Unter dem Berg

Wir blickten direkt auf die graue Felswand, von der richtige Wassermassen wie bei einem Wasserfall herunterprasselten. Es war echt unfassbar, wie heftig der Regen hier war. Da die Felswand hier zudem fast senkrecht stand, konnten wir dort unmöglich hinaufgehen. Daher gingen wir um den Berg herum, um eine Stelle zu finden, an der ein Weg nach oben führte. Und tatsächlich fanden wir Stufen, die am äußersten Rand des Berges zur Spitze heraufführten. So verlief der Weg kreisförmig nach oben. Nachtschweif warnte mich beim Gehen: "Bitte sei vorsichtig, Lia. Hier ist es sehr rutschig." Ich verschränkte daraufhin meine Arme, um ihm zu zeigen, dass ich das schon selbst gewusst hätte. Immerhin war ich kein Kleinkind mehr. Das Positive am Weg war außerdem, dass er größtenteils aus Gestein bestand und nicht aus Erde, sodass der Weg nicht vom Regen hinfortgespült wurde. Einige Zeit verging und obwohl man wegen der schlechten Sicht nicht weit sehen konnte, verriet uns der immer stärker werdende Wind, dass wir schon einige Höhenmeter zurückgelegt hatten. Allerdings zehrte der nicht ganz sanfte Aufstieg an meinen Kräften, sodass ich immer mehr keuchte. Immerhin war ich in den letzten Tagen einige Meter gegangen, was an meinem Körper nicht spurlos vorbeizugehen schien. Da halfen auch die Beeren, die ich zuletzt im Vulkan gegessen hatte, nichts. Dann sah ich etwas, was links von uns an der Felswand stand: Ein kleiner Strauch, der komplett schwarz war und sämtliches Laub verloren hatte. Nachtschweif bemerkte es nun auch und meinte: "Du meine Güte. Der muss vom Blitz getroffen worden sein." Dabei musste ich nun nach oben zum Himmel sehen. Es war wie ein Feuerwerk. Ohne Pause leuchtete der Himmel im Sekundentakt auf. Es war unglaublich, aber zugleich auch beängstigend. Ich sagte, während ich immer noch besorgt nach oben sah: "Glaubst du, dass es uns auch erwischen könnte?" Eigentlich war mir die Antwort selbst klar, aber ich wollte trotzdem, auch wenn es eine Lüge sein würde, etwas Beruhigendes hören. Nachtschweif, der jetzt selbst das Gewitter musterte, sagte dann lediglich mit einer sorgenvoller Stimme: "Lass es uns lieber so schnell wie möglich hinter uns bringen. Je länger wir brauchen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags. Komm!" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Diese mulmige Situation schien mir weitere Kraft zu geben, wodurch es nun wieder besser ging. Auch hörten wir permanent den Donner, der mit jedem Schritt lauter zu werden schien, als wollte der Berg uns sagen, dass es immer gefährlicher werden würde, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Dann stoppte Nachtschweif abrupt vor mir. In der Angst, es wäre was passiert, rief ich zu ihm: "Was ist?" Er zeigte nur mit seiner Pfote nach oben. Als ich es ihm gleich tat, blieb mir fast das Herz stehen. Direkt über uns waren die grauen, fast schon schwarzaussehenden Wolken, die sich wie ein Teppich über uns ausbreiteten. Gleich würden wir durch sie hindurchlaufen, was ein sehr bedrückendes Gefühl in mir auslöste. Waren wir wirklich so verrückt, dass wir da hindurchgehen? "Nachtschweif, ich glaube das ist keine gute Idee. Wir sollten umkehren und auf besseres Wetter warten.", bittete ich ihn. Es war die blanke Angst, die gerade in mir gesprochen hatte. Anhand Nachtschweifs Reaktion konnte ich nun sehen, dass es ihm wohl ebenso zu gefährlich war, da er nichts dagegen hatte. Dann war ein gewaltiger Knall zu hören und ich wurde von einem hellen Licht geblendet. Sofort tat ich schützend meine Hände über meinen Kopf, auch wenn mir bewusst war, dass das Unsinn war. "Nachtschweif!", schrie ich dann und sah wie verrückt um mich. Ich hörte endlich seine Stimme: "Alles gut Lia, aber schau dir nun das an." Es war der Weg direkt hinter uns. Ein mehrerer Meter großer Spalt war nun dort, was bedeuten würde, dass wir darüber springen mussten, um zurückzugehen. Und das war viel zu weit! Vorsichtig wagte ich mich zum Spalt, um zu sehen, wie tief es hinuntergehen würde, doch man sah nur ein schwarzes Loch. Jetzt hatten wir keine andere Wahl. Wir mussten unseren Weg fortsetzen, auch wenn es lebensgefährlich sein würde. Fassungslos und auch wütend über unser Pech, rief ich: "Warum muss alles immer so schieflaufen! Können wir nicht mal Glück haben?" Nachtschweif meinte nur: "Immerhin hat der Blitz nur den Weg getroffen und nicht uns." So ein Spruch war für ihn echt typisch, aber bei dem, was jetzt bevorstand, konnte er kaum ruhig bleiben. Denn nun würden wir durch das Gewitter hindurchgehen. Kurz bevor wir aufbrachen, klammerte ich mich nochmal um Nachtschweifs Hals. Auch wenn sein Fell kalt und nass war, nahm mir die Berührung einen Teil der Angst. Er flüsterte mir dabei noch zu: "Das wird schon!" Dann ging Nachtschweif voraus und schon verschwand er im Mantel der schwarzen Wolken. Diese dunkle Atmosphäre fühlte sich einfach nur gespenstisch an. Doch da ich ihn nicht mehr sehen konnte, rückte ich sofort nach, wodurch ich gegen ihn lief. "Hey, immer ganz ruhig! Wir sollten hier sehr vorsichtig gehen, da man so gut wie nichts sehen kann.", versuchte er mich zu beruhigen. So orientierten wir uns links an der Felswand, um ja nicht zu weit nach Rechts zu kommen, wo der Abgrund lauerte. Um uns leuchtete es ununterbrochen gelb auf, wie als wären tausende von Kameras auf uns gerichtet. Es blieb für mich nur zu hoffen, dass wir bald am Gipfel waren, da das nicht lange gut gehen konnte. Es war einfach wie vorhin bei der Überquerung des Sees, als uns die Remoraids und das Lanturn angegriffen haben. Es war das Gefühl der Hilflosigkeit, das mir unheimlich viel Kraft nahm. Da würde ich sogar nochmals einen Kampf gegen das Flamara-Rudel bestreiten, da wir dort das Schicksal in unseren eigenen Händen halten. Dann wurden meine Gedankengänge plötzlich von einem hellen Licht unterbrochen. Es war allerdings kein Blitz wie mir nun auffiel, sondern die Wärme der Strahlen verriet mir, dass es Sonnenlicht war! Ich traute meinen Augen nicht. Wir waren jetzt über den Wolken, wo die Sonne auf uns schien und kein Regen mehr auf uns fiel. Erleichtert ging ich in die Hocke. Den Moment musste ich aufsaugen. Auch Nachtschweif war erleichtert: "So sehr habe ich mich noch nie über die Sonne gefreut. Und schau mal! Von hier sieht man sogar den Gipfel!" Für diesen einen Moment schien wirklich alles perfekt zu sein. Wie konnten die Gefühle der Angst und der absoluten Zufriedenheit nur so nah beieinander liegen? Je mehr ich mich nun allerdings ausruhte, umso mehr wurde mir der kühle Wind bewusst, der mein Kleid hin und her flattern ließ. Deshalb gingen wir jetzt weiter, nicht dass der Wind uns noch auskühlte. Der Gipfel war auch wie Nachtschweif schon richtig gesagt hatte, nicht mehr weit. Man konnte nämlich eine goldene Statue erkennen, die auf dem Gipfel platziert war. Gespannt diese aus der Nähe zu betrachten, beschleunigten wir unsere Schritte und so kamen wir an. Der Wind wehte uns kräftig um die Ohren und die Aussicht war leider miserabel, da unter uns dunkle Wolken die Sicht nahmen. Nachtschweif sagte, wobei ich erkannte, dass er ein wenig außer Puste war: "Zum Glück sind wir nicht auf den Berg gegangen, um die Aussicht zu genießen." Es stimmte, aber trotzdem hätten wir hier ohne die Gewitterwolken bestimmt einen fabelhaften Blick auf die Mondinsel gehabt, den ich gerne gehabt hätte. Nachtschweif lief dann auf die Statue zu, die einen Blitz darstellen sollte. Das Symbol passte irgendwie hervorragend zum Berg, aber dann blickte ich erschrocken, auch wenn ich es schon erwartet hatte, auf das Danebenliegende. Raikou lag, genauso wie wir Entei vorgefunden hatten, bewusstlos am Boden. Nur schien er noch mehr Schäden vom Kampf davongetragen zu haben, da man einige offene Wunden sah. Ich sagte: "Die Gruppe von Team Diamant muss echt groß sein, wenn sie es mit so vielen legendären Pokémon aufnehmen können. Und ihre Pokémon dürften auch ziemlich stark trainiert worden sein." Nachtschweif schüttelte entsetzt den Kopf. Wie sollten wir sie nur stoppen können? Immerhin hatten wir vorhin am Strand die Gelegenheit mehr über diese Rüpel zu erfahren. Und was hatten wir erfahren? Nichts! Nur den blauen Mondstein, den ich mir jetzt nochmals im Licht der Sonne betrachtete, hatten wir vorzuweisen. Nachtschweif musste wohl meinen verzweifelten Blick gesehen haben und wollte mich auf andere Gedanken bringen: "So, und wie geht es jetzt weiter? Raikou können wir bei seinem Zustand auf keinen Fall aufwecken. Vor allem frage ich mich, wo Suicune sein soll." Das stimmte. Verdutzt sah ich mich um. Am Gipfel war nichts weiter außer der Statue und Raikou. Waren wir da völlig umsonst heraufmarschiert? Ich versuchte mich jetzt an die Worte von Entei zurückzuerinnern. Hatte er nicht von einer Unterwasserwelt gesprochen? Das müsste doch bedeuten, dass diese Welt im See gewesen wäre. Aber nachdem wir nicht tauchen, geschweige denn schwimmen können, kam das für uns nicht in Frage. Außerdem hätte Entei uns wohl kaum auf den Berg geschickt, wenn es da außer Raikou nicht noch ein bisschen mehr zu sehen gäbe. Ich sah nun zu Nachtschweif, der überraschenderweise leicht gefrustet wirkte, und sagte zu ihm: "Komm, wir sollten hier den Bereich um den Gipfel abchecken." Er winkte ab und ging stattdessen zu Raikou, um ihn irgendwie aufzuwecken. Doch da ich wusste, dass das Zeitverschwendung war, ging ich zur Statue, weil sie der einzige Gegenstand hier oben war. Vielleicht war dort ein Hinweis versteckt. So ging ich voller Hoffnung zum goldenen Blitz und betrachtete ihn nun genau. Durch die Sonnenstrahlen blendete er mich sogar, was mich aber nicht aus der Ruhe brachte. Doch nichts an ihm schien verdächtig zu sein. Als ich dann meinen Kopf schon mutlos nach unten sinken ließ, fiel mir am Sockel, worauf der Blitz stand, eine Inschrift auf, die heißt: "Bringt die Statue zum Leuchten und sie wird euch den Weg zeigen". Das musste es sein! Sofort schrie ich: "Nachtschweif, ich glaube, ich hab's gefunden!" Eine Sekunde später stand er neben mir und laß sich den Satz ebenso durch. Doch seine Freude verblasste ziemlich schnell: "Ein Rätsel? Das kann ja Stunden dauern. In sowas war ich noch nie gut." So drehte er sich weg und schien, während er im Kreis ging, scharf nachzudenken. Spontan war ich auch ziemlich ratlos, doch wenn es solche Idioten von Team Diamant schafften, wird es wohl nicht so schwierig sein. Nachtschweif schimpfte weiter: "Und vor allem was soll die Aussage "zum Leuchten bringen"? Wir können das Ding unmöglich anzünden!" Dann trat er sogar noch gegen die Statue. Ich verstand zwar nicht wirklich, warum er plötzlich so schlecht gelaunt war, aber trotzdem versuchte ich nun weiter zu überlegen. Hatte Nachtschweif wirklich recht und wir sollten die Statue anzünden? In diesem Fall konnten wir aufgeben, da wir keine Feuerattacken beherrschten. Aber irgendwie bezweifelte ich, dass dieses Material brennbar war. Wenn ich nämlich gegen das Ding klopfte, hörte ich einen Klang, wie es nur bei Metallen klingt. Wie als wäre der Blitz tatsächlich aus echtem Gold. Es musste was anderes sein. Schließlich leuchtete nicht nur Feuer. Würden dann nicht auch andere Attacken funktionieren, die leuchten? Aber keiner von uns kann doch... Moment.  Ich hatte bei diesem Gedanken ein sehr gutes Gefühl. Ich trat zurück und fokussierte mich auf die Statue. Es musste jetzt einfach klappen. Nachtschweif sah mich dabei komisch an und dachte sich wohl, dass ich endgültig meinen Verstand verloren hatte. Doch möglicherweise hatte ich das Rätsel gelöst. Ohne weiteres Nachdenken entlud ich einen Zauberschein an die Umgebung. "Lia, spinnst du! Ich bin doch ein Unlichtpokémon!", schrie Nachtschweif. Doch er verstummte sogleich als wir plötzlich ein lautes Geräusch, was man normalerweise nur von Maschinen kennt, hörten. Es kam direkt unter uns. Darum sahen wir nun zum Boden. Und da passierte es. Direkt neben der Statue sank ein kleiner kreisförmiger Teil des Bodens in die Tiefe. Sofort wussten wir was los war und stellten uns darauf, wodurch wir nach unten fuhren. Als wir auf der Plattform standen, blickte mich Nachtschweif erstaunt an und sagte: "Man Lia, wie hast du das so schnell herausgefunden?" Ich versuchte so zu wirken, als wäre das eine nicht ganz so große Sache und antwortete lässig: "Ach, dass war doch wirklich mehr als offensichtlich." Dabei musste ich schon ein bisschen grinsen. Nachtschweif sah jetzt endlich auch wieder entspannter aus und meinte: "Du bist echt clever! Tut mir übrigens leid, dass ich am Gipfel nicht die größte Hilfe war, aber ich hatte echt geglaubt, dass der Aufstieg umsonst war." Bei meiner jetzigen guten Gefühlslage konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn zu korrigieren: "Du warst mir eigentlich gar keine Hilfe." Wir beide mussten nun lachen. Nach so einem harten Aufstieg fühlten sich solche Momente einfach großartig an. Dann verschwanden die schwarzen Wände von der Plattform und zum ersten Mal sahen wir, was sich unter dem Berg befand. Während wir noch immer hinabfuhren, staunte Nachtschweif: "Das ist ja eine richtige Stadt!" Und tatsächlich, es waren einige kleine Häuser aus Stein und rotem Dach zu sehen, die jeweils mit einem Steg aus Holz miteinander verbunden waren. Außerhalb des Steges war überall Wasser, das an den äußersten Rändern der Stadt wasserfallartig nach unten kam. Das Wasser sickerte wohl von oben durch, was vermutlich vom See stammte. Es war echt unglaublich. Umso plötlicher traf es uns, als die Plattform unten zum Stehen kam. Wir verließen sie und standen nun am Steg. Ich drückte nochmals meine Begeisterung aus: "Dass man eine Stadt in einem Berg bauen kann, hätte ich nie für möglich gehalten. Aber warum ist es hier trotzdem so hell, obwohl hier kein Sonnenlicht hereinkommen dürfte?" Als ich mir diese Frage stellte, sah ich automatisch nach oben und war noch mehr verblüfft. Genau in der Mitte über der Stadt hing an der Decke eine riesige Lichtkugel, die genauso warme Strahlung abgab wie die Sonne. Nachtschweif sagte jetzt: "Das ist echt der Wahnsinn. Die Stadt ist bis auf den Aufzug komplett von der Außenwelt abgeschirmt. Ob in den Häusern noch welche leben?" Das war eine gute Frage. Schließlich konnte ich mir nicht vorstellen, wer in einer solchen Umgebung dauerhaft leben wollte, obwohl es natürlich schon toll hier aussah. Da wir auch vorankommen wollten, gingen wir nun den Steg entlang, um Suicune zu finden. Es folgte eine Stegabzweigung nach der anderen, wodurch wir ziemlich herumirrten. Für eine so kleine Stadt war sie sehr unübersichtlich. Dann stoppte Nachtschweif plötzlich vor mir und zeigte mir an, dass ich still sein sollte. Ich verstand zunächst nicht, aber dann sah ich es von Weitem auch. Es war ein Sumpex, das am Steg entlang lief und dauernd um sich sah, wie als würde es was suchen. "Was macht er nur?", flüsterte ich zu Nachtschweif, der aber auch nur den Kopf schüttelte. Wir durften uns allerdings jetzt nicht so viel Zeit lassen. Und da wir ohnehin an ihm vorbei mussten, gingen wir auf ihn zu. Vielleicht war er ja auch nett, wobei ich da skeptisch war, da wir noch kein nettes Pokémon in den Welten getroffen hatten. Gedanklich stellte ich mich also schon auf einen Kampf ein.


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