahrscheinlich morgen oder?" Ich nicke und lächle ihr leicht zu. Dankbar für ihr Verständnis und ihre Hilfe. An der Tür angekommen, hält sie sich am Rahmen fest und dreht sich noch ein letztes Mal um. "Louis hat morgen auch seinen ersten Tag, du weißt schon, Probetag und so.", sagt sie und muss leicht schmunzeln. "Vielleicht seht ihr euch ja auch mal und kommt ins Gespräch." Ich schaue überrascht nach oben. "Louis?", frage ich leicht verwirrt. Caro sieht mich mit einem breiten grinsen an. "Unser neuer Auszubildender, von dem ich dir schon mal erzählt habe, erinnerst du dich?" Nach einem kurzen Moment nicke ich, auch wenn ich mich nicht mehr ganz so genau erinnern kann. "Naja, ich gehe jetzt wirklich lieber nach Hause, muss morgen wieder früh raus. Wir sehen uns." "Wir sehen uns", gebe ich fast flüsternd von mir.

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