Strafe
Sie war umhüllt von Schwärze. Der Boden unter ihren Füßen wurde zu einem rauen Stein und die Luft war verpestet vom Geruch von Pisse und totem Tier. Stoff schlang sich um ihren Mund und sie wurde ruckartig zurückgezogen. Ihr Schädel knallte gegen etwas Hartes. Über ihr verlief die Decke schräg nach oben und es wurde immer enger, je weiter sie nach hinter rutschte. Der Raum, in den sie gesperrt worden war, erschien ihr winzig, obwohl sie ihn in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Kaum größer als eine Verließzelle.
Ein raues Material wurde ihr um die Hände gewickelt, die sich hinter ihrem Rücken befanden und dann festgezogen. Zu ihrer Rechten berührte sie die Wand. Sie versuchte, sich nach links zu wenden, doch ohne Verzögerung ging ein Pochen durch ihren Kopf. Sie hatte sich an etwas gestoßen. Die Frau
hörte schwerfällige Schritte auf einer Treppe, die sie nicht zu erreichen vermochte. Das Knallen einer schweren Türe erstickte sie in purer Angst und Einsamkeit, während sie jede Orientierung verlor.
Es war unsagbar kalt und enger als in jedem Bett, auf dem sie sich je zusammengekauert hatte. Ein Wimmern entkam ihrer Kehle, doch wurde es von dem Knebel in ihrem Mund aufgehalten. Bewegungsunfähig und stumm fühlte sie sich furchtbar hilflos. Alles was ihr gegönnt wurde, waren wenige Fingerbreit, die sie ihren Körper verschieben konnte, während sie auf ihr ungewisses Schicksal wartete.
Sie hatte Zeit über alles nachzudenken, was ihr passiert war. Eine logische Erklärung dazu, kam ihr dabei nicht in den Kopf. Mittlerweile zweifelte Sie an ihrem eigenen Verstand. Ob es die zermarternde Angst vor dem war, was hierauf folgte, oder die blanke Verzweiflung ihrer Situation gegenüber, war dabei nicht von Bedeutung. So oder so gelang es ihr keinen klaren Gedanken zu fassen. Keinen, außer einen: Niemand würde sie retten kommen.
Als eine von vier Töchtern und sieben Kindern insgesamt, war sie es nicht mal wert nach ihr zu suchen, wenn sie von Zuhause abgehauen wäre. Doch das war sie nicht. Sie war an diesem abstrusen Ort aus einem Grund, aber immer, wenn sie ihre Gedanken erforschte, um jenen zu finden, weigerte sich etwas in ihr. Ein Teil von ihr, den sie schon verdrängt hatte, als sie durch die Türe geschritten war. Oder war es eine deutlich tiefer liegende Verblendung?
Mit ihrem einzigen zielgerichteten Gedanken griff sie nach einem letzten Halm der Hoffnung und erinnerte sich daran, wo sie sich aufhielt. Vor ihr befand sich eine Fluchtmöglichkeit, welche sie lediglich erreichen musste. Das war leichter gesagt als getan, den Umständen gegeben, dass sie kaum Bewegungsfreiheiten hatte.
Sie versuchte die Wand über ihr zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn sie schon nicht stehen konnte, würde sie eben kriechen. Die Bäuerin winkelte ihre Beine an, während sie das Gewicht nach vorn verlagerte. Sich an der Schrägwand abdrückend, zog sie an dem Seil, dass ihr um die Hände gewickelt worden war. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass es lockerer wurde. Sie gewann an Spielraum.
Auf dem eisigen Boden nach vorn robbend, stieß sie bald auf ein Limit. Weiter kam sie nicht, selbst mithilfe von größerem Kraftaufwand, der Schmerzen an ihren Handgelenken verursachte, wo der Knoten immer fester zuzog. Es reichte trotz allem aus, um durch ein kleines Loch hindurchzuspähen. Unter dem Bilderrahmen war ein schmaler Spalt, durch den sie in den Speiseraum sah. Sie erstarrte.
Dort vor der frisch gedeckten Tafel stand eine Frau mit struppigen schwarzen Haaren, die ihr bis zur Hüfte hingen. Sie war gekleidet in dreckige Leinen und hatte nicht einmal Schuhe an. Die Fremde betrachtete das Essen nachgiebig. Voller Panik versuchte die Bäuerin nach ihr zu rufen oder die Wand zu erreichen, doch beides gelang ihr nicht. Es war aussichtslos.
Während ihr die Tränen in die Augen schossen, kam ihr ein anderer Gedanke. Wenn sie schon nicht sich selbst helfen konnte, wollte sie wenigstens diese Frau vor demselben Schicksal bewahren.
In einem Anflug von Mut und Überschwang, kroch sie zurück, ging auf die Knie und rammte ihren Kopf so heftig gegen die Steinwand hinter sich, dass es eine kleine Erschütterung gab. Ihr wurde schwindelig. Benommen tastete sie sich erneut vorwärts, um durch die Lücke unter dem Bild hindurchzulugen.
Ein kaltes Ziehen wanderte durch ihren ganzen Körper, als sie das Gesicht der Frau erkannte, welche sich soeben in ihre Richtung gedreht hatte. Die Fremde starrte nur an ihr vorbei aber das genügte schon. Zwar hatte die Bäuerin nicht oft in ihrem Leben ihr eigenes Gesicht gesehen, da sie keinen Spiegel besaß, aber wann immer sie auf das Wasser eines nahen Sees hinabblickte, wurde sie genauso angesehen wie in diesem Augenblick. Es waren ihre Augen, die sich weiteten und das gleich zweimal.
Die Hand des Ungetüms packte sie am Kopf und riss sie aus ihrer Schockstarre.
Das Seil war urplötzlich von der Wand gelöst worden und sie konnte sich für einen Herzschlag lang bewegen. Dann erstarb jede Regung in der steinharten Umklammerung der Bestie. Sie hatte keine Möglichkeit, gegen die pure Muskelkraft des Wesens anzukommen, welches sie durch die Kammer zur Tür zerrte. Abermals verlor sie die Orientierung.
Als sie ihre Zehen erneut den Boden berührten, wusste sie, wo sie sich befand. Die Füße der Frau schlugen gegen die Treppe und einer ihrer Nägel knickte ab. Ihr Schmerzensschrei wurde vom Stoff aufgefangen, der mittlerweile durchtränkt von Spucke und Schweiß war. Sie war von sich selbst angewidert. Von sich und diesem süßlichen Gestank der Verwesung in der Luft.
Die Bestie zog sie weiter an ihren Armen voran. Während sie versuchte, ihr Gesicht vom Boden abzuwenden, um nicht mit der Nase darüber zu schleifen, grunzte es und griff stärker zu. Dann kam alles zum Halten. Sie wurde unsanft aufgerichtet. Mit einer gewaltigen Hand riss ihr das Wesen die Kleidung vom Leib, während es sie mit der anderen um den Hals festhielt. Die Leinen rissen, als ginge ein heißes Messer durch Butter hindurch. Sie war vollkommen machtlos.
Eine animalische Pranke umklammerte ihre Hüfte und die andere ihren Kopf, dann hob sie vom Boden ab. Schlagartig war sie von eiskaltem Wasser umgeben, dass ihr in den Mund und in die Nase schoss. Sie zappelte mit den Beinen und versuchte die Augen offen zu halten. Verschwommen nahm sie ein steinernes Becken wahr. Bevor sie darüber nachdenken konnte, was mit ihr passierte, wurde sie wieder hochgehoben.
Ihr nasser Körper wurde auf ein hartes Holzbrett gelegt. Dann spürte sie etwas Raues an ihren Beinen. Es war eine Bürste, so groß wie ihre Handfläche. Ihre langen Borsten bohrten sich in das Fleisch der gebrechlichen Frau, die sich nicht zu wehren vermochte. Das Essen lag ihr schwer im Magen, was es ihr nicht gerade erleichterte, sich den Strapazen zu widersetzen.
Die übermächtige Kreatur bearbeitete sie schonungslos, wie ihr Vater Tierhaut schrubbte, um sie zu Leder zu verarbeiten. Gründlich bewegte sich die Bürste über ihren gesamten Körper. Es erinnerte sie daran, wie sie in der Heimat Fische geschrubbt hatte. Nicht weit von ihrem Haus hatte es einen Bach gegeben, wo ihr Vater Netze ausgelegt hatte. Der Fang war von ihr darauf gereinigt und ihrer Mutter für den Verkauf am Markt überlassen worden.
Wenn sie nicht tot waren, hatten sie genauso gezittert, wie sie in diesem bitterkalten Wasserbad. Manche sogar selbst nach ihrem Tod. Dann lagen sie still da. Atemlos wie zuvor und scheinbar schlafend, ihre toten Augen nach vorn gerichtet.
Dies ging ihr durch den Kopf, als sie aufhörte sich dagegen zu wehren. Ob es reine Kraftlosigkeit war oder die stille Hoffnung, dass es ein Ende fand, wenn sie sich totstellte, wusste sie selbst nicht.
Als das konstante Ziehen in ihren Gliedmaßen endlich aufgehört hatte, atmete sie durch. Dabei blieb ihr nicht Mal jener kurze Augenblick. Das Monster richtete sie prompt auf und hob sie an ihren Armfesseln in die Höhe. Diese bohren sich in ihre Haut, während sie das heftige Schnauben des Ungetüms in ihrem Gesicht spürte. Die geschundene Frau traute sich nicht, die Augen zu öffnen.
Immer weiter und weiter wurde sie angehoben, bis das Wesen sie losließ. Ihr Körper schwang sanft im Rhythmus ihres Herzschlags und sie sah nach oben. Dort war der Knoten des Seiles auf einen Haken gespießt, der ihre Arme fesselte. Ihr ganzes Körpergewicht zog an ihren Gliedmaßen und sie spürte, wie sich diese anfühlten, als könnten sie jeden Augenblick abreißen. Das Ziehen wurde immer intensiver und erst im letzten Moment vor der erlösenden Ohnmacht von einem Gefühl der Taubheit abgelöst.
So hing sie da, in einem leeren Raum, der einer Schlachtbank anmutete und so unerträglich stank, dass sie sich am liebsten übergeben hätte. In diesem Fall wäre sie wegen des Knebels an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt. Ein Tod, der ihr weit besser gefiel als das, was sie erwartete. Ihr war klar, wie dies enden würde und alles, was ihr blieb, war sich ein schnelles Ableben zu wünschen.
Sie dachte an ihre Eltern und eine seltsame Melancholie befiehl sie, als hätte sie diese seit Jahren nicht gesehen. Ihr Vater saß im Sonnenschein auf der Wiese und erholte sich von der anstrengenden Arbeit. Der Wind wehte durch seine langen erdbraunen Haare. Er rief nach Frau und Tochter, da er mit ihnen speisen wollte. Keine Worte entwichen dem von einem mächtigen Vollbart umrundeten Mund. Ihre Vorstellung bröckelte. Die Bäuerin erinnerte sich daran, wie sie das Feld gepflügt und in der Taverne bedient hatte, doch all diese Erinnerungen waren voller Lücken. Dumpf und wie aus weiter Ferne, rief ein Mann nach ihr. Sie hatte seinen Namen vergessen und er den ihren. Sogar sie wusste ihn nicht mehr.
Ihr Körper hörte auf zu schwingen und es lag kein Gefühl mehr in ihren Armen. Ein Kitzeln, als würden tausende Läuse darüber laufen, breitete sich oberhalb ihrer Schultern aus, während sich ihre Füße so schwer anfühlten wie Felsblöcke. Alsdann ertönte ein Stampfen auf dem Steinboden.
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