Chapter 32

Ich saß still und schweigend am Fenster, mein Blick hinaus auf den Mond gerichtet, tief in meinen Gedanken verloren. Ich war nie der Mensch, der gerne über seine Gefühle sprach – schon gar nicht über seine Gedanken. Besonders dann nicht, wenn es bedeutete, die Vergangenheit heraufzubeschwören.

Die kurze Rede, die ich vorhin gehalten hatte, zog mich zurück in diese Vergangenheit. Ich hatte nie mit jemandem darüber gesprochen, was damals passiert war – nicht einmal mit Inosuke. Aber das musste ich auch nie. Er verstand mich, ohne dass ich je ein Wort darüber verlieren musste. Schließlich hatten wir beide dasselbe durchgemacht.

Die Unruhe, die mein Traum ausgelöst hatte, war verschwunden, aber dafür quälte mich nun das, womit ich nie abgeschlossen hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fraß es sich wie ein giftiges Echo durch meine Brust. Der Druck in meinem Kopf wurde unerträglich.

Die Stille im Gang wurde jäh von einer vertrauten Stimme durchbrochen, die nach mir zu rufen schien.

„Y/N, WO BIST DU? – Ah, da bist du! Du verschwindest in letzter Zeit viel zu oft. Was machst du hier alleine?" fragte Inosuke, seine Stimme laut und durchdringend wie immer.

Ich rührte mich nicht, mein Blick blieb am Fenster haften, als wäre ich unfähig, mich abzuwenden. In solchen Momenten vermied ich es, anderen in die Augen zu sehen.

Mein Schweigen passte Inosuke überhaupt nicht. Er trat näher, packte mich an der Schulter und zwang mich, ihn anzusehen. „EY, IGNORIEREN GIBT ES HIER NICHT – huh? Nanu, was ist denn mit dir los?" Seine Gesichtszüge wandelten sich blitzschnell, und aus seiner üblichen Ungeduld wurde echte Besorgnis.

Ich zwang mich zu einem gequälten Lächeln und schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass nichts sei. Doch er ließ nicht locker.

„Mimimi, Schnauze. Komm her," murmelte er und zog mich plötzlich in eine Umarmung.

Wie immer wusste Inosuke, was los war, ohne dass ich es je hätte aussprechen müssen.

„Komm in Inosukes Arme!" sagte er mit diesem typisch unseriösen Ton, der ihn manchmal wie einen Clown wirken ließ.

„Ich hau dich gleich," murmelte ich trocken, den Hauch eines Grinsens auf den Lippen.

„Ok, ich bin still," sagte er und lachte leise.

Nach Inosukes Umarmung fühlte ich mich ein kleines bisschen leichter, auch wenn der Druck in meiner Brust nicht ganz verschwunden war. Trotzdem war ich dankbar – Inosuke hatte diese nervige, aber gleichzeitig beruhigende Art, die mich immer wieder auf den Boden zurückholte.

„Ich sag’s dir, wenn du noch länger hier rumstehst, verwandelst du dich in eine Statue,“ sagte er und klopfte mir leicht auf die Schulter. „Aber gut, ich lass dich mal in Ruhe. Wenn du reden willst… na ja, ich bin da. Und wenn nicht, auch.“

Bevor er ging, warf er mir noch einen prüfenden Blick zu, dann verschwand er um die Ecke, so laut, wie nur er es konnte. Seine Stimme hallte noch ein paar Sekunden durch den Flur, bis wieder Stille einkehrte.

Ich seufzte leise und ließ meinen Blick wieder hinaus in die Nacht gleiten. Der Mond schien kälter denn je, als würde er meine Gedanken spiegeln. Doch plötzlich hörte ich hinter mir leise Schritte. Nicht so stürmisch wie die von Inosuke, sondern kontrolliert, fast lautlos. Ich wusste sofort, wer es war, bevor ich überhaupt hinsah – es gab nur eine Person, die sich so bewegte. Levi.

„Warum stehst du immer noch hier?“ fragte er trocken, als er neben mir zum Stehen kam. „Hab ich dir nicht gesagt du sollst schlafen gehen.“

Ich antwortete nicht sofort, mein Blick blieb nach draußen gerichtet. „Ich wollte… aber ich konnte nicht.“

Er schnaubte leise, und ich hörte, wie er sich gegen die Wand lehnte. „Du wirst morgen unbrauchbar sein, wenn du dich jetzt nicht ausruhst,“ bemerkte er, und ich konnte fast das Augenrollen in seiner Stimme hören.

„Vielleicht,“ murmelte ich, „aber manchmal ist Schlaf nicht die Lösung.“

„Du wirkst… abwesend,“ sagte er schließlich, sein Ton etwas weicher als zuvor.

Ich lachte leise, ein bitterer Laut, der mir selbst fremd vorkam. „Abwesend? Vielleicht bin ich das ja. Irgendwo in meinen Gedanken gefangen.“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mich musterte – kritisch, wie immer, aber diesmal auch irgendwie anders. „Du siehst aus, als würdest du über zu viele Dinge gleichzeitig nachdenken,“ sagte er schließlich.

Ein bitteres Lächeln stahl sich auf meine Lippen. „Vielleicht tue ich das ja. Vielleicht gibt es zu viele Dinge, die ich nicht einfach… abschalten kann.“

„Hör auf, dich zu quälen,“ sagte Levi, seine Stimme ungewohnt sanft. „Es bringt nichts, Dinge in dir zu vergraben. Du bist nicht der Erste, der daran zugrunde geht.“

Ich wandte meinen Kopf zu ihm und sah ihn zum ersten Mal richtig an. Seine Augen waren wie immer kühl, doch darunter lag etwas, das mich innehalten ließ – ein Hauch von Verständnis, den ich nicht erwartet hatte.

„Es ist nicht so einfach,“ gab ich schließlich zu, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

„Es ist nie einfach,“ erwiderte er schlicht. „Aber sich von der Vergangenheit auffressen zu lassen, ist noch schwieriger.“

Für einen Moment war alles still. Levi sah mich weiterhin an, und ich hatte das Gefühl, dass er darauf wartete, dass ich etwas sagte. Doch die Worte kamen nicht, also nickte ich nur stumm.

„Manchmal reicht es, nur etwas zu sagen,“ fügte er hinzu, „oder jemanden zuzuhören. Auch wenn es nervt.“

Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. „Sogar dich nervt es, zu reden?“

Levi schnaubte und schüttelte den Kopf. „Du hast keine Ahnung, wie sehr.“

Ich konnte mir ein leichtes kichern nicht unterdrücken

Er seufzte leise und richtete sich auf, bevor er mir sanft mit der Hand durch das Haar fuhr. Die Geste war unerwartet, fast schon zärtlich, und ließ mein Herz kurz stocken. „Komm. Du kannst nicht die ganze Nacht hier rumstehen. Und bevor du es vergisst: Morgen früh gibt es keine Ausreden, verstanden?“

Ich konnte mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Das war Levi – fordernd und direkt, aber gleichzeitig auf seine eigene Art besorgt.

„Verstanden,“ murmelte ich und folgte ihm schließlich, als er den Flur hinunterging. Sein Tempo war wie immer schnell und zielstrebig, und doch hatte ich das Gefühl, dass er darauf achtete, nicht zu weit vorauszugehen.

Vielleicht war es nicht die Lösung für alles, aber seine Worte hinterließen einen Funken von etwas, das sich fast wie Erleichterung anfühlte.

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