Kapitel 3

Harry POV

"Oops", gebe ich kleinlaut von mir. Kurz nachdem wir zusammengestoßen sind, fallen jetzt auch noch zu meinem Pech die bedruckten Blätter aus seiner Hand. Toll gemacht, Harry. Jetzt wird er bestimmt sauer auf dich und schreit dich an. Mit diesen Gedanken bücke ich mich mit gesenktem Blick, weil ich mich nicht traue, ihn anzuschauen. Zu ängstlich davor, in ein wütendes Gesicht zu sehen. Ich hocke jetzt auf dem Boden und versuche alle Blätter halbwegs ordentlich einzusammeln und nichts weiter kaputt zu machen. Er steht einfach nur da und ich spüre seinen Blick auf mir. Vor Angst, die wichtigen Unterlagen zu zerknittern, kommen mir die Tränen. Jetzt hockt sich auch der junge Erwachsene vor mir hin und sammelt sein Material ein. Niemand sagt etwas. Als das geschafft ist, stehen wir beide fast gleichzeitig auf. Ich hebe meinen Kopf ganz langsam, etwas ängstlich vor seiner Reaktion. Ich habe Angst, dass er jetzt laut werden würde. Zu meiner Verwunderung aber, hat er ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

"Hi!", sagt der braunhaarige und ich dachte, so etwas wie Erleichterung in seinen Augen zu sehen. Wieso sollte er erleichtert sein? Dass ich ihn endlich anschaue, weil ich ja die ganze Zeit meinen Blick auf den Boden gerichtet hatte? Keine Ahnung, aber ich glaube, er wird noch erleichterter sein, wenn er seine Papiere - für die Bewerbung, wie ich durch kurzes drüberlesen erfahren habe - zurück in seinen eigenen Händen hat, also gebe ich ihm die restlichen Sachen und schaue dann wieder peinlich berührt auf den Boden zurück.

"Tut mir leid.", flüstere ich, denn zu mehr war ich nicht im Stande. Ich vermeide jeglichen Blickkontakt. Als er nichts mehr zu meiner Bemerkung sagt, entscheide ich mich, schnellen Schrittes an ihm vorbei und nach Hause zu gehen. Ich höre nur noch ein leicht verstummendes Hey warte mal, welches der junge Mann mir noch hinterhergerufen hat, doch ich laufe einfach weiter.

Vor meiner Tür angekommen, macht sich mein Asthma bemerkbar. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich förmlich gerannt bin, um aus dieser unangenehmen Situation an der Bibliothek zu entkommen. Nach ein paar Sekunden durchatmen nehme ich den Schlüssel aus meiner Tasche und stecke ihn mit einem etwas mulmigen Gefühl ins Schloss, um ihn dann kurz nach rechts zu drehen. Das leichte klicken ertönt und ich betrete das Haus. Die Tür schließe ich leise hinter mir und kurz danach hört man auch schon das Lachen meiner Mutter, welches durch die unterste Etage schallt. Eine weitere Stimme ertönt und jetzt weiß ich, dass der Besuch noch da ist.

Meine Beine bewegen sich nur langsam voran, um so wenig wie möglich aufzufallen. Fast am Wohnzimmer vorbei, bin ich ganz froh, dass ich bis jetzt noch kein Geräusch von mir gegeben habe, doch dann verschwindet der kleine Hoffnungsschimmer auch schon wieder.

"Harry, komm mal her!" So ein Mist. Sie muss mich gesehen haben, weil ich könnte schwören, ich habe nicht einen Mucks gemacht. Vorsichtig drehe ich mich zu meiner Mutter hin und schaue sie, immer noch im Flur stehend, an. Sie lallt die Worte vor sich hin, das heißt, dass sie wieder mal betrunken ist und ihre Freundin daneben schaut mich einfach nur mit einem undefinierbaren Blick an. Nach einem kurzen Seufzer begebe ich mich ins Wohnzimmer und stelle mich in einem angemessenen Abstand vor die Couch, wo die zwei gemütlich draufsitzen - fast schon liegen. Auf dem kleinen Glastisch, schräg neben mir, stehen erneut viele Alkoholflaschen. Wahrscheinlich sind sie alle, bis auf eine oder zwei, leer, doch ich kann es durch das verdunkelte Glas nicht genau erkennen.

Mit einem fragenden und auch etwas ängstlichen Blick schaue ich sie an. "Wo bist du gewesen?", fragt mich meine Mutter mit einem strengen Unterton. Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Sauer wird sie so oder so sein, also was soll's. "Ich war in der Bibliothek." Es klingt eher wie eine Frage als eine feste Antwort, aber ich bin schon immer so zurückhaltend gewesen - besonders bei meiner Mutter. Ich will ja schließlich nichts falsch machen. Sie schaut mich abwertend an, zieht ihre rechte Augenbraue leicht nach oben und sieht mir stumm in die Augen. Nach ein paar Sekunden ergreift sie jedoch wieder das Wort.

"Na wird's bald?" Sie schaut einfach zurück zu ihrer blonden Freundin. Ich erkenne das Zeichen, verschwinde schnell die Treppe nach oben und dann in meinem Zimmer. Ohne lange zu zögern ziehe ich mir auch schon mein dunkelroten Pullover aus und kurz darauf stehe ich nur noch in meiner schwarzen Skinny Jeans da. Ich schaue stumm an mir herunter und lege meine Hände sachte um meinen Bauch. Nach dem aufschauen gehe ich auf meinen Spiegel zu, welcher and der rechten Schranktür hängt, und schaue etwas unzufrieden auf meinen Körper. Ich drehe mich leicht nach links, ziehe kurz meinen Bauch ein, jedoch schaue ich dabei immer noch in den Spiegel. Meine eingeatmete Luft verlässt meinen Körper wieder und ich drehe mich traurig um, damit ich mich nicht mehr sehen muss. Warum kann ich nicht auch dünn sein?

Um nicht weiter im Selbstmitleid zu versinken, ziehe ich schnell meine Hose aus und gehe in Boxershorts in mein kleines Badezimmer. Dort putze ich gründlich meine Zähne und wasche mein Gesicht mit lauwarmen Wasser. Ich bin schon fast gezwungen, in den Spiegel über dem Waschbecken zu schauen, aber zum Glück sehe ich nur mein Gesicht und etwas von meiner Brust. Schnell fahre ich mit den Fingern durch meine Haare, denn kämmen kann ich diese Locken nicht, sonst sehe ich danach aus wie ein Pudel. Mein Blick schweift nach links auf die Fliesen und ich sehe die Waage. Eigentlich würde ich schon gerne wissen, wie viel ich wiege, also schalte ich sie schnell ein, und stelle mich drauf. 58 kg. Für meine Größe ist das eigentlich ein gutes Gewicht. Ich bin 1,66 m groß und somit im Normalgewicht, aber warum habe ich dann keinen flachen Bauch? Alle Jungs aus meiner Klasse haben ein Sixpack und sehen total sportlich aus. Mein Körper dagegen sieht etwas träge und einfach nicht so gut aus. Vielleicht mögen sie mich deswegen nicht? Vielleicht finden sie mich zu dick?

Das hat ja gut geklappt mit dem: Nicht weiter im Selbstmitleid versinken. Ich verlasse das Bad und öffne die Tür zu meinem Zimmer, welche nur leicht angelehnt ist. Etwas bedrückt hebe ich meine Sachen vom Boden auf und werfe sie in mein Wäschekorb. Einen Tag angezogen und schon dreckig, weil ich - wie jeden Tag - in der Schule oft geschubst werde und mich einfach nicht auf den Beinen halten kann. Ich bin so ein Schwächling, dass es schon peinlich wird.

Kraftlos lass ich mich auf mein Bett fallen und ziehe mir die Decke über meinen Körper. Jetzt geht mir das in der Schule nicht mehr aus dem Kopf. Am Montag werden sie wieder ankommen und mich fertig machen. Sie werden mich fragen, ob ich Angst habe und ich werde erneut kein Wort sagen können. Ihre großen und starken Körper schüchtern mich ein, wenn sie genau vor mir stehen. Allein ihre Namen klingen schon gefährlich. Zayn und Liam. Schon etwas gruselig. Sie sind nicht die einzigen, die mich fertig machen. Das tut fast die ganze Schule, jedoch sind sie die schlimmsten. Zum Glück ist morgen Samstag und ich hoffe, Caro kann mich etwas ablenken. Mit diesen Gedanken falle ich in einen tiefen Schlaf.

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