1

⠀⠀⠀Paris, 1951
Ich reiste nach Paris,
um an der Kunstausstellung in
der Lille Grand Palais teilzunehmen.

⠀⠀
⠀⠀



Die Welt dreht sich.

Jeden Tag, natürlich, das weiß jeder. Es existiert ein Rhythmus, ein gleichmäßiger Herzschlag, welcher nicht von seinem Weg abweicht. Und gerade merke ich umso mehr, in was für einer unbeschreiblichen Lage ich mich befinde.

Menschen laufen an mir vorbei, um mich herum. Sie streifen meinen kleinen Koffer und eilen ihrem Weg nach, hier, auf der Champs-Élysées. Der Wind erfasst meinen Mantel, jagt die Frische unter meine Kleidung und beschert mir eine kribbelnde Gänsehaut.

Ich habe mich verlaufen, denke ich mir. Keine Ahnung, wohin ich gehe. Meine Karte mit Wegweisung habe ich verloren und die Angst, jemanden anzusprechen, sitzt zu tief. Mein Französisch ist schlecht, und dennoch muss ich vorankommen. Irgendwie. Kann ich Hilfe suchen?

Meine Schritte werden langsamer, die Menschen machen einen großen Bogen um mich. Ich bemerke ihre Blicke, höre ihr Aufseufzen, manchmal stoßen sie auch gegen mich. Dann fluchen sie, aber ich verstehe nicht, was sie sagen. Wo ist nur mein Hotel? Vielleicht muss ich einfach weiter laufen und kann auf dem Weg jemanden finden, der mich versteht.

Den Griff meines Koffers umklammere ich unsicher, meine Hände schwitzen und ich betrachte die Straße vor mir. Sie ist lang, ich überlege, ob ich weitergehen oder wieder umkehren soll. Irgendwo anders hin, wo mich die Masse nicht erdrückt.

Etwas berührt mich an der Schulter, wahrscheinlich eine Hand. Ich drehe mich um, erschrocken, sehe meinem Gegenüber in die Augen. "Salut, qu'est-ce que vous cherzchez?" Sein Blick ist fragend, meiner wahrscheinlich überfordert. Ich stocke, will etwas sagen, aber ich habe meine Zunge verschluckt. Der Mann lächelt, meine freie Hand beginnt zu zittern.

"Pardon, tut mir leid, ich kann dich leider nicht verstehen." Seine Augenbrauen heben sich.

"Tu ne sais pas où aller, hm?"
"Ich- ich weiß nicht was du meinst..."

Den Koffer ziehe ich näher an mich heran, dass mich jemand anrempelt, bekomme ich gar nicht mit. Ich stolpere nach vorne, lasse dabei den Griff los und der junge Mann fängt mich auf. Mein Gesicht streift seinen Kragen, ich rieche sein sanftes Parfüm und den Duft von frischer Wäsche. Ich höre ihn leise auflachen, während ich mich versteife und meine Wangen knallrot werden. "Tout va bien? Je suis désolé, les gens ici sont un peu impolis."

Er drückt mich von sich, streicht den Stoff an meinen Schultern glatt und hebt den Koffer auf, schiebt ihn zu mir. Beschämt senke ich Kopf, reibe über mein Gesicht und muss dann leise lachen. Diese Situation ist so absurd und doch kann ich nicht anders, als es zu belächeln. Meine Wangen brennen noch immer, als ich meinen Kopf wieder hebe und in sein grinsendes Gesicht sehe.

"Tut mir leid, das war nicht meine Absicht." Sein Lächeln nimmt ab, bis seine Mundwinkel nur noch leicht angehoben sind. "Même si nous ne nous entendons pas, j'aimerais quand même faire votre connaissance. Avez-vous le temps en ce moment?"

Fragend sehe ich ihn an, weiß nicht genau, wie ich reagieren soll. "Was meinst du?" Er seufzt laut, scheint frustriert darüber zu sein, dass wir nicht dieselbe Sprache sprechen. Dann zeigt er mit seinem Finger auf etwas hinter mir. Ich drehe mich um, folge mit meinem Blick der Richtung, in die er zeigt. Das, was er meint, scheint ein Restaurant zu sein. Café Di Roma. Hat er mich gefragt, ob ich hungrig bin? Will er mir zeigen, wo man etwas zu essen finden kann?

Ich drehe mich zu ihm um, unsere Blicke treffen sich. Etwas in mir kribbelt, lässt es in meiner Brust ganz warm werden. Schnell stecke ich meine Hände in die Manteltaschen, krame etwas in ihnen herum und ziehe einen schwarzen Stift heraus.

Kurz zögere ich, trete einen Schritt auf ihn zu und nehme seine Hand in meine. Den Ärmel ziehe ich etwas hoch, male zwei Tassen Kaffee auf seine Hand. Ich blicke zu ihm hoch, seine Augen liegen auf meiner kleinen Zeichnung, der Blick wird sofort weich und er schmunzelt dann. "Alors tu veux boire du café?"

Breit lächelnd nicke ich auf seine Worte hin. Immerhin scheint er es verstanden zu haben, denn ich weiß ja, was café bedeutet. Er greift nach meiner Hand, beginnt mich dann durch die Menge zu ziehen. Ich kann noch gerade so meinen Koffer schnappen, ehe ich in der Masse an Menschen verschwinde. Ich stoße gegen sie, sie stoßen gegen mich.


Vielen Dank an die große Hilfe von Wacrie bei diesem Projekt!!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top